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Drogen

Kinder, Krebs und medizinisches Marihuana

Mykayla Comstock ist eine achtjährige Leukämiepatientin, die für ihre Behandlung in rauen Mengen THC konsumiert.

„The Big Big Dream“, ein Bild von Mykayla Comstock, einem achtjährigen Mädchen mit Leukämie, die riesige Dosen THC nimmt, um ihren Krebs zu heilen. Sie führt ein Tagebuch über ihre Träume.

So wie Frankie Wallace es beschreibt, hat sich ihm seine Berufung im Traum offenbart. „Ich habe geträumt, dass Cannabis Krebs und viele andere Krankheiten heilen kann“, erinnerte er sich, als er neben seiner Frau Erin auf der Terrasse hinter ihrem Haus stand.

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Ein paar Minuten zuvor waren wir drei zusammen in den Keller von Frankie und Erins Farmhaus in der Nähe von Portland hinuntergestiegen, um einen Stoff namens Absolute Amber zu probieren, ein Konzentrat, das Frankie aus der letzten Ernte seines selbst gezüchteten medizinischen Marihuanas hergestellt hat, indem er es in Butane und Isopropylalkohol tränkte und kochen ließ, bis die Flüssigkeit verdampft war. Was übrig blieb, war ein öliger Rückstand, den er eingefroren und zweimal gefiltert hat. Das Ergebnis kommt rein destilliertem THC so nahe, wie es sich ein Sterblicher nur wünschen kann.

Frankie hielt einen Gasbrenner an ein kleines Stück Metall, das an einer Wasserpfeife aus Glas angebracht war, bis das Stück glühend rot war. Dann hielt er ein streichholzgroßes Stück von dem Haschöl an das Metall, und dichter weißer Rauch stieg auf, der von der Pfeife eingefangen wurde. Dort wurde er gefiltert und gelangte von da aus in meinen Körper. Beim Ausatmen spürte ich ein beißendes Kribbeln. Ich setzte mich hin und zählte langsam bis 30. Ich würde das Bedürfnis haben zu sprechen, hatte Frankie mich vorher gewarnt, aber das würde starken Husten auslösen. Ich sah Frankie und Erin an, und ihr sanftes Lächeln kräuselte sich auf ihren Gesichtern wie kunstvolle Schnörkel.

Frankie ist ein Marihuana-Meister, ein Hohepriester des THC. Nach seinem schicksalhaften Traum verkauften er und seine Frau ihren gesamten Besitz und zogen von Birmingham, Alabama, in die Garage von Erins Kusine in Portland, wo medizinisches Marihuana legal ist. Sie taten sich mit einem anderen Züchter zusammen und fanden ein Haus in einem nahe­gelegenen Vorort, wo sie inzwischen mit gut zwei Dutzend Marihuana-Pflanzen leben. Sie haben zwölf Patienten und finanzieren ihre bescheidene Zucht durch Spenden.

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Solche Kleinbetriebe werden auf dem mittlerweile beachtlichen legalen Marihuana-Markt des Pazifischen Nordwesten immer häufiger, vor allem seit das „Dabbing“—eine etwas dekadente Variante des Konsums von THC und seiner Verwandten—immer beliebter wird. Was Frankie und Erin von den anderen unterscheidet, ist, das sie glauben, dass Haschisch Krebs heilen kann. Und seit Frankies Traum stellen sie ihre Theorie bei der achtjährigen Mykayla Comstock auf die Probe.

Als bei Mykayla 2012 Leukämie festgestellt wurde, brachten ihre Eltern sie zu Frankie, wo sie sechs Monate in einer Art Intensivstation verbrachte und rund um die Uhr mit Gras versorgt wurde. Was nicht heißt, dass sie auf die traditionelle Chemotherapie verzichtet; diese wird aber von dem hochkonzentrierten THC-Öl begleitet. Der Wirkstoff ist vergleichbar mit dem Absolute Amber, das ich aus der Wasserpfeife geraucht habe, aber in diesem Fall ist es in Ein-Gramm-Kapseln verarbeitet, die Mykayla zweimal am Tag nimmt. Diese Dosen enthalten etwa die gleiche Menge an THC wie zehn Rationen von hochwirksamem medizinischen Marihuana. Mykayla hat sich inzwischen an den intensiven Rauschzustand gewöhnt, der die meisten anderen Menschen in implodierte Papiertüten verwandeln würde.

