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Bis so guet

Wir suhlen uns in einem Gestern ohne Morgen

Tradition lässt uns zu so ziemlich allem werden, was wir nie sein wollten.

Foto von Michel Schultheiss

Ich habe einen Traum. Ich will ein Busch sein. Ich will so lange regungslos am Strassenrand stehen, bis eine Frau vorbeikommt. Dann aufspringen, sie verfolgen, packen und in den nächstbesten Brunnen schmeissen. Klingt bescheuert? Ist es auch. Aber das macht man nunmal so. Ist ja Tradition.

Tradition lässt uns zu so ziemlich allem werden, was wir nie sein wollten. Wir sprengen Schneemännern den Kopf weg, wir schmeissen Orangen auf Kinder, wir drücken Pickelköpfen Sturmgewehre in die Hand. Warum? Keine Ahnung. Aber das müssen wir auch nicht wissen, denn eigentlich wollen wir nur zwei Dinge: Saufen und ficken. Brauchtümer, die früher ein Höhepunkt unserer Zivilisation waren, lassen uns heute zu Instinktfetischisten werden.

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Foto von Yves Junqueira ı Flickr ı CC BY 2.0

Aber auch in anderer Form ist die Tradition der Klotz am Bein des zivilisatorischen Fortschritts. Homos, die Kinder adoptieren? Ein Angriff auf die traditionelle Familie! Ausländer, die in die Schweiz kommen? Ein Angriff auf die schweizerische Identität! Aus Angst vor einem Morgen, das anders ist als das Gestern, weinen wir uns jeden Abend zu Alphorngedudel in den Schlaf. Suchen die Lösung gegen unsere identitären Minderwertigkeitskomplexe im Vergangenen. In der romantifizierten Geborgenheit der Tradition.

Damals war alles besser. Ausser ein paar Italo-Strassenbauern gab es nichts, wovor wir Angst haben mussten. Heute strömt die halbe Welt in die Schweiz. Die Deutschen klauen unsere Jobs. Die Rumänen unser Sozialgeld. Die Somalis unsere Identität. Es scheint nur eine Frage der Zeit bis das weisse Kreuz durch einen Halbmond ersetzt wird.

Abgesehen davon, dass das totaler Bullshit ist, können wir schlicht und einfach nicht zurück. Gestern bleibt Gestern. Wir können uns ja auch nicht durch die Vaginas unserer Mütter zurückpressen, nur weil wir dort im Fruchtwasser planschend die scheinbar schönsten neun Monate unseres Lebens hatten. Versuchen können wir es zwar—ausser die Mehrerfahrung eines unangenehm intimen Gesprächs mit Mami bringt das unserer Realität nichts.

Foto von Michael Beat ı Flickr ı CC BY 2.0

Darum haben wir uns Ersatzmütter gesucht. Die stilisieren die Tradition zum Fruchtwasser der Gegenwart. Zum Uriella-Heilwasser gegen all unsere Ängste. Doch was uns so beschützend umhüllt, ist nicht der Mutterbauch, sondern ein aufgewärmter Haufen Scheisse. Traditionsmythen werden von Angst-Politikern zu ihren Gunsten umgedeutet. Sie sollen uns die Vergangenheit möglichst schmackhaft machen. Doch egal, wie sehr sie das Aroma anpreisen: Scheisse bleibt Scheisse—stinkend, eklig, braun.

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Gaza, Ukraine, Syrien—auf der Welt läuft ziemlich vieles ziemlich beschissen. Daran gibt es nichts zu rütteln. Doch wir ändern rein gar nichts, wenn wir uns im Elfenbeinturm der Traditionen einschliessen. Irgendwann wird die Vergangenheit anklopfen und uns mit einem fetten Arschtritt auf den Boden der Realität zurückwerfen. Denn selbst sie weiss: Wer Idioten glaubt, ist selbst der grösste Idiot.

Hirnlos, sorgenlos oder kritisch dialektisch feiern könnt ihr auch diese Woche wieder:

Heute gehen wir zuerst ans Dens La Tente im [La Cathrina](http:// http://www.lacatrina.ch) und dann direkt ans Strassenmusikfestival Buskers.

Morgen starten wir an der Summer Nights Vernissage im Museum Bärengasse und gleich um die Ecke; [GDS.FM Open Decks](http:// https://www.facebook.com/events/325356940955324/?refdashboardfilter=upcoming) im Zigiroom. Wir gehen aus mit der Grabenhalle, gehen ab am Werdinsel Openair und stürzen hinaus ans Schlauer Bauer Openair.

Am Samstag geben wir uns die Kante. Wir geben uns Glitter Gwitter im Plaza, Mannschaft, die Party auf dem Bundesplatz, Nordboat auf dem Rhein, Guns Love Stories in der Schüür und Efdemin in der Zuki.

Am Sonntag gibt es Keine Systeme im Kunstraum Aarau.

Montags schauen und hören und fühlen und spüren wir Sha's Feckel im Exil.

Am Dienstag sehen wir uns The Place We Life im Fotomuseum Winterthur an.

Und am Mittwoch stürbeln wir in die Longstreet Bar.