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The Hot Box Issue

Geister-Vergewaltigungen in Bolivien

Die Menonniten-Kolonisten haben die Schuld auf Dämonen geschoben, statt die Vergewaltiger in den eigenen Reihen zu suchen und den Frauen zu helfen.

Fotos: Noah Friedman-Rudovsky
Enthält Auszüge aus Recherchen von Noah Friedman-Rudovsky Die Namen der Missbrauchs- und Vergewaltigungsopfer wurden auf ihren Wunsch hin von der Redaktion geändert. Sara und ihre beiden Töchter wurden in der Kolonie Manitoba in Bolivien wiederholt Opfer von Vergewaltigungen.

Eine Zeit lang glaubten die Einwohner der Kolonie Manitoba, Dämonen würden die Frauen in ihrer Gemeinde vergewaltigen. Es ließ sich einfach nicht anders erklären. Unerklärlich, dass eine Frau nach dem Aufwachen Blut- und Spermaflecken auf ihrem Laken entdeckt und keine Erinnerung an die vorangegangene Nacht hat. Unerklärlich, dass eine andere bekleidet zu Bett geht und nackt, mit schmutzigen Fingerabdrücken überall auf ihrem Körper aufwacht. Unerklärlich, dass wieder eine andere davon träumt, ihr zwinge sich ein Mann auf einem Feld auf—und am folgenden Morgen mit Gras in ihrem Haar aufwacht.

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Sara Guenter stellte der Strick vor ein Rätsel. Manchmal wachte sie in ihrem Bett auf und kurze Stricke waren fest um ihre Hand- oder Fußgelenke gewickelt, die Haut darunter schmerzhaft blau verfärbt. Anfang des Jahres besuchte ich Sara in ihrem Zuhause, einem einfachen, mit einem Ziegelmuster bemalten Betonbau in der Kolonie Manitoba in Bolivien. Mennoniten ähneln in ihrer Ablehnung alles Modernen und des technischen Fortschritts den Amischen, und die Kolonie Manitoba stellt wie alle ultrakonservativen Mennonitengemeinden einen kollektiven Versuch dar, sich so weit wie möglich aus der Welt der Ungläubigen zurückzuziehen. Ein leichte, nach Soja und Sorghum duftende Briese wehte von den nahen Feldern herüber, als Sara mir, abgesehen von dem unheimlichen Strick, davon erzählte, dass sie an den Morgenden nach den Vergewaltigungen in befleckten Laken aufwachte, hämmernde Kopfschmerzen hatte und von lähmender Lethargie heimgesucht wurde. Ihre beiden Töchter, 17 und 18 Jahre alt, hockten still an einer Wand hinter ihr und funkelten mich aus blauen Augen an. Das Böse sei in den Haushalt eingedrungen, sagte Sara. Vor fünf Jahren wachten auch ihre Töchter erstmals in besudelten Laken auf und klagten über Schmerzen „da unten“. Die Familie versuchte, die Tür zu verriegeln; in einigen Nächten versuchte Sara, sich mit allen Mitteln wachzuhalten.

Ein paar Mal hielt ein loyaler bolivianischer Arbeiter aus der Nachbarstadt Santa Cruz über Nacht Wache. Aber immer wenn ihr einstöckiges, ziemlich weit von der unbefestigten Landstraße entfernt und einsam gelegenes Haus unbewacht war, wurden die Vergewaltigungen fortgesetzt. (Manitobaner sind nicht an das Stromnetz angeschlossen, also ist es in der Gemeinde nachts stockdunkel.) „Es ist so oft passiert, dass ich es nicht mehr zählen kann“, sagte Sara auf Plautdietsch (eine Variante des Ostniederdeutschen aus dem 16. und 17. Jahrhundert), ihrer Muttersprache, der einzigen Sprache, die sie und die meisten Frauen in der Gemeinde sprechen. Anfangs ahnte die Familie nicht, dass nicht nur sie allein angegriffen wurde, und behielt es daher für sich. Dann erzählte Sara es ihren Schwestern. Als sich Gerüchte verbreiteten, „glaubte ihr niemand“, sagte Peter Fehr, Saras Nachbar zur Zeit der Vorfälle. „Wir glaubten, sie hätte es sich ausgedacht, um eine Affäre zu vertuschen.“ Die Familie wandte sich mit der Bitte um Hilfe an den Kirchenrat, die Männergruppe, die die 2.500 Mitglieder zählende Kolonie leitet, hatte aber keinen Erfolg, obwohl immer mehr Geschichten kursierten.

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Überall in der Gemeinde wachten die Menschen morgens mit den verräterischen Zeichen auf: zerrissene Pyjamas, Blut und Sperma auf dem Bett, Benommenheit und Kopfschmerz. Einige Frauen erinnerten sich an Augenblicke des Schreckens: Sie waren für einen Moment aufgewacht, ein oder mehrere Männer fielen über sie her, während sie nicht genug Kraft aufbringen konnten, um zu schreien oder sich zu wehren. Dann wieder Dunkelheit. Einige hielten das für „wilde Frauenfantasien“. Andere meinten, es sei eine Geißel Gottes. „Wir wussten nur, dass nachts Merkwürdiges vor sich ging“, sagte Abraham Wall Enns, damals Gemeindevorsteher der Kolonie Manitoba. „Aber wir wussten nicht, wer es war, wie konnten wir es also stoppen?“ Niemand wusste, was zu tun war, also tat man gar nichts. Nach einer Weile akzeptierte Sara diese Nächte einfach als schreckliche Lebenswirklichkeit. An den Morgen danach stand ihre Familie trotz der Kopfschmerzen auf, zog die Betten ab und ging zur Alltagsroutine über.