Mykayla untersucht die Knospen einer Blackberry-Kush-Pflanze, die bald geerntet werden kann, eine wirksame Indica-Züchtung, die ebenfalls in Frankie Wallaces vorstädtischer Garagenzucht wächst. Foto von Jason Blalock

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„Dadurch fühle ich mich wieder voller Energie“, erzählte sie mir in der Küche ihrer Eltern. Die kleine Familie lebt in einem spärlich eingerichteten Drei-Zimmer-Apartment in Pendleton, im Osten von Oregon. Mykaylas Immunsystem ist geschwächt, sowohl von der Krankheit als auch von der Behandlung. Schimmel, Pilze, Staub und andere Risikofaktoren könnten sie unter Umständen umbringen, weshalb sich ihre Eltern bemühen, die Wohnung so steril wie möglich zu halten. Trotz ihrer kargen Umgebung und der Chemo, die sie noch über sich ergehen lässt, war Mykayla gut gelaunt, als ich mit ihr in ihrer Kinderküche spielte und so tat, als würde ich Holzgemüse kleinschneiden.

Es war kaum zu glauben, dass sie ein Jahr, bevor ich sie kennenlernte, die schlimmste Diagnose bekommen hatte, die sich Eltern vorstellen können. „Ausgerechnet an einem Freitag, den 13., am 13. Januar 2012, sagte man uns, dass sie einen Tumor in der Brust hätte, der so groß war wie ein Basketball“, sagte ihr Stiefvater Brandon Krenzler. „Ihr Onkologe sagte, die Chemotherapie würde nicht anschlagen und er würde uns raten, eine Ganzkörper-Bestrahlung und Knochenmarktransplantation zu erwägen. Da gaben wir ihr die erste Dosis Cannabis-Öl. Nach sechs Tagen schon fing der Tumor an, sich zurückzubilden.“

Es ist allgemein anerkannt, dass Cannabis lindernde Wirkung haben kann. Es beruhigt den Magen und lindert die Schmerzen; auch die starken Nebenwirkungen der Chemotherapie kann es abschwächen. Doch Brandon, der sich als Anwalt für die Legalisierung von Hasch einsetzt und den Blog CannaDad hat, glaubt, dass die Pflanze auch heilende Wirkung hat.

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Wenn jemand Gras raucht oder auf andere Weise THC konsumiert, verbindet sich die Chemikalie mit dem Endocannabinoid-System und hilft dem Körper des Konsumenten—so behauptet Brandon—die Apoptose zu beschleunigen, was die wissenschaftliche Bezeichnung für den regelmäßig stattfindenden Zelltod ist, der bei Krebspatienten gestört ist. Diese Behauptung entbehrt zwar nicht jeglicher wissenschaftlicher Grundlage—medizinische Zeitschriften erkennen das Heilpotenzial von Cannabinoiden bei der Krebsbehandlung durchaus an—aber bisher ist die Vorstellung, dass Cannabis-Öl Krebs heilen kann, eher Volksweisheit der Gegenkultur als wissenschaftlich erwiesene Tatsache. In der Zeitschrift Cancer Management and Research schrieben Wissenschaftler aus Neuseeland im vergangenen August: „Es gibt noch zu viele widersprüchliche Ergebnisse bezüglich der Heilkraft von Cannabinoiden und ihrem künftigen Einsatz in der Medizin.“

Die Vorstellung, dass THC Krebs bekämpfen kann (und auch andere Krankheiten, von Magersucht bis hin zu entzündlichen Darmerkrankungen), geht auf Rick Simpson zurück, einen kanadischen Marihuana-Aktivisten, der die Phoenix-Tears-Stiftung leitet, eine Organisation, die nach einem Cannabis-Extrakt be­nannt wurde. 1998 hat Rick einen Film mit dem Titel Run from the Cure gedreht, der Cannabis als eine Art Wunderdroge für aufgeschlossene Menschen propagiert. 2012 zogen die Theorien seiner Gruppe die Aufmerksamkeit der Presse auf sich, als die Eltern von Cash Hyde, einem Kleinkind mit Gehirntumor, ihm Cannabis-Öl gaben, was landesweite Schlagzeilen nach sich zog.

