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The Moral Compass Issue

Wenn Schweizer sauer werden

Und gehen für ihr Recht auf Rave auf die Barrikaden.

Ein Schweizer Raver-Demonstrant bereitet einen feurigen Cocktail zu. Als Aufstände und Revolutionen Anfang des vergangenen Jahres den Rest der Welt erschütterten, blieb die Schweiz davon erwartungsgemäß unberührt. Das hat zum einen mit ihrer berühmten Neutralität, der garantierten Gesundheitsversicherung, der niedrigen Arbeitslosigkeit (2,9 Prozent—ha!) und der Tatsache zu tun, dass die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern auf fast symbiotische Weise kooperieren. Zürich, die größte Stadt der Schweiz, taucht nach wie vor regelmäßig in Listen der angenehmsten Wohnorte der Welt auf, auch wenn man behaupten könnte, dass es dort ein klein wenig langweilig ist. Wenn du also ein kleiner rebellischer Schweizer Hitzkopf bist, kann es gut sein, dass dich dieser Mangel an Gründen, um dich aufzuregen, ein wenig frustriert. Vielleicht ertränkst du deine unterdrückte Wut auf die Welt auch wie Pixy Stix mit literweise MDMA oder tanzt dich zu Dubstep in 48-stündigen Marathons ins Koma. Diese Verhaltensweisen waren bis zum letzten Sommer noch allseitig beliebt und akzeptiert, bis die illegalen Raves von spaßhassenden Bullen hochgenommen wurden. Bereits an die 10 bis 15 Veranstaltungen waren gesprengt worden, als die Bullen am 3. September eine weitere riesige illegale Party hochgehen ließen. Die Kids hatten die Schnauze voll und organisierten für die folgende Woche eine unheilige Mischung aus Party und Protest, für die sie über SMS-Nachrichten und soziale Netzwerke mobil machten, um sich schließlich auf Zürichs berühmten Bellevueplatz zu versammeln. Es dauerte nicht lange, bis ein ausgewachsener Krawall daraus geworden war. Bewaffnet mit Partyequipment—darunter Lautsprecheranlagen und kistenweise Alkohol—schwärmten über 1.000 Teenager auf den Platz, der ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt ist. Um Punkt 11 Uhr drehten die Partygänger-Demonstranten wie ausgemacht (denn selbst Partys beginnen in der Schweiz pünktlich) ihre überdimensionierten Lautsprecher auf und machten dem normalen Treiben auf dem Platz abrupt ein Ende. Minuten später tauchten die Jungs in Blau in voller Montur auf dem Platz auf und die Schweizer Kids fanden sehr schnell heraus, dass du nicht wirklich auf den Straßen feiern kannst, ohne dass du einen auf die Mütze bekommst. Als der Rauch sich irgendwann lichtete, waren Schäden in Höhe von ca. 85.000 Euro entstanden, zwei Leute waren verletzt und die Bullen hatten 91 Personen festgenommen (von denen nur zwei über 25 Jahre alt waren). Nun musste natürlich schnell ein Sündenbock her und der Züricher Polizeichef Philipp Hotzenköcherle griff dafür auf das schöne Wort „Krawalltouristen“ zurück. Roger Tognella, ein Funktionär der Schweizer FDP, schwadronierte neulich in einem Radiointerview ominös davon, dass bei zukünftigen Krawallen vielleicht die Armee eingesetzt werden müsste. Panzer, die auf den Straßen Zürichs auffahren, um ein paar Clubber in ihre Schranken zu verweisen? Dann hätten die Kids endlich wirklich etwas, gegen das es sich protestieren lässt.

Foto von Evan Ruetsch