Dann wurden in einer Nacht im Juni 2009 zwei Männer bei dem Versuch, in ein Nachbarhaus einzudringen, erwischt. Die beiden verpfiffen einige Freunde, und, einem einstürzenden Kartenhaus gleich, gestand am Ende eine Gruppe von neun Manitobanern im Alter von 19 bis 43 Jahren, die Familien in der Kolonie seit 2005 vergewaltigt zu haben. Um die Opfer und mögliche Zeugen außer Gefecht zu setzen, benutzten die Männer ein Spray, das der Tierarzt einer benachbarten Mennonitengemeinde auf der Basis einer Chemikalie hergestellt hatte, die zur Betäubung von Kühen eingesetzt wird. In ihren ersten Geständnissen (die sie später widerriefen) hatten die Vergewaltiger zugegeben, sich—manchmal in Gruppen, manchmal allein—vor den Schlafzimmerfenstern versteckt und die Substanz durch die Fliegengitter gesprüht zu haben, um die gesamte Familie zu betäuben und dann ins Haus einzudringen. Doch erst bei der Gerichtsverhandlung 2011, fast zwei Jahre später, kam das volle Ausmaß ihrer Verbrechen zutage. Die Transkripte lesen sich wie Horrorfilmdrehbücher: Die Opfer waren drei bis 65 Jahre alt (das jüngste hatte ein vermutlich durch Fingerpenetration zerrissenes Jungfernhäutchen). Die Mädchen und Frauen waren verheiratet, ledig, Einwohnerinnen, Besucherinnen, geistig Behinderte. Obwohl nie darüber gesprochen wurde, und es nicht Teil des Verfahrens war, erzählten mir die Einwohner im Vertrauen, dass auch Männer und Jungen vergewaltigt worden waren. Im August 2011 wurde der Tierarzt, der das Betäubungsspray geliefert hatte, zu zwölf Jahren Haft verurteilt und die einzelnen Vergewaltiger zu 25 Jahren (fünf Jahre weniger als die Höchststrafe in Bolivien). Offiziell gab es 130 Opfer—mindestens eine Person aus gut jedem zweiten Haushalt der Kolonie Manitoba. Aber nicht alle Vergewaltigungsopfer waren vor Gericht gezogen, und so ist anzunehmen, dass die wahre Opferzahl um vieles höher liegt. Nach den Verbrechen erhielten die Frauen weder Therapie- noch Beratungsangebote. Es gab kaum Bestrebungen, die Vorfälle, über die Geständnisse hinaus, genauer zu untersuchen. Und in den Jahren seit der Verurteilung der Männer wurde über die Vorfälle in der gesamten Kolonie nicht mehr gesprochen. Vielmehr etablierte sich nach den Schuldsprüchen ein Code des Schweigens. „Das liegt jetzt alles hinter uns“, versicherte mir Gemeindevorsteher Wall bei meinem kürzlichen Besuch dort. „Es wäre uns lieber, wir könnten das alles vergessen, und würden nicht ständig daran erinnert.“ Abgesehen von Interviews mit gelegentlich auftauchenden Journalisten spricht niemand mehr darüber. Doch im Laufe einer neunmonatigen Recherche, darunter ein elftägiger Aufenthalt in Manitoba selbst, stellte ich fest, dass die Verbrechen noch längst kein Ende gefunden haben. Neben den anhaltenden psychologischen Traumata gibt es Hinweise auf weitverbreiteten und regelmäßigen sexuellen Missbrauch, darunter ungezügelten Kindesmissbrauch und Inzest. Es existieren auch Hinweise darauf, dass die Betäubungsmittel-Vergewaltigungen fortgesetzt werden, obwohl die ursprünglichen Täter im Gefängnis sitzen.

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Acht mennonitische Männer sitzen wegen Vergewaltigung von mehr als 130 Frauen aus der Kolonie Manitoba im Gefängnis. Einer der mutmaßlichen Vergewaltiger floh und lebt nun in Paraguay. 

Wie sich herausstellt, gehen die Dämonen immer noch um. Auf den ersten Blick wirkt das Leben der Einwohner Manitobas idyllisch, aus der Sicht von New-Age-Aussteigern geradezu beneidenswert: Die Familien leben von dem, was das Land hergibt, Solarmodule sorgen für Strom in den Häusern, Windmühlen treiben Trinkwasserbrunnen an. Kommt es in einer Familie zu einem Todesfall, bereitet der Rest der Gemeinde abwechselnd das Essen für die Trauernden zu. Die reicheren Familien finanzieren die Instandhaltung der Schulen und die Lehrergehälter. Der Tag beginnt mit selbst gemachtem Brot, Marmelade und noch warmer Milch von den Kühen auf dem Feld. Am Abend spielen Kinder im Hof Fangen, während ihre Eltern in Schaukelstühlen sitzen und den Sonnenuntergang genießen. Nicht alle Mennoniten leben in einer so behüteten Welt. Weltweit gibt es, in 83 verschiedenen Ländern, etwa 1,7 Millionen Mennoniten. Ihre Einstellungen zur modernen Welt unterscheiden sich in den einzelnen Gemeinden stark. Einige lehnen die Moderne rundweg ab; andere schotten sich von der Außenwelt ab, erlauben aber Autos, Fernseher, Mobiltelefone und uneinheitliche Kleidung. Viele leben inmitten der Mainstream-Gesellschaft und sind von ihr kaum zu unterscheiden. Die Religion ist ein Ableger der protestantischen Reformation im Europa der 1520er Jahre und wurde von einem katholischen Geistlichen namens Menno Simons gegründet. Kirchenführer wetterten gegen Simons’ Engagement für die Erwachsenentaufe, Pazifismus und seine Überzeugung, dass man durch bescheidene Lebensführung in den Himmel kommt. Da sie sich von der neuen Lehre bedroht fühlten, begannen die evangelische und katholische Kirche, seine Anhänger in ganz Mittel- und Westeuropa zu verfolgen. Die meisten Mennoniten—so nannte man Simons Anhänger—weigerten sich zu kämpfen, da sie sich zur Gewaltlosigkeit bekannt hatten. So flohen sie nach Russland, wo man ihnen Siedlungen zuwies, in denen sie unbehelligt vom Rest der Gesellschaft leben konnten. Anfang der 1870er Jahre setzte auch in Russland die Verfolgung ein, sodass die Gruppe die nächste Zuflucht in Kanada suchte, dessen Regierung sie als dringend benötigte Siedlerpioniere willkommen hieß. Bei ihrer Ankunft übernahmen viele Mennoniten die moderne Kleidung, Sprache und andere Aspekte des zeitgenössischen Lebens. Eine kleine Gruppe glaubte aber weiterhin daran, dass sie nur in den Himmel kommen könnten, wenn sie die Lebensweise ihrer Vorväter fortführten, und war entsetzt zu sehen, wie leicht sich ihre Glaubensgenossen von der Neuen Welt hatten verführen lassen. Diese als „Altkolonier“ bekannte Gruppe verließ Kanada in den 1920er Jahren, unter anderem weil die Regierung mit dem Verweis auf das künftig landesweit standardisierte Curriculum auf Unterricht in englischer Sprache bestand. (Auch heute noch erfolgt die Schulbildung bei den Altkoloniern in ihrer Sprache, basiert streng auf der Bibel und endet für Jungen mit 13 und für Mädchen mit zwölf Jahren.) Die Altkolonier wanderten nach Paraguay und Mexiko aus, wo reichlich Farmland zur Verfügung stand, wenig Technologie zum Einsatz kam, und am wichtigsten, die jeweiligen Regierungen versprachen, sie so leben zu lassen, wie sie es wollten. Doch als Mexiko in den 1960er Jahren seine eigene Schulreform durchführte, die die Autonomie der Mennoniten einzuschränken drohte, zogen sie es vor, wieder auszuwandern. So schossen in noch entlegeneren Regionen Südamerikas Altkolonien aus dem Boden, die größten Gemeinden in Bolivien und Belize. Heute gibt es weltweit etwa 350.000 Altkolonier, und in Bolivien sind mehr als 60.000 von ihnen beheimatet. Die 1991 gegründete Kolonie Manitoba wirkt wie ein Relikt aus der Alten Welt, das mitten in der Neuen Welt gelandet ist: ein hellhäutiges, blauäugiges Inselchen inmitten des Chaos, das so typisch ist, für das ärmste der südamerikanischen Länder mit dem höchsten Anteil indigener Bevölkerung. Dank der vorbildlichen Arbeitsethik ihrer Mitglieder, der weiten, fruchtbaren Felder und eines Molkereikollektivs erlebt die Kolonie einen wirtschaftlichen Boom. Manitoba ist der letzte sichere Hafen der rechtgläubigen Altkolonier. Andere Kolonien in Bolivien haben ihre Regeln gelockert, doch die Manitobaner lehnen Autos nachdrücklich ab, und alle ihre Traktoren haben Stahlräder, denn der Besitz mechanischer Vehikel mit Gummireifen gilt als Todsünde, da er den Kontakt zur Außenwelt erleichtert. Männer dürfen keine Bärte tragen und kleiden sich in Jeansoveralls, außer in der Kirche, wo sie Hosen anziehen. Mädchen und Frauen tragen zwei identisch geflochtene Zöpfe, und man dürfte nur sehr schwer ein Kleid finden, dessen Länge oder Ärmel mehr als nur ein paar Millimeter von der vorgeschriebenen Länge abweichen. Für die Einwohner Manitobas sind das keine willkürlichen Vorschriften: Sie sind der einzige Weg zu Erlösung, und die Kolonisten fügen sich, denn sie glauben, ihr Seelenheil hänge davon ab. Den Wünschen der Altkolonier entsprechend wurde Manitoba sich selbst überlassen. Außer in Mordfällen sind die Gemeindeleiter der bolivianischen Regierung gegenüber nicht verpflichtet, Verbrechen zu melden. Die Polizei hat innerhalb der Gemeinde praktisch keine Zuständigkeit, genausowenig wie staatliche oder kommunale Behörden. Die Kolonisten halten Recht und Ordnung durch eine auf Lebenszeit gewählte De-facto-Regierung aufrecht, die aus neun Predigern und einem Ältesten besteht. Abgesehen davon, dass die bolivianische Regierung alle Einwohner zum Besitz eines Personalausweises verpflichtet, funktioniert Manitoba beinahe wie ein unabhängiger Staat. Abraham Wall Enns (Mitte) mit seiner Familie. Abraham war während der Vergewaltigungsphase der oberste Gemeindevorsteher der bolivianischen Kolonie Manitoba. 

