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A Piece of Passion

Das Doppelleben eines Szenebarbiers – zwischen Luxus und Milieu

Am Rennweg schneidet und trimmt er heute unter der Woche Haare und Bärte für Männer, die es sich leisten können, 88 Franken dafür auszugeben. Den Samstagabend und jeden Montag verbringt er im "Chreis-Cheib" an der Dienerstrasse.
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Die Geschichten aus der Serie 'A Piece Of Passion' werden dir präsentiert von Sinalco Passionsfrucht.

Es ist Samstagnachmittag. Am Rennweg, nahe der Zürcher Bahnhofstrasse, verrinnen Geld und Zeit angenehm in französischen Boutiquen und glutenfreien Lebensmittelgeschäften. Schräg gegenüber der Filiale eines mittlerweile pleite gegangenen amerikanischen Modeherstellers führt ein schmaler Gang durch einen Torbogen in einen begrünten Innenhof. Ein alter Brunnen plätschert, die Zeit scheint hier weniger schnell zu laufen.

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Auf einer Türe am Ende des Hofes steht in grossen weissen Lettern "The Barber Paradox". Vor dem Shop sitzt ein junger Herr auf einem Gartenstuhl: Haare nach hinten gekämmt, schwarze Fliege um den Hals, moderne Sneakers, Schürze umgebunden. Er spielt mit einem Mini-Chihuahua namens "Prince". Die beiden gehören hier zum Inventar. Jeder, der vorbeigeht, wird persönlich mit Vornamen und festem Handschlag begrüsst. Der junge Mann ist "Engels, the Barber".

Der Shop innen ist clean, hip, cool. An der Tür zum Waschraum hängt ein Plakat, darauf ein Dutzend Frisuren, "Flat-Top Boogie", "Executive Contour" oder "The Butch". Das Barbier-Handwerk ist eine Wissenschaft für sich. Klassische Barbier-Schulen gibt es in Europa praktisch keine mehr. Wer sich diese Kunst aneignen will, wählt meist den Weg über die Friseur-Ausbildung. Für Engels, 23 Jahre alt, halb Dominikaner, halb Türke, kam dies lange Zeit nicht in Frage: "Ich wollte nie Haare schneiden. Ich fand den Beruf nicht männlich genug. Aber meine Mutter hätte mir sonst das Taschengeld gestrichen, deshalb liess ich mich auf die Schnupperlehre ein". Es folgt eine dreijährige Ausbildung.

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Mit 19 Jahren mietet er sich bei einem Freund in einem Tattoo-Studio in Rapperswil ein und gründet "Barber-Mafia". Auch Prominente wie der deutsche Rapper Kay One gehören zu seinen Kunden. Seinem Vermieter entgeht die steigende Popularität nicht und er verlangt plötzlich viel mehr Miete. Daraufhin kündigt Engels den Vertrag, lässt sich anstellen und wechselt nach Zürich.

Am Rennweg schneidet und trimmt er heute unter der Woche Haare und Bärte für Männer, die es sich leisten können, 88 Franken dafür auszugeben. Den Samstagabend und jeden Montag verbringt er im "Chreis-Cheib" an der Dienerstrasse. Im dominikanischen Salon "Tijeras Locas" empfängt er Kunden privat. Die Fliege trägt er dort nicht, seine Uniform ist an diesen Abenden eine andere: Basecap, T-Shirt und Jeans. Auf die Frage, welcher Ort besser zu ihm passt, antwortet er sehr schweizerisch: "Ich brauche beides, denn ich habe ja auch beides in mir drin".

Der Salon nahe der Langstrasse ist unordentlich, chaotisch und laut. Der Kühlschrank im hinteren Zimmer ist gefüllt mit Bier und Süssgetränken. Leute kommen und gehen, essen aus Wegwerfgeschirr, rauchen aus dem Fenster und tauschen sich über den neusten Klatsch aus. Musik gehört in der Dominikanischen Republik zum Alltag. Im Salon dröhnen aus verschiedenen Mobiltelefonen, Laptops und kleinen Radios Salsa-Rhythmen. Die Tonqualität ist zwar miserabel aber das stört hier keinen. Wenn mal kurz jemand tanzen will, werden Schere und Föhn für einen Moment beiseite gelegt. Die Kunden machen mit. Auch Engels tanzt selber Merengue, Bachata und Salsa und legt diese Latino-Sounds regelmässig in Clubs auf. Seine Herkunft lehrte ihn, offen zu sein und positiv auf Menschen zuzugehen. Eigenschaften, welche für einen Friseur und Barbier wichtig sind. Trotzdem weiss er, das dies nicht reicht: "Die Konkurrenz aus meiner Heimat ist riesengross. Es gibt viele Dominikaner, die das Friseur-Handwerk perfekt beherrschen. Ich muss mich ständig weiterentwickeln und verbessern, um mithalten zu können." Wenn es dunkel wird, gehen im Salon die Läden runter, gearbeitet wird am Wochenende auch mal etwas länger. "An der Langstrasse herrschen andere Regeln", sagt Marilyn, eine junge Dominikanerin, welche im Salon "Tijeras Locas" einen Friseurstuhl hat und gerade einer Dame neue Extensions verpasst. "Dominikanerinnen legen sehr grossen Wert auf ihr Äusseres", so Marilyn, "viele nehmen sich wöchentlich Zeit für eine komplette Beauty-Behandlung". Die Preise sind dem Kreis 4 angepasst: "Die Miete hier ist nicht so teuer wie in der Innenstadt und oft sind es Freunde, die mich hier besuchen", sagt Engels. "Ich passe die Preise individuell an. Denn nicht jeder Dominikaner könnte sich sonst einen Besuch bei mir leisten. Das ist Ehrensache." VICE Schweiz auf Facebook und Twitter