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Hamburg ist immer noch kein Paradies für Flüchtlinge

Immanuel hat den libyschen Bürgerkrieg überlebt. Wirklich rosig sieht seine Zukunft aber auch in Hamburg nicht aus.
Immanuel bei der Demo am Samstag

Heute hat Immanuel Tausende hinter sich. Er läuft ganz vorne auf der großen Demonstration „Recht auf Stadt – Never mind the papers!" vom Hamburger Hafen in die Innenstadt. Bis vors Rathaus. Selbstbewusst ballt er die Faust und ruft Parolen. Für Bleiberecht und Arbeitserlaubnis für alle Flüchtlinge in der Stadt. Für Gesundheitsversorgung. Für Menschenrechte. Mehr als 100 Initiativen hatten zu der Demonstration aufgerufen und wollten so die Flüchtlingspolitik des Hamburger Senats zum Thema im Wahlkampf zur Bürgerschaftswahl am 15. Februar machen. Auch die Situation der sogenannten Lampedusa-Flüchtlinge sollte wieder aufs Tablett. Das sind bis zu 300 afrikanische Flüchtlinge, denen der SPD-Senat seit inzwischen fast zwei Jahren ein Bleiberecht verwehrt.

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Immanuel kam im Winter vor zwei Jahren nach Hamburg, lebte zunächst im Winternotprogramm für Obdachlose der Stadt. Als das im April 2013 beendet wurde, richtete er sich mit einigen Freunden in einem Park in der Nähe der Reeperbahn ein. Ein roter Teppich diente ihm als Unterlage und Decke zugleich, ein Müllsack schützte mehr schlecht als recht vor dem Regen. Das war die Zeit, als Presse und Zivilgesellschaft auf die Männer aufmerksam wurden. Und es war der Beginn eines jahrelangen Kampfs gegen die Windmühlen der deutschen und europäischen Behörden. Denn obwohl viele der Männer anerkannte Flüchtlinge sind, will sie niemand haben. Ob sie in Hamburg bleiben können, ist noch immer nicht klar.

Die gemeinsame Geschichte der Männer begann in Libyen. Entweder waren sie bereits dorthin geflohen oder schlicht als Wanderarbeiter in Tripolis gelandet, weil es im Herkunftsland keine Perspektive gab. Immanuel verließ wegen Streitigkeiten zwischen Muslimen und Christen seine Heimat Ghana und arbeite seit 2002 in Libyen als Maler. Als der Krieg ausbrach, unterstellten die Rebellen pauschal allen Schwarzen, als Söldner für Gaddafi gedient zu haben. Viele der Afrikaner erzählen, deswegen verfolgt worden zu sein. „Sie kamen in unsere Wohnung und schlugen uns", sagt zum Beispiel Immanuel. Sein Mitbewohner sei angeschossen worden. „Alle meine Sachen haben sie mir geklaut." Also musste er auch wieder weg aus Libyen. Weiter Richtung Norden.

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Zwei Flaschen Wasser und ein Brot stellten sicher, dass er die Flucht mit mehr als 200 anderen über das Mittelmeer überlebt. So viel Glück hatten längst nicht alle. Andreas, auch aus Ghana, erzählt von einem Boot mit 600 Flüchtlingen, das gleich vor der libyschen Küste gesunken sei: „Sie sind alle gestorben, das Meer hat die Leichen in den Hafen gespült", sagt Andreas. Er selbst hat die Überfahrt nach Lampedusa zusammen mit 600 anderen in einem Boot geschafft, wenn auch nur knapp.

Italien nahm die Männer zunächst auf, stellte ihnen europäische Papiere aus und brachte sie unter. Immanuel erzählt, er habe zwei Jahre in einem Mailänder Hotel gelebt. Bis der italienische Staat die Unterkunft schloss und die Flüchtlinge auf die Straße setzte. Ein paar hundert Euro hätten sie bekommen, aber keine weitere Unterstützung mehr, keine Krankenversorgung. „Ich habe dann entschieden, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen und weiter zu reisen", sagt Immanuel. Mit dem Zug fuhr er in die Ungewissheit, nach Hamburg.

Andreas am letzten Samstag

Dort gelang es Immanuel, Andreas und ihren Gefährten, eine in Hamburg wohl bislang einmalige Solidaritätswelle für Flüchtlinge loszutreten. „Lampedusa in Hamburg" wurde zum Symbol für die verfehlte europäische Flüchtlingspolitik. Die evangelische Kirche ergriff Partei uns setzte sich auf höchster Ebene für die Gruppe ein. Der Pastor der St. Pauli Kirche ließ monatelang 80 Flüchtlinge in seinem Gotteshaus leben. Ständig gab es Solidaritätsdemonstrationen. Als die Polizei im Herbst 2013 damit begann, im großen Stil gezielt Schwarze zu kontrollieren, setzen Autonome aus der Roten Flora ein Ultimatum, die rassistischen Kontrollen zu beenden. Nachdem die Kontrollen trotzdem weitergingen, kam es in der Schanze zu Ausschreitungen. Spätestens danach entdeckte auch die überregionale Presse das Thema für sich. Im Dezember gingen dann knapp 20.000 Menschen für die Lampedusa-Flüchtlinge auf die Straße.

