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Eine Abrechnung mit der traurigen Generation der Ewig-Jungen

Warum wir eine Armee von First-World-Nichtsnutzen sind, die in einem ​Teufelskreis der Unreife feststecken.
Gruppe von Jugendlichen beim Feiern

Die Vorstellung davon, nur für das Wochenende zu leben, ist nichts Neues. Die Geschichte unserer sogenannten „Jugendkultur" ist in Wahrheit nur die Geschichte von jungen Menschen, die es nicht schaffen, ihren Alltag und ihr soziales Leben unter einen Hut zu kriegen. Dabei spenden die rituellen Abläufe der Samstagabende und der freien Vormittage mehr Trost als eine Karriere, Kinder und so weiter. Wir sind nur auf der Suche nach ein paar Jahren voller Drogen, schnellem Sex, Schlägereien und verbalen Auseinandersetzungen, bevor wir schließlich genau wie unsere eigenen Eltern werden—ob es uns nun gefällt oder nicht.

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Verbringst du die ersten vier Tage der Woche damit, sinnlos durch Facebook zu scrollen, Twitter nach den neuesten moralischen Skandalen zu durchsuchen, mysteriöse Brustschmerzen auszukurieren und verzweifelt darauf zu warten, dass endlich die Zeit kommt, in deinem Stammlokal Zeug zu saufen, mit dem du normalerweise nicht einmal deine Autoscheiben enteisen würdest? Sorry, aber dein Weg, die Zeit totzuschlagen, ist nichts besonderes. Das Einzige, was dich von den vorhergehenden Generationen unterscheidet, ist der Teil mit Facebook. Das Problem des grenzenlosen Sich-gehen-Lassens gibt es bereits seit Jahrzehnten und ist ein unvermeidlicher Teil der spätkapitalistischen Situation—ein Symptom der end- und kriegslosen Nichtigkeit des modernen Lebens.

Schon in kulturellen Artefakten wie Saturday Night Fever, Quadrophenia oder Die grellen Lichter der Großstadt finden sich ähnliche Gefühle und Gedanken. Du und deine Freunde, ihr fühlt euch vielleicht wie ​Young Sou​l Rebels und seht einen höheren Sinn in eurem grenzenlosen Hedonismus, aber in Wahrheit kämpft ihr euch nur euren Weg durch ein Video der Band Hard-Fi. Komischerweise scheint man sich von diesem Rauschzustand eine Art vage Sicherheit zu versprechen. Du musst inzwischen nicht mehr die Christiane F. deines Schuljahrgangs sein, um als Druffie zu gelten. Selbst die Weicheier und Nerds haben das kapiert. Heutzutage ist Zügellosigkeit regelkonformer als Enthaltung.

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Das Konzept des Teenagers hat nun schon mehrere Jahrzehnte auf dem Buckel. Langsam kommt es aus der Mode. Einst wurde das Befriedigen dieses idiotischen, Freitags aufkommenden Drangs nach Exzess als eine essentielle und natürliche Phase angesehen, die junge Menschen nunmal durchmachen—eine Art existenzielle Pubertät, die schon vorbeigehen wird, wenn die Hangover irgendwann nichtmehr nur stundenlang, sondern tagelang anhalten. Inzwischen hat man allerdings das Gefühl, dass der Teil des Hinter-sich-Lassens mehr und mehr vergessen wird.

Nicht mehr nur Teenager und Studenten scheinen vor dem echten Leben davonzulaufen, sondern jetzt auch Leute zwischen 20 und 40—Leute, die es eigentlich besser wissen sollten, aber scheinbar keinen Alternativplan zu diesem Lebensentwurf haben. Das sind voll entwickelte, halbwegs funktionierende Erwachsene, die es nicht einsehen, diese endlosen Nächte aufzugeben, in denen sie ihr eigenes, gequältes Spiegelbild in der Toilette des Clubs anstarren, und eigentlich auch gar keinen wirklichen Grund dafür finden. Das sind Leute wie ich.

