Eine Hommage an die Meierei im Stadtpark

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Rudis Brille

Eine Hommage an die Meierei im Stadtpark

Die Meierei als Teil der Wiener Clubkultur—das Studio 54 von Wien—20 Jahre danach.

Als Abschluss [der Trilogie](https://noisey.vice.com/alps/contrib Als Abschluss die Wiener Clubkultur in den Neunzigern/Nullerjahren möchte ich eine Hommage an jenen Club schreiben, der damals maßgeblich am Aufstieg Wiens aus der Provinzialität beitrug: Die Meierei im Stadtpark.

Heute speisen dort die Ärmsten der Armen – das Steirereck übersiedelte hierher, nachdem das Gebäude entkernt und vollständig vom Mief des alten Clubtempels befreit wurde. Die "Generation What" weiß wahrscheinlich auch nicht mehr, was hier einmal abging, geschweige denn diejenigen, die heute hier ihre Hunderter liegen lassen. Aber genau deswegen möchte ich die Geschichte hier noch einmal kurz erzählen.

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Es begann in den frühen Neunzigern. Das Gebäude, das einst als Milchtrinkhalle erschaffen wurde, gehörte zwar immer schon der Stadt Wien, doch hatte diese einen langjährigen Pachtvertrag mit dem Wiener Gastronomen Dr. Johannes Hübner abgeschlossen. Dieser führte die Lokalität aber dermaßen oldschool, dass sie im Stadtpark etwas gammlig vor sich hin dämmerte. Dort spielten alte Damen Tarock, alle 30 Minuten bestellte jemand einen grässlichen Kaffee Marke "Omas Plörre" und man fühlte sich dort in eine Epoche zeitversetzt, in welcher der Betreiber wohl selbst gerne geblieben wäre.

Damals hat man sich andere Dinge da drinnen gegönnt.

Fernab von jeder Streetfood- und Café Latte-Idylle, weit weg vom Hipstertum der Neubauer shabby chic-Läden von heute war das Ganze tatsächlich shabby und (un)schick. Ein Teppich, schwere Luster, ein Keller – all das roch nach Party.

Dort begannen in den Frühneunzigern die ersten elektronischen Events. Ein gewisser Hannes Jagerhofer holte dort mit Hilfe seiner reichen Freunde die ersten C- und D-Promis an den Wienfluss, dann gab es einen mysteriösen Brand und einen langen Dornröschenschlaf.

1996 schließlich war es Party-Zampano Ziggy Kremser, der der einstigen Milchbar neues Leben einhauchte. Im Keller der Meierei entstanden einige Partyformate, die danach noch über ein Jahrzehnt weiter bestanden. Etwa den Goa-Club Shamabala, die Technoreihe Pomelo und das Downbeat-/Drum'n'Bass-Event Supersonic. Damals suchte die Szene der Stadt ja erstmals ihre Clubs und Locations für die aufstrebende Elektronikbewegung – davon habe ich schon mehrfach berichtet.

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Der Upper-Floor

Kremser lud die Crème de la Crème der heimischen Produzenten in den Laden. Die Flyer waren im schicken Retrostil von "Abuse Industries" gehalten und erstmals tauchte auch die Cocktailbar in einem Club auf. Eine Institution, die heute kaum noch wegzudenken ist, wenngleich viele damals unkten, was denn das nun soll und das Ende der Welt herbeieilen sahen.

Just der Heurigenwirt Zimmermann war es dann, der mit seinem Mittwochsevent – das ebenfalls Zimmermann hieß – den Durchbruch beim greisen Dr. Hübner erreichte und ihm einredete, doch auch die mondäne Kaffeehalle samt Terrasse mitzuvermieten. Der skeptische, aber dem Mammon nie abgeneigte Betreiber, ließ sich schlussendlich bestechen und machte somit den Weg für ein neues Kapitel in Wiens Clubgeschichte frei. Ab nun gab es zwei Floors in der Meierei. Mit einem Mal war das Ganze nun mehr als doppelt so groß und wirkte durch den ehrwürdigen oberen Floor mit all seinen Loungen und Kuschwelecken extrem aufgewertet. Zwar musste Kremser Zimmermann weiterhin erdulden – hier ging es vordergründig um Geld, das man gut gebrauchen konnte. Musik war aber egal. Reich und Schön füllte die Bude jeden Mittwoch bis oben hin an.

1997 kam dann das familienfreundliche, sonntägliche Format Soulsugar dazu, das auch am oberen Floor (dem jetzigen 4-Hauben-Restaurant) stattfand. Der Keller bildete ab da eher Rückzugsort für härtere und schnellere Spielarten (heute die Milchbar). Just als es dann im Frühjahr 1998 am schönsten war, musste Ziggy Kremser – nicht ganz freiwillig – das Feld räumen.

