Kamele, Drogen, Nazis und Hare Krishna

FYI.

This story is over 5 years old.

Reisen

Kamele, Drogen, Nazis und Hare Krishna

Die Fotografin Amira Fritz und ihre Stylistin Kathi Kauder sind von Shanghai nach Paris gereist und haben einiges entdeckt—darunter ein Kamel, bulgarische Nazis und die irrste Party ihres Lebens.

Letztes Jahr begab sich Amira Fritz auf eine zweimonatige Reise von Shanghai nach Paris—ausgerüstet mit Kameras und Klamotten und begleitet von einer Stylistin, einem Set-Designer und einem Hair- und Make-up-Artist. Ihr Ziel war es, die fremden Gegenden zu erkunden, ihre Schönheit aufzusaugen und einzigartige Bilder zur schießen. Dabei verwendeten sie ausschließlich Kleidung des chinesischen Fashionlabels JNBY und die schönen Menschen, die sie auf dem Weg getroffen haben. Ich habe Amira und ihre Stylistin Kathi Kauder getroffen, um zu erfahren, was wirklich geschah.

Anzeige

VICE: Welche Route habt ihr genommen und wie weit war der Weg?
Amira: Ich habe nie nachgesehen, wie lang unser Weg tatsächlich war. Ich denke, die Entfernung zwischen den zwei Orten ist nicht wirklich relevant, es kommt viel mehr darauf an, wie genau man sich das, was „dazwischen“ ist, ansieht. Deshalb habe ich das Projekt auch Into Midlands genannt. Den Weg haben wir immer ganz spontan, naiv mit dem Herzen und unserem Instinkt beschlossen, da man so eine Reise ja sowieso im Voraus nicht planen kann. Die Arbeit ist ja auch keine Reportage oder ein Reisebericht, sondern etwas viel Abstrakteres, wie ein Traum vielleicht.

Und was war das schönste Land, das ihr durchkreuzt habt?
Amira: Vor der Reise war ich mir sicher, dass die Mongolei das schönste Land sein wird. Wir waren nicht enttäuscht von der Mongolei, es ist einzigartig dort, aber Russland hat mir im Nachhinein besser gefallen. Es ist unglaublich schön dort. Der Baikalsee, die Wälder um ihn herum—so eine unberührte Natur habe ich noch nie gesehen.

Habt ihr bei den Models nach einem bestimmten Look gesucht?
Kathi: Amira und ich haben einen sehr ähnlichen Geschmack. Ich würde sagen, wir haben Menschen gesucht, deren Aussehen uns persönlich gefällt, in deren Gesicht wir uns ein wenig verliebt haben. Manchmal hat es sich angefühlt wie eine rastlose Jagd. Wenn wir an einem Ort angekommen sind, haben wir nach interessant aussehenden Leuten gesucht, diese z.B. gefragt, wo sie abends ausgehen oder wir sind zu Universitäten gegangen und haben die Studenten abgefangen.

Anzeige

Amira: Ja, genau. Erinnerst du dich, als wir diesen Jungen in Russland fragten, ob er uns ein paar Clubs empfehlen könne und er uns dann zu dieser Party geschickt hat? Dar war die irrste Party meines Lebens! In einem Fabrikgelände im Nirgendwo in Sibirien. Jeder war voll auf selbstgemachten Drogen, denke ich.

Kathi: Ja … und auf einmal saß ich alleine auf einem Sofa in einem der Räume. Ihr wart alle verschwunden. Plötzlich saß dieser unheimliche Typ neben mir und in der nächsten Sekunde hatte ich seine Hand auf meinem Bein. Ich bin schnell aufgesprungen, um Amira zu suchen, bin die Treppen hochgegangen und in einem Raum voll von Hare-Krishna-Anhängern gelandet. In dem Raum waren mindestens 100 Menschen in Trance und ein Typ saß wie ein Guru in der Mitte des Raums.

Die haben aber nicht mitgefeiert, oder?
Kathi: Nein … das war total verrückt. Draußen waren all diese Typen auf Drogen, tanzend und schreiend zu Break Beats und nur ein Stockwerk höher fand ich mich in einer Massenmeditation wieder.

