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Interview

Till von Sein und Yannick Labbé brauchen keine Freizeit

Für Thump haben sich die beiden gegenseitig interviewt.

Keinen Satz haben wir in Interviews häufiger gehört als: „Dann habe ich diesen anderen guten DJ getroffen und wir sind ins Gespräch gekommen", und in jedem scheiß Interview waren wir zu langsam, dazwischenzugehen und zu fragen, worüber zwei gute DJs überhaupt reden, wenn sie ins Gespräch kommen. Von einer Quelle, die nicht genannt werden möchte, wurde uns jetzt endlich eine Unterhaltung zwischen zwei guten DJs zugespielt.

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Yannick Labbé und Till von Sein im Gespräch

Yannick Labbé: Ich bin ja schon ein bisschen Fan von dir. Eins muss ich wissen: Wie ist „Gestern" entstanden? Das war der allererste Track, den ich von Dir gehört habe, und das Teil macht mich immer noch fertig. So fragil, traurig und dann eben doch Maschinenfunk und in diesem Sinne auch brachial.

Till von Sein: 2007, als ich nach Berlin kam war meine Situation nicht gerade rosig. Ich hatte meinen Streetwearladen geschlossen, Schulden bis zum Horizont, Hartz IV. Zum Glück habe ich damals noch bei meiner besten Freundin Unterschlupf gefunden. Auf der einen Seite war da dieser wahnsinnige Frust, auf der anderen Seite war ich total motiviert, dafür zu sorgen, dass das anders und besser wird. Als der Track entstand, war gerade mein 13 Jahre jüngerer Bruder übers Wochenende zu Besuch. Der war extrem stolz auf seinen großen Bruder. Zuerst war ich der Dude mit diesem coolen Klamottenladen und jetzt saß ich im „großen und übercoolen" Berlin und arbeitete für eine Agentur, die Trentemøller unter Vertrag hat. Ich fühlte mich aber vor ihm wie der totale Loser.

Exakt am zweiten Tag nach seiner Ankunft saß ich morgens in meinem Zimmer am Macbook mit meinen In-Ears und habe den Track in wahrscheinlich 90 Minuten gebastelt, basierend auf einem Sample von Justin Timberlake und Gonzales.

Mit Musik kann ich einfach die ganze Scheiße, die um mich herum passiert, verarbeiten. Nur wenn ich in der Scheiße stecke, passieren die krassen Sachen. Leider waren die letzten Jahre sehr positiv und voller Liebe bei mir (grinst).

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Yannick Labbé: Ich finde, musikalisch hast Du eine wahnsinnige Bandbreite—ganz besonders krass ist diese Bandbreite jetzt bei deinem neuen Album Precious zu hören. Hast Du das Gefühl, dass Du damit dein musikalisches Zuhause gefunden hast—oder geht der Weg noch weiter?

Till von Sein: Ich glaube, musikalisch bin ich bin noch nicht zu Hause angekommen, aber auf dem besten Weg dahin. Da ich als Produzent in meinen Fähigkeiten letztlich doch limitiert bin, bleibt mir nichts anderes übrig, als auf Musiker zurückzugreifen, die meine Vision verstehen und mir bei der Umsetzung helfen können. Das hab ich nun auf Precious das erste Mal angetestet und bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Aber ich unterscheide natürlich auch zwischen 12 Inch und Album. Auf den nächsten 12 Inches kann es natürlich schon wieder ganz anders aussehen. Vielleicht befriedigen mich dann Drum Machine und Sample total.

Irgendwann möchte ich das perfekte Soul-Album produzieren, das ist mir aus meiner Sicht noch nicht gelungen, aber lieber ein paar mal mehr versuchen und scheitern, als den einfachen Dieter-Bohlen-Weg zu gehen. Dafür mach ich den Quatsch hier nicht.

Yannick Labbé: Was mich an Dir beeindruckt: Du bist schon lange als DJ, Producer und Booker unterwegs—independent auf eigene Faust. Damit hast du ja wahrscheinlich schon so ziemlich alles erlebt und mitbekommen. Was inspiriert dich, was motiviert dich?

Till von Sein: Gute Frage, mich inspirieren die vielen Trips in andere Länder und Städte als DJ, gutes Essen, meine Freunde, deren Output und Lebenssituationen. Mich inspiriert neue Musik die ich täglich entdecke, die Künstler, die ich als Agent betreue und deren Visionen.

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Aber am meisten inspiriert es mich, mir in Venice Beach mir ein Fahrrad zu mieten, am Strand in gen Malibu zu radelnm und dabei Musik zu hören—bei 25 grad und einfach mal das Grinsen nicht aus dem Gesicht zu bekommen und alles um mich rum vergessen zu können. Nach drei Stunden kann ich mich so wieder von der Realität holen lassen und mich voller Energie in meine Arbeit stürzen.

Yannick Labbé: Welchen Track würdest Du gerne in welcher Location nochmal spielen?

Till von Sein: Tigerskin - Heat auf dem Waterflloor im Watergate. er hat mir den track gefuehlt nen halbes jahr vor release gegeben und ich habe ihn dann direkt am nexten morgen dort gespielt und hatte menschen tanzend vor mir mit traenen in den augen vor glueck.klar,das da warscheinlich gewissen substanzen im spiel waren etc,aber der moment war magisch fuer mich.

Yannick Labbé:

Und schließlich: Was steht bei Dir denn so als nächstes an?

