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Ich war im Wiener Scientology Zentrum

In Österreich ist Scientology zwar nicht groß, aber immer noch gruselig.
Foto von der Autorin

Melanie ist kleingewachsen und hat hellblonde Haare. Sie trägt eine Kette mit einem Donut-Anhänger und hellblaue Schuhe. Melanie ist Scientologin. Sie ist für die „neuen Mitglieder" zuständig und beantwortet meine Fragen geduldig. Anfangs spüre ich ihr Misstrauen. Kein Wunder—Scientology erlebt schon lange keinen Ansturm mehr.

Wilfried Handl schätzt bei unserem Telefonat die österreichweite Mitgliederzahl auf etwa 300 bis 400. Das sei aber großzügig. Mir verrät Melanie keine Zahlen. Die Pressesprecherin redet 2008 von etwa 5.000 bis 7.000 Mitgliedern. Handl ist der bekannteste österreichische Scientology-Aussteiger. Mit seinem Blog möchte er über die Organisation aufklären. Er war selbst hochrangiger Scientologe und trat erst aus, als er an Krebs erkrankte.

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Laut des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard dürfte ein Mitglied seines Ranges nicht einmal Schnupfen bekommen, wie Handl schreibt. Sein Austritt zog schwerwiegende Konsequenzen nach sich. Seine Ex-Frau, selbst hochrangige Scientologin, und seine drei Söhne brachen nach und nach den Kontakt zu ihm ab.

Bevor ich im Wiener Dianetik Zentrum vorbeischaue, frage ich Handl noch am Telefon, wie ein Besuch bei Scientology seiner Erfahrung nach ablaufen würde. Er meint, dass ich mich auf einen Persönlichkeitstest einstellen sollte, den alle Neulingen machen müssten. Der Test besteht aus rund 200 Fragen und am Ende kommt zwangsläufig heraus, dass die Person ein Problem hat, das natürlich nur mit Scientology-Kursen gelöst werden kann.

Der Blick auf das Dianetik-Zentrum | Foto von der Autorin

Als ich Melanie dann nahe der Mariahilfer Straße gegenübersitze, bietet sie mir aber keinen Fragebogen an. Wir setzen uns auf die schwarze Couch und reden. Davor hat mir Melanie noch eine DVD geschenkt: Scientology – Eine Übersicht. Sie erzählt, dass Dianetik „durch den Verstand" heißt. Scientology sei eine religiöse Philosophie (und damit auch keine reine Religion). Dianetik hilft, ein ausgeglichener, besserer Mensch zu werden. Wie das ungefähr geht, will mir Melanie nicht erklären. Dafür lädt sie mich ein, auf das nächste Seminar zu kommen, das 90 Euro kostet.

Der Beitrag zu Dianetik auf der Webseite von Scientology ist mit vielen hübschen Wortschöpfungen geschmückt. Aberration, Engramm, der reaktive Verstand. Die Essenz der Erklärung ist aber folgende: Personen berichten von belastenden Erlebnissen und fühlen sich danach besser. Hört sich eigentlich nicht nach Zauberei an, sondern eher nach Gesprächstherapie. Und das, obwohl Scientology Psychologie und Psychiatrie kategorisch ablehnt.

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Diese Haltung kenne ich aufgrund einer persönlichen Erfahrung zufällig schon länger. Als ich zirka 16 Jahre alt war, bin ich selbst in eine Anti-Psychiatrie-Ausstellung geraten. Dort habe ich mir einen fünfteiligen Film angesehen, der mit dramatischer Musik und grellen Texten beweisen wollte, dass die Psychiatrie die Ausgeburt des Teufels sei. Erst am Ende haben sie sich als Scientologinnen ausgewiesen und fragten mich, ob ich mich für die Church interessiere. Melanie meint, dass diese Ausstellung nicht von Scientology sei—sie würde einfach nur von Scientologen veranstaltet. Diese Abspaltung ist klug. Ich wäre nie in die Ausstellung gegangen, wenn ich gewusst hätte, dass Scientology dahinter steckt.

Symbolfoto eines E-Meters | Daniel Spiess | Wikimedia Commons | CC BY 2.0

Wenigstens die Stände mit dem sogenannten E-Meter haben dann aber doch klar mit Scientology direkt zu tun. Nur steht auch das nicht dabei. E-Meter ist die Abkürzung von Elektropsychometer—noch so ein Neologismus der Organisation. Laut Scientology misst es „den geistigen Zustand eines Menschen" und dessen Veränderung. Wenn man an etwas Bestimmtes denkt, soll sich die „geistige Masse" ändern und genau das misst ein E-Meter mit zwei Elektroden, durch die 1,5 Volt fließt. Melanie konnte mir nicht erklären, wie genau das funktionieren soll, lädt mich aber ein, es selbst auszuprobieren. „Wir machen den Zwicktest!", kündigt sie an.

