
Menschen grölen, ein paar Böller explodieren, eine Kettensäge röhrt. Eigentlich wollte ich mich gerade zu meiner kleinen Nichte ins Bett legen, als auf der Breiten Straße die Hölle losbricht. Aus meinem Küchenfenster kann ich das schon lange leerstehende Haus gegenüber sehen, Scheinwerfer leuchten über die Fassade, aus dem obersten Stockwerk hängt: „Besetzt, gez. Lobby“. Vor dem Haus steht jede Menge Polizei, auf der anderen Straßenseite die Demonstranten, die ihre Freunde im Gebäude mit Parolengesängen anfeuern. Die Polizisten versuchen sich mit einer Kettensäge Zutritt zum Haus zu verschaffen. Die Besetzer werfen Böller, kippen Farbe aus den Fenstern, sprühen mit Feuerlöschern Richtung Eingang und werfen Türen und sonstiges Mobiliar auf die Straße. Meine 5-jährige Nichte schläft tief und fest. Nach etwa vier Stunden ist alles vorbei—die Bilanz: 13 verletzte Polizisten und fünf festgenommene Besetzer. Gegen zwei von ihnen wird später eine Untersuchungshaft angeordnet. Der Vorwurf lautet: gemeinschaftlich versuchter Totschlag.Was ich durchs Küchenfenster erlebt hatte, war der Auftakt der Squatting Days (to squat = besetzen) in Hamburg letzten Mittwoch—einem Treffen für die internationale Besetzerszene. Rund um den Besetzerkongress kam es noch zu einer weiteren Platzbesetzung, einer symbolischen Besetzung der Kantine der Hamburger Finanzbehörde und einer Demo zum Thema „Selber Handeln – Gegen eine profitorientierte Stadtentwicklung“ mit etwa 1300 Teilnehmern. Fünf Tage lang campierten und trafen sich nach eigenen Angaben etwa 400-500 Aktivisten im August-Lütgens-Park in Hamburg Altona (der Bezirk hat das genehmigt), um an Seminaren, Workshops und Filmvorführungen rund ums Thema Hausbesetzung, Stadtentwicklung, Leerstand, Gentrifizierung, besetzte Projekte. Außerdem ging es um Konzepte und Strategien. Nach dem Spektakel vor meiner Tür wollte ich mir einen Blick in das Camp nicht entgehen lassen.
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Die wirkt dann aber eher wie eine große Grillparty. Es wird Musik gespielt, Bier getrunken, gegessen, gelacht, auf der Straße gestanden, Trecker gefahren und sich unterhalten. Drumherum stehen Polizisten und schauen dabei zu. Auf einem Banner steht: „Gegen den Ausverkauf der Stadt. Selbstbestimmtes Leben für alle.“ Am späten Abend wird der Platz geräumt. Von den etwa 130 Anwesenden wurde die Personalien festgestellt und einer wurde vorläufig verhaftet. Die Aktivisten sprechen auch von Pfeffersprayeinsatz der Polizei. Während die Boulevard-Presse die Camper als Brutalo-Besetzer betitelt, tritt der eigentliche Grund für die Besetzungen in den Hintergrund – das Aufzeigen von Leerstand, das Anprangern von Immobilienspekulanten während andere in Wohnungsnot sind.
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