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Cash starb 2012, aber Mykaylas Fall zeigt, dass viele Eltern bereit sind, in die Fußstapfen der Familie Hyde zu treten. Wenn ihr Kind eine potenziell tödliche Krankheit hat, probieren Eltern alle möglichen experimentellen Behandlungsarten aus. Und was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn man seinem todkranken Kind medizinisches Marihuana gibt?

Ein weiteres Bild aus Mykaylas Traum-Tagebuch mit dem Titel „Der große Tag“, auf dem sie mit ihrer Familie ein großes Fest feiert.

Mykaylas Onkologe weigerte sich, sich dazu zu äußern, und Brandon bat mich, seinen Namen nicht zu erwähnen. So umstritten Mykaylas Behandlung auch sein mag, sie liegt im Rahmen des Gesetzes über medizinisches Marihuana, das Oregon 1998 ver­abschiedet hat. Darin steht festgeschrieben, dass Krebspatienten jeden Alters medizinisches Marihuana verschrieben bekommen dürfen. Doch im Gegensatz zur Verschreibung anderer Medikamente braucht der Arzt weder die Dosierung noch die Dauer der Behandlung vorzugeben.

Obwohl bei Mykayla im Laufe der Zeit eine gewisse Gewöhnung eingetreten ist, wird sie immer noch ziemlich high, aber ihre Eltern sehen das positiv und halten es für eine gesunde Sache. Sie isst und spielt—mehr oder weniger—wie ein gesundes Kind. Negative psychische Auswirkungen sind schwer festzustellen; schließlich erinnert der Rauschzustand bei Erwachsenen auch oft an kindliche Träumerei. Wenn Mykaylas Dosis zu wirken beginnt, wirkt das für Brandon, als hätte sie „Heiligenscheine“ um die Augen. Als ich bei ihnen zu Hause war, ging die Unterhaltung über Krebs, Chemo und Apoptose schließlich über in ein gemütliches, familiäres Zusammensein, und wir spielten Didgeridoo und lachten fröhlich. Das alles wirkte sehr gesund und beschwingt, so seltsam das klingen mag.

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Am nächsten Tag waren wir wieder bei Frankie, und Mykayla nahm sich eine kleine Lupe und durchsuchte Frankies Garage, in die zwar theoretisch zwei Autos passen, die sich aber inzwischen besser als professionelles Gewächshaus beschreiben lässt. Hohe Sträucher mit Washington Red Apple und Blackberry Kush, sowie zwei hochwirksame Indica-Arten mit schweren, klebrigen Knospen ragten über ihr auf, während der Ventilator und die wachstumsfördernden Lampen surrten. Sie wirkte winzig, als sie neugierig die schimmernden Haare der Pflanzen untersuchte. Wir gingen hinaus in den Vorhof und machten uns an dem Moos zu schaffen, das über den Wurzeln eines Baumes wuchs, als Brandon uns daran erinnerte, dass Mykayla Schimmel und Pilzen gegenüber empfindlich sein könnte.

In solchen Augenblicken konnte man leicht vergessen, dass Mykayla eine möglicherweise tödliche Krankheit hatte und dass die Behandlung, die ihre Eltern für sie ausgewählt hatten—gelinde gesagt—unorthodox war. Sie war bloß ein kleines Mädchen, das die Welt um sich herum erforschte und so gut es ging zu vergessen versuchte, welche Bedrohung über ihr schwebte.

Während wir in ihrer Wohnung spielten, zeigte Mykayla mir ihr Traum-Tagebuch, das sie angelegt hatte, als sie krank wurde. Es war ein zusammengehefteter Stapel linierter Blockseiten mit ihren Zeichnungen: Berge von Eiscreme, Marienkäfer und anderer Kram, den Kinder lieben.

Ein paar Träume fielen mir besonders auf, wie „Der große Baum“, wo eine Tanne vom Wind verbogen wird, der über einen Fantasiewald hinwegfegt. Sie bricht nicht, sondern kann den Elementen durch ihre Flexibilität widerstehen.

Einen anderen Traum hatte sie „Der große Tag“ genannt, in dem ihre ganze Familie zusammengekommen war und ein großes Fest feierte. Ich fragte Mykayla, zu welchem Anlass denn gefeiert wurde. Da wusste sie nicht. Vielleicht wird sich das eines Tages ändern.

Seht jetzt auf VICE.com in „Cannabis und das achtjährige Mädchen“, der neuesten Episode von Weediquette, wie Mykayla ihre Medizin einnimmt.