Wir gehen am Empfangstisch vorbei. Melanie deutet nach links. Die Tür zu einem Seminarraum ist offen. Er sieht aus wie ein heruntergekommenes Klassenzimmer. Vier Holzbänke sind nach vorne gerichtet. Zeichnungen hängen an den Wänden. Ein verwirrt und unsicher wirkender junger Mann ist im Seminarraum und starrt uns durch die offene Tür an, als wir vorbei gehen. Das E-Meter befindet sich in einem winzigen Raum, in dem gerade mal Platz für einen Tisch und zwei Sessel ist.

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Die Anzeige ist in drei Teile unterteilt: rise, set und fall. Ich nehme die Metallbüchsen in die Hand. Melanie kneift mir in den Arm. „War das eh fest genug?" Der Zeiger, der davor zwischen den Teilen herumgeschwappt ist, schlägt einmal aus. Jetzt soll ich mich noch mal an den Schmerz erinnern, der Zeiger fährt hin und her. „Siehst du? Der Zeiger war jetzt genau an derselben Stelle", meint Melanie. Er fährt noch immer zwischen rise und fall hin und her.

Melanie hat definitiv fest genug gezwickt | Foto von der Autorin

„Ich muss ja ordentliche Stimmungsschwankungen haben", kommentiere ich lächelnd.

„Nein, darum geht's nicht". Melanie wird plötzlich ernster und nimmt mir das E-Meter aus der Hand.

Melanie gibt mir ihre Telefonnummer, weil ich meine nicht hergeben möchte. Sie ist für die Neuen zuständig. Das ergibt Sinn. Abgesehen von ihr habe ich noch einen grimmigen Kollegen und eine kühle Kollegin gesehen. Beide haben mich absurderweise mit „Grüß Gott" empfangen. Melanie ist hingegen aufmerksam, lacht und lächelt, plaudert. Sie hat mich ein wenig entwaffnet.

Auch wenn ich weiß, was für Machenschaften hinter Scientology stecken, glaube ich ihr auf einem emotionalen Level, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Und dass „die Medien übertreiben", wie sie sagt. Vor dem Gespräch konnte ich mir nicht vorstellen, wie sich Leute auf Scientology einlassen können. Jetzt weiß ich: Wenn ich ein wenig einsamer wäre, ein wenig unsicherer und an übermenschliche Mächte glauben würde, hätte ich mich vielleicht beim nächsten Seminar eingeschrieben. Melanie ist durch ihren Vater zu Scientology gekommen. Ich weiß nicht, ob sie wirklich an Dianetik glaubt und mir helfen will oder ob sie die Organisation längst durchschaut hat.

In Wien gibt es neben dem Dianetik-Zentrum im 6. Bezirk, das ich besucht habe, auch noch das Celebrity Centre im 23. Bezirk. Allerdings hat das Wiener Celebrity Centre keine Aushängeschilder, wie Tom Cruise oder John Travolta. Auf der offiziellen Webseite ist auch von keinem einzigen Wiener Celebrity die Rede. Melanie erzählt, dass die beiden Zentren in Zukunft zusammengelegt werden, sie aber noch ein größeres Haus suchen. Das fällt mir schwer zu glauben. Ich war eine halbe Stunde lang im Dianetik-Zentrum und habe insgesamt maximal fünf Menschen gesehen. Drei davon waren Angestellte.

Scientology ist in Österreich bloß ein Verein. Der Verfassungsschutz beobachtet sie schon lange. Sie würden wie eine Sekte behandelt, beschwert sich Melanie. Dabei wäre eine Sekte ja sowieso nur eine Abspaltung von Religion. Und: „Alles was nicht katholisch ist, ist für die eine Sekte." Klar ist, dass der Status von Scientology nichts daran ändert, dass sie Familien auseinanderreißen und Menschen bedrohen. Solche und andere Fälle deckt die neue Dokumentation Going Clear auf. Scientology ist nicht harmlos, da können die Mitarbeiterinnen noch so sympathisch sein.

Folgt Lisa auf Twitter unter @lisawoelfl.