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Popkultur

"Eine typische Mateschitz-Impulsaktion": Das sagt ein Mitarbeiter von Servus TV

Wir haben mit einem Angestellten von Servus TV und Unternehmern in Österreich über Betriebsräte und die Medienlandschaft gesprochen.

Foto: Jenud | Flickr | CC BY 2.0

"Servus TV ist für mich wie sündhaft teure Unterwäsche. Es ist gut es zu haben, weil es könnt ja mal wer schauen", sagte Barbara Schöneberger bereits bei der Romy-Verleihung 2014. Geschaut haben nur wenige. 2015 stieg der Marktanteil zwar auf 1,7 Prozent, die meisten Sendungen dümpelten aber an der Grenze zum Messbaren. So war es zwar überraschend, aber nicht unverständlich, als Servus TV vergangene Woche Dienstag bekannt gab, dass der Betrieb eingestellt wird.

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In der Presseaussendung hieß es: "Obwohl wir Jahr für Jahr einen nahezu dreistelligen Millionenbetrag in Servus TV investiert haben, lässt sieben Jahre nach Einführung die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation keine wirklich positive Entwicklung erwarten. Der Sender ist daher für unser Unternehmen wirtschaftlich untragbar geworden." Zusätzlich seien die Veränderungen am globalen Medienmarkt für das Aus verantwortlich, denn digitale Angebote verdrängten die klassischen, linearen Programme.

Je nach Quelle verloren 246 oder 264 MitarbeiterInnen kurzzeitig ihren Job. Am Nachmittag bestätigte Servus TV-Gründer Dietrich Mateschitz in einem Statement die Gerüchte, dass die Überlegungen zur Gründung eines Betriebsrates mit ausschlaggebend für die Einstellung von Servus TV waren. "Dass diese Vorgehensweise bei der Entscheidung in der aktuellen Situation des Senders nicht gerade dienlich war, ist evident." Besonders die Art und Weise des Zustandekommens, nämlich anonym, unterstützt von Gewerkschaft und Arbeiterkammer, störte Mateschitz.

VICE sprach mit einem Mitarbeiter von Servus TV, der anonym bleiben möchte und die Einstellung des Betriebs als "eine der typischen Mateschitz-Impulsaktionen" bezeichnete. Mateschitz' Ablehnung gegenüber einem Betriebsrat sei intern hinlänglich bekannt gewesen—insofern wäre es verständlich, dass über die Gründung anonym und mit Unterstützung von Arbeiterkammer und Gewerkschaft nachgedacht wurde. Diese reagierten entsprechend empört auf seine Aussagen.

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Parallel passierte das Vorhersehbare: Politiker, Medien, Kunst- und Kulturschaffende bedauerten die Einstellung. Die Marktmacht des ORF und die GIS wurden kritisiert und eine neue Verteilung der Gebühren gefordert. Die Qualität des Programms von Servus TV wurde hervorgehoben und gelobt. Armin Wolf schrieb etwas, Felix Baumgartner schrieb etwas zurück (auch als Retourkutsche auf den letzten umgekehrt gelagerten Fall). Facebook-Gruppen wurden gegründet, die den Erhalt forderten und plötzlich waren alle treue Fernseh-ZuschauerInnen. "Wir haben schon am Montag/Dienstag drüber gewitzelt, dass der Sender voll super dastünde, wenn die Leute, die da Solidaritätsbekundungen abgeben, überhaupt wüssten, was auf Servus TV läuft" , sagte der Mitarbeiter.

Am nächsten Tag kam bekanntermaßen die Wende. Servus TV verkündete, den Betrieb weiterzuführen. Möglich wurde das durch ein konstruktives Gespräch der Verantwortlichen von Arbeiterkammer, Gewerkschaft und Red Bull, heißt es. Die Gründung eines Betriebsrates wurde aus der Welt geschafft, in der Presseaussendung verkündete man dazu: "Nicht überraschend für einen Betrieb, der für seine hohen sozialen Standards bekannt ist, lehnt die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiter einen Betriebsrat ab." Klar gemacht wurde das in einem Brief, der von mehr als 200 um ihren Job bangenden Angestellten (und folglich nicht von allen) unterschrieben wurde.