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Doch weder fromme Appelle noch Militanz konnten die Politik bewegen, der Hamburger Senat blieb hart: Für die Flüchtlinge sei Italien zuständig, dort hätten sie schließlich zuerst die EU betreten. Ein Aufenthaltsrecht für die ganze Gruppe zu erteilen, was nach Paragraph 23 des Aufenthaltsgesetz möglich wäre, lehnten die SPD-geführten Behörden strikt ab. Man werde aber einzeln gestellte Anträge auf eine Aufenthaltserlaubnis wohlwollend prüfen, hieß es schließlich aus der Innenbehörde. Auch die Kirche riet den Männern daraufhin, sich dem regulären Verfahren zu stellen.

71 Afrikaner folgten dem Appell und begaben sich in staatliche Obhut. Inzwischen gibt es immer mehr berechtige Zweifel, ob das eine gute Idee war. In neun Fällen hat das Bundesamt für Migration seine Prüfung inzwischen abgeschlossen. Alle Anträge auf Bleiberecht wurden abgelehnt. Einige der Flüchtlinge sind untergetaucht, anderen bleibt nun noch der Rechtsweg. Jahrelange Verfahren mit ungewissem Ausgang. Es drängt sich der Vergleich mit Berlin auf: Hier hatte die Ausländerbehörde im Herbst fast alle der 383 Anträge auf Bleiberecht abgelehnt. Nur zwei der Flüchtlinge vom Oranienplatz dürfen demnach in Berlin bleiben. Wird es in Hamburg ähnlich laufen?

Immerhin dürfen einige der Flüchtlinge inzwischen ganz legal arbeiten. So wie Andreas: Er lebt in einer Flüchtlingsunterkunft der Stadt und macht seit drei Monaten ein Praktikum in einer Marketingagentur. Nebenbei schauspielert er und schreibt ein Buch über seine Geschichte. Er hofft, die Behörden so beeindrucken zu können. „Wir müssen jetzt Arbeit suchen", sagt er am Rande der Demonstration. „Dann haben wir die Chance auf eine richtige Aufenthaltsgenehmigung."

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Die Mehrheit der Flüchtlinge hat sich gegen das Verfahren entschieden. Sie fordern noch immer eine politische Lösung für die ganze Gruppe. Mehr als 130 leben seit mehr als einem Jahr in privaten Unterkünften. In WGs, auf renovierten Dachböden, in linken Zentren, bei Familien. „Die Leute sind in ihren WGs zusammengerückt oder haben den Dachboden ausgebaut", sagt die Unterstützerin Magda*. Eigentlich sei das alles 2013 als Winternotprogramm geplant gewesen. „Aber als sich im vergangen Sommer abzeichnete, dass es keine Lösung gibt, wollte sie auch niemand wieder rausschmeißen."

Wie es für diesen Teil der Gruppe weiter geht, ist nach wie vor unklar. Die SPD, die derzeit die absolute Mehrheit im Hamburger Parlament stellt, beharrt auf ihrer Position. Vielleicht ändert sich das, wenn sie in wenigen Wochen eine Koalition mit den Grünen eingehen muss, um an der Macht zu bleiben. Die fordern nämlich in ihrem Wahlprogramm eine politische Lösung für die Lampedusa-Gruppe. In eventuellen Koalitionsverhandlungen werde das ein Thema sein, bekräftigt die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Antje Möller, auf der Demonstration. „Wir müssen mindestens einen Kompromiss für die Gruppe finden!" Was am Ende dabei raus kommt, steht noch in den Sternen.

Die Gruppe will weiter kämpfen, unterstreichen Sprecher auf der Demonstration. „Solange die Ungerechtigkeit weiter geht, werden wir weiter auf die Straße gehen!", sagt Sprecher Ali in seiner Rede vor dem Rathaus. „Für gleiche Rechte für alle!" Vielleicht gibt die Demo von heute ihnen wieder neuen Schwung, denn so viele Menschen waren lange nicht mehr für die Lampedusa-Gruppe auf der Straße.

Immanuel ist keiner, der so kämpferische Phrasen raus haut. Er schläft seit drei Monaten zusammen mit vier anderen Flüchtlingen auf dem Fußboden einer Küche im Hamburger Süden. „Ich will ein normales Leben haben", sagt er geknickt. „Aber ich weiß nicht, wie ich das machen soll." Für das, was im Rathaus hinter ihm passiert, hat er kein Verständnis. „Gebt mir die Erlaubnis zu Bleiben und zu Arbeiten", sagt er. „Das ist alles, was ich will."

* Name geändert