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Heimlichkeit, Dark Rooms und patriotische Drag Queens – eine Nacht in Moskaus LGBT-Szene

Trotz Putins Anti-Homosexuellen-Gesetzen gibt es noch Hoffnung für die russische LGBT-Gemeinschaft.

Alle Fotos wurden von der Autorin im Laufe der Nacht geschossen.

Ich befinde mich in Moskau und es schlägt Mitternacht. Ich trotte durch die verlassenen Seitenstraßen der Stadt und alles ist mit grauem Schnee bedeckt. Wir bleiben vor einem Gebäude stehen, das irgendwie nicht wie ein geeigneter Ort für eine Party-Location anmutet, aber dieser Club ist anders. Wir befinden uns auf einer Tour durch Moskaus LGBT-Szene—eine Welt, die viele Russen lieber verschwinden lassen oder zumindest vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen wollen.

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„Die Leute gehen in diese Bars, um ihre Homosexualität frei auszuleben. Dort können sie ganz sie selbst sein", erzählt mir meine russische Freundin Sasha (Name geändert) noch bevor ich in die Nacht starte. „Du musst allerdings immer auf der Hut sein—man weiß nie, ob draußen nicht ein Schlägertrupp wartet. Das ist mir schon einmal passiert. Ich habe mir dann irgendeine Geschichte aus den Finger gesaugt, die sie mir abgekauft haben. Rufe dir auf keinen Fall direkt vorm Club ein Taxi."

John (Name ebenfalls geändert), mein Fremdenführer für die Nacht, beruhigt mich jedoch schnell wieder. „Moskau ist die schwulste Stadt, in der ich jemals war", sagt er. John kommt ursprünglich aus dem Vereinigten Königreich und ging für sein Studium nach Russland. Nach seinem Abschluss zog er dann nach Moskau, um dort als Englischlehrer zu arbeiten. Für ihn bestand trotz Russlands berüchtigter Anti-Homosexuellen-Gesetze kein Zweifel daran, dort zu bleiben: „Man muss nur wissen, wo man hingeht."

Wir beginnen die Nacht im größten und berüchtigsten Homo-Club Moskaus—das Central Station. Der Club befindet sich in einer unbescholtenen Seitenstraße weit außerhalb des Stadtzentrums und zeigt sich so offen homosexuell, wie es im modernen Moskau nur möglich ist. Die neue Location wurde aus Sicherheits- und nicht aus Style-Gründen gewählt: Ende 2013 durchlöcherte eine Gruppe Männer die Außenfassade des alten Clubs mit Kugeln. Ein paar Wochen später wurde im Gebäude ein gesundheitsschädliches Gas freigesetzt, während sich mehr als 500 Menschen darin aufhielten. Auf die Spitze getrieben wurde das Ganze, als mehrere Typen versuchten, die Decke des Clubs einstürzen zu lassen, um die darin befindlichen Leute darunter zu begraben.

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„Die Angriffe waren für mich ein richtiger Schock", erzählt mir John. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Fenster inzwischen kugelsicher sind. Dazu befindet sich der Club jetzt zehn Minuten von der nächsten U-Bahn-Station entfernt. Und das hat auch einen guten Grund: Wenn man wirklich Ärger machen will, dann muss man jetzt richtig Einsatz zeigen."

Wir sind absichtlich früh dran, denn wenn wir heute Nacht irgendwo abgewiesen werden sollten, dann im Central Station. Immerhin handelt es sich dabei um einen Männer-Club und Frauen—egal ob lesbisch oder nicht—wird oft der Eintritt verwehrt. Wenn man Glück hat und auch als Geschöpf ohne Penis rein darf, dann muss man allerdings tief in die Tasche greifen: Frauen müssen an der Kasse bis zu 2500 Rubel (40 Euro) aus dem Geldbeutel holen.