Die Gewerkschaft feierte dies als Erfolg; schließlich wurden die Kündigungen zurückgezogen und Arbeitsplätze gerettet. Das somit das Arbeitnehmerrecht zur Gründung eines Betriebsrates mit Füßen getreten wurde, war zu dem Zeitpunkt weniger das Problem. Es wollte ohnehin niemand wirklich einen gründen, nein, ganz bestimmt nicht.

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Die Reaktionen auf die Weiterführung von Servus TV waren überwiegend positiv. Unter die Erleichterung und Freude der (neuen) Fans mischte sich trotzdem ein fahler Beigeschmack. Während viele ihre Liebe zum Sender mehr oder weniger plötzlich entdeckten, prangerten Journalistenkollegen Mateschitz' Vorgehen an.

"Red Bull verleiht Zügel", schrieb David Schalko. Vereinzelte Boykott-Aufrufe von Politikern ertönten, die wohl ohne merkbare Folgen bleiben werden. Bewiesen hat Mateschitz einmal mehr seine wirtschaftliche Macht in diesem Land; ausgebaut hat er damit den Ruf des Patriarchen, der keinen Widerspruch duldet. Am guten Image des Harten, aber Gerechten wird das langfristig nicht rütteln.

"Der Betriebsrat nimmt einem die Möglichkeit, sich direkt mit den Arbeitnehmern zu einigen, man muss immer mit dem Betriebsrat verhandeln."

Verständnis für Mateschitz kommt vor allem von Seiten anderer Unternehmer, die der österreichischen Bürokratie und angeblichen Arbeitgeberfeindlichkeit die Schuld für fehlenden wirtschaftlichen Aufschwung geben. Sie verstehen zum Teil sogar die Befüchtungen des Herren über die Dosen, dessen Liebkind Servus TV—trotz wirtschaftlichem Misserfolg—von Anfang an war, im Hinblick auf die Gründung eines Betriebsrats.

Aber zuvor kurz das Grundlegende. Die Belange des Betriebsrates sind im Arbeitsverfassungsgesetz rechtlich geregelt. Ab fünf stimmberechtigten, familienfremden ArbeiternehmerInnen, die in einem Betrieb beschäftigt sind, kann eine Betriebsratswahl durchgeführt werden. Der Arbeitgeber darf die Entstehung eines Betriebsrates nicht verhindern und ist verpflichtet, organisatorisch Hilfe zu leisten. In § 38 heißt es allgemein: "Die Organe der Arbeitnehmerschaft des Betriebes haben die Aufgabe, die wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer im Betrieb wahrzunehmen und zu fördern." Dem Gesetz nach würde den MitarbeiterInnen von Servus TV ein Betriebsrat mit fünf BetriebsratsmitarbeiterInnen zustehen, die auch die Interessen deren vertreten.

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Dass dies nicht zwangsläufig der Fall ist, erklärte ein Unternehmer gegenüber VICE: "Der Betriebsrat nimmt einem die Möglichkeit, sich direkt mit den Arbeitnehmern zu einigen, man muss immer mit dem Betriebsrat verhandeln." Dieser vertritt als eigenständiges Organ jedoch auch eigene Interessen beziehungsweise die der Gewerkschaft, die hinter ihm steht—im konkreten Fall die Gewerkschaft der Privatangestellten, Druck, Journalismus, Papier (GPA djp). Diese verneint, Einfluss ausüben zu wollen.

