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Es kann sehr anstrengend sein, darin zu versagen, einen Skandal zu erleben

Am schlimmsten in Berlin sollen angeblich die Hostels sein—so wie der Ballermann nur in Deutschland. Aber außer kackenden Besoffenen, alten Pädophilen, Kiffern und einem verstrahlten Aluopfer, dessen Penis jetzt noch weh tut, hat mir die Realität wenig...

Im größten Hostel Berlins soll es voll abgehen. Wir haben uns vor Ort umgesehen und auf der Suche nach den krassesten Geschichten eine seltsame Nacht durchlebt. Wie in allen Tourismusregionen der Welt gibt es auch in Berlin diese eigenartige Hassliebe zwischen Gast und Gastgeber. Berlin hat dafür seine eigene Formel und die geht so: Die Eingeborenen hauen auf die Zugezogenen, hauen auf die Touristen, schimpfen auf die Eingeborenen, usw. Ich bin selber zugezogen und gehöre zu jenen Idioten, die auf einer der Hauptstraßen der „Never Ending Abiparty“ wohnen und sich darüber ärgern. Hier beginnt das Wochenende Dienstagnacht und endet Montagvormittag. Nicht auszudenken, wie es sein muss, dort zu leben, wo die Feiermassen, die unter meinem Fenster vorbeigrölen, in ihre Betten kriechen. Vor einer Woche ist die Situation vor dem größten Hostel der Stadt anscheinend ein wenig eskaliert. Eine Anwohnerin wurde auf ihrem Fahrrad von einer Wasserbombe am Kopf getroffen. Das Geschoss fiel aus einem der Fenster des A&O Hostels, dem wohl größten „Schlafsaal“, den ich je gesehen habe. 1430 Betten gibt es hier nach Angaben eines Mitarbeiters und im nächsten Jahr sollen es noch mehr werden. Früher war der gesamte Block ein Bürokomplex. 2014 wird auch noch das letzte Bürozimmer zum Mehrbettzimmer umgebaut. Es ist wie ein kleines Prora; mitten in der Stadt. Nicht dass ich behaupten möchte, hier kommen Nazis unter, aber wenn ihr sagt, dass ihr beim Anblick dieses Kastens nicht den selben Vergleich gemacht habt, dann lügt ihr! (Oder ihr kennt Prora nicht.) Das klingt alles sehr wild und gigantisch, also habe ich mir gedacht, ich geh da hin und häng da mal ab.

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Bereits der Eingang ist in Orange und Blau gehalten, was mich irgendwie an eine Wäscherei erinnert. Alles ist sauber, mehr aber auch nicht. Ich setze mich erstmal in einen der schwarzen halbrunden Ledersessel im Empfangsbereich. Die Wände sind in einem erniedrigenden Gelb gestrichen—soll heißen, sie machen mich fertig. Für die Bar ist es leider noch zu früh. Neben Getränken kann man an der Rezeption aus irgendeinem Grund handgefertigten Schmuck aus Thailand kaufen. Aber auch Sinnvolles wie Ohrstöpsel. Im hinteren Bereich gibt es ein paar Computer. Davor sitzen drei bucklige, in ihre Hoodies gehüllte Leute. Die beiden Rezeptionisten scheinen nicht überfordert.   Post-Midlifecrisis-Rockabillys reiben sich ihre eingeschlafenen Hintern, als sie in pinken Neonsocken hereinstolpern. Ein fades Pärchen mit Sporttasche checkt ein, während unter dem murmelnden Fernseher eine Frau in einem hässlich geblümten Shirt in ihren Laptop hackt. Ein Typ will seinen Internetzugang verlängern und fragt, wo man einkaufen kann. Wo sind die Bars? Wo sind die Clubs? Wo ist die Mauer? Das sind überhaupt so die Standardfragen. Ein Engländer mit Glatze, Lederjacke und unglaublich kleinen Füßen braucht eine neue Chipkarte. Er kommt nicht in sein Zimmer. „Ist die Feuerwehr schon da?“, fragt plötzlich jemand hinter mir. Als ich mich umdrehe, stehen da zwei feiste Kerle in roten Jacken. Kein Notfall. Die beiden suchen nur ihre Kollegen, die offenbar schon eingecheckt haben. Wie ich später erfahre, ist eine Gruppe der Jugendfeuerwehr zu Besuch.

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Nach zwölf Minuten habe ich vom Latschenkiefer-Raumerfrischer-Duft plötzlich solche Kopfschmerzen, dass ich über den braunen, fleckigen Teppichboden nach draußen flüchte.

