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Journalisten nach der Flucht

Zwei Flüchtlinge berichten von ihrem Alltag in einem österreichischen Flüchtlingscamp

Mohammed Ali Alamy und Mustafa Al Barudi stammen aus dem Irak und haben letzte Woche unseren Snapchat- und Instagram-Account übernommen. Hier das Protokoll ihrer Erlebnisse.

Fotos und Protokoll: Christoph Schattleitner | VICE Media

Die #ViceRefugeeReports sind vorbei. Wir, Mohammed Ali Alamy und Mustafa Al Barudi, haben vergangene Woche den Snapchat- und Instagram-Account von VICE Alps übernommen. Im Irak arbeiteten wir als Journalisten, vor 10 Monaten sind wir nach Österreich geflüchtet.

Seit wir hier sind, wurden wir mit vielen ungewöhnlichen Fragen und Vorurteilen konfrontiert. Keiner unserer österreichischen Freunde konnte sich etwa vorstellen, wie das Leben in einem Camp abläuft. Deshalb fanden wir Christophs Idee, eine Woche lang unseren Alltag zu protokollieren, super. Neben Beiträgen auf Snapchat und Instagram sowie einem Facebook-Live-Video, wollten wir eine exemplarische Woche im Camp auch in einem schriftlichen Protokoll festhalten. Hier lest ihr die Zusammenfassung und könnt euch nochmals die dazugehörigen Snaps im Video anschauen.

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Montag

Wir standen beide um kurz vor 09:30 Uhr auf, Christoph wartete schon auf uns. Er besuchte uns im Camp, um uns Equipment für das Smartphone vorbeizubringen und ein paar Presse-Fotos zu schießen. Wir probierten gleich alles aus: Stativ, Selfie-Stick, Mikrophon. In unserem ersten Instagram-Video filmten wir die "Übergabe" und stellten uns vor. Als Christoph weg war, waren wir so aufgeregt, dass wir gleich mit dem Handy durch das ganze Gebäude liefen, um unseren Zuschauern alles zu zeigen.

Besonders interessant sind die Schlafsäle. In den meisten übernachten ungefähr 20 Personen gemeinsam. Die fehlende Privatsphäre kann ganz schön anstrengend sein und einen stressen—vor allem, wenn man sich umziehen will. Die Verantwortlichen der Caritas haben bereits im Februar dieses Jahres gesagt, dass sie private Räume für jeden bauen würden. Bis jetzt ist nichts passiert. Wir wissen nicht, warum, und wollen auch niemanden dafür beschuldigen. Aber Fakt ist, dass die Situation nicht perfekt ist. Die meisten unserer Freunde haben keine Lust mehr zu warten und haben deshalb ihr eigenes Zimmer "gebaut". Mit alten Leintüchern und Seilen haben sie eine Art Wand oder eher einen Vorhang um das Bett errichtet, um etwas Privatsphäre zu haben. Wir haben das auch gemacht.

Dieser Tag war sehr ungewöhnlich und spiegelt nicht unbedingt unseren Alltag wieder. Wir hatten einfach so viel Spaß auf Snapchat und Instagram, wir haben fast den ganzen Tag damit verbracht. Und natürlich merkten das unsere Freunde im Camp, die wir vorab gefragt haben, ob wir sie filmen dürfen. Das war für niemanden ein Problem. Im Gegenteil. Alle, die wir fragten, reagierten gleich: Jeder war froh, dass endlich über unsere Situation berichtet wird und wir unsere Perspektive in die öffentliche Debatte über Flüchtlinge einbringen können.

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Dienstag

Ich, Mustafa, stand um 07:30 Uhr auf, duschte und machte mich fertig. Nach meinem obligatorischen Kaffee, nahm ich meine Bücher und fuhr zu meinen Deutschkurs in der Nähe der Wiener Volksoper. Von Montag bis Donnerstag habe ich immer von 09:00 Uhr bis 13:00 Uhr Deutschkurs. Diese Kurse sind gewöhnlich gratis, aber die fortgeschrittenen und spezifischen kosten für Flüchtlinge 90 Euro pro Level. Da ich aber ein Stipendium vom Refugee Mentoring Program bekommen habe, muss ich zum Glück nichts zahlen. Den Rest des Tages verbrachte ich mit meiner Freundin aus Österreich in ihrer Wohnung. Wir hatten sehr viel Spaß! Die Details sind privat, haha.