Das ist meine Generation—die Generation, die keine wirkliche Motivation zum Erwachsenwerden hat. Wir haben keine Kinder, die in uns Schuldgefühle aufkommen lassen, und keine Hypothek, die wir abbezahlen müssen. Unser Gesundheitswesen ist gut genug, um uns am Leben zu halten, und wir verdienen in unseren Jobs genügend Geld, um uns zu ernähren, eine Bleibe zu finden und die Körperhygiene nicht zu vernachlässigen. Nur das Geschrei unserer Chefs und die besorgten Anrufe unserer Familien lenken uns kurzzeitig vom noblen Streben nach dem nächsten Alkoholrausch ab. Wir sind eine Armee von First-World-Nichtsnutzen, die in einem ​Escher´schen Wa​sserfall der Unreife feststecken.

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Einer meiner Freunde hat letztens gelesen, dass es heutzutage unmöglich wäre, einen Film wie ​Big zu drehen, weil es jetzt normal sei, dass sich 30-Jährige immer noch wie Teenager benehmen. Es wäre jetzt nicht mehr witzig oder schockierend, wenn sich ein erwachsener Mann einen Flipper-Automaten zulegt oder im Büro Jeans trägt. Wahrscheinlich würde das nicht mal mehr funktionieren, wenn es sich um einen 40-Jährigen handelt.

Ich bin zwar noch keine 30, aber so weit bin ich davon auch nicht mehr entfernt. Wenn ich jetzt so mein Leben betrachte, dann ist es fast immer noch das Gleiche wie damals mit 17. Ich blicke auf den vergangenen Sommer zurück und er kommt mir wie eine wilde Mischung aus Umherziehen mit Kumpels, dem Exen von Dosenbier, dem Singen von Fußballliedern, den gecrashten Partys, den fehlgeschlagenen Flirtversuchen, dem Posten von sinnlosen Vines in unserer geheimen Facebook-Gruppe, dem Teilen von Drogen, dem Abfeiern von ​Under​world und dem Tragen von Jogginghosen. Ich befinde mich in einer Neuauflage des Films ​Goodbye Charlie​ Bright (bloß mit schlechter Besetzung) und habe keine Ahnung, wie ich da rauskomme.

Ein solches Verhalten ist zwar ohne Zweifel kathartisch und unterhaltsam, aber ich habe immer gedacht, dass ich mich in meinem jetzigen Alter anders benehmen würde. Als Teenager dachte ich, dass ich heute ein gemachter Mann wäre, der ein florierendes, aber trotzdem gebildetes Sozialleben hat, das vom gelegentlichen High-Society-Beaujolais-Besäufnis und von tiefsinnigen, reflektierenden Gedanken geprägt ist. Ich bildete mir nicht ein, dass ich schon verheiratet wäre und Kinder haben würde, aber ich dachte auch nicht, dass ich immer noch aus Cocktailbars rausgeschmissen werde, weil ich kurze Hosen trage.

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Sicherlich denkst du jetzt so etwas wie „Männlichkeitskrise", „Bindungsangst", „Quarter-Life Crisis" oder einfach nur „dummes Arschloch", aber meiner Meinung nach verschließt du so die Augen vor der eigentlichen Wahrheit. Du kannst zwar behaupten, dass es sich hier um ein Großstadtproblem handelt und alle Peter Pans, die dorthin ziehen, auf diesem Weg einfach nur ihre Jugendzeit so lange wie möglich ausreizen wollen. Aber selbst wenn du genau so alt bist und dich viel verantwortungsbewusster verhältst—die Leute verhalten sich überall so. Für mich besteht kaum Zweifel daran, dass diese weit verbreitete Generationsflucht vor dem Erwachsensein ein allgemeines Problem darstellt und uns definieren wird, wenn man in Zukunft über uns schreibt. Man wird davon erzählen, wie die traditionellen Wege raus aus unserer Jugend—nämlich Kinder, ein eigenes Haus und ein Job, bei dem man sich richtig reinhängt—dicht waren und wir deshalb in einem Zustand feststeckten, den man nur als fortwährendes Teenager-Dasein bezeichnen kann.