Der verlassene Innenhof lässt erahnen, wie laut es hier in den Sommermonaten bestimmt sein kann. Etwa zehn Biertischgarnituren rosten im Herbstwetter verlassen vor sich hin. Ich gehe die Treppen hinunter zu den Frühstücksräumen im Keller. Aus einer der verschlossenen Türen kommt Musik aus den 80ern. Weil sich auch hier sonst überhaupt nichts regt, gehe ich wieder zurück zur Rezeption. „Man weiß ja selber, wen man nicht im Club haben möchte. Die schicke ich dann ins Matrix“, erklärt mir Alex, der an der Rezeption arbeitet und eigentlich Architektur studiert. Ich habe ihn gefragt, wo er die Gäste denn zum Feiern hinschickt und was hier in der Gegend so passiert. „Die haben dann dort aber auch richtig Spaß. Generell passe ich es halt an die Leute an“, erklärt er weiter. Vom Berghain rät er generell ab, weil es zu frustrierend ist, reinzukommen.

Ich setze mich wieder hin. Ein paar Italiener planen, mit irgendeiner Buslinie in die „Boxhadschener“ Straße zu fahren. Einige Hostelmitarbeiter machen Feierabend. Es wird dunkel. N24 hat mich mittlerweile schon über den Urknall aufgeklärt, pflichtbewusst über Autobomben berichtet und scheint jetzt in Endlosschleife Werbung zu senden. Fünf 15-Jährige stürmen die Computer, während die Italiener immer noch versuchen herauszufinden, wie man denn nun Boxhagener Straße tatsächlich ausspricht. Ein kleines Mädchen kommt mit weit aufgerissenen Augen an der Hand seiner Mutter herein. Ein Hund kläfft auf der Straße. Ich blättere gelangweilt in einem Schwulenmagazin. „Wenn hier viel los ist, dann wird auch schon mal gepöbelt“, erzählt mir Alex. „Manche Leute sind so dicht, dass sie nicht mehr laufen können. Einmal war ein Typ wohl so besoffen, dass er auf den Gang gekackt hat und daneben eingepennt ist. Zum Glück habe ich das nicht entdeckt“, erklärt er mir etwas angewidert. „Im Billardzimmer hat man einen 50-jährigen Lehrer mit seiner 14-jährigen Schülerin erwischt. Aber auch ganz normale Business-Touristen steigen hier ab“, weiß er aus Erfahrung. Er bestätigt außerdem meinen Verdacht, dass der Innenhof im Sommer zum Hexenkessel wird. Als ich da bin, ist der Sommer allerdings schon fast wieder vergessen. Am Saisonende ist das Lauteste vorm Hosteleingang der stetige Verkehr. Von den Gästen will sich keiner so recht mit mir unterhalten. Die meisten stehen verloren irgendwo herum und bearbeiten stoisch ihre Smartphones. Ein paar Penner schwanken herein und durchsuchen die Mülleimer nach Pfandflaschen. Sie setzen sich in den Innenhof und rauchen. Auch sie sind nicht besonders redselig. An der Rezeption hat die Spätschicht begonnen. Steven ist Auszubildender und erklärt mir, dass die individuellen Feiertouristen eher eine Minderheit unter den Gästen sind. Der Großteil der Leute komme für spezielle Events. Abstruse Veranstaltungen, die man selber oft nicht kennt. Manchmal seien plötzlich 200 Punks oder Metaler im Haus. Auch zu Fußballspielen kämen die Massen. „Einmal war Fußball und Ärzte-Konzert, während wir Familientage hatten“, erzählt er. Das wäre schon eine schlechte Kombination gewesen. „Lauter kleine Kinder, die schlafen wollten, und lauter Besoffene.“ Der Zustrom an Leuten geht stetig weiter, während er mir ein bisschen aus seinem Alltag erzählt. Ein Mann schiebt seinen dicken Bauch vor sich her, während er seinen Trolley nachzieht. Ein Nerd fragt, wie lange man duschen darf. Eine Frau kauft Zahnpasta, während „Schatzi“ übers Telefon an ihrem Ohr hängt. Eine andere, mit einem schwarzen „I <3 BED“-T-Shirt holt eine Rolle Klopapier. Banalitäten, die ob ihrer obskuren Menschlichkeit irgendwie amüsieren, aber auch langweilen. Zeit, in die Bar zu schauen.

