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Interviews

Mode, Aliens und Utopien – OY im Interview

Ein Spatz trifft auf zwei bunte Käuze—ich habe das Schweizer Elektropop-Duo OY zu ihrem neuen Album ausgequetscht.
Foto: Dominik Meier

Bunte Kostüme, schräge, animierte Videoclips und Musik wie von einem anderen Stern: OY ist gerade das spannendste Musikprojekt der Schweiz. Mit ihrem dritten Album Space Diaspora erschafft das in Berlin sesshafte Duo einen avantgardistischen Elektropop-Epos. Ich liess mir die Gelegenheit natürlich nicht nehmen, Joy und Marc bei einem ihrer seltenen Besuche in Zürich abzupassen.

Noisey: Als ich mir euer Album Space Diaspora angehört habe, fühlte ich mich wie ein kleiner bunter Vogel, der in eine andere Welt eintaucht. Was hat es auf sich mit dem Planeten Space Diaspora? Was steckt genau dahinter?
Joy: Es ist ein gutes Zeichen, dass dich das Album in eine andere Welt zieht, dann ging unser Plan auf. Mit jedem Album erschaffen wir ein kleines Universum, in das wir die Hörer entführen, und kreieren eine eigene Stimmung. Dieses Mal gestalteten wir einen Planeten der Zukunft: eine futuristische Aussicht, gepaart mit der aktuellen Weltlage.

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Das komplette Album hört sich sehr abgespacet an. Interessiert euch das Thema Universum oder gar Aliens?
Joy: Durch den Albumtitel Space Diaspora begann ich zu forschen. Früher interessierte mich Science-Fiction überhaupt nicht—es lief dort eh immer auf dasselbe hinaus, nämlich Krieg. Wenn ich die Fortschritte der Computer betrachte, bemerke ich, wie die digitale Welt immer mehr eins mit der analogen Welt wird, was extrem reizvoll ist. Viele Gedanken im Zusammenhang mit dem Album drehen sich um die verschiedenen Theorien oder um Leute, die tatsächlich an Aliens glauben. Ich betrachte dies eher mit Distanz, finde es jedoch sehr spannend. Allgemein haben wir Menschen eine enorm grosse Fantasie. Wir haben Träume, dort wirkt alles real, obwohl man nach dem Aufwachen weiss, dass diese fiktiv sind. Aber warum sollte es dann nicht real sein, es ist ja trotzdem ein Teil von uns?

Wenn ich länger über solche Themen und Theorien nachdenke, bekomme ich irgendwie Angst. Roboter an die Weltmacht? Aliens, welche über die Erde herrschen?
Marcel: Das Album und seine Geschichte sind ein Gefäss für viele Themen, über die man reflektieren kann. Die Story ist eine Dystopie, die nicht auf der Erde stattfindet, weil diese ja futsch ist. Gleichzeitig ist es auch eine Utopie, da es ein sehr positiver Zustand ist, den Menschen geht es auf Space Diaspora gut—sie haben sich weiterentwickelt. Momentan ist es schon sehr absurd auf der Erde. Ich habe das Gefühl, wir sind in einer Rückwärtsschleife. Wir sind Zuschauer und denken uns, was passiert da gerade? Das Album soll auch für Aktualitäten sensibilisieren. Wir wollen mit einer positiven Energie darauf hinweisen, dass sich die Leute doch entspannen sollen.

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Das fühlt man definitiv, wenn man sich eure Songs anhört. Was soll das Cover von Space Diaspora genau darstellen?
Joy: Ich würde sagen, es handelt sich um ein Flugobjekt, wenn man es definieren will oder eben nicht zu arg definieren will. Wir haben mit Elio Lüthi und Irena Germano, in Zürich wohnhafte Grafiker, zusammengearbeitet. Sie tüftelten lange herum, von fliegenden Zelten bis hin zu diesem Objekt gab es einige Kreationen. Man kann sich vorstellen, dass es sich hierbei um das Raumschiff von Space Diaspora handelt.

