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Essen

Wenn du in Berlin dein Essen teilen willst, kann dich das 50.000 Euro kosten

Die Foodsharing-Community bekommt Ärger—ausgerechnet im Prenzlauer Berg.
Fotos: Marlene Göring

Dort, wo portugiesische Weinbars sprießen, wo Jack Wolfskin Abenteuer verspricht, wo Zwölfjährige auf Fixies radeln und Läden mit „Kaiserlichen Knödel-Kochkursen" werben, dort liegt Berlin-Prenzlauer Berg. Sieht es dort überall so aus? Nein!

Unbeugsam behauptet sich ein kleiner, abgeranzter Kiezladen in der Dunckerstraße 14, und dort hat auch Foodsharing, Verein und Online-Plattform, ein Büro. Im Hinterhof hat die Community „Fair-Teiler" aufgestellt: Kühlschränke, die jeden Tag von Lebensmittelrettern gefüllt werden—und die Nachbarn, Hartz-IV-ler und Studenten jeden Abend wieder leerräumen. Aber die Umsonst-Idylle ist bedroht. Feindliche Kräfte wollen sie abschaffen; Mächte, die mit Shareconomy ungefähr soviel anfangen können wie Hamburger mit dem Oktoberfest—na klar, die Berliner Behörden.

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Dabei ist Foodsharing richtiges Teilen, kein Hardcore-Kapitalismus unter hübschem Mäntelchen wie Airbnb. Ungefähr 25 Fair-Teiler stehen in Berlin, 350 in ganz Deutschland. Aber nur in der Hauptstadt machen die Behörden Probleme.

In diesem Hinterhof gibt's kostenloses Essen

Seit Ende 2012 gibt es Foodsharing im Netz. Auf der Internetplattform teilen die Mitglieder überflüssige Lebensmittel miteinander. Ein paar Monate später wurde Foodsharing analog: An den Fair-Teilern kann man Lebensmittel einfach abliefern, und jeder, der vorbeikommt, kann sich etwas rausnehmen.

So wie in der Dunckerstraße. Dort betreut Gerard Roscoe den Kühlschrank. Eigentlich sind es sogar zwei: einer für Obst, Gemüse und andere Produkte, bei dem anderen läuft die Kühlung nicht, dort lagern Backwaren. Das meiste Zeug ist von Demeter und Co. Bioläden sind mittlerweile der wichtigste Lieferant geworden. „Manche Sachen standen noch nicht einmal im Regal", sagt Roscoe. „Das holen wir direkt aus dem Lager hierher." Freiwillige überprüften jeden Tag, ob im Kühlschrank etwas vor sich hingammelt. Drei Mal die Woche werde er mit Essig ausgewischt. Und wirklich: Das Innere ist so nasenfreundlich wie New-Car-Smell. Nie hat sich jemand beschwert, jahrelang ging das gut, sagt Roscoe.

Bis der erste Brief kam.

Seit Januar will die Lebensmittelaufsicht die Fair-Teiler als Lebensmittelbetriebe einstufen. Und das ist mit strengen Auflagen verbunden: Jemand müsste nonstop am Kühlschrank stehen und jede Spende überprüfen. Zusatzstoffe und Allergene müssten gekennzeichnet werden. Und es müsste nachgewiesen werden, wer, was, wann vorbeigebracht hat—und ob die Kühlkette dabei gehalten hat.

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Überflüssiges Essen teilen? Das geht so nicht, sagt das Amt

Passiert das alles nicht, mache das eine Strafe von 50.000 Euro, steht in dem Brief. Zahlbar nicht vom Verein, sondern von den ehrenamtlichen Helfern selbst. Wie Gerard Roscoe.

„Ich bin inzwischen zu allem bereit", sagt der. „Diese Forderungen sind einfach so abstrus und gegen jeden Menschenverstand, das kann ich nicht akzeptieren." Da habe jemand die Idee von Community und Sharing nicht verstanden. Vor einem Prozess hat Roscoe keine Angst—anders als seine Mitstreiter am Kindermuseum Machmit! gleich um die Ecke und am Tommy-Weisbecker-Haus in Kreuzberg. Die haben ihre Fair-Teiler vorsichtshalber stillgelegt. Und auch die Lebensmittelaufsicht selbst ist herumgegangen und hat Kühlschränke mit pinken Aufklebern „versiegelt". In der Dunckerstraße haben sie die Nutzer einfach wieder abgerissen.

Treibende Kraft scheint das Veterinäramt Pankow zu sein. Der Zuständige dort für die Lebensmittelaufsicht ist Dr. Lutz Zengerling, dessen letztes Großprojekt eine Ekelliste für Restaurants war. Er soll die Lebensmittelämter der Bezirke im Januar eingeladen und auf eine Linie eingeschworen haben—gegen Foodsharing. Gegenüber VICE wollte er sich kurzfristig nicht äußern. Aber das Veterinäramt wirft den Fair-Teilern vor, schmuddelig zu sein. Laut Berliner Zeitung heißt es aus dem Rathaus, es habe Beschwerden über Ratten und Durchfall gegeben. Bewiesen ist das allerdings nicht.

Alles Bio, aber illegal

Auch Frank Bowinkelmann, der Vorstandsvorsitzende von Foodsharing in Köln, hat von Anschuldigungen der Berliner Lebensmittelaufsicht gehört: Eine angebrochene Salatpackung und unverpacktes Brot sollen im Kühlschrank gelegen haben. Da treffen zwei völlig unterschiedliche Vorstellungen von Hygiene aufeinander. „Die verstehen die Dimension nicht", ärgert sich Bowinkelmann. Lebensmittel retten, die in den Supermärkten nicht mehr verkauft würden: „Darum geht es doch gerade!" Wie die Axt im Walde führten sich die Amtsmächte auf. Für Bowinkelmann ist klar: Fair-Teiler sind keine Betriebe, sondern hier werden Lebensmittel von privat an privat weitergegeben. Das EU-Recht kann so ausgelegt werden. Mittlerweile hat sich sogar der Berliner Senat mit dem Thema beschäftigt—und steht hinter seinen Behörden.

Mit einer Petition wehrt sich Foodsharing dagegen, dass Bürokraten ihre Community kaputt machen. Noch bis Ende April läuft sie, fast 25.000 Menschen haben unterschrieben, mehr, als für ein Volksbegehren in Deutschland notwendig wären. Gerard Roscoe wirft noch einen letzten Blick in den Hinterhof, gleich muss er auf eine Vereinssitzung. Jetzt ist Hauptzeit: nach Feierabend, wenn die Bioläden abgeklappert und die Kühlschränke voll sind. Hier treffen sie sich: der Typ aus dem Haus, der die Sachen aus dem Fair-Teiler in seinen Jutebeutel stopft, als gehe er gerade einkaufen. Die Frau in unschätzbarem Alter und ohne Zähne, die sich über die Säcke voll Brot beugt. Und die Sekretärin mit der Jack-Wolfskin-Jacke, die Pastinaken und Milch in ihren Fahrradkorb legt. Und alle nehmen hoffentlich genauso viel mit, wie sie heute Abend noch brauchen.