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Steuerung, ALT, Entfernen

Die Wissenschaft sagt: Schließt die Foren von Standard und Krone!

Erst am Sonntag sorgte das Krone.at-Forum wieder für Aufsehen wegen einigen Nazi-Späßen zur Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa. Eine neue Studie legt nahe, dass negative User-Kommentare auch unsere Wahrnehmung von Artikeln negativ beeinflussen.

Ein ziemlich altes Meme aus jener Zeit, als man noch Sprichwörter dazu sagte, lautet: Wie man in den Wald hinein schreit, so kommt es auch zurück. Früher habe ich nie ganz verstanden, was damit gemeint war—einerseits, weil Wälder kommunikativ noch eingeschränkter sind, als die Leute, die in sie hineinschreien und andererseits, weil es in einem Wald dank dem Blätterdickicht ja nicht mal Echo gibt, wodurch dem Satz auch noch der letzte Sinn entzogen wird.

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Für mich bedeutete die Aussage deshalb sinngemäß eher: Überleg dir gut, in welche Richtung du deine Aussagen richtest, weil sie sonst in einem dunklen Loch aus raschelndem Durcheinander und dampfender Tierkacke verschwinden. Seit dem Aufkommen von Internet-Foren, Web 2.0 und damit auch der Kommentarfunktion auf so ziemlich jeder Website, die nicht der Regierung (oder dem ORF) gehört, habe ich ein wenig das Gefühl, dass das die eigentlich richtigere Interpretation war.

Scheinbar bin ich damit nicht alleine. Die Angst vor dem dunklen Loch, das immer mehr raschelt und immer mehr nach Kacke riecht (die nicht immer von einem Shitstorm herrühren muss), ist sogar so groß, dass jetzt die ersten Medien die Hineinschreier zum Schweigen bringen und den virtuellen Wald vor ihrer eigenen Türe gleich ganz abholzen wollen. Soll heißen: Die Diskussion um die Kommentarfunktion (vor allem auf redaktionellen Websites) wird wieder mal heiß aufgegossen.

Vor kurzem verkündete nämlich das Wissenschaftsportal Popular Science, dass es genug von der Zweiweg-Kommunikation auf ihrer Website hat und ab sofort die Kommentarfunktion unter ihren Artikeln einstellen wird. Grund dafür ist dieser Gastkommentar in der New York Times, der sich wiederum auf diese Studie bezieht, in der es darum geht, dass negative Nutzer-Kommentare auch negativ auf die Wahrnehmung des gesamten kommentierten Artikels abstrahlen.

Das klingt vielleicht ein wenig esoterisch, ist aber eigentlich knallharte Beobachtung (auch wenn das, was hier beobachtet wurde, teilweise esoterisches Verhalten von religiösen Spinnern war, aber egal). In der Studie ging es konkret darum, wie Kommentare unter wissenschaftlichen Artikeln die Risiko-Wahrnehmung gegenüber neuen Technologien verändern. Das Ergebnis lautete: ziemlich stark und ziemlich negativ.

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Getestet wurde das am Beispiel eines nüchternen Artikels zum Thema Nano-Technologie. Je mehr User einen Artikel negativ kommentierten—vermutlich mit Sätzen wie "Wer seid ihr, dass ihr hier Gott spielt", "BELIEBIGES EINSTEIN-ZITAT ÜBER GOTT" oder "Google Chemtrails!"—, umso mehr Leser korrigierten ihre Einstellung gegenüber der Thematik selbst ins Negative.

Das Entscheidende und vielleich auch ein bisschen Überraschende dabei ist, dass negative Kommentare auch die Meinungsbildung von Menschen beeinflussen, die mit eben diesen Kommentaren inhaltlich nicht übereinstimmen. Anders gesagt: Nicht nur FPÖ-Wähler nehmen einen positiven bis neutralen Artikel über das Refugee Protest Camp schlechter wahr, wenn FPÖ-Wähler diesen negativ kommentieren, sondern auch andere, vernunftbegabte Menschen ohne Erkenntnisresistenz und mit einem rudimentär vorhandenen Großhirn.

Man muss nicht gerade Umberto Eco oder irgendein anderer Semiotik-Sensei sein, um zu verstehen, dass dasselbe Phänomen auch abseits von Fachartikeln über Nano-Technologie zum Tragen kommt. Die Botschaft hinter der Empirie: Wenn wir uns unsere ernsthaften Inhalte nicht durch doofen Diskurs verderben lassen wollen, müssen wir die Diskussion darum am besten gleich ganzheitlich unterbinden (oder zumindest vor die Tür verweisen).

Bei einem Wissenschaftsportal mit Artikeln über Themen, die nur ein paar wiedergeborene Christen und radikale Muslime aufregen, kann man sich mit dieser Vorstellung vielleicht noch anfreunden. Ein bisschen anders sieht es aber schon aus, wenn wir uns die Tragweite einer solchen Entscheidung am Beispiel anderer, tagesaktueller Medien anschauen: Wie demjenigen, das als erstes in Österreich auf seiner Website ein eigenes Forum eingeführt hat—nämlich DerStandard.at—oder demjenigen, das erst am Sonntag wieder durch schenkelklopfende Nazi-Kommentare zur Flüchtlingskatastrophe von Lampedusa den Schlund zur österreichischen Mentalitätskoloskopie öffnete—sprich Krone.at.