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Ich berichtete 2011 für Time über den Manitoba-Vergewaltigungsprozess. Da mich das Thema nach meinem Besuch weiterhin beschäftigte, wollte ich wissen, wie es den Opfern seither ergangen war. Ich wollte auch wissen, ob die abscheulichen Verbrechen an den Einwohnern eine Ausnahme waren, oder ob sie tiefere Risse in der Gemeinschaft widerspiegelten. Ist es möglich, dass die abgeschiedene Welt der Altkolonier, anstatt das friedliche Zusammenleben unbeeinflusst von den Verlockungen der modernen Gesellschaft zu fördern, vielleicht ihren eigenen Untergang vorantreibt? Ich musste unbedingt zurückkehren und es herauszufinden. Ich kam sehr spät an einem mondhellen Freitagabend im Januar an. Abraham und Margarita Wall Enns empfingen mich mit einem warmen Lächeln auf der Veranda ihres kleinen Heims, das durch eine gepflegte, mit Bäumen gesäumte Auffahrt von der Straße getrennt war. Obwohl bekanntermaßen öffentlichkeitsscheu, begegnen Altkolonier Außenstehenden, die sie nicht als Bedrohung ihrer Lebensweise einschätzen, sehr freundlich. Ich hatte Abraham, einen sommersprossigen, 1,80 Meter großen Gemeindevorsteher im Juni 2011 kennengelernt, und er hatte mir angeboten, bei ihm und seiner Familie zu wohnen, falls ich jemals wiederkäme. Nun war ich dort, in der Hoffnung, das Leben der Altkolonier aus nächster Nähe kennenzulernen, während ich die Einwohner über die Vergewaltigungen und ihre Folgen befragte. In ihrem blitzblank geputzten Haus führte Margarita mich in mein Schlafzimmer neben zwei anderen Zimmern, in denen ihre neun Kinder bereits schliefen. „Wir haben die hier zur Sicherheit einbauen lassen“, sagte sie und berührte die etwa 8 cm dicke Stahltür am Fuß der Treppe. Es gab wohl in letzter Zeit ein paar Einbrüche (die man Bolivianern zuschrieb). „Schlaf gut“, wünschte sie mir, bevor sie die Tür verriegelte, die mich und ihre Familie vom Rest der Welt trennte. Am folgenden Morgen stand ich zusammen mit der Familie vor Sonnenaufgang auf. Die beiden ältesten Töchter—Liz, 22, und Gertrude, 18—verbrachten täglich den größten Teil ihrer Zeit mit abwaschen, Wäsche waschen, kochen, Kühe melken und Hausputz. Ich bemühte mich, alles richtig zu machen, als ich ihnen bei ihren Aufgaben half. Schon mittags war ich total erledigt. Hausarbeiten gehören nicht zu den Aufgaben von Abraham und den sechs Wall-Jungen; es ist gut möglich, dass sie nie in ihrem Leben auch nur einen einzigen Teller abräumen werden. Sie arbeiten normalerweise auf den Feldern, aber da die Feldarbeitssaison vorbei war, bauten die älteren Jungen Traktorteile zusammen, die ihr Vater aus China importiert, während das jüngste Paar im Stall herumkletterte und mit den zahmen Sittichen spielte. Abraham erlaubt den Jungen, einen Fußball durch die Gegend zu kicken und gelegentlich die Wochenzeitung aus Santa Cruz zu lesen, wodurch sie ein wenig Spanisch lernen; jede andere organisierte Aktivität, sei es Wettkampfsport, Tanzen oder Musizieren könnte ihr ewiges Heil gefährden und ist streng verboten. Die Walls erzählten mir, dass in ihrer Familie glücklicherweise niemand den Vergewaltigern zum Opfer gefallen war, doch wie alle andern in der Gemeinde wussten sie alles darüber. An einem Tag willigte Liz ein, mich bei meinen Interviews mit den Vergewaltigungsopfern in der Gemeinde zu begleiten. Eine neugierige und aufgeweckte junge Frau, die von der bolivianischen Köchin der Familie Spanisch gelernt hatte und sich über diesen Vorwand, das Haus zu verlassen und unter Menschen zu kommen, freute. Wir machten uns auf den Weg und fuhren in einem Einspänner die unbefestigten Straßen entlang. Unterwegs berichtete mir Liz von ihren Erinnerungen an die Zeit des Skandals. Soviel sie wisse, seien die Täter nie in ihr Zuhause eingedrungen. Als ich sie fragte, ob sie denn nie Angst gehabt hatte, sagte sie Nein. „Ich glaubte es ja nicht“, erklärte sie mir. „Also bekam ich es erst mit der Angst zu tun, als sie gestanden hatten. Dann wurde es real.“ Als ich Liz fragte, ob die Vergewaltigungen nicht früher hätten gestoppt werden können, wenn man die Frauen ernst genommen hätte, runzelte sie nur die Augenbrauen. Hatten die Kolonisten den Vergewaltigern nicht vier Jahre lang einen Freibrief ausgestellt, unter anderem dadurch, dass die Leute die Verbrechen lediglich als „wilde Frauenfantasien“ abtaten? Sie antwortete nicht, sondern schien sehr nachdenklich, während sie uns über die Feldwege lenkte. Wir bogen in den gekieselten Innenhof eines großen Hauses, und ich ging für ein Interview hinein, während Liz draußen im Einspänner wartete. In einem dunklen Wohnzimmer sprach ich mit Helena Martens, einer Frau mittleren Alters und Mutter von elf Kindern, und ihrem Ehemann. Sie saß auf einem Sofa, und die Rollos waren die ganze Zeit heruntergezogen, während wir uns darüber unterhielten, was ihr vor fast fünf Jahren zugestoßen war. Irgendwann 2008, erzählte Helena, hörte sie beim Zubettgehen ein zischendes Geräusch. Ihr stieg auch ein seltsamer Geruch in die Nase, doch nachdem ihr Ehemann sich vergewissert hatte, dass der Gasbehälter in der Küche dicht war, schliefen sie ein. Sie erinnerte sich lebhaft, wie sie mitten in der Nacht aufwachte „ein Mann auf mir und andere im Zimmer, aber ich konnte meine Arme nicht heben, um mich zu wehren“. Sie verfiel schnell wieder in einen ohnmächtigen Schlaf, und am folgenden Morgen schmerzte ihr Kopf, und die Laken waren verschmutzt. Die Vergewaltiger griffen sie im Laufe der folgenden Jahre noch mehrmals an. Helena litt in dieser Zeit an verschiedenen gesundheitlichen Problemen und musste sich außerdem einer Gebärmutter-OP unterziehen. (Sex und Reproduktionsgesundheit sind für konservative Mennoniten ein so großes Tabuthema, dass die meisten Frauen die konkreten Bezeichnungen für intime Körperteile nie erfahren. Das hatte zur Folge, dass sie nicht richtig beschreiben konnten, was ihnen während der Übergriffe zugefügt wurde und was danach passierte.)