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Man neigt dazu, die Gefahr einer parteipolitische Beeinflussung, die laut Mateschitz besteht, als Paranoia beiseite zu wischen. Im Falle eines Medienunternehmens ist allerdings Druck von sämtlichen Seiten zumindest vorstellbar—was nicht zwangsläufig im Sinne der ArbeitnehmerInnen sein muss und sich zum Selbstläufer entwickeln könnte. Hier mischt sich der Konjunktiv mit dem Worst-Case-Szenario. Im besten Falle arbeiten alle Beteiligten konstruktiv zusammen, im schlimmsten Fall versucht jeder nur, seine politische Agenda durchzuboxen.

Um die andere Seite zu hören, sprach VICE mit dem Betriebsratmitglied eines großen österreichischen Unternehmens. Überraschenderweise hält dieser einen Betriebsrat nicht zwingend für notwendig: "Ich hab Verständnis für beide Seiten. Mitarbeiter haben das Recht auf einen Betriebsrat; andererseits ist Servus TV ein Privatsender den es nur gibt, weil der Mateschitz einem Hobby frönt", so der Betriebsrat. "Er könnte sich auch eine Villa kaufen. Dann gibt's keine 200 Arbeitsplätze."

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Von dem dreistelligen Millionenbetrag, den er investiert, würden sich ohne Zweifel einige Villen ausgehen. Allerdings befreit das nicht von den Pflichten, die man als Arbeitgeber gegenüber seinen Angestellten hat. Insgesamt handle es sich außerdem um mehr als die kolportierten 200 bis 300, wie der Servus TV-Mitarbeiter gegenüber VICE erklärte; schließlich lagere Servus TV viele Produktionen aus. "In Summe kommst du so locker auf 450 Leute, die ihren Job oder zumindest ihr Haupteinkommen verloren hätten", so der Mitarbeiter gegenüber VICE. (Die Zahlen wurden von Servus TV auf Anfrage nicht bestätigt.)

Der Kapitalismus hat gewonnen—das kann man beklagen oder feiern.

Die Gründung eines Betriebsrates ist dabei die Wahrnehmung eines Rechtes der Angestellten, eine Vertretung zu schaffen, die die arbeitsrechtlichen statt wirtschaftlichen Aspekte in den Fokus rückt. Ob sie damit eher ein Angriff auf den Führungsstil und Kritik an den herrschenden Verhältnissen ist oder nur der Versuch, Mitarbeiter vor Impulsaktionen zu schützen, bleibt der Interpretation überlassen.

Servus TV wird also in Zukunft ohne Betriebsrat auskommen—was den Sender nicht aus der finanziellen Misere zieht. Auch der Ruf von Servus TV als Vorzeige-Arbeitgeber entspräche schon lange nicht mehr den Tatsachen, wie der Mitarbeiter erzählte: Die einst hohen Gehälter, die man am Anfang zahlte, um gutes Personal von Mitbewerbern abzulösen, wurden auf Branchenniveau angepasst. Wir haben Servus TV um eine Stellungnahme gebeten; seitens des Senders heißt es, dass das Unternehmen keinen Kommentar zu Spekulationen abgeben wolle. "Eins stimmt aber", betont auch der Mitarbeiter: "Bei Red Bull, also im Hauptschiff und bei den Magazinen, die gut gehen, ist es anders."

Die "Veränderungen am globalen Medienmarkt", von denen seit der ersten Presseaussendung von Seiten Servus TVs nicht mehr die Rede ist, sind real. Die nächsten Jahre werden zeigen, wie lange Mateschitz sich sein Hobby noch leistet. Sollte es zur Schließung kommen, muss er sich zumindest nicht mit womöglich lästigen Sozialplänen und langwierigen Betriebsratsverhandlungen auseinandersetzen.

Der Kapitalismus hat gewonnen—das kann man beklagen oder feiern. Vielleicht ist es nicht in Ordnung, wie die Sache abgegangen ist, aber es ist rechtens. Vielleicht ist es aber auch ein Anlass, um über die Marktmacht des ORF, über Gebühren und ihre Angemessenheit, über Betriebs- und Diskussionskultur und über die Zukunft des als "Medien-Albanien" verschrienen Österreichs nachzudenken.

Edie auf Twitter: @EdieCalie