Ich bin da raus und noch ein Stockwerk höher. Dort war ein kleiner Raum, wo sie 90er House-Musik gespielt haben. Da bin ich dann rein und es waren so etwa 10 Typen in dem Raum. Amira war nicht dort und ich wollte zurück nach unten. In diesem Moment haben die die Musik und das Licht ausgemacht. Ich habe so einen Schock bekommen und bin zur Tür gerannt, um den Raum zu verlassen. Doch die war zu! Das war einer der beängstigen Momente in meinem Leben. Ich habe nicht verstanden, was da passierte. Die Jungs wollten mich nicht rauslassen, aber ich habe die Tür aufbekommen und war in einem Zwischengang, der auch dunkel war. Die Tür zum Treppenhaus war ebenfalls zu. Nach circa fünf Minuten—ich habe an die Tür geklopft und wahrscheinlich auch geschrien—wurde die Tür von außen geöffnet. In dem Treppenhaus war Polizei. Es war eine Razzia. Ich hatte kein Geld, keinen Ausweis bei mir. Das war alles bei Amira in der Tasche. Ich weiß nicht wie, aber ich bin einfach unbemerkt an den Polizisten vorbeigekommen und aus dem Haus gerannt, wo ich Amira und Sophear wiedergetroffen habe.

Anzeige

Aber davon hast du keine Fotos geschossen, Amira?
Amira: Generell ist meine Arbeit sehr konzeptuell und ich bin gerne vorbereitet. Zudem könnte es auch zu gefährlich sein, mit meiner Kameraausrüstung rauszugehen. Natürlich hätte ich mit einer kleinen Kamera ein paar Schnappschüsse machen können, aber für mich sind solche Bilder nicht Teil meiner Fotografie. Diese Party haben wir einfach „nur“ erlebt und nichts dokumentiert. Allerdings haben wir für unser Projekt dort ein tolles „Model“ gefunden. Nachdem wir ihm alles erklärt hatten, haben wir uns erst mal für den nächsten Tag verabredet, um die Kleider anzuprobieren, etc.

Jemanden einfach so anzusprechen und zu sagen: Wart mal kurz, wir machen schnell ein Bild, war nicht so unser Ding. Alles war viel, viel vorbereiteter und inszenierter. Ich denke, diese Vorgehensweise macht meine Fotografie auch aus.

Das Bild mit dem Kamel ist großartig. Dieses eigentlich riesige, schwerfällige Tier sieht so anmutig aus …
Amira: Danke. Es hat so lange gedauert, es zu fotografieren. Das Kamel wollte sich ständig hinlegen oder die Kleider des Models bzw. meine Kamera essen und nie stillhalten. Normalerweise brauche ich nicht viele Filme, aber von diesem Kamel habe ich sechs Rollen, glaube ich. Dafür war am Ende die Auswahl einfach, da nur ein Bild perfekt war.

Gab es auch Städte, in denen ihr wart, wo es keine schönen Leute gab? Eine Stadt, in der jeder wirklich hässlich war?
Amira: Wir haben tagelang versucht, jemanden in Kazanlak in Bulgarien zu finden. Nach drei erfolglosen Tagen haben wir aus Versehen mit Nazis zu tun gehabt. Ein recht gut aussehender Fischer lud uns auf eine Party ein. Wir kamen hin und waren plötzlich umgeben von circa 30 Männern, alle mit rasierten Köpfen und Hakenkreuze überall. Ich hatte Angst. Mich hat auch gleich einer gefragt, ob ich Hitler mag. Da sind wir dann auch abgehauen. Nach dieser Erfahrung wollten wir nur noch raus aus der Stadt.

Anzeige

Habt ihr den Models auch Geld angeboten?
Nein. Manchmal Kleider und ich habe jedem ein handgeprintetes Porträt geschickt.

Ich mochte sehr, wie du die Landschaft in die Bilder eingearbeitet hast. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Wälder sich im Einklang mit den Gesichtern der Leute verändern, je weiter die Reise nach Westen ging. 
Amira: Danke. Irgendwie passt auch das Licht immer dazu. In Asien ist die Landschaft ganz weich gezeichnet—alles glimmert von der Luftfeuchtigkeit. Irgendwie hängt alles zusammen und passt zu den hellen, runden, ganz fragilen chinesischen Gesichtern. Während der Reise ist mir das gar nicht aufgefallen, danach beim Printen habe ich erst realisiert, wie sehr sich das alles während der Reise verändert hat. Am stärksten sieht man den Unterschied, wenn man das erste und das letzte Porträt nebeneinander legt.

Und zuletzt, du hast mir gegenüber erwähnt, dass du manchmal die Negative wegwirfst. Warum?
Amira: Ja, das mach ich oft. Für mich bedeutet der selbstgemachte Handprint einfach mehr. Von meinen Bildern mache ich normalerweise nur einen Orginalabzug. Den scanne ich dann, damit ich ein digitales File habe. Das Negativ brauche ich dann ja nicht mehr. Ich sehe das Negativ eher als ein „Mittel zum Zweck“, um mein Bild zu bekommen. Für mich ist das Bild ganz klar der Print auf Papier und der kann gerne ein Unikat bleiben. Ich mache da auch keinen Unterschied zwischen kommerziellen und freien Arbeiten: So ein Bild ist ein Objekt für mich. Einmal muss man es printen, angreifen und die Chemikalien riechen können.

Anzeige