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Eines Morgens sei sie mit solchen Schmerzen aufgewacht, dass „ich dachte, ich müsse sterben“, sagte sie. Helena hatte genau wie die anderen Vergewaltigungsopfer in Manitoba nie die Gelegenheit bekommen, mit einem professionellen Therapeuten zu sprechen, obwohl sie sagte, sie würde es tun, wenn sie die Möglichkeit hätte. „Warum sollten sie Beratung benötigen? Sie schliefen doch, als es passierte“, hatte Johan Neurdorf, Ältester der Kolonie Manitoba und die höchste Autorität der Gemeinde 2009 einem Besucher gegenüber angemerkt, nachdem die Täter verhaftet worden waren. Andere Opfer, die ich befragte—sowohl die, die während der Vergewaltigungen aufgewacht waren, als auch die, die keine Erinnerungen an die Nächte hatten—meinten, sie hätten schon gerne mit einem Therapeuten über ihre Erfahrungen gesprochen, aber es sei wohl fast unmöglich, da es in Bolivien keine Plautdietsch sprechenden Experten für die Behandlung sexueller Traumata gebe. Keine der Frauen, mit denen ich sprach, wusste, dass die internationale mennonitische Gemeinschaft, insbesondere progressive Gruppen in Kanada und den USA, angeboten hatte, Plautdietsch sprechende Beraterinnen nach Manitoba zu schicken. Natürlich ahnten sie nicht, dass die Männer in der Kolonie dieses Angebot abgelehnt hatten. Nach jahrhundertelangen Spannungen mit ihren weniger traditionellen Brüdern und Schwestern blockt die Führung der Altkolonier regelmäßig jeden Versuch dieser Gruppen ab, mit ihren Mitgliedern Kontakt aufzunehmen. Sie betrachteten die aus der Ferne angebotene psychologische Unterstützung als einen offensichtlichen erneuten Versuch, sie zur Aufgabe der alten Traditionen zu bewegen. Die Ablehnung der Gemeindeleitung hatte möglicherweise noch andere, tiefere Gründe. Vielleicht wollte man nicht, dass die emotionalen Traumata der Frauen noch mehr Probleme aufwarfen bzw. zu viel Aufmerksamkeit auf die Gemeinde lenkten. Wie schon erwähnt, besteht die Rolle der Frau in einer Altkolonie darin, zu gehorchen und sich den Anweisungen ihres Ehemannes unterzuordnen. Ein örtlicher Prediger erklärte mir, dass Mädchen ein Jahr weniger zur Schule gingen als Jungen, da Frauen die Mathematik- bzw. Buchhaltungskenntnisse, die in dem Extraschuljahr für Jungen unterrichtet werden, nicht benötigten. Frauen können weder Prediger werden, noch dürfen sie sie wählen. Sie dürfen sich auch nicht selbst vor Gericht vertreten, wie der Vergewaltigungsprozess schmerzhaft deutlich machte. Selbst die fünf Kläger in dem Verfahren waren Männer—eine ausgewählte Gruppe von Ehemännern bzw. Vätern der vergewaltigten Frauen—und nicht die Frauen selbst. Obwohl es einfacher gewesen wäre, von schwarz-weißen Geschlechterrollen in Manitoba auszugehen, förderte mein Besuch jedoch auch Zwischentöne zutage. Ich beobachtete, wie Männer und Frauen zu Hause gemeinsame Entscheidungen trafen. Bei den sonntäglichen Treffen der Großfamilien schienen die Küchen voller Frauen mit starken Persönlichkeiten und guter Laune, während die Männer sich draußen mit ernster Miene über die Dürre unterhielten. Und ich verbrachte lange Nachmittage mit selbstbewussten, engagierten jungen Frauen wie Liz und ihren Freundinnen, die sich wie Gleichaltrige anderswo miteinander treffen, um sich über die nervigen Dinge Luft zu machen, die ihre Eltern tun, und sich darüber zu informieren, wer letzte Woche wessen Herz gebrochen hat. Was die Vergewaltigungen anging, spendeten diese Treffen und die starken Verbindungen zwischen den Frauen sowie der durch die getrennte Alltagsroutine sichere Raum Trost. Die Opfer erzählten mir, dass sie von ihren Schwestern oder Cousinen unterstützt wurden, insbesondere als sie versuchten, sich nach dem Prozess wieder an den normalen Alltag zu gewöhnen. Die unter 18-jährigen Prozessteilnehmerinnen wurden der bolivianischen Gesetzgebung entsprechend einer psychologischen Untersuchung unterzogen. Die Gerichtsdokumente besagen, dass jedes einzelne der jungen Mädchen Zeichen posttraumatischer Belastungsstörungen aufwies und ihnen eine Langzeittherapie empfohlen worden sei—doch nicht eine von ihnen hat seit der Untersuchung irgendeine Form von Therapie erhalten. Anders als die erwachsenen Frauen, die zumindest etwas Trost bei ihren Schwestern oder Cousinen fanden, hatten viele junge Mädchen nach den von der Regierung angeordneten Untersuchungen vermutlich nicht die Möglichkeit, mit irgendjemandem über ihre Erfahrungen zu sprechen. In ihrem Wohnzimmer vertraute Helena mir an, dass ihre Tochter ebenfalls vergewaltigt worden war, doch die beiden niemals darüber gesprochen hätten, und das Mädchen, heute 18, noch nicht einmal wisse, dass ihre Mutter auch ein Vergewaltigungsopfer ist. In Altkolonien sind Vergewaltigungen eine Schande für die Opfer, Überlebende gelten als befleckt, und überall in der Gemeinde meinten die Eltern der anderen jungen Opfer, man spreche besser nicht darüber. „Sie war zu jung, um darüber zu sprechen“, erklärte mir der Vater eines anderen Opfers, das mit elf Jahren vergewaltigt worden war. Er und sein Frau erklärten dem Mädchen nie, warum es eines Morgens mit Schmerzen aufwachte und so stark blutete, dass sie ins Krankenhaus musste. Sie wurde von Krankenschwestern, die ihre Sprache nicht sprachen, durch die medizinischen Untersuchungen geschleust, und ihr wurde nie mitgeteilt, dass sie vergewaltigt worden war. „Es ist besser, wenn sie es gar nicht weiß“, sagte ihr Vater. Alle Opfer, die ich interviewte, bestätigten, dass sie fast täglich an die Vergewaltigungen dachten. Sie versuchten, damit zurechtzukommen, indem sie sich ihren Freundinnen anvertrauten oder im Glauben Zuflucht suchten. Helena zum Beispiel—obwohl ihre krampfhaft verschränkten Arme und ihr schmerzvolles Hin- und Herpendeln dem zu widersprechen schienen—erklärte mir, sie habe ihren Frieden gefunden, und sie beharrte darauf: „Ich habe meinen Vergewaltigern vergeben.“ Sie war kein Einzelfall. Ich hörte dasselbe von Opfern, Eltern, Schwestern und Brüdern. Einige gingen sogar soweit zu sagen, wenn die verurteilten Vergewaltiger ihre Verbrechen nur beichteten—so, wie sie es anfangs getan hätten—und Gott um Vergebung bitten würden, dann würde die Kolonie den Richter bitten, die Urteile aufzuheben. Ich war perplex. Wie konnte man so einstimmig solch ungeheuerliche und vorsätzliche Verbrechen akzeptieren? Das begriff ich erst, als ich mit Prediger Juan Fehr sprach, der wie alle Prediger in der Gemeinde schwarz gekleidet war und schwarze Schaftstiefel trug. „Gott stellt seine Auserwählten mit schweren Prüfungen auf die Probe“, erklärte er mir. „Um in den Himmel zu kommen, musst du denen, die dich verletzt haben, verzeihen.“ Der Prediger vertraue darauf, dass die meisten Opfer aus eigenem Antrieb vergeben. Aber hätte eine Frau einfach nicht vergeben wollen, sagte er, hätte Johan Neurdorf, Manitobas Ältester und höchste Autorität, sie aufgesucht und „er hätte ihr einfach erklärt, wenn sie nicht vergebe, werde Gott ihr ebenfalls nicht vergeben“.