Ich, Mohammed Ali, stand—sagen wir—etwas später auf. Als ich merkte, dass Mustafa weg ist, informierte ich gleich die Leute auf Snapchat. Nach dem Duschen kochte ich ein richtig großes "Frühstück" für alle meine Freunde. Im Camp haben wir eine Art Markt, bei dem sich jeder mit Zutaten bedienen darf, um sie dann zu verkochen. Ausreichend essen war am Dienstag wichtig, weil ich und meine Freunde danach Fußball spielen wollten. Das Feld dafür ist nicht weit vom Camp entfernt, zu Fuß brauchen wir ungefähr 15 Minuten dorthin. Wir spielten von 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr, volle drei Stunden in der Sonne. Es war so anstrengend! Wir, alle vollkommen verschwitzt, freuten uns richtig auf die Dusche. Aber dieses Mal wollten wir keine normale Dusche haben. Wir sind einfach an einer passenden Stelle in die Donau gesprungen, die auf unserem Weg nach Hause liegt. Das hat ziemlich Spaß gemacht, wie man unschwer im Video erkennt …

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Mittwoch

Wir standen beide um ungefähr 10:00 Uhr auf. Gemeinsam mit Freunden starteten wir eine große Koch-Session—wie eine große Familie. Das machen wir fast jeden Morgen. Ehrlich gesagt war uns allen ein bisschen langweilig, weil wir nichts zu tun hatten und an diesem Tag auch nichts vorhatten. Deshalb haben wir versucht, uns selbst zu unterhalten. Wir blödelten herum, spielten und hörten Musik und machten Videos. Das sieht auf den Bildern vielleicht verrückt aus, aber das ist nunmal unsere Art um die tägliche Langeweile in Spaß umzuwandeln.

Später ging Mustafa zu seiner Freundin und ich, Mohammed Ali, spielte mit Freunden Tischtennis und genoss eine Runde Shisha. Am Abend kochte ich etwas. Es ist fast immer das Gleiche, ich versuche, aus den vorhandenen Zutaten irgendetwas zu machen. Im "Markt" gibt es fast immer Kartoffeln, Reis, Eier, Zwiebel, Knoblauch, Milch, Linsen, Nudeln, Tomaten, Gurken, Käse, etwas Süßes, Oberschienen und ungefähr einmal die Woche Halal-Fleisch. Ich erzähle euch das, weil sonst an diesem Tag nicht viel passiert ist—wie so oft. Die meiste Zeit hier verbringen wir damit, auf den nächsten Termin für unseren Asylbescheid zu warten. Da kann einem schon langweilig werden.

Donnerstag

Über Mustafa gibt es an diesem Tag nicht viel zu erzählen. Nach dem Deutschkurs verbrachte er die meiste Zeit damit, die deutsche Grammatik zu lernen (eure Artikel sind echt schwer zu lernen! die, der, das! die, der, den, die!). Ich, Mohammed Ali, hingegen freute mich auf einen gemütlichen Tag.

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Als ich dann meinen Kalender überprüfte, realisierte ich, dass am Freitag bereits das letzte Gespräch meines Asylverfahrens angesetzt war. Schlagartig wurde ich nervös und verbrachte den ganzen Tag damit, meine Dokumente zu ordnen. Ich machte das gemeinsam mit meinem Bruder Mahmoud, der ebenfalls am Freitag ein Gespräch beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hatte. Meine Freunde im Camp sagten mir, dass die Beamten wirklich alles von uns wissen werden wollen. Sie würden versuchen werden, uns nervös zu machen, uns zu verwirren, um rauszufinden, ob wir wirklich die Wahrheit sagen.