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Wahrscheinlich würden auch hier mehr als nur ein paar Trolljäger die Schließung begrüßen, aber mindestens genauso viele würden schnell auf anderen Websites selbst zu Trollen werden und unter Artikeln über die Schließung der Standard.at- oder Krone.at-Kommentare eine solche Entscheidung "demokratiepolitisch bedenklich" (oder, viel häufiger, "Faschistoide Nazischeiße") nennen. Die grundlegende Frage bei der gesamten Diskussion ist also: Steht für uns bei der Online-Berichterstattung das Demokratieprinzip oder die unverfälschte Ursprungs-Information im Vordergrund?

Natürlich hängt an diesem ersten Anflug von Troll-Rhetorik noch ein ganzer Rattenschwanz an weiteren Fragen: Soll und darf man das Internet immer stärker regulieren? Funktioniert Demokratie selbst wie ein moderiertes Forum? Was ist das kleinere Übel—eingeschränkte "Redefreiheit" oder eingeschränkte Informations-"Reinheit"? Wie viele Kommentare dauert es wirklich, bis Adolf Hitler als Argument ausgespielt wird? Und gibt man mit einem Artikel über die "Nasty Effect"-Studie (wie diesem hier) nicht eigentlich den Web-Wauwaus vom Bundeskommunikationssenat noch ein Instrument mehr in die Hand, um den ORF auf ewig an das Web 1.0 zu ketten?

Die Wirklichkeit ist wie immer nicht ganz so binär. In ihrer Rechtfertigung erklärte Popular Science nämlich auch, dass jederzeit die Möglichkeit besteht, die Trollbüchse der Pandora für einzelne Artikel doch wieder zu eröffnen—nur standardmäßig würde man diese Funktion eben deaktivieren. Genau diese selektive Öffnung der Kommentar-Tore würde bei Standard oder Krone aber erst recht zu Problemen führen.

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Während bei wissenschaftlichen Artikeln die Frage "Kommentare: ja/nein?" anhand einiger ganz weniger Kriterien beantwortet werden kann ("Wenn wissenschaftlicher Output wichtig, nein; wenn gesellschaftlicher Input wichtig, ja"), müsste sich ein Medium schon etwas mehr dafür rechtfertigen, wie es die gesellschatfliche—und immer ein bisschen geschmäcklerische—Gewichtung ihrer Inhalte vornimmt. Wer entscheidet bei Nachrichten, was für wen auf welche Art relevant ist?

Vielleicht ist die Antwort aber auch ganz einfach. So sehr das alles auf den ersten Blick nach demokratischen Kardinalsfragen klingt, geht es in Wahrheit nur um erlerntes Nutzungsverhalten. Keiner verbietet oder unterbindet Diskussionen per se; auch Popular Science fordert seine Leser explizit dazu auf, weiterhin auf ihrer Facebook-Seite und via Twitter mitzureden. Stattdessen wird nur versucht, die völlig willkürliche Zuschreibung "Unteres Ende von News-Artikeln = Plattform für User-Meinungen" zu durchbrechen und den Benutzer-(Scheiße-)Sturm in den sozialen Windkanal umzuleiten beziehungsweise ihn dorthin zu bündeln.

Man könnte diese Bestrebung hin zu objektivierten News-Meldungen auch damit argumentieren, dass neben Google-Suchergebnissen ebenfalls keine Kommentare möglich sind und dieser Umstand auch nicht gleich als antidemokratisch und bevormundend empfunden wird (obwohl ich mir sicher bin, dass auf mindestens einem Dachboden bereits ein 35-jähriger Wutbürger an einem Blog zum Thema bastelt).

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Manche wird diese Diskussion wahrscheinlich nie betreffen. VICE zum Beispiel ist schon in der Berichterstattung so subjektiv, dass wir uns unter unseren Artikeln gar keine Objektivität leisten können. Nachrichtenmedien wie DerStandard.at (und so ziemlich alle anderen Tagesmedien, egal ob on- oder offline) müssen sich aber auf lange Sicht überlegen, wie viel ihnen ihre Aufklärungsrolle wert ist und welchen langfristigen Preis sie für kurzfristiges Crowd- oder auch nur Troll-Pleasing zu zahlen bereit sind.

Der aktuelle Fall von Kontrollverlust und anschließender Forumsschließung bei der Krone, wo die "Mia san mia"-Schicklgruberia mit Stammtischwürze gegen das Schicksal der vor Lampedusa Ersoffenen Stimmung machte, ist zwar nur ein weiteres Symptom der ursprünglich kränkelnden Grundsatzfrage nach freier Meinungsäußerung und unfreier Informationsmoderation—aber er legt auch nahe, dass man die Geister nicht milde stimmt, indem man ihnen ein Portal öffnet.

Ich würde ja gerne dazu aufrufen, die Fragen unter diesem Beitrag zu diskutieren. Aber ich fürchte, ich weiß es besser

Markus auf Twitter: @wurstzombie


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