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Eines der jüngsten Opfer, das mit den Staatsanwälten sprach, war bei seiner Vergewaltigung erst elf Jahre alt. Die meisten Opfer erhielten kaum psychologische Beratung und leiden Experten zufolge wahrscheinlich an posttraumatischen Belastungs­störungen.

Manitobas Vorsteher ermutigen ihre Einwohner auch dazu, Inzest zu vergeben. Das ist eine Lektion, die Agnes Klassen auf schmerzhafte Weise lernen musste. An einem schwülen Dienstag traf ich die Mutter zweier Kinder außerhalb ihrer Zweizimmerwohnung an einer Autobahn in Ost-Bolivien, etwa 64 Kilometer entfernt von ihrer früheren Heimat, der Kolonie Manitoba, die sie 2009 verlassen hatte. Sie trug einen Pferdeschwanz und schwitzte in Jeans und T-Shirt. Ich war nicht dort, um mich mit ihr über die Vergewaltigungen zu unterhalten, doch sobald wir in ihrem Haus waren, kam das Thema zwangsläufig zur Sprache. „Eines Morgens wachte ich mit Kopfschmerzen auf und unser Bett war beschmutzt“, sagte sie. Sie sprach von dieser Zeit in Manitoba, als ob sie sich an einen Gegenstand erinnerte, den sie auf ihrem Einkaufszettel vergessen hatte. Sie hatte seither nie viel an diesen Morgen gedacht und auch nicht am Prozess teilgenommen, weil sie keinen Sinn darin sah, sich als Zeugin zu melden, nachdem die Täter gefasst waren. Ich hatte Agnes vielmehr wegen anderer schmerzvoller Erlebnisse in ihrer Vergangenheit aufgesucht—nämlich Inzest—wobei noch nicht einmal klar war, wann alles begann. „Sie sind so verschwommen“, sagte sie über ihre Kindheitserinnerungen, darüber, wie sie von ihren acht älteren Brüdern befummelt wurde. „Ich weiß nicht, wann [der Inzest] begann.“ Agnes war eines von 15 Kindern, die in der Altkolonie Riva Palacios aufwuchsen (ihre Familie zog in die benachbarte Kolonie Manitoba, als sie acht war), und sie sagte, dass der Missbrauch im Stall, auf den Feldern oder im gemeinsamen Schlafzimmer der Kinder stattfand. Ihr war nicht klar, dass es unangemessenes Verhalten war, bis sie im Alter von zehn Jahren eine ordentliche Tracht Prügel erhielt, nachdem ihr Vater ihre Brüder dabei erwischt hatte, wie sie sie begrapschten.