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Nach einem erfolglosen Zwischenversuch und einem halbjährigen Verwirrspiel, ließ sich der zähe Betreiber Hübner doch noch einmal weichklopfen – dem Verhandlungsgeschick von Matthias Kamp und Heinz Tronigger, den beiden Sunshine-Gründern, sei Dank. Die beiden hatten im Casino Baumgarten damals eine musikalisch eher dem Acid Jazz/Funk/Soul zugängliche Partyreihe für vorwiegend älteres Publikum ins Leben gerufen. Das Casino war nur sehr weit vom Schuss, jetzt waren sie auf der Suche. Irgendwann im Sommer 1998 trafen wir dann aufeinander und blieben bis 2002 ein Veranstalterteam.

Jelena, Christian, Unbekannt, Maria und Mia

Die Meierei entstand aufs Neue. Diesmal mit Sunshine am Freitag. Anfangs eher das alte Konzept verfolgend, dann etwas "moderner" und samstags tobten wir uns mit con:verse – oben langsam und unten schnell – aus. Auch Zimmermann mischte mittwochs wieder mit, aber das war anfangs kein Störfaktor. Erst später, als die Club Fusion-Yuppies aufkreuzten, wurden auch die Wochenenden mit Kommerzsound und seltsamen Wodkaflaschen-Verkaufszwängen unterminiert.

Doch 1998 bis 2001 war die Meierei sowas wie "the shit". Freilich mischten sich ab und an kritische Untertöne ob der kruden politischen Ansichten des greisen Betreibers mit. Vielleicht hätte es diese Entwicklung mit den sozialen Medien von heute auch nicht gegeben, aber manchmal ist es auch gut, dass es anders kam. Die Meierei entwickelte sich in jenen Jahren nämlich zu dem Platz, auf den sich – nach gewissen Anlaufschwierigkeiten – alle einigen konnten.

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Es ging nicht nur um die Musik. Es war aber damals auch so, dass man soundmäßig viel Neues riskieren und buchen konnte und die Leute dankten es einem mit großem Interesse. Die Location verwandelte sich Woche für Woche – dank genialer Visualisten, wie etwa unter anderem Fritz Fitzke, Franz Reisecker, Pepi Öttl oder Andi Dusadko und seiner lustigen Diaprojektoren – in eine andere Welt. Wenn ich hier aber aufzählen müsste, wer damals alles aufgetreten ist, müsste ich ein Buch schreiben.

"Ohne Worte"

Ein kleiner Auszug: Am con:verse spielte etwa Oscar Mulero sein erstes DJ-Set in Wien, ebenso Dixon, der heute für Unsummen um die Welt tourt. Miss Kittin und Electric Indigo fetzten im Keller um die Wette, Claude Young benötigte 2001 erstmals die "neuen" Pioneer DJ 100 CD Player und scratchte darauf wie wild herum. Das heutige Radio Superfly-Mastermind Gerald "Smoab" Travnicek half uns beim Booking so mancher (French) Housegrößen, wie zum Beispiel DJ Deep. Tankred Rinder war ebenfalls ein Resident mit großem Gespür für den House jener Zeit. Jazzanova, Rainer Trüby und Gilles Peterson feierten Sternstunden. Zumeist bei den bombastischen G-Stone Sessions von Kruder und Dorfmeister. Werner Geier lud im Rahmen seiner Circulation-Reihe stets großartige Musiker ein, die teilweise heute noch aktiv sind: Mr Scruff, Idjut Boys, Daddy G von Massive Attack, Stereo MCs, oder auch DJ DSL brachten den oberen Floor jede Woche zum Kochen – und das ganz ohne Techno, außer DJ Hell legte auf.

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Daneben sorgten aber auch Dzihan und Kamien, die Vienna Scientists, Makossa oder Pulsinger und Tunakan für bummvolle Abende.

Und das Schönste war: Musikalisch war man nicht so eingeengt, nicht so starrsinnig. Alle Stile an einem Abend zu spielen, wie es die englischen DJs zumeist taten, war angesagt: Dub, Reggae, House, Disco, Funk, Downbeat, Breaks, HipHop. Wer es schaffte, diese Stile zu einem Ganzen zu verschmelzen und den Dancefloor nie austrocknen zu lassen, hatte gewonnen.

Klar, die Preise waren für damalige Verhältnisse ordentlich, aber man bekam etwas geboten. Sperrstunde? Gab's keine. Dementsprechend heiß ging es am unteren Floor bei House und Techno noch her.

Die Betriebsanlagengenehmigung stammte aus der Nachkriegszeit – heute undenkbar. Damals trafen sich Promis und Szenemenschen und konnten einigermaßen ungestört feiern – ohne allzu vielen lästigen Partyfotografen.

Auch großartige Drum'n'Bass-Events gab es; unvergesslich dabei, als eines Abends bei Trife Life GURU von Gang Starr auftauchte – er gab gerade ein Konzert – und spontan mitjammte.

