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Drogen

„Es gibt hier 14-Jährige, die mit Pistolen rumlaufen. Das ist Wahnsinn."

Jugendliche, die mit Drogen dealen, Waffen tragen und ihr Geld lieber für Ketamin als einen Friseur ausgeben: Liverpools Krieg der selbsternannte „Soldaten" kostet regelmäßig Leben.

Foto aus einem älteren Projekt über die Merseyside-Gangs von Stuart Griffiths

In englischen Merseyside macht sich eine neue, junge Generation von Gangmitgliedern bemerkbar: selbsternannte „Soldiers" in Jogginganzügen, North-Face-Mänteln und Air-Max-Tretern. Ihre langen Haaren nennen sie „Ket Wigs" [Slang für „Ketamin-Perücke"]—eine Anspielung darauf, dass sie ihr Geld lieber für Drogen als einen Friseur ausgeben.

Schätzungsweise 50.000 britische Jugendliche sind laut dem Centre for Social Justice Mitglied einer gewalttätigen Gang. In Liverpool fahren Gang-Mitglieder auf Scrambler-Motorrädern oder Quads durch die Gegend und schützen sich mit Kampfhunden und Messern. Mit starken Elektroschockern, die aussehen wie Handys, oder Feuerzeugen, die mit CS-Gas gefüllt sind, führen sie die Polizei an der Nase herum. Gebunkerte Feuerwaffen warten nicht weiter als einen Telefonanruf weit entfernt auf sie.

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„Es gibt hier 14-Jährige, die mit Knarren rumlaufen. Das ist Wahnsinn."

Acht Jahre nachdem der 11-jährige Rhys Jones von einer verirrten Kugel aus dem Revolver des 16 Jahre alten Croxteth-Crew-Mitglieds Sean Mercer getötet worden war, versprach die Polizei, mit aller Härte gegen die Banden vorzugehen, aber trotzdem bekriegen sich die Jugendlichen von Merseyside weiterhin untereinander. Bei den Gangs dort handelt es sich nicht um hochentwickelte Syndikate des organisierten Verbrechens, sondern viel mehr um lose Netzwerke an Kleinkriminellen, die einfach nur von asozialem Verhalten zu tödlicher Gewalt gewechselt sind, weil sie so leicht an Waffen kommen.

Gangmitglieder starten als kleine „Grafter"—manche von ihnen gerade mal 13—, die Geld damit verdienen, in extra dafür angemieteten Häusern Cannabis-Pflanzen großzuziehen und diese vor bewaffneten Überfällen durch rivalisierende Gangs zu beschützen oder „Lemo"—Slang für Koks—, Ketamin und Ecstasy-Pillen zu verkaufen.

„Es ist so, als wäre auf den Straßen der Krieg ausgebrochen", sagt ein 17 Jahre altes Gang-Mitglied und meint damit eine andauernde Fehde zwischen zwei Gruppen aus einer Gegend namens „Dodge City" in Netherton und dem angrenzenden Fernhill.

Motherboard: Dieses 15-Schritte-Wiki ist der fluffigste Weg zum Mitglied in einer Biker-Gang

„Typen wurden erschossen, abgestochen, zerstückelt, haben Mollis in ihre Häuser bekommen, wurden geschnappt oder sind untergetaucht. Es gibt schon lange eine Rivalität zwischen Dodge und Fernhill, aber dieser Krieg ist etwas Anderes. Es geht vor allem um Pflanzen in Bootle … wer kontrolliert was. Plantagen werden ausgeraubt und Grower zum Überlaufen gezwungen. Momentan werden die Jungs vor allem entführt. Dann wird Lösegeld gefordert—das kann zwischen 500 und 10.000 Pfund sein. Es geht alles nur um Kontrolle. Manchmal werden die Jungs von den rivalisierenden Gangs auch einfach so gekidnappt—nur um sie fertig zu machen."

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„Letztens haben sie einen von den Fernhill-Jungs gepackt und in eine Wohnung gebracht. Er wurde dort ein bisschen vermöbelt, dann gefesselt und anschließend mit Haken an der Decke festgemacht. Die Typen haben dann einen Selfie neben ihm gemacht und auf Instagram gepostet, damit Fernhill das Ganze sehen konnte. Das ist alles richtig abgefuckt, aber so läuft es hier nun mal. Und alle haben Knarren—oder zumindest Zugang dazu … Shotties [Shotguns], Glocks, 38er, 9mm-Pistolen. Es gibt hier 14-Jährige, die mit Knarren rumlaufen. Das ist Wahnsinn."

Stephen „The Devil" French | Foto: Stuart Griffiths

Der ehemalige Liverpooler Gangster Stephen „The Devil" French bezeichnet diese Jugendlichen als „die verlorene Generation". „Diese jungen Kinder—einige sind erst acht oder neun Jahre alt—haben Väter, die Mörder sind, Onkel, die getötet wurden, und Cousins, die lebenslang im Gefängnis sitzen."