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„Meiner Mutter fehlten immer die Worte, um mir zu sagen, dass mir Unrecht geschehen bzw. dass es nicht meine Schuld gewesen war“, erinnerte sie sich. Danach ging der Kindesmissbrauch weiter, aber Agnes war viel zu verängstigt, um jemanden um Hilfe zu bitten. Als sie 13 war, und einer ihrer Brüder versuchte, sie zu vergewaltigen, informierte Agnes zaghaft ihre Mutter. Dieses Mal wurde sie nicht verprügelt, und eine Zeit lang tat ihre Mutter ihr Bestes, um die beiden voneinander fernzuhalten. Doch schließlich erwischte der Bruder sie allein und vergewaltigte sie. Die Übergriffe durch ihre Brüder wurden allmählich zur Gewohnheit, doch Agnes konnte sich niemandem anvertrauen. In Altkolonien gibt es keine Polizei. Für die Bestrafung von Verbrechen sind die Prediger zuständig, doch da Jugendliche genaugenommen keine Mitglieder der Kirche sind, solange sie nicht getauft sind (was oft erst Anfang 20 geschieht), wird unangemessenes Verhalten innerhalb der Familie gemaßregelt. Agnes wäre nie auf die Idee gekommen, außerhalb der Kolonie Hilfe zu suchen: Vom ersten Tag ihres Erdenlebens an wurde ihr und allen anderen Altkolonierkindern eingehämmert, dass die Außenwelt eine Welt voll Sünde sei. Und selbst wenn eine Kontaktaufnahme gelänge, hätten Frauen oder Kinder praktisch keine Möglichkeit mit der nicht Plautdietsch sprechenden Umgebung zu kommunizieren. „Ich lernte einfach, damit zu leben“, berichtete Agnes sto­ckend. Sie entschuldigte sich für die Unterbrechungen und Neuanfänge in ihrem Bericht, für ihre Tränen. Sie hatte zum ersten Mal die ganze Geschichte erzählt. Sie sagte, der Inzest endete, als sich allmählich andere Jungen für sie interessierten und ihr den Hof machten, und sie legte es in ihrem Kopf als ein vergangenes Ereignis zu den Akten. Doch nachdem sie geheiratet hatte, in Manitoba in ihr eigenes Haus gezogen war und zwei Töchter geboren hatte, vergingen sich Familienmitglieder bei Besuchen an ihren Kindern. „Nun fing es auch bei ihnen an“, erzählte sie mir und verfolgte mit den Augen die kleinen platinblonden Mädchen, die an den Fenstern vorbeihuschten, während sie draußen spielten. Eines Tages erzählte ihre ältere Tochter, damals noch nicht einmal vier Jahre alt, dass der Großvater der Mädchen von ihnen verlangt hatte, ihre Hände in seine Hosen zu stecken. Agnes sagte, ihr Vater habe niemals sie oder ihre Schwestern missbraucht, aber er habe sich wohl regelmäßig an seinen Enkelinnen vergriffen, bis Agnes mit ihren Töchtern aus Manitoba floh (er soll immer noch ihre in der Kolonie lebenden Nichten missbrauchen). An einem anderen Tag erwischte sie ihren Neffen dabei, dass er ihre jüngere Tochter befummelte. „Es passiert die ganze Zeit“, sagte sie. „Nicht nur in meiner Familie.“ Tatsächlich wird in der internationalen Mennonitengemeinde seit geraumer Zeit hinter vorgehaltener Hand hitzig darüber diskutiert, ob die Altkolonier nicht ein wild wucherndes Inzestproblem haben. Einige verteidigen die Altkolonier mit dem Argument, dass sexueller Missbrauch überall gegenwärtig sei und sein Vorkommen an Orten wie Manitoba nur beweise, dass jede Gesellschaft, egal wie rechtschaffen sie sein mag, anfällig für gesellschaftliche Übel ist. Doch andere Personen wie Erna Friessen, eine kanadische Mennonitin, die mich mit Agnes bekannt gemacht hatte, pochte darauf: „Das Ausmaß sexueller Gewalt in den Altkolonien ist wirklich groß.“ Erna und ihr Ehemann unterstützten die Gründung von Casa Mariposa (Schmetterlingshaus), einer Zuflucht für missbrauchte Altkolonierfrauen und -mädchen. Angesiedelt in der Nähe der Stadt Pailon im Zentrum des bolivianischen Altkolonierterritoriums, verzeichnen sie einen kontinuierlichen Zustrom an Plautdietsch sprechenden Missionaren, die bereit sind zu helfen, doch nur wenige Frauen haben es bis dorthin geschafft. Neben der Schwierigkeit, die Frauen über diesen Ort zu informieren und sie davon zu überzeugen, dass es für sie das Beste ist, Hilfe zu suchen, erklärte Erna mir, „dass die Flucht nach Casa Mariposa für die Frauen oft bedeutet, ihre Familien und damit auch die einzige Welt, die sie kennen, zurückzulassen“. Erna räumte zwar ein, dass es unmöglich ist, exakte Zahlen zu benennen, da sich die Gemeinden so stark abschotten, sie ist jedoch überzeugt, dass die Missbrauchsrate in den Altkolonien höher ist als in den USA, wo zum Beispiel eine von vier Frauen noch vor ihrem 18. Lebensjahr sexuell missbraucht wird. Erna hat ihr ganzes Leben in diesen Gruppen verbracht—sie wurde in einer Mennonitenkolonie in Paraguay geboren, wuchs in Kanada auf und lebt seit acht Jahren in Bolivien. Über die Altkolonierfrauen, denen sie in den vergangenen Jahren begegnet ist, sagt sie: „… es waren eher mehr als weniger Missbrauchsopfer unter ihnen.“ Sie hält die Kolonien für „einen Nährboden sexuellen Missbrauchs“, unter anderem deshalb, weil Altkolonierfrauen in dem Glauben aufwachsen, dass sie es akzeptieren müssen. „Der erste Schritt besteht immer darin, sie erkennen zu lassen, dass ihnen Unrecht getan wurde. Es passierte ihnen, es passierte ihren Müttern und Großmüttern, und man hat ihnen immer nur gesagt, dass sie irgendwie damit zurechtkommen müssen.“ Andere, die sich mit dem Thema Missbrauch in Altkolonien befassen, zögern, wenn es um genaue Fallzahlen geht, aber meinen, die Art und Weise wie Missbrauch in den Altkolonien erfahren wird, mache ihn dort zu einem noch schlimmeren Problem als an anderen Orten der Welt. „Diese Mädchen bzw. Frauen kennen keinen Ausweg“, sagte Eve Isaak, eine Psychologin und Sucht- und Trauerberaterin, die sich um Altkolonie-Mennonitengemeinden in Kanada, den USA, Bolivien und Mexiko kümmert. „In jeder anderen Gesellschaft weiß ein Kind spätestens in der Grundschule, dass es sich bei Missbrauch wenigstens theoretisch an die Polizei oder einen Lehrer wenden kann oder eine andere Autorität. Aber wem können sich diese Mädchen anvertrauen?“ Obwohl es ursprünglich nicht vorgesehen war, sind die Kirchen in den Altkolonien zu einer Art De-facto-Staat geworden. „Die Migration der Altkolonier kann nicht nur als eine Bewegung fort von den Übeln der Gesellschaft verstanden werden, sondern auch als eine Bewegung in Länder, die den Kolonisten gestatten, so zu leben, wie sie wollen“, sagte Helmut Isaak, Eves Ehemann, Pastor und Professor für anabaptistische Geschichte und Theologie am CEMTA, einem Seminar in Asunción, Paraguay. Er erklärt, dass Altkolonier, bevor sie in ein neues Land einwandern, Delegationen schicken, um mit den Regierungen Bedingungen auszuhandeln, die ihnen fast völlige Autonomie gestatten, insbesondere im Bereich der kirchlichen Strafverfolgung. In der Tat waren die Serienvergewaltigungen der einzige Fall, bei dem eine bolivianische Altkolonie in einer internen Angelegenheit um Hilfe von außen nachgesucht hat. Die Einwohner Manitobas erzählten mir, sie hätten die Bande 2009 der Polizei übergeben, da die Ehemänner und Väter der Opfer so wütend gewesen seien, dass sie die Angeklagten vermutlich gelyncht hätten. (Ein mutmaßlich involvierter Mann wurde in einer Nachbarkolonie gefasst, gelyncht und starb später an seinen Verletzungen.) Die Leitung der Altkolonie leugnete mir gegenüber, dass ihre Gemeinden ein anhaltendes Problem mit sexuellem Missbrauch hätten und betonte, dass man solche Vorfälle, falls es überhaupt dazu käme, intern regle. „Zu [Inzest] kommt es hier fast nie“, erzählte mir Prediger Fehr, als wir uns eines Abends bei Sonnenuntergang auf seiner Veranda unterhielten. Er sagte, dass es in seinen 19 Jahren als Prediger in Manitoba nur zu einem Fall inzestuöser Vergewaltigung gekommen sei (ein Vater fiel über seine Tochter her). Ein anderer Prediger leugnete sogar diesen Vorfall. „Sie verzeihen jede Menge grausige Sachen, die die ganze Zeit in den Familien passieren“, sagte Abraham Peters, Vater des jüngsten verurteilten Vergewaltigers, Abraham Peters Dyck, der zurzeit etwas außerhalb von Santa Cruz im Palmasola Gefängnis sitzt. „Brüder mit Schwestern und Väter mit Töchtern.“ Er glaubt, wie er mir sagte, sein Sohn und die gesamte Bande seien verleumdet worden, um den weitverbreiteten Inzest in der Kolonie Manitoba zu vertuschen. Abraham Senior lebt immer noch in Manitoba; in der Zeit unmittelbar nach der Verhaftung seines Sohnes wollte er wegen der Feindseligkeit der übrigen Gemeinde wegziehen. Doch mit einer zwölfköpfigen Familie umzuziehen erwies sich als zu kompliziert, also blieb er und räumte ein, dass er im Laufe der Jahre trotz seiner Ansichten über die Verhaftung seines Sohnes von der Kolonie wieder akzeptiert wurde. Für Agnes sind die beiden Verbrechen zwei Seiten derselben Medaille. „Die Vergewaltigungen, der Missbrauch, das hängt alles zusammen“, sagte sie. „Bei diesen Vergewaltigungen war es anders, weil die Vergewaltiger nicht aus den Familien kamen, und deshalb haben die Prediger so gehandelt.“ Natürlich versucht die Gemeindeleitung, unangemessenes Verhalten zu korrigieren. Zum Beispiel im Fall von Agnes’ Vater: Einmal wurde sein Missbrauch an seinen Enkelinnen von der Kirchenleitung öffentlich gemacht. Wie es das Prozedere verlangt, ging er zu den Predigern und zum Ältesten, der ihn zur Beichte aufforderte. Er beichtete und wurde „exkommuniziert“, d. h. für eine Woche vorübergehend der Kirche verwiesen. Danach hatte er die Möglichkeit zurückzukehren, wenn er versprach, es nie wieder zu tun.