Aber auch an den Freitagen gab es unvergessliche Momente. So etwa lud Klein Records-Macher Christian Candid beständig neue interessante Leute ein. DJ Koze spielte sein (schlecht gelauntes) Wiendebüt, Bob Sinclair sorgte für unendliche Schlangen und Sven Väth legte eines schönen Samstagmorgens einfach mal eine gefühlt achtstündige Afterhour ein.

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Das Publikum war sanft gemischt. Nicht jeder kam an Franz Sauer vorbei (heute WIENER-Chef). Wer ein bisschen Privatsphäre wollte, fand sie in den vielen verwinkelten Gängen und Kammern. Einmal haben wir oben in der legendären Küche abgerechnet und erst nach 30 Minuten bemerkt, dass sich zwei Menschen einen Meter daneben sehr, sehr nahe gekommen waren. Erst das dankbare Stöhnen der Erlösung ließ uns flüchten.

Doch der Hype dauerte natürlich auch hier nicht ewig. Bald kamen andere "Clubbing"-Veranstalter auf die Idee, den etwas maroden Freitag aufzufetten. Um das Booking ging es dabei nicht mehr so sehr – dafür um Umsatz und um Flaschenverkäufe. Diese Vermischung war dem Club nicht besonders dienlich. Dem Umsatz wahrscheinlich schon, denn teuer war die Location, das weiß ich.

Als der Betreiber Dr. Hübner 2001 nach sehr langem Rechtsstreit die Meierei schließlich an die Stadt Wien zurückgeben musste, blieb sie noch ein weiteres Jahr als gerupftes Huhn – ohne Teppiche und Luster, dafür mit einem dritten Floor – in des alten Mannes Schlafzimmer – bestehen. Allerdings fehlte etwas der Glanz der Vorjahre. Dann fielen die Würfel der Entscheidung: Die Familie Reitbauer vom Steiereck durfte das Gebäude übernehmen und von Grund auf neu aufbauen. Sunshine bekam die Babenberger Passage als Ersatzlocation.

Kurz bisserl Schmusen.

Dort regierten von Anfang an die Gesetze der Gastronomie und die Musik war eher ein Nebenprodukt, für uns con:verse-Macher kein Thema, wir beendeten im Dezember 2001 unser Experiment – friedlich wohlgemerkt. Für Sunshine begann hingegen ein Erfolgslauf der seinesgleichen sucht.

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Im Oktober 2002 dann "Bye, Bye, Meierei", die allerletzte Abrissparty: Unvergesslich. 2.500 Menschen stürmten das Gebäude, bewaffnet bis an die Zähne mit abschiedsverlängernden Substanzen. Die Resident DJs sagten "Goodbye". Am Ende gab's noch legendäre Dachpartys und dann kamen die Bagger.

Die Meierei hinterließ anfangs ein Loch in der Stadt. Als Mittelding zwischen Volksgarten und FLEX hatte sie alle Publikumsschichten angesprochen. Das gab es so davor nicht in der Stadt.

Gerry Old House

Die Meierei war der erste Club, der regelmäßiges, internationales Booking zur Norm erhob und jede Woche spannendes Neues anbot – zwischen vielen Stilen und vor allem noch zu leistbaren Gagen und ohne Nase rümpfende Technopolizisten (ich meine wöchentliches Booking, Spezialevents mit großem Booking gab es natürlich auch schon davor).

Sie roch ein wenig nach dem Mief von gestern, aber am Wochenende wurde dieser von den Bässen der überdimensionierten, heute natürlich völlig veralteten Anlage, hinweggeblasen. Sunshine Enterprises hatte dies, trotz anfänglich anderem Clubzugang, möglich gemacht. Con:verse feierte noch drei kleine Revivals in der Pratersauna, dem Club, der am ehesten an die alte Meierei erinnerte.

Was die Familie Reitbauer mit ihrem Steirereck aus der alten Meierei gemacht hat, ist würdig und zeitgemäß, man hätte die Bruchbude ohnehin nicht mehr lange weiterführen können. Es gab viele gute neue Läden, die kamen und gingen. Der Meierei nachzutrauern, hilft heute auch nicht mehr, aber es hilft vielleicht, würdig zu dokumentieren, was damals möglich war.

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Der Hauch des kleinen Studio 54 von Wien – der Meierei – weht nur mehr selten durch Wiens Szene. Aber wir fangen ihn noch manchmal ein.

Hans Wu, Andton Waldt und ?

Gerwin und Rob Birch

"Morgenlatte um 7:30 Uhr"

Strapse und G.

"Eines der besten Fotos!"

Rudi und Paul, Interfearance at White Noise Night

Gerwin, Tina 303 und Slack Hippie

LX in tha Mix

Virgin Helena und Unbekannt

Petra

Jürgen Drimal

Sveth, Spät

Mia und Franke

Philipp H.

Marc und Bruder flankieren Rudi.

DJs

Das waren die letzten Atemzüge der Meierei.

Header: Cat, Mia und Sven Väth. Alle Fotos von Gerwin Kante.

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