Ich habe nichts zu verstecken, aber das machte mich nervös. Es geht um viel. Bis 3:00 Uhr früh konnte ich nicht schlafen. Ich konnte echt ein bisschen Unterstützung brauchen. Ich snappte meine Gedanken und bekam wirklich sehr tolle Antworten von den VICE-Followern. Das hat mir sehr geholfen.

Freitag

Ich, Mohammed Ali, hatte schlecht geschlafen und wachte bereits um 6 in der Früh nach 3 Stunden Schlaf wieder auf. Gemeinsam mit meinem Bruder machte ich mich auf den Weg zur Regionaldirektion des BFA beim Hernalser Gürtel. Wir waren schon nervös, aber beruhigten uns gegenseitig. Vor dem Gebäude mussten wir ungefähr 30 Minuten warten, gleich wie im dritten Stock, wo das Gespräch dann war. Die Ermittlung war echt anstrengend, die Beamten hatten so viele Fragen! Mein Bruder war zwei Stunden drinnen, ich ganze vier!

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Es hieß, wir würden die Entscheidung in einem Monat per Mail erhalten. Das war echt ein unglaublich anstrengender Tag für mich. Stellt euch vor: vier Stunden mit einer Person, deren Job es ist, mit gefinkelten Fragen die Wahrheit rauszufinden. Manchmal baute er, glaube ich, absichtlich Fehler in die Fragen ein, um zu prüfen, ob mir das auffällt und ich ihm widerspreche. Zum Beispiel, sagte er mehrmals etwas Falsches, um zu prüfen, ob ich wirklich weiß, was mein ehemaliger Arbeitgeber im Irak macht. Danach war ich echt fertig. Ich hatte nichts gegessen und in den vier Stunden keine einzige Pause. Deshalb sind mein Bruder und ich danach in die Wohnung einer Freundin von uns gegangen. Sie war so freundlich und hat für uns gekocht. Danach sind wir gleich ins Bett gefallen.

Samstag

Diesen Samstag habe ich, Mustafa, sehr genossen. Mit einem Freund, der beim News-Magazin als Journalist arbeitet, bin ich nach Eisenstadt gefahren. Wir haben das Weltreporter-Forum besucht, eine Konferenz, bei der unter anderem auch ein irakischer Journalist, der nach Deutschland geflohen ist, gesprochen hat. Das war ein wirkliches Vergnügen.

Ich hatte die Chance, mich mit anderen Journalisten zu unterhalten und über die Situation von Flüchtlingen in Österreich zu diskutieren. Dieser Tag erinnerte mich ein wenig an meine alte Arbeit im Irak und daran, dass ich auf dem Weg zurück in das Berufsleben bin. Nach der Konferenz haben wir uns noch den Neusiedlersee angeschaut. Für mich war das etwas Besonderes, im Irak haben wir keine Seen. Es war echt ein schöner Ausflug. Erschöpft fiel ich im Home Sweet Home in Wien ins Bett.

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Sonntag

Sonntag wachte ich, Mustafa, zwischen Frühstück und Mittagessen auf, weshalb ich beides auf einmal zubereitete. Danach rief mich meine Freundin an, die mir mir etwas über ein Film-Festival am Rathausplatz erzählte. Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen, im Irak gibt es solche Events nicht.

Es war ein schöner Abend mit meiner Freundin. Wir genossen die große, weite Welt auf unseren Tellern. Meine Freundin bestellte Chinesisch, während ich mir einen arabischen Shish-Kebab gönnte. Danach spazierten wir noch durch Wien, machten beim Parlament Fotos und setzten uns hin. Wir unterhielten uns und diskutierten über die kulturellen Differenzen zwischen verschiedenen Ländern.

Wir hoffen, wir könnten euch mit diesem Text und mit den #ViceRefugeeReports etwas Einblick in unseren Alltag liefern und die ein oder andere Frage beantworten. Und wir möchten uns für die vielen, tollen Nachrichten, die wir in den letzten Tagen bekommen haben, bedanken. Es hat Spaß gemacht.

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