Till von Sein: Gerade bin ich sehr beschäftigt mit meinem Agenturjob, ich arbeite vor allem an der nächsten Keinemusik-Tour. Musikalisch muss ich mich nach dem Album erst einmal neu orientieren, neues 12-Inch-Material produzieren und hoffentlich mit Tigerskin an einer neuen EP für Dirt Crew arbeiten. Du hast ja die gleiche Lebensituation wie ich: Du arbeitest Full Time, gehst am Wochenende zum Auflegen und machst dann noch Musik. Wie schaffst du die Balance? Hattest du nie den Drang, dich auf eine Sache zu konzentrieren?

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Yannick Labbé: Ja, das ist manchmal anstrengend—und heute, mit 36, deutlich mehr als früher. Die Frage nach der Balance stell ich mir echt oft, weil es ja immer diese Momente gibt, in denen man sich denkt „Sollte ich nicht einfach eins von beidem machen und gut is"? Aber dann ist es eben so, dass ich mich schon Donnerstag Abend darauf freue, am Wochenende aufzulegen, und mir Montag morgens denke: „Mein Montag ist nicht so kacke wie eurer, mein Wochenende war nämlich geil." Und dann merke ich, dass genau das meine Balance ist—ich will mich eben nicht festlegen. Und das ist, bei all dem Aufwand, die größte Freiheit, die ich mir vorstellen kann. Und eine wahnsinnige Inspirationsquelle.

Till von Sein:

Die letzten Jahre hab ich zwei Umzüge mitbekommen bei dir. Whats next?

Yannick Labbé: Ja, von Berlin ging's nach Köln, und dann letztes Jahr nach Hamburg. Und hier gefällt's mir echt gut. Hamburg hat mich total überrascht—Eurokai hat mir wahrscheinlich den nettesten Empfang gegeben, den ich jemals als Neuankömmling in einer Stadt bekommen habe, hat mich den Jungs von Hafendisko vorgestellt, und gleichzeitig bei der Villa Nova vorgeschlagen, wo ich jetzt Resident bin. Von daher ist alles super, die Leute sind top, aber: Ich vermisse Berlin tierisch. In Zukunft könnte ich mir vorstellen, in beiden Städten zu wohnen, wenn sich das irgendwie einrichten lässt.

Till von Sein: Wie fühlt es sich an, nach einer 10-jährigen Karriere im Duo nun Solo-Artist zu sein ?

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Yannick Labbé: Großartig!! Die Arbeit als Duo ist halt was ganz anderes—da geht es eher darum, Kompromisse zu finden, damit jeder seinen Platz in den Produktionen findet, und im Endeffekt unter diesen Vorgaben einen gewissen Sound voranzutreiben. Das ist einerseits cool, weil man eben zu zweit ist, aber oft auch anstrengend und langwierig. Momentan hol' ich alles nach, was ich während der Trickski-Zeit so nicht gemacht habe, und entdecke den Spaß am Mucke machen wieder—am Rumprobieren, Quatsch machen, und Einfach-mal-Schauen. Das ist mir dann nämlich doch in den letzten Jahren zu sehr auf der Strecke geblieben. Und wenn du das nicht hast, dann wird Musik zu einer Marketing-Veranstaltung.

Till von Sein:

Du warst einer der ersten in Deutschland´s House-Szene der schon damals so krasse Synth-Läufe/Melodien benutzt hat—jetzt, wo es grade so en vogue ist, was machst du ?

Yannick Labbé: Ich hab momentan keine Lust mehr auf Akkorde. Der Maximal-Ansatz, den ich früher megageil fand und verfolgt habe, der funktioniert für mich nicht mehr. Dieses Musikalische—das wird momentan häufig verkitscht. Was die Melodien angeht – ich versuch' mich da gerade n bisschen weiter zurückzunehmen. Auch die „organische", handgemachte Philosophie, die bei dem musikalischen Ansatz eine Rolle spielt, ist mir inzwischen nicht mehr so wichtig wie früher. Mal sehen, was bei den nächsten Releases so rauskommt.

Till von Sein: Interessiert dich in 2015 noch Slow House ?

Yannick Labbé: Gegenfrage: hat's das Genre jemals wirklich gegeben? Also, ich weiß, was Du meinst, aber für mich war das Präfix „Slow" vor dem Wörtchen „House" immer schon überflüssig. Der erste House-Track, der mich so richtig geflasht hat, war „What U Cry 4" von Theo Parrish. Und der ist halt richtig schön slow, und hat mir gezeigt, wie ne Kick kickt, wenn man das Tempo drosselt. Das hat mir Welten eröffnet—und deswegen ist „Slow House" für mich nicht wirklich ein Genre, sondern eine Art House zu produzieren oder zu spielen, wenn man will, dass die Kick richtig drückt—und eben einfach auf ne andere Energie abzielt als 120+bpm-House-Mucke. Ich mag das immer noch, aber hab heute nicht mehr so sehr das Verlangen, so langsam zu produzieren. Trotzdem hat die slowe Geschichte ihre Spuren hinterlassen: Ein bisschen langsamer find' ich immer noch besser als ein bisschen schneller.

Yannick Labbé hat gerade seine EP Seilertracks Part 2 bei hafendisko veröffentlicht, hier könnt ihr sie bestellen.

Das aktuelle Till von Sein-Album Precious ist bei Suol erschienen. Such dir eine Plattform aus: iTunes | Beatport | Amazon | Decks