Das wäre mal etwas anderes.
Joy: Ja. Normalerweise sind die immer aus Metall, grau und kalt. Es kann aber auch eine Pflanze oder ein Tier der Unterwasserwelt sein.
Marcel: Wir haben nach einer Form gesucht, welche diese Welt bebildert. Was sich als Schwierigkeit herausstellte, da es diese ja nicht gibt.

Es kann also sein, was es sein möchte. Dennoch erinnert mich das "Raumschiff" stark an jenes aus dem Videoclip zu "Space Diaspora". Ist es dasselbe?
Marcel: Genau, es ist angelehnt an jenes des Covers. Da wir mit der Musik ständig etwas Eigenständiges produzieren, hatten wir den Wunsch, es mit den Videos gleichzutun. Es war naheliegend, dass wir etwas mit 3D-Formen wollten. Im Video sehen die Figuren sehr echt aus, als ob du sie anfassen könntest. Die gibt es aber nicht, sie sind komplett animiert.

Im Clip zu "A New Planet Is Born" habt ihr mit animierten 3D-Kleidern gearbeitet, die täuschend echt aussehen. Habt ihr die Kleider für den Clip ausgewählt?
Marcel: Wenn wir mit anderen Leuten zusammenarbeiten, vor allem wenn sie so gut sind wie Zeitguised, lassen wir ihnen möglichst viel Freiraum. Natürlich gab es eine Auflage, bei der sie eine Zukunftswelt erschaffen sollten, möglichst mit bunten Textilien und etwas, das tanzt, ansonsten waren sie frei. Zuerst wollten sie nicht mitmachen. Als ich ihnen einige Fotos und Songs nachschickte, waren sie Feuer und Flamme.
Joy: Normalerweise machen sie keine Videoclips, sondern haben richtig fette Aufträge. Sie haben an unseren Kostümen Gefallen gefunden und wollten uns unterstützen.

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Eure Kostüme können sich auch sehen lassen. Von wo habt ihr sie?
Marcel: Meine Masken hat Victoria Behr entworfen. Sie hat auch schon für das Schauspielhaus wie auch das Opernhaus in Zürich gearbeitet. Das Kostüm selbst ist von Starstyling, das ist eine kleine Fashion-Bude in Berlin.
Joy: Meins ist von Julie Bourgeois und Hanri Gabriel des Modelabels Tata Christiane. Früher war jedes Stück ein Unikat—mittlerweile gibt es einige Stücke, die in Serie gingen.
Marcel: Wir haben mittlerweile auch Special Access zu ihrem Atelier.

Wie seid ihr auf diese Labels gestossen? In Berlin gibt es ja tausende davon.
Joy: Sie wurden mir vorgestellt. Bevor die Maske existierte, war ich ein wenig underdressed.
Marcel: Da gibts noch eine lustige Geschichte dazu. Wir gingen zeitgleich auf Kostümsuche, hunderte Läden später trafen wir uns wieder, beide mit Designs von Tata in der Hand.

Warum tragt ihr solche Kostüme? Was für einen Hintergrund gibts dafür?
Marcel: Ich wollte nicht mehr normal auftreten. Ich wollte eine Figur schaffen mit einer grossen Maske, die bequem ist.

Wenn ich eure Kostüme betrachte, könnte man auch meinen, dass sie eine Anlehnung an Ghana sind (Joy hat dort Wurzeln, Anm. d. Red.). Gibts da eine Verbindung?
Marcel: Es ist lustig, viele Leute denken, dass unsere Kostüme von einem entfernten Ort kommen. Aber in der Schweiz, vor allem in den Bergen, gibt es voll abgefahrene Masken und Kleider. Das fiel mir erst im Erwachsenenalter auf, obwohl ich mittendrin aufwuchs. Es ist somit nichts Neues, einfach moderner interpretiert.

