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Lasst uns die Städte!

Die Schweiz stellt sich gegen die Personenfreizügigkeit. Ihr Argument; das Schlagwort Masseneinwanderung. Das hat viele provoziert. Ein offener Brief an die SVP.
Alle Fotos von Evan Ruetsch

Das einzig Gute am gestrigen Abstimmungstag waren die wütenden Gegenaktionen. Der Aktivismus von links kam wieder einmal erst nach der Abstimmung, aber Pyros und „Alerta Antifascista" sind ja auch nicht unbedingt mehrheitsfähig. In Basel, Zürich, Bern, Genf, Luzern und Kreuzlingen gab es Spontandemos. Frust muss raus und viele haben ein JA zur Masseneinwanderung nicht für möglich gehalten. VICE war in Zürich mit dabei. „Zürich, Helvetiaplatz" gilt zwar fast als Qualitätssiegel für Riots, aber die ungefähr tausend Teilnehmer sind friedlich geblieben. Relativ jedenfalls. Die paar tausend Franken Schaden. Die SVP-Schweiz kann froh sein, dass die Städte so ruhig geblieben sind. Ein offener Brief an die Schweizer Volkspartei:

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Heute ist Montag. Gestern war Sonntag. Gestern habt ihr (und ganz viele, die nicht dazu stehen) die Schweiz isoliert. Heute beginnt die erste Woche in einem Land, das die feuchten Träume von Marine Le Pen auf 40 000 Quadratkilometern wahrmacht. Die EU kennt zwar keine Diskriminierung einzelner Länder, aber vielleicht können wir ja weiterhin frei in Viktor Orbans Ungarn einreisen?

Einmal mehr Dark heart of Europe! Einmal mehr Réduit! Einmal mehr Aggloschweiz! Am Ende des Tages blieb der Balken grün, die mentale Alarmanlage schaltete auf Ja. Mit der vierthöchsten Stimmbeteiligung seit der Einführung des Frauenstimmrechts. Meine Güte. Eure SVP-Schweiz saugt immer mehr Themen, mehr Menschen, mehr Jetzt-reichts-Opportunisten auf. Kloten, Olten, Reinach, Bülach…macht doch was ihr wollt. Macht doch auf Nordkorea! Aber lasst uns in Ruhe leben. Lasst uns die Städte. Ihr wollt da ja eh nicht hin. Für die paar Tage Verwandtenbesuch pro Jahr halte ich es dann auch in eurer Geranien-Diktatur aus. Von mir aus können wir Schwamendingen, das Bruderholz und Bern-Bethlehem zur Green Zone machen. Von mir aus kann der Aargau das Fame (Basel) und das Alpenrock als Exklave haben (inklusive ausländerfreier Eskorte vom Bahnhof—das liegt drin in unserem rotgrünen Stadtbudget). Einen anderen Grund habt ihr ja nicht, um in die Stadt zu gehen.

Ich lebe in einem Quartier mit 60 Prozent Ausländern. Ich bin stolz, dass in meinem Quartier Konfessionslose mit Muslimen zusammen eine Mehrheit bilden. Ich finde es gut, dass hier fast jeder haltende Autofahrer gefragt wird, ob er sein Auto nicht gerne weiterverkaufen möchte. Ich mag auch den türkischen Jungen mit Trisomie 21, der unseren Hauseingang vollkritzelt. Ich mag die unsortierten Abfallberge und Sperrmüll ohne Entsorgungsmarke. Ich schmeisse manchmal—selten—Teile meines Komposts vom Balkon. Ich will frei leben, verdammt!

Eure Schweiz hat uns zerkaut und ausgespuckt. Jetzt dürfen wir freier leben denn je. Ihr habt in mir jede Verpflichtung, jede Verbundenheit mit diesem Land zerstört. Ihr zerstört Werte. Aktiv. 24/7-Fake-Vergewaltigungs-Pornos zu schauen, würde weniger in mir kaputtmachen. Ich erwarte gar nichts mehr. Lasst uns in Ruhe und lasst uns die Städte! Wir leben hier. Ihr nicht.