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Johan Weiber, an seinem Pick-up lehnend, ist der De-facto-Anführer einer mennonitischen Dissidentengruppe in Manitoba.

„Natürlich machte er danach weiter“, berichtete Agnes über ihren Vater. „Er lernte nur, es besser zu vertuschen.“ Sie erzählte mir, sie vertraue „niemandem, der nach einer Woche behauptet, er habe sein Leben umgekrempelt“, und fügte hinzu, „Ich glaube nicht an ein System, das solches toleriert.“ Jüngere Täter haben es sogar noch leichter. Laut Agnes beichtete der Bruder, der sie vergewaltigt hatte, seine Sünden bei seiner Taufe und war in den Augen Gottes sofort reingewaschen. Er lebt jetzt mit eigenen kleinen Töchtern in der benachbarten Altkolonie Riva Palacios. Wenn ein Missbrauchstäter exkommuniziert und wieder aufgenommen wird, geht die Kirchenleitung davon aus, die Angelegenheit sei erledigt. Macht ein Missbrauchstäter jedoch schamlos weiter und weigert sich zu büßen, wird er noch einmal exkommuniziert, und dieses Mal auf Dauer verstoßen. In der Folge fordert die Gemeindeleitung die Kolonie auf, die Familie zu isolieren; der Gemischtwarenladen verkauft ihr nichts mehr, die Kinder werden der Schule verwiesen. Schließlich bleibt der Familie nichts anderes übrig, als wegzuziehen. Das bedeutet natürlich auch, dass die Opfer mit ihren Peinigern weggehen. Es war jedoch nicht der sexuelle Missbrauch, der Agnes und ihre Familie schließlich dazu bewegte, Manitoba 2009 zu verlassen. Vielmehr hatte ihr Mann sich ein Motorrad gekauft. Danach wurde er exkommuniziert und seine Familie geschnitten. Als der kleine Sohn der Familie in einem Kuhtrog ertrank, erlaubten die Gemeindeleiter ihrem Mann nicht einmal, bei der Beerdigung seines eigenen Kindes dabei zu sein. Damals verließen sie Manitoba für immer. Letztendlich erschien der Kolonieleitung Motorradfahren als ein wesentlich größerer Affront als all das, was Agnes, ihre Töchter oder die anderen Frauen der Gemeinde erlitten hatten. Eine Kolonie wie Manitoba zusammenzuhalten, wird in der modernen Zeit immer schwieriger. Agnes und ihre Familie sind nicht als einzige geflohen. Tatsächlich leben in der nahegelegenen Stadt Santa Cruz viele Mennonitenfamilien, die die Nase von der Lebensweise in der Altkolonie voll hatten—und die Situation erreicht vielleicht gerade einen kritischen Punkt. „Wir möchten nicht länger ein Teil hiervon sein“, erklärte mir ein junger Vater namens Johan Weiber an dem Tag, als ich ihn in seinem Heim in Manitoba besuchte. Johan und seine Familie waren eine von 13 anderen Familien, die immer noch in der Kolonie lebten, aber die Altkolonierkirche offiziell verlassen hatten. Monatelang hatten sie sich bereit erklärt zu gehen—sie besaßen sogar Fahrzeuge—doch die Kolonieleitung Manitobas weigerte sich, sie für das zurückgelassene Land zu entschädigen. Also hatten sie beschlossen, ihre Dissidentenkirche stattdessen in Manitoba zu bauen. „Wir [verlassen die Altkolonierkirche und gründen unsere eigene], weil wir die Wahrheit gelesen haben“, sagte Johan. Mit „Wahrheit“ meinte er die Bibel. „Sie sagen uns, wir sollen die Bibel nicht lesen, denn wenn wir es tun, merken wir, dass dort zum Beispiel nirgends etwas davon steht, dass Frauen ihre Haare auf diese bestimmte Art flechten müssen“, sagte er mir an seinen weißen Pick-up gelehnt, während seine Tochter, ein kleines Mädchen mit Pferdeschwanz, im Garten spielte. Da mich die Besonderheiten der religiösen Unterweisung in Manitoba interessierten, nahm ich an einem Sonntag am Gottesdienst in einer der drei unscheinbaren Backsteinkirchen der Kolonie teil. Ich bemerkte schnell, dass die feierliche, 90-minütige Zeremonie nicht zu den Prioritäten gehört. Haushaltsvorstände nehmen zwei-, dreimal im Monat teil, aber viele gehen noch viel seltener hin. Für Kinder besteht der Kernlehrplan aus der Lektüre ausgewählter Bibelstellen, aber abgesehen von einem stillen 20-Sekunden-Gebet vor und nach den Mahlzeiten gibt es in der Welt der erwachsenen Altkolonier keine speziellen Zeiten oder Vorschriften für Gebete oder Bibelstudien. „Viele [Menschen] haben ihre Bibelkenntnisse verloren“, bedauerte Helmut Isaak, der mennonitische Historiker. Er erklärte, dass im Laufe der Zeit, als die Mennoniten ihren Glauben nicht mehr ständig gegen Verfolger verteidigen mussten, andere, praktischere Dinge in den Vordergrund gerückt waren. „Um überleben zu können, mussten sie arbeiten.“ Das hat zu einer entscheidenden Machtverschiebung geführt: Der kleine Kreis der Kirchenvorsteher war nunmehr allein für die Bibelauslegung in den Altkolonien zuständig, und da die Bibel Gesetz ist, nutzen die Vorsteher ihre Kontrolle über die Heilige Schrift, um Ordnung und Gehorsam zu sichern. Die Prediger wehren sich gegen diesen Vorwurf: „Wir ermutigen unsere Mitglieder, sich mit dem Heiligen Buch vertraut zu machen“, erzählte mir Prediger Jacob Fehr eines Abends. Aber die Einwohner geben im Stillen zu, dass Katechismusunterricht nicht gefördert werde und die Bibeln auf Hochdeutsch verfasst seien, eine Sprache, an die die meisten Erwachsenen sich nach ihrer kurzen Schulzeit kaum noch erinnern, während plautdietsche Ausgaben manchmal verboten werden. In einigen Altkolonien müssen Mitglieder mit Exkommunikation rechnen, wenn sie sich zu gründlich mit der Heiligen Schrift befassen. Daher war Johan Weiber eine solche Bedrohung, die sowohl die Vorsteher als auch die Gemeinde als Ganzes in Angst und Schrecken versetzte. Er erinnerte sie auch an die schwierige Geschichte der Altkolonien. „Genau das war auch in Mexiko passiert, und daher kamen wir [nach Bolivien]“, erzählte Peter Knelsen, ein 60-jähriger Manitobaner, der als Teenager mit seinen Eltern aus Mexiko gekommen war. Es war nicht nur die Regierung, die die Altkolonien mit Reformen bedrohte, sondern auch eine evangelikale Bewegung von innen, die versuchte „unseren Lebensstil zu ändern“, sagte Peter und berichtete, dass die Dissidenten auch in seiner Kolonie in Mexiko versucht hatten, ihre eigene Kirche zu bauen. Mehr als 40 Jahre lang waren die bolivianischen Altkolonier einer internen Spaltung entgangen. Doch Johan Weibers Versuch, seine eigene Kirche zu gründen—er forderte auch Farmland in Manitoba und ein Grundstück für seine eigene unabhängige Schule—erschien Peter und anderen als bevorstehende „Apokalypse“. Die Spannungen führten im Juni nach meinem Besuch fast zur Explosion, als Johans Gruppe den ersten Spatenstich für ihre Kirche tat. Kurz nach Baubeginn kamen über 100 Manitobaner zur Baustelle und nahmen alles Stück für Stück wieder auseinander. „Ich glaube, es wird wirklich schwer, die Kolonie intakt zu halten“, sagte Peter mir. Wenn die Kluft größer wird, und die Krise ihren Höhepunkt erreicht, wissen die Manitobaner allerdings schon, was zu tun ist. Jahrhunderte zuvor blieb den ursprünglichen, in Europa verfolgten Mennoniten nur die Wahl zwischen: Kampf oder Flucht. Aufgrund ihres Bekenntnisses zum Pazifismus flohen sie—und haben es seither immer wieder genauso gemacht. Die Vorsteher Manitobas hoffen, dass es nicht so weit kommt. Vermutlich auch, weil Bolivien eines der letzten verbliebenen Länder ist, das sie nach ihren Regeln leben lässt. Im Moment, sagt Prediger Jacob Fehr, bete er. „Wir wünschen uns nur, dass [Weibers Gruppe] die Kolonie verlässt“, sagte er. „Wir möchten einfach unsere Ruhe haben.“