Wir verlassen den Club wieder und machen uns auf in Richtung Stadtzentrum. Unsere nächste Bar befindet sich in einem ruhigen Hinterhof und hat einen Namen über der Tür. Ansonsten erscheint alles aber viel diskreter. Innen drin ist der Boden voller weißer Styropor-Bällchen—es soll wohl so aussehen, als hätte es geschneit. Wir hoffen beide sofort inständig, dass der Dark Room nicht genauso dekoriert ist. Die Fenster scheinen hier nicht aus kugelsicherem Glas zu bestehen, aber die Toiletten sind mit mehreren regenbogenfarbenen Werbestickern für „sichere LGBT-Taxis" zugeklebt.

Hier ist der wirkliche Publikumsmagnet der Auftritt der Drag Queens. Da ein Masleniza-Spezialprogramm (quasi die russisch-orthodoxe Version der Fastnacht) auf dem Programm steht, ist die Bühne voll mit traditionellen russischen Samowaren und Essen. „Ich habe keine Ahnung, warum Drag Queens hier so beliebt sind", meint John zu mir. „Aber in fast jeder Bar ist eine zu finden. Vielleicht liegt das daran, dass es in anderen Ländern auf Drag Queens spezialisierte Etablissements gibt. Hier existieren jedoch viel zu wenige Clubs, um sich auf nur eine Sache zu spezialisieren. Hier gibt es in fast jeder Bar die gleichen drei Dinge: eine Drag Queen, eine Karaoke-Bar und einen Dark Room."

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So langsam verstehe ich, was Sasha meinte, als sie zu mir sagte, dass die offizielle Szene „ziemlich eintönig" wäre. Abgesehen von der kreativen Bodendekoration unterscheidet sich diese Bar kaum vom Central Station (und allen anderen Moskauer LGBT-Clubs, in denen ich war): Die Musik, die Auftritte und das Erlebnis sind überall gleich. Das Risiko und die Gefahren haben die LGBT-Clubs der Stadt zwar noch nicht komplett verschwinden lassen, aber deren Anzahl und die angebotene Vielfalt ist dennoch drastisch zurückgegangen.

Veronika, die Moderatorin dieser Nacht, kommt unter frenetischem Jubel auf die Bühne und imitiert dabei russische Pop-Hits. „Künstlerinnen wie Lady Gaga sind hier bei den Homosexuellen gar nicht so beliebt", ruft mir John über den Applaus hinweg zu. „Es dreht sich alles um russische Musik. Viele sowjetische Lieder sind ebenfalls richtig beliebt. Russische Sängerinnen wie Alla Pugatschowa haben hier viele homosexuelle Fans."

Veronikas Auftritt endet, als sie zu dem Sowjet-Klassiker Kalinka tanzt. „Schöne Feiertage, Bitches!", ruft sie uns am Ende des Liedes noch zu und macht anschließend die winzige Bühne für die nächste Künstlerin frei.

Vor 8 Uhr morgens macht der Club nicht zu, also gehen wir schon wieder recht früh. Wir haben eine erfolgreiche Nacht hinter uns und beim Flanieren über die Hauptstraße zeigt mir John noch alle Hetero-Bars, in denen ebenfalls inoffizielle LGBT-Partys gefeiert werden. Das macht einen fast so etwas wie zuversichtlich. Die Offenheit von Hetero-Clubs bietet Homosexuellen eine größere Auswahl an Etablissements und dazu noch einen gewissen Grad an Freiheit. Das Ganze kann optimistisch als ein Zeichen dafür angesehen werden, dass Russlands LGBT-Gemeinschaft nicht für immer im Verborgenen verharren muss.

Da wir als Frau und Mann unterwegs sind, trauen wir uns, ein normales Taxi zu rufen. „Die homophoben Übergriffe werden mich nicht davon abhalten, wegzugehen", meint John zu mir. „Um ehrlich zu sein, habe ich keine wirkliche Angst, wenn ich in den LGBT-Bars von Moskau unterwegs bin. Die unterschwellige Sorge, dass irgendjemand vor dem Club wartet—also die Gangs, die einen zusammenschlagen wollen—, ist aber trotzdem immer präsent. Dieses Gefühlt wird wohl niemals verschwinden."