Die junge Comanche Naru tritt aus dem dichten Buschwerk auf die weiten Felder der Prärie und steht auf einem Schlachtfeld. Tote Tiere, blutig gehäutet, so weit sie blicken kann. Wer mag die Büffel getötet haben, die so sinnbildlich stehen für die harmonische Beziehung der Ureinwohner Amerikas zur Natur? Sie nehmen nur, was sie brauchen, und das wären sicherlich nicht die Häute einer ganzen Herde.
Noch bevor im neuen Film Prey, der im Jahr 1719 spielt, ein dickes Riesenmonster aus dem Weltall auftaucht, haben Naru (Amber Midthunder) und ihr Stamm schon verloren. Riesige Reißzähne, schleimige Haut und scharfe Klauen: Das Alien in Prey, das wir hier einfach mal Predator nennen wollen, ist ein grausames, animalisches Wesen. Gleichzeitig besitzt es Züge, die gerade so menschlich wirken, dass man ihm einen bösen Willen unterstellen kann. Aber so böse sein Wille auch sein mag, Prey will, dass wir wissen, dass die Bedrohung eigentlich eine andere ist.
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Im Film kommt der Predator auf die Erde, um zu jagen. Seine Spezies, das wissen wir aus den Filmen Predator, Predator 2, Predators, Predator – Upgrade, Alien vs. Predator und Aliens vs. Predator 2, diversen Comics und Videospielen, liebt es nämlich zu jagen. Sie reist durchs Universum, um dort andere Spezies zu erlegen, stets auf der Suche nach derjenigen, die es mit ihrer aufnehmen kann.
Der Film Prey von Regisseur Dan Trachtenberg zeigt den ersten Besuch der Alien-Spezies auf der Erde, ihr erstes Aufeinandertreffen mit Menschen und damit dem Raubtier, das dem Predator eine echte Herausforderung bietet. Und wie der US-amerikanische Zufall es nun einmal so will, landet der Predator einmal wieder in Amerika – wie in den anderen Filmen auch. Nur dass diesmal nicht Arnold Schwarzenegger (Predator), Danny Glover (Predator 2) oder Boyd Holbrook (Predator – Upgrade) dort warten, sondern eben amerikanische Ureinwohner. Mit Pfeil, Bogen und Tomahawk treten sie gegen das technologisch überlegene Alien an.
Der Stamm der Comanchen, auf den der Predator trifft, ist dabei nicht irgendeiner. Er war der erste, der die Pferdezucht für sich entdeckte und damit bald die besten Reiter hervorbrachte. Er hielt Hunde, schloss vielseitige Allianzen, vermehrte sich dank der reichen Büffel-Vorkommen, verdrängte so bis Mitte des 18. Jahrhunderts die Apachen aus den südlichen Great Plains und etablierte ein riesiges Handelsnetz im Süden der späteren USA. Im Jahr 1719 ist der Expansionsprozess noch im Gange, aber es ist schon klar, dass sich der Predator mit erfahrenen Kriegern anlegt.
Bald allerdings sind die Krieger des Stammes ausgeschaltet und nur Naru bleibt übrig, um die Menschen zu beschützen. Das passt gut, weil sie sich in der patriarchalen Gesellschaft ohnehin als Jägerin beweisen will, weil, wie sie sagt, niemand daran glaube, dass sie das kann. Es passt aber auch deswegen gut, weil daraus ein guter Film wird.
Der Predator tritt in Prey gegen eine technologisch weit weniger entwickelte Spezies an als in den früheren Filmen. Nichts explodiert, kaum jemand ballert, keine Armee rückt an. Am Ende kämpft eine Frau gegen ein ungleich größeres, stärkeres, mächtiger bewaffnetes Monster. Ihr einziger Vorteil ist, dass sie sich auf ihrem Planeten besser auskennt als das Alien.
Prey gelingt all das, was schon Predator 1987 gelang. Die Motivationen der Figuren sind klar, die Action übersichtlich, die Bedrohung immer spürbar. Einiges gelingt ihm sogar besser. Die Figur der Naru ist durchaus komplexer als die des Dutch, dem Held aus Predator. Das gelingt auch, weil Amber Midthunder sie überzeugend spielt. Ihr Zaudern, ihre Angst, ihr Abscheu und ihre Entschlossenheit kann man regelrecht fühlen.
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So ist dieser Predator-Film der erste mit einem echten Charakter, dessen Entwicklung über den Bau von Explosionsfallen hinausgeht. Das ist zwar nicht besonders schwierig, aber trotzdem interessant, weil es nicht bedeutet, dass der Film an Action oder Spannung verliert.
