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Heulsuse der Woche: rassistische Flüchtlingsgegner vs. nationalistische Deutschtürken

Rechte fordern, dass Essen von Hilfsorganisationen nur noch an Deutsche ausgegeben wird, und die Drogeriekette dm wird bedroht, weil sie Spenden für eine kurdische Gemeinschaft sammeln will.

Und wieder ist es an der Zeit, sich über ein paar Menschen zu wundern, die mit der Welt nicht fertigwerden.

Heulsuse #1: rassistische Flüchtlingsgegner

Gutes, „deutsches" Essen. Foto: imago | alimdi

Der Vorfall: Einrichtungen wie die Berliner Tafel versorgen in ganz Deutschland Bedürftige mit Essen—darunter auch Obdachlose oder Flüchtlinge.

Die angemessene Reaktion: Sich freuen, dass in Deutschland niemand einfach so verhungern muss.

Die tatsächliche Reaktion: Die Helfer beleidigen und fordern, dass Essen nur noch an Deutsche ausgegeben wird.

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Es ist schön zu sehen, wie viele Leute sich in der aktuellen Flüchtlingskrise engagieren und mit persönlichem Engagement oder Essens- und Sachspenden versuchen, die Situation für die Asylbewerber etwas erträglicher und menschenwürdiger zu machen. Die Tafeln füllen eine ähnliche Position bereits seit über 20 Jahren aus und geben an rund 3.000 Standorten in Deutschland Lebensmittel an Bedürftige aus—egal ob Sozialhilfeempfänger oder Obdachloser. Zu den 1 Million Menschen, die dieses Angebot nutzen, kommen aktuell zusätzlich 150.000 Flüchtlinge. „Das ist eine Steigerung der Tafelnutzer um 10 Prozent, in manchen Städten sogar um bis zu 50 Prozent", wie Jochen Brühl, der Vorsitzende des Bundesverbands der Tafeln, gegenüber der Osnabrücker Zeitung aussagt.

Das bedeutet zum einen, dass die Tafeln in 900 deutschen Städten auf mehr Spenden angewiesen sind. Gleichzeitig müssen die 60.000 freiwilligen Helfer „am Rande der Belastbarkeit" arbeiten und ihr Möglichstes versuchen, mit dem zusätzlichen Andrang umzugehen. Die Lage ist also angespannt.

Wie so oft in Situationen, in denen es keine einfache Lösung gibt, die dafür aber einen ordentlichen Nährboden für rechtsgerichteten Populismus bieten, kommt aus der „asylkritischen" Ecke ein vermeintlicher Lösungsansatz für das Problem: Man solle einfach nur noch Deutschen etwas zu Essen geben. Dabei soll es sich allerdings noch um eine der harmloseren Äußerungen handeln. „Uns schlägt zunehmend Wut entgegen. Wir werden beschimpft und beleidigt dafür, dass wir uns für bedürftige Menschen einsetzen", erklärt Jochen Brühl und betont, dass Arme nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen: „Flüchtlinge sind ebenso bedürftige Menschen wie auch arme Rentner oder Familien. Wir lassen uns nicht von Hasstiraden einschüchtern."

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Richtig so.

Heulsuse #2: nationalistische Deutschtürken

Symbolbild: Demonstranten bei einer Kundgebung gegen die Arbeiterpartei PKK. Foto: imago | Becker&Bredel

Der Vorfall: Im Rahmen einer Charity-Aktion kündigt dm an, die Erlöse an die Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn e.V. spenden zu wollen.

Die angemessene Reaktion: Es begrüßen, dass somit ein Verein unterstütz wird, der sich explizit für Völkerverständigung und Integration von Flüchtlingen einsetzt.

Die tatsächliche Reaktion: Der Drogeriekette vorwerfen, dass sie damit den Terror unterstützen würde, und zum Boykott aufrufen.

Es ist nicht immer einfach, Gutes zu tun. Als die dm-Filiale in Troisdorf ankündigte, am morgigen Samstag, dem 17. Oktober, den Menschenrechtsaktivisten Rupert Neudeck an die Kasse zu setzen und den Erlös anschließend an eine Organisation zu spenden, die sich der prominente Kassierer für einen Tag selbst aussuchen konnte, hatten sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet, nur wenig später in sozialen Netzwerken der Terrorunterstützung bezichtigt zu werden. Was war geschehen?

Rupert Neudeck—seines Zeichens unter anderem Gründer der Cap Anamur/Deutsche Not-Ärzte e.V., der im vergangenen Jahr mit dem internationalen Menschenrechtspreis ausgezeichnet wurde—hatte entschieden, dass das Geld an die Kurdische Gemeinschaft Rhein-Sieg/Bonn e.V. gehen sollte. Damit solle das Bestreben des Vereins unterstütz werden, Deutschkurse für Flüchtlinge und Asylbewerber anzubieten. Für sein Engagement wurde Musa Ataman, Mitbegründer und Vorsitzender der Gemeinschaft, bereits mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

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Nationalistische Deutschtürken sahen die Sachlage allerdings etwas anders und unterstellten der Drogeriekette, eine Vereinigung zu finanzieren, die die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und somit auch „den Terror" unterstütze. Obwohl es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen der Partei, Bombenanschlägen wie dem in Ankara und dem sozialen Verein gibt, riefen User auf Facebook und Twitter in Kommentaren, Posts und unter dem Hashtag #dmunterstütztterror zum Boykott der Kette auf. Wie die kurdische Gemeinschaft außerdem in einem offiziellen Statement erklärte, seien Mitglieder des Vereins und der Verein selbst als Terroristen und Unterstützer „terroristischer Aktivitäten" denunziert worden.

Am 13. Oktober und nach mehreren Versuchen, die Situation friedlich zu klären, knickte dm schließlich ein und verkündete, die Spendenaktion abzusagen. Ausschlaggebender Grund scheinen für diese Entscheidung nicht näher spezifizierte „Gewaltandrohungen" zu sein. „Um keinen Nährboden für Eskalation zu bieten" und so einen „Beitrag zur Deeskalation" der Lage zu leisten, wolle man auf die soziale Hilfsaktion verzichten. Die erbitterten Diskussionen auf ihrer Facebook-Seite konnten sie bis dato allerdings nicht unterbinden.

Letzte Woche: Horst Seehofer und die AfD wollen Angela Merkel wegen ihrer Asylpolitik verklagen und Facebook-Nutzer regen sich darüber auf, dass Schüler ein Flüchtlingsheim besuchen.

Der Gewinner: Die flüchtlingsfeindlichen Facebook-Nutzer!