In Anfield wurde bei einem brutalen Angriff letztes Jahr ein Teenager von einer Gang mit einem großen Schwert erstochen. Die fünf Jungs—zwei davon erst 13—waren Teil eines Mobs, der das Opfer—den 19-jährigen Sean McHugh—in einen Waschsalon jagte, wo sie ihn dann töteten. Drei 14-Jährige und ein 15-Jähriger bekamen lebenslange Haftstrafen.

Im Mai jagte der 17 Jahre alte William Cowley einem gleichaltrigen Rivalen ein Messer in die Niere, nachdem sein Haus beschossen worden war. Sie hatten sich für einen Kampf—Mann gegen Mann—in einer Seitenstraße verabredet. Das Opfer überlebte. Kevin Wilson, ebenfalls 17, hatte kein so großes Glück. Er wurde durch einen Schuss in den Rücken getötet, als er im Februar die bei Studenten beliebte Smithdown Road entlanglief. Ähnlich erging es Vinny Waddington, 18, der im Juli aus einem Auto heraus in einen Hinterhalt gelockt und erschossen wurde, als er auf seinem Motorrad durch Garston fuhr.

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John Sandwell rief mit seiner Frau Marie zusammen die in Merseyside aktive Wohltätigkeitsorganisation Support After Murder and Manslaughter ins Leben, nachdem Maries Tochter—Helen McCourt, eine 22-jährige Versicherungsangestellte—im Februar 1988 in ihrem Heimatdorf Billinge vom Pub-Besitzer Ian Simms entführt und getötet worden war.

„Es ist das ultimative Verbrechen", sagt John, der sich momentan um die Hinterbliebenen einer Schießerei kümmert. „Es zerstört Leben. Nicht nur die Leben der Opfer und ihrer Familien, sondern auch die der Täter. Die sich langsam ausbreitende Wirkung ist verheerend, weshalb wir die jungen Straftäter, die in den Wohnsiedlungen für chaotische Zustände sorgen, aufklären müssen."

„Das Problem ist, dass die Schulen und Jugendzentren nicht genug finanzielle Unterstützung bekommen, um ihnen das vermitteln zu können. Das andere Problem ist, dass Schusswaffen jeglicher Art ziemlich leicht zu bekommen zu sein scheinen—Pistolen, Gewehre, automatische Waffen. Und das ist sehr besorgniserregend.

Vor Wochen konnte die Polizei von Merseyside eine halbautomatische Sten-Maschinenpistole, eine halbautomatische Shotgun, ein normale Shotgun, die dazugehörige Munition sowie große Mengen an verbotenen Drogen sicherstellen. Der Fund wurde dabei als „bedeutender Sieg" im Kampf gegen das bewaffnete Verbrechen bezeichnet. Bis April 2015 wurden 34 Scrambler-Motorräder beschlagnahmt, gefolgt von mehreren Drogen-Razzien und der Zerstörung von Cannabis-Farmen, die aktiven Gang-Mitgliedern gehörten. 2013 wurden mehr als 60 Feuerwaffen einkassiert.

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Detective Chief Superintendent Paul Richardson, der Leiter des „Matrix Serious and Organised Crime"-Teams (MSOC), meint, dass der Wille der Polizei, bewaffnete Verbrecher hinter Schloss und Riegel zu bringen, „ungebrochen" ist, man aber auch „realistisch einschätzen muss, wie schwierig das alles fortzuführen sein wird, wenn die Sparmaßnahmen einsetzen."

Anschließend fügt er hinzu: „Zwar gehen die bewaffneten Verbrechen in Merseyside dank uns zurück, aber damit dürfen und werden wir uns nicht zufriedengeben. Erst diese Woche hat uns der Mord an Lewis Dunne wieder gezeigt, dass es in Meyerside noch immer Menschen gibt, die Waffen einsetzen. Jedes Opfer von Waffengewalt ist ein Opfer zu viel. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Betätigung von Feuerwaffen jedoch um 31 Prozent zurückgegangen und das Matrix-Team hat mehrere erfolgreiche Initiativen und Operationen durchgeführt, um gegen bewaffnete Verbrecher vorzugehen."

„Junge Leute müssen erkennen, dass sie ihr Schicksal selbst in der Hand haben. Die Entscheidungen, die sie treffen, können Leben verändern und die jüngere Generation muss die Veranwortung für ihre Taten übernehmen."

Aber welche Alternative haben diese jungen Leute? „Es gibt keine", meint ein 15-jähriger Drogendealer, der zu einer Gang namens TB—Town Boys—gehört und vor dem Liverpooler Crown Court „Lemo" vertickt. „Nur so können wir Geld verdienen. Ein normaler Job ist für uns nicht drin, weil wir keine Versicherungsnummer besitzen—und die würde uns sowieso keiner geben wollen."

„Wenn man im Norden Liverpools aufwächst, findet man kaum Arbeit und für die jungen Leute gibts dort einen Scheißdreck zu tun."