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Wenn ihr Berlin mit Zürich vergleicht in Sachen Mode—worin bestehen die grössten Unterschiede?
Joy: In Berlin ist die Vielfalt grösser und alles viel erschwinglicher. In Zürich bist du schneller aufgeschmissen, wenn du etwas Spezielles suchst. Es gibt auch diverse Shops, die Sachen verkaufen wie zum Beispiel "Made in Berlin". Sie setzen sich für lokale Fair-Trade-Mode ein, die dennoch nicht teuer ist.
Marcel: In Berlin hast du viel mehr Freaks, die sich extravagant kleiden und sich nicht kümmern, was die anderen denken. Die Kleider von Tata hätten es hier schwerer, da die Klientel nicht dementsprechend ist. In Zürich sind die Leute sehr gut gekleidet, tendenziell chic und nicht total durchgeknallt.

Ist das auch euer Hauptargument, warum ihr nach Berlin gezogen seid? Und warum nicht etwa London?
Marcel: Ich wollte schon viel früher die Schweiz verlassen. Ich blieb jedoch bei meiner Arbeit im Schauspielhaus hängen, als Komponist für die Stücke. Ich lernte dort viele Menschen von den verschiedensten Orten kennen, unter anderem auch Deutsche. Als diese dann alle zurück in die Heimat gingen, schlugen sie mir vor, es ihnen gleichzutun und nach Berlin zu kommen. Brüssel stand auch noch kurz auf dem Plan, aber Berlin hat letztlich gewonnen. Wir wussten beide, dass wir gerne mal weg wollen.
Joy: Ja genau—man kann auch problemlos immer wieder von Berlin aus zurück in die Schweiz. Daher war die Devise, einfach mal aufbrechen und schauen.

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Dann seid ihr auch offen für andere Städte?
Marcel: Dieser Schritt ist mittlerweile einfacher. Der erste Schritt raus aus der Schweiz ist schwieriger, als nochmals in ein anderes Land zu ziehen. Ich habe einige Freunde in Paris, und mir gefällt es dort auch gut.

In dem Fall Bonjour Paris?
Marcel: Jein, es ist auch sehr jobabhängig, und ich benötige Platz. In Paris ist es extrem schwer, einen Ort zum Proben zu finden, und unabhängig davon ist es auch viel teurer. Daher ist es nur sinnvoll, wenn ich was im Voraus hätte oder eine Art Tausch machen würde à la du bekommst meine Wohnung und mein Atelier in Berlin und ich dafür deins in Paris.

Kennengelernt habt ihr euch ja bereits in der Schweiz. Wie bist du zu Joy gestossen, Marcel?
Marcel: Ich war zuerst Fan, und danach entstand das Duo.

Spezielle Gründungskonstellation.
Marcel: Wir haben schon vor 17 Jahren zusammen Musik gemacht, einfach in einer anderen Formation.
Joy: Das wäre sonst ein wenig creepy.

Das ging aber lange, bis OY geboren wurde.
Marcel: Ich fand Joy als Solokünstlerin super. Ich fragte mich auch, ob es gut ist, wenn man ein Duo daraus formt, weil ich Joy perfekt als Solosängerin empfand.

Was bedeutet OY eigentlich?
Joy: Es ist ziemlich simpel. Als Solokünstlerin betrieb ich eine Myspace-Seite als Joy Frempong, daraus ergab sich Oy Rempong. Nach dem ersten Release dachte ich mir, das hört sich bescheuert an, und nannte mich fortan OY.

In der Tat, simpel. Ich dachte, dass nun was Extravagantes kommt.
Joy: Ja, voll. Für Leute, die das schnell googeln, ist es jedoch schwieriger. Die Suchergebnisse spucken noch was anderes aus, wie ein Gemeinde in Deutschland oder GmbH auf finnisch.
Marcel: Mittlerweile ist der Name schon älter, und das Witzige dabei ist, dass man auf den Festivalplakaten elend lange Bandnamen sieht und dann unseren kurzen, das ist schon cool. Mittlerweile wird ja viel auch einfach abgekürzt.

Zu guter Letzt. Wenn ihr wählen könntet, auf welchem Planeten wolltet ihr leben, der Erde oder Space Diaspora?
Marcel: Schon auf Space Diaspora.
Joy: Ja genau.