Wie so viele andere Bekannte auch, bin ich jetzt bereits älter als meine Eltern, als sie mich bekamen. Damals war alles anders: Mitte 20 klopfte die Verantwortung an die Tür und du musstest deine Jugend zurücklassen, um dein eigenes, schreiendes Ebenbild auf die Welt zu bringen. Erst Jahre später bist du auf einer Vespa oder in einem Audi TT zu diesem jugendlichen Leben zurückgekehrt und hattest dabei einen jungen Liebhaber, eine Thai-Braut und Scheidungspapiere im Gepäck.

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Heutzutage ist für meine Generation ein Drittel der durchschnittlichen Lebenserwartung bereits vorbei und den meisten von uns wird klar, dass die Phase zwischen 20 und 30 nur ein weiterer versoffener Lebensabschnitt ist und es für uns keinen Grund gibt, daraus auszubrechen.

Meinen Eltern fiel das Erwachsenwerden leichter. Es war ja auch kaum vermeidbar: Die Gesellschaft hat dich groß gezogen, ob dir das nun gefiel oder nicht. So wartete allerdings auch ein Leben auf dich, das über FIFA-Abende und Alkoholexzesse hinausging. Das war eine Zeit, in der selbst Leute aus der Arbeiterklasse und Leute, die keinen akademischen Abschluss vorzuweisen hatten, einen gut bezahlten Job finden konnten und sich so irgendwann ein Haus kauften, heirateten und Kinder bekamen. Sie erfreuten sich an all den Klischees, die Großstadt-Vororte zum schönsten und gleichzeitig schlimmsten Platz auf Erden machen. Natürlich waren sie mit dem Ganzen später dran als ihre eigenen Eltern und hatten dabei wahrscheinlich auch viel mehr Spaß, aber der Druck, einem traditionellen Lebensstil zu folgen, war damals nicht nur viel größer—dieser Lebensstil war so einfach zu erreichen, dass viele Menschen da aus Versehen reinrutschten und so die Generation der unbeabsichtigten Erstgeborenen auf die Welt brachten, zu der so viele von uns gehören.

Inzwischen machen aber nur noch sehr wenige Leute diesen Fehler. Dieses Jahr hat The Economist einen Artikel mit dem Titel ​„The End Of​ The Baby Boom?" veröffentlicht, in dem der plötzliche und massive Rückgang der Geburtenrate im Vereinigten Königreich besprochen wird. Die Geburtenrate ist dort zum ersten Mal seit 2001 gesunken—und zwar so stark wie zuletzt in den 70er-Jahren. Hierzulande ist die Situation nicht anders, und während unsere Eltern in jungen Jahren wahrscheinlich überlegt haben, wo genau in Südfrankreich sie ihre Pension verleben, brauchen wir uns gar keine Illusionen mehr zu machen. Wenn niemand mehr Lust auf Kinder hat, gibt es auch niemanden, der später unsere Pension zahlt.

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Eine private Altersvorsorge ist auch keine wirkliche Option, wenn man sich auch Ende 20 noch von einem unterbezahlten Praktikum zum nächsten hangelt. Und statt in einem Reihenhaus mit Vorgarten wohnen viele von uns in WGs, weil der Wohnraum in den großstädtischen Ballungsgebieten so knapp und teuer wird, dass man schon froh sein kann, wenn man nicht obdachlos ist. Kein Wunder, dass kaum jemand an Kinder kriegen denkt—auch wenn die kleinen Bälger der ideale Grund dafür wären, endlich mit der endlosen Feierei aufzuhören.