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Dort arbeitet Nicole, die wie Alex Architektur studiert. Ja, fast alle hier sind Studenten. Wir sprechen über Feminismus und sie erzählt von ihrem schlechten Gewissen, das sie manchmal hat, wenn sie den Leuten Tiefkühlpizza serviert. Immerhin befänden sich wirklich gute Restaurants in Hostel-Nähe. An der orangefarbenen Rauhfasertapete hängen Leuchten aus Milchglas mit Farbverlauf. Sie erinnern mich aus irgendeinem Grund schmerzlich an die frühen Nuller und billige, geschmacklose Möbelhäuser. Es riecht nach Parfum oder Duschgel. Im Plasma-TV läuft Fußball. Deutschland führt 2:0 gegen Irland. Die Mikrowelle piept. Pizza ist fertig. Ab 23.00 Uhr trägt man im Hostel schwarz. Die Mitarbeiter legen ihre blauen Polo-Shirts bei Seite. Außerdem gibt es Securitys. Anton ist einer von ihnen. Sein Job ist es, dafür zu sorgen, dass nicht geraucht wird in den Zimmern und auch sonst alles unter Kontrolle bleibt. „Als ich einmal im Haus unterwegs war, wurde plötzlich der Feueralarm ausgelöst. In solchen Situationen klopfen wir dann nicht an. Mein Kollege und ich sind also einfach in das Zimmer rein und erst mal fast umgekippt. Eine richtige Nebelwand war das. Die haben für bestimmt 100 Euro was zu kiffen gekauft und dann alles zugequalmt“, lacht Anton. Die Jugendlichen mussten abreisen. So sind die Regeln. Entweder du bezahlst gleich bar die 200 Euro Strafe oder du fliegst raus. Minderjährige haben Glück, weil man sie nachts nicht vor die Türe setzen darf. „Wir haben zwei Arten von Feueralarm. Der eine ist nur intern, der andere geht nach zwei Minuten direkt zur Feuerwehr. Im vierten Stock haben ein paar Kids mit Haarspray den Feueralarm ausgelöst. Die haben da einfach drauf gesprüht. Wir haben es nicht mehr rechtzeitig geschafft, der Feuerwehr zu sagen, was Sache ist. Der Junge, der Schuld hatte, musste 3.500 Euro für den Fehlalarm zahle“, erzählt er mir sichtlich amüsiert weiter. „Einmal hatten wir einen Typen aus England, der war jeden Tag so dicht, dass wir ihn aufs Zimmer bringen mussten. Irgendwann ist er in einem der Sessel da neben der Rezeption eingepennt. Als er aufgewacht ist, hat er sich vor das Büro des Chefs gestellt und wollte schon gegen die Türe pissen. Wir konnten ihn aber zum Glück noch rechtzeitig aufs Klo bringen“, lacht er. Wer die Wasserbombe geworfen hat, sei nicht klar. Zwei Jugendliche wurden dazu verhört, sagt er noch. Dann muss er los. Einem Mann aus Indien seine vergessene Plastiktüte aufs Zimmer nachtragen. Inhalt 500 Euro und ein Tablet. „Hat er wohl vergessen, weil er dicht wahr“, sagt er abgeklärt und startet los.

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Amüsiert von den gar nicht so außergewöhnlichen Geschichten gehe ich zurück an die Bar. Der Abend war tatsächlich so fad, dass mich schon ein paar Kack- und Kiffstorys erheitern. Ich treffe Georg und seine sieben Freunde aus Düsseldorf. Außer den Mitarbeiten tatsächlich die einzigen, die hier ein bisschen Leben in sich zu haben scheinen. Sie kennen sich schon aus dem Sandkasten und spielen gemeinsam Doppelkopf. Das mit dem Sandkasten ist so ungefähr 40 Jahre her. Gerade machen sie „Herrentag“. Mal in Spanien oder halt auch mal Berlin. Georgs Freund arbeitet für die A&O Hostels. Er baut Lüftungssysteme ein, deshalb seien sie hier. Nicloe besticht sie mit einer runde Schnaps, damit ich sie fotografieren darf. Um Mitternacht gehen sie voll zu „I just call“ ab. Keiner kann den Text, aber alle singen mit.

Der eigentliche Höhepunkt des Abends erscheint dann wenig später in Form von Michael. Michael wurde von der Handymasten-Mafia in die Armut gestrahlt. Was das genau bedeutet oder wie das funktioniert, verstehe ich bis heute nicht. Auch wenn er es mir ausführlich erklärt hat. Sein Bier und seinen Tabak hatte er deshalb auf jeden Fall in Alufolie gewickelt. Früher hätte er die Strahlen noch überall gespürt, aber heute würden hauptsächlich seine Genitalien verstrahlt. Als ich ihn frage, wie ich mit dieser Thematik denn jetzt umgehen solle, meint er, ich solle es wie ein Buch behandeln. „Nach dem Lesen erst mal weglegen und dann noch mal drüber nachdenken. Nicht so ernst nehmen also“, erklärt er. Er schnorrt mir noch drei Euro ab. Gute Masche, die er sich da zusammengesponnen hat.

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Es kann sehr anstrengend sein, darin zu versagen, einen Skandal zu erleben. Hostels sind naturgemäß eigenartige Orte. Eine einzige riesige Transitlounge. „Klein-Prora“ ist da keine Ausnahme.

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