Heinrich Knelsen Kalssen, einer der Vergewaltiger, wird in Santa Cruz, Bolivien, von der Polizei aus dem Gerichtssaal geführt.

An meinem letzten Tag in Manitoba bekam ich einen Schock. „Du weißt, dass es immer noch passiert, oder?“ fragte mich eine Frau, als wir an ihrem Haus Eiswasser tranken. Es war kein Mann in der Nähe. Ich hoffte, etwas sei bei der Verdolmetschung untergegangen, doch meine Plattdeutschdolmetscherin versicherte mir, dass das nicht der Fall war. „Die Vergewaltigungen mit dem Spray—sie gehen immer noch weiter“, sagte sie. Ich bombardierte sie mit Fragen: Ist es ihr passiert? Wusste sie, wer es war? Wussten alle, dass es passierte? Nein, sagte sie, sie seien nicht in ihr Haus zurückgekehrt, aber in das einer Cousine—vor Kurzem. Sie sagte, sie sei sich ziemlich sicher, wer es sei, wollte mir aber keine Namen nennen. Und sie glaubte, ja, die meisten Menschen in der Kolonie Manitoba wüssten, dass die Inhaftierung der ursprünglichen Vergewaltiger dem Serienverbrechen kein Ende gesetzt hatte. Ich fühlte mich wie in einer merkwürdigen Zeitschleife gefangen. Nachdem die Leute mir in Dutzenden Interviews erzählt hatten, dass nun alles wieder gut sei, war ich mir nicht mehr sicher, ob es sich nur um Klatsch und Tratsch handelte, Gerüchte, Lügen, oder—viel schlimmer—die Wahrheit. Ich verbrachte den Rest des Tages damit, wie verrückt nach einer Bestätigung für diese Aussage zu suchen. Ich besuchte viele Familien, die ich zuvor interviewt hatte, noch einmal, und die Mehrheit gab ein bisschen belämmert zu, ja, sie hätten die Gerüchte gehört, und ja, sie hielten sie für wahrscheinlich wahr. „Es passiert definitiv weniger oft“, sagte später ein junger Mann, dessen Frau vor 2009, während der ersten Serie, vergewaltigt worden war. „[Die Vergewaltiger] sind viel vorsichtiger als früher, aber es geht immer noch weiter.“ Er erzählte mir, er habe auch einen Verdacht bezüglich der Identitäten der Täter, wollte aber keine weiteren Details nennen. Als der Fotograf dieser Reportage, Noah Friedman-Rudovsky, im Anschluss nach Manitoba reiste, ließen sich fünf Personen von ihm interviewen—darunter drei Manitobaner sowie der örtliche Staatsanwalt und ein Journalist—und bestätigten, von den fortgesetzten Vergewaltigungen gehört zu haben. Diejenigen, mit denen ich gesprochen hatte, sagten, sie sähen keine Möglichkeit, die mutmaßlichen Angriffe zu unterbinden. Es gibt in der Gegend immer noch keine Polizei, und es wird nie ein proaktives Element oder eine Ermittlungsbehörde geben, die Straftatanschuldigungen nachgehen kann. In den Kolonien steht es jedem frei, jemand anderen bei den Predigern anzuzeigen, doch der Umgang mit Verbrechen basiert auf einem System der Ehrenhaftigkeit: Ist ein Straftäter nicht bereit, seine Sünden zu beichten, wird stattdessen die Glaubwürdigkeit des Opfers bzw. Anklägers infrage gestellt … und die Frauen in Manitoba wissen bereits, wie das läuft. Die einzige Möglichkeit, sich zu wehren, so die Einwohner, seien bessere Schlösser und Riegel an den Fenstern oder große Stahltüren, wie die, hinter der ich jede Nacht geschlafen hatte. „Wir können keine Straßenlaternen oder Videokameras installieren“, erklärte der Ehemann eines Vergewaltigungsopfers—beides sind verbotene Technologien. Damit es aufhört, so glauben sie, müssten sie wie zuvor jemanden auf frischer Tat ertappen. „Das heißt, wir müssen wohl abwarten“, sagte er. Am Tag vor meiner Abreise aus Manitoba besuchte ich Sara noch einmal, die Frau, die vor fast fünf Jahren mit Stricken an ihren Handgelenken aufgewacht war. Sie sagte, sie habe auch von den Gerüchten über die fortgesetzten Vergewaltigungen gehört und seufzte tief. Sie und ihre Familie waren in ein neues Haus gezogen, nachdem die neunköpfige Bande 2009 gefasst worden war. Das alte Haus steckte voll böser Erinnerungen. Sie sagte, bei dem Gedanken, dass nun andere die Schrecken durchmachen müssten, die sie erlebt hatte, gehe es ihr schlecht, aber sie wisse nicht, was zu tun sei. Letztendlich sei ihre Zeit auf Erden, wie die aller Mennoniten, eine Zeit des Leidens. Bevor ich ging, sagte sie mir noch ein paar Worte, die wohl Trost spenden sollten: „Vielleicht ist es Gottes Wille.“

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