Die Grundsätze des Erwachsenseins sind zwar nicht jedermanns Sache, aber unser Problem der Menschen, die nicht aus ihrer Partyphase ausbrechen können, geht über ein paar betrunkene und sich in Jugend-Nostalgie suhlende Idioten hinaus. Egal wo wir hinschauen, die Folgen einer Generation, die nicht erwachsen werden kann, sind überall zu sehen: die Horden an jungen Männern und Frauen, die mit Kotze auf dem Shirt und mit Wut im Herzen aus den Clubs getragen werden, die abgebrochenen Zähne, die zwischen den Pflastersteinen unserer Fußgängerzonen zu finden sind, die ​Millionen an jung​en​ Menschen, die immer noch bei ihren Eltern wohnen, ​die erstaunlich hohe ​Selbstmordrate, das im Grundwasser gefundene ​Kokain, die schmierigen Comedians, die 90er-RnB-Nächte in angeblich angesagten Clubs mit lustlosem und unfähigem Personal, der Junge, der ​süchti​g nach Selfies wurde, und alles andere, was diese nichts auf die Reihe kriegende Generation sonst noch so ausmacht.

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Wir bleiben lieber bei Altbekanntem, anstatt in unserem Leben vorwärts zu kommen. Es ist aber auch schwer, neue Dinge zu finden. Das meiste unseres Geldes geht für die Miete einer Wohnung drauf, in der wir uns nicht wohlfühlen, wir ernähren uns von Tiefkühlpizzen und wir schmunzeln bei ein paar Folgen einer neuen US-Comedy-Serie, bevor wir uns wieder ins Bett schmeissen und darüber nachdenken, wie wir uns vor der Arbeit drücken können. Seit zehn Jahren betrinken wir uns jedes Wochenende besinnungslos, obwohl uns bewusst ist, dass das zu ausufernden und kaum kontrollierbaren Depressionen führt. Wir haben allerdings kaum etwas anderes, an das wir glauben können.

Wir sind die neuen alternden Junggesellen aus Italien und leben unsere eigene banale Version des Films ​The Grea​t Beauty. Man könnte uns auch als professionelle Suffköpfe bezeichnen. Wir sind die Generation, die nichts mehr mit sich anzufangen weiß, weil wir jetzt dazu gezwungen sind, die Realität den großen und allumfassenden Mythen vorzuziehen, die unsere Eltern auf den Weg der relativen Sicherheit und Anständigkeit gebracht haben. Wenn dir diese wegweisenden Mythen fehlen, woran kannst du dich dann noch orientieren, wenn du nach dem Hangover und der Ausnüchterung zurück zur Normalität kehren willst?

Wenn wir uns mehr Optionen als den „Auswandern oder Aufgeben"-Zwiespalt offen halten wollen, dann müssen wir neue Wege finden, uns an die Welt anzupassen, in der wir leben. Die Zeiten sind hart und die Dinge gehen den Bach runter, aber vielleicht sollten wir dennoch mal etwas anderes versuchen, als bis zur Besinnungslosigkeit zu feiern. Vielleicht bleiben wir hauptsächlich wegen Mephedron, Shufflern und wütenden Reaktionen auf Vine-Comedians in Erinnerung, aber es würde bestimmt mal ganz gut tun, nicht so sehr darüber nachzudenken, wegen was wir im Gedächtnis bleiben werden, und stattdessen lieber einen eigenen Weg aus diesem alkoholgetränkten Fegefeuer zu finden.

Man muss jetzt nicht unbedingt ​P​ois beherrschen können und auf einen Biobauernhof ziehen, um ​alternative We​ge zum Leben zu finden. Das Wegziehen aus der Großstadt sollte nicht mehr mit dem ​Ende deine​s Lebens gleichgesetzt werden. Wir müssen einfach über den Tellerrand des angepriesenen „Hauptsache eine Wohnung in der Stadt, irgendwie kommst du dann schon über die Runden"-Lifestyles hinausblicken.

Angeblich hassen wir das System, das uns so hat werden lassen. Dennoch versuchen wir mit allen Mitteln, ein Teil davon zu sein. In einer neuen Welt jung zu sein, ist vielleicht besser, als in einer altbekannten graue Haare zu bekommen. Verdammt noch mal, wir stehen kurz davor, die erste Generation von Acid-House-Enkeln heranzuziehen. Vielleicht ist es wirklich höchste Zeit, einen neuen Weg ins Erwachsensein zu finden.