Denn beides liefert Prey auf hohem Niveau. Einmal wird Naru gefangengenommen. Französische Kolonialisten überrumpeln sie, sperren einige Stammesmitglieder in Käfige. Die Franzosen beginnen, Gefangene zu foltern und zu töten, als sich Naru befreien kann. Erst überwindet sie einen Franzosen bevor der sie vergewaltigen kann und metzelt dann in einer mehrere Minuten langen Plansequenz auch seine Landsleute nieder. Das heißt, dass in dieser Szene kein Schnitt zu sehen ist. Trotzdem wirkt sie dynamisch, wild, echt. Die Schauspielerinnen müssen die Schläge, Schnitte und Schüsse vorher sorgsam einstudiert haben.
Diese Franzosen, hier schmutzige, gierig grinsende Männer, waren es auch, das zeigt sich bald, die die Büffel getötet haben. Während der Predator also aus Spaß jagt, dabei aber die Herausforderung sucht und diejenigen verschont, die offensichtlich keine Gefahr für ihn darstellen, töten die Franzosen aus Raffgier. Wahrscheinlich sogar aus Spaß, purem Sadismus. Die Männer sind damit weitaus gefährlicher als der Predator.
Auch das funktioniert als Anspielung auf den ersten Teil der Predator-Franchise. Da waren es US-amerikanische Söldner, die in Südamerika ein Soldatenlager ausheben sollten, als sie auf den Predator trafen und der Reihe nach zerstückelt wurden. Die Macho-Sprüche der Männer sind legendär: “Du blutest” – “Ich habe keine Zeit zu bluten”. Männer waren damals die Rettung vor dem Monster, heute sind sie das Problem, weil sie in ihrer Rolle als Kolonisten selbst zum Monster werden.
Zwar weiß nur das Publikum, dass das Alien auch wieder verschwinden wird, wenn sein Jagddrang gestillt ist – so war es in den vorherigen Filmen ja auch. Das reicht aber, um zu erkennen, wer die wahre Bedrohung für Narus Stamm der Comanchen darstellt. Der lebt heute nämlich größtenteils in einem Reservat. Es sind natürlich nicht die Aliens aus dem All, sondern die Aliens von Übersee, die den indigenen Völkern Amerikas die Lebensgrundlage nehmen, sie versklaven, töten und vergewaltigen.
Der Film will sehr offensiv klarstellen, dass er sich auf der richtigen Seite wähnt. So irritiert es zuerst zwar, wenn die Comanchen im Film immer nur dann ihre eigene Sprache sprechen, wenn es egal ist, was sie sagen und für die Plot-relevanten Stellen ins Englische wechseln. Dazu muss man aber wissen, dass es eine Synchron-Version gibt, die komplett auf Comanche ist. Also abgesehen von den Franzosen und den Klicklauten des Predators.
Natürlich klingt das nach einem PR-Gag und das ist es mit Sicherheit auch. Irgendwie muss man sich heutzutage nun einmal absichern, wenn ein Weißer Amerikaner das Drehbuch eines Weißen Amerikaners (Patrick Aison) über amerikanische Ureinwohner verfilmt, selbst wenn eine die Hauptrolle spielt – die selbst allerdings eine Sioux ist, keine Comanche.
Die Gefahr des Predators fühlt sich den gesamten Film über bedrückend an, und doch weiß man stets, wie bedeutungslos die Geschichte eigentlich ist. Das zeigt der Film auch durch ein historisches Detail.
Das erste Aufeinandertreffen von Comanchen und Franzosen in Amerika ist für das Jahr 1739 protokolliert. Der Film spielt im Jahr 1719, zwanzig Jahre vorher. Nur dass, Spoiler, keiner der Franzosen überlebt, der von dem so viel früheren Treffen hätte berichten können. Der Sieger schreibt die Geschichte, und wenn der Sieg auch nur von kurzer Dauer sein soll.
Das Gleiche gilt für den Besuch des Predators. 1987 trifft der erste Nordamerikaner mit österreichischem Akzent auf das Alien und verprügelt es. Dabei war der erste Predator offenbar doch schon 1719 in Nordamerika, nur dass niemand übrig geblieben ist, der davon hätte berichten können. Aber der Sieger schreibt ja die Geschichte, und da ist es egal, ob Naru und die Comanchen am Ende von Prey den Predator besiegt haben oder nicht. Verloren haben sie trotzdem.
Robert verfolgt und bewundert schon lange das Gesamtwerk des virtuosen österreichischen Künstlers Arnold Schwarzenegger. Folgt ihm bei Twitter und Instagram und VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.