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Mit dieser neuen Idee wollen Clubs jetzt mehr Druck auf die Politik ausüben

Wie kann die Szene in Deutschland und auf der ganzen Welt endlich nachhaltig erhalten und gefördert werden? In Berlin wurde jetzt ein möglicher Gamechanger in dieser Problematik vorgestellt.

Das Kraftwerk Berlin während des Atonal Festivals 2014. Foto von imago

Wie wichtig sind Clubs für das Leben an sich? Das ist eine Frage, von nicht geringer politischer Relevanz. Denn auch wenn sich viele Großstädte gerne offensiv mit ihrem reichhaltigen Ausgehangebot schmücken: Selbst etwas dafür tun oder zumindest entsprechende Rahmenbedingungen schaffen, das machen sie nur in den seltensten Fällen.

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In Berlin beispielsweise musste sich die Clubszene Ende der 90er an den Finanzsenator statt an die Kultur wenden. Weil Letztere das schönste Bumm-Bumm der Welt nämlich nicht als hochwertig anerkennen wollte. Seitdem versuchen die lokalen Clubs sich vor allem als wichtiger Wirtschaftsfaktor darzustellen, den es zu fördern und schützen gilt (Stichwort: Clubsterben). Und betonen dabei sie  seit einigen Jahren auch immer mehr ihre kulturelle Bedeutung – was sie wiederum mit Clubs in London, Nürnberg oder New York gemeinsam haben.

Jetzt hat man auf internationaler Ebene aber ein neues Tool erfunden, um Politiker*innen in die Verantwortung zu nehmen: den "Creative Footprint".

Ähnlich eines CO2-Fußabdrucks, soll dieser 1. erfassen, was ein Ort überhaupt musikalisch zu bieten hat und 2. zum Ausdruck bringen, wie sehr sich eine Stadt oder ein Bezirk, um den Erhalt und die Förderung von lokaler und neuer Musik kümmert. Denn, so die Argumentation: Wenn man den Verantwortlichen Jahr für Jahr aufs Neue vorrechnen kann, wie sich die Situation bei ihnen möglicherweise durch Schließungen und ausbleibende Förderung verschlechtert (oder wie schlecht sie im Vergleich zu anderen abschneiden), dann bekommen sie endlich ein Verständnis für Bedeutung und Komplexität des Nachtlebens – und geraten unter Zugzwang.

Einerseits will ja niemand schlecht irgendwo dastehen, andererseits – auch das gehört zur Logik – ist eine hohe Lebensqualität mit einem ansprechendem Kultur-, sprich: Nachtleben eng verbunden und auch ein wichtiger Faktor im Werben von Städten um junge, qualifizierte Fachkräfte. Der Berliner Digitalboom hängt eben auch mit Berghain, HKW & Co zusammen, weil junge Programmierer*innen und Entwickler*innen abends was erleben wollen. Kleine, gerne vergessene Clubs spielen dabei ebenfalls ihre Rolle.

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Berlin hat bereits einen "Creative Footprint"

Der "Creative Footprint" hinter dem als Intitator Lutz Leichsenring, Pressesprecher und Vorstand der Berliner Clubcommission steckt, wurde nun also gestern in Berlin präsentiert. Zu den Beratern gehören u.a. Professor Charles Landry (prägte den Begriff der "Creative City"), Neurowissenschaftler Prof. Daniel Polley aus Harvard und Amsterdams offizieller Nachtbürgermeister, Mirik Milan. Unterstützung kommt vom Musicboard Berlin, der Clubcommission, dem Netzwerk Sound Diplomacy und Red Bull.

Und den ersten Score gibt es auch schon und zwar eben für Berlin. Aus 10 möglichen Punkten erreicht die Stadt:

8,02.

Klingt erstmal nicht schlecht, noch Luft nach oben. Aber was bedeutet das?

Drei Kriterien sind entscheidend: Raum, Inhalt und Rahmenbedingungen. Wäre viele der darunter fallenden Teilbereiche wie "Wie viele Clubs gibt es pro Einwohner?" oder "Wie werden Ausschanks- und Öffnungslizenzen reguliert?" unkompliziert ermittelt werden konnten, mussten andere diskutiert werden, etwa:

Wie kreativ und vielfältig nutzt ein Club seine Flächen? Wie sehr wirbt er mit seinem Programm, statt mit Flatrate-Angeboten und "Ladies Nights"? Performen die Künstler*innen (und DJs) hier vor allem eigene Produktionen und sind sie eher lokale Newcomer oder große internationale Acts?

Dafür wurden zahlreiche "Experten" eingeladen, die diese Fragen in Gruppenarbeit für möglichst viele der über 500(!) Berliner Clubs mittels einer Skala klären sollten. Die so erhobenen Daten wurden dann mit den harten Fakten zu einem Score für die gesamte Stadt zusammengerechnet, wobei die absolute Idealsituation eben für einen Wert von 10,0 steht.

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Liegