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Bis so guet

Hotelfoyers sind Orte des portionierten Grauens

Als Rezeptionist ist man quasi Sozialarbeiter für Hotelgäste, die aus ihren Macken keinen Hehl machen.
Foto von Yann Patrick Martens

Alle Bilder sind von Yann Patrick Martins.

Erinnert ihr euch an den Film Fight Club? Wenn Edward Norton über portionierte Freunde spricht?

„ … Überall portioniertes Leben, portionierte Zahnpasta, portionierte Ohrenstäbchen, Shampoo-Conditioner-Fläschlein, einzelne Kämme, portionierte Nähsets, winzige Seifenstücke. Die Leute, die ich bei jedem Check-In kennenlerne, sind portionierte Freunde. Zwischen Ankunft und Abreise verbringen wir unsere gemeinsame Zeit und das war's."

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So etwa hätte es geklungen, wenn Edward Norton Rezeptionist gewesen wäre, bevor er zu Tyler Durden wurde. Ich bin Rezeptionist. Der Unterschied zwischen einem Flugzeug und einer Hotellobby ist aber, dass die portionierten Nervensägen mehr als ein paar mickrige Stunden zur Verfügung haben, dir ihre portionierte Freundschaft aufzudrängen. Von all den portionierten Aasfressern, deren Spucke mir bei ihrem portionierten Rumgemotze ins Gesicht geflogen ist, waren diese meine liebsten:

Der Infofreak-Freund
Ich bemerke ihn, weil er sich ohne Begrüssung nach einer Wifi-Verbindung erkundigt. Noch während er den Meldeschein ausfüllt, hat er bereits Gigabytes an örtlichen Strassennamen über die Google Maps-Seite heruntergeladen.

Die erstbeste Antwort, die ihm das Internetorakel ausspuckt, reicht ihm noch lange nicht. Dabei gehört das doppelte Überprüfen und dreifache Nachfragen noch zu seinen angenehmeren Charakterzügen. Alles zu wissen ist seiner Ansicht nach ein Muss für jeden, der an einem Tresen steht. Leider scheitere ich kläglich, da ich ihm nicht sagen kann, ob die Bewertung von Tripadvisor oder Yelp treffender ist.

Der Toilettenpapierkollege
In jedem Hotel findet man mindestens zwei Papierrollen im Bad, was für einen Zwei-Nächte-Aufenthalt normalerweise reicht.

Aber dieser Typ hier bittet schon beim Ausfüllen des Meldescheins nervös nach mehr. Ich unterdrücke einen Lacher und stelle mir vor, wieviel Papier einer braucht, um die Scheisse von seinem Arsch zu putzen. Aber ehrlich, wer scheisst denn so viel? Niemand—so viel Toilettenpapier verbraucht man höchstens in nächtelangen Sessions auf youporn.com.

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Der Misstrauische oder der diebische Freund
Er hat sein Zimmer schon mit einer ungültigen Kreditkarte gebucht. Zum Ausfüllen des Meldescheins muss er auf Knien flehend gebeten werden und nur nach langen Erklärungen, dass seine persönlichen Daten nicht verkauft werden, willigt er ein.

Seine Kreditkarte wird er auch für eine Vorausbelastung nicht aushändigen, lieber beschimpft er mich, da ich ihn angeblich wie einen Dieb. In der Zwischenzeit packt seine Ehefrau im Zimmer sämtliche Toilettenartikel und Handtücher in ihre Tasche.

Der Platinium-Kumpel
Er hat den höchsten Grad der Loyalität bei der Hotelkette erreicht. Er läuft nicht wie ein gewöhnlicher Gast. Er schwebt, eine indigofarbene Aura verströmend, kaiserlich durch das Foyer. Die Menge teilt sich vor ihm. Er muss nicht anstehen, schon bin ich bei ihm, gebe ihm die am besten ausgestattete Suite, behandle ihn wie einen Prinzen.

Dennoch: „Das andere Hotel war besser, da gab es nach dem Einchecken einen Blow-Job."

Der Spammer-Freund
Ich kenne den Spammer nicht, habe ihn noch nie gesehen. Er bucht tausendmal am selben Tag, storniert und bucht erneut. Dann beginnt er damit, per Mail nach Tipps zu seinem Aufenthalt zu fragen, bittet um spezielle Behandlungen und am Ende will er auch noch einen Rabatt.

Das Ganze endet mit einer Stornierung. So naiv bin ich nun auch wieder nicht. Klar, da hat sich jemand einen Scherz erlaubt. Pech nur, dass er nicht bemerkt, dass der Betrag für die Zimmerbuchung bereits auf seiner Kreditkarte abgezogen worden ist, weil er ein nicht kündbares Zimmer reserviert hat.

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Der Klimafanatiker-Brother
Im Sommer ist es zu heiss, im Winter zu kalt. Das sind unleugbare Tatsachen. So auch in den Zimmern. Wer kann schon im November, in Zürich, mit der netten Ozeanbrise eines paradiesischen Strandes konkurrieren?

Obwohl für den Durchschnittseuropäer 23 Grad eine angenehme Raumtemperatur darstellen, verlangt der Klimafanatiker auch im Dezember eine auf volle Touren laufende Klimaanlage. Bei den pochenden Adern auf seinen Zornesfalten wage ich es gar nicht erst, ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er die Fenster öffnen kann.

Betrunken an der Hotellobby oder anderweitig herumlungern könnt ihr auch diese Woche wieder:

Heute machen wir das im ​Coq d'Or an der Plattentaufe von Passé, im ​La Catrina am Konzert von Dirty Sound Magnet oder in der ​Stadtgalerie Bern mit Blond & Gilles on the road.

Morgen spielen Lila Bungalow in der ​Lady Bar Basel und Herbert & Melt in der ​Perla Mode. Im ​Südpol werden idealistische Denkmäler errichtet und im ​Hirscheneck heisst es: Blut muss fliessen.

Am Samstag eröffnet die Cantonale Bern Jura im ​Kunstmuseum Thun. Ausserdem gibt es Da Markt im ​Cabaret Voltaire, Never Grow Old im ​Kauz und das Motor City Drum Ensemble in der ​Zukunft.

Sonntags schauen wir Istanbul United, zum Beispiel im ​Kino Bourbaki oder im [​Riff Raff](http://www.riffraff.ch/kino/108639/istanbul-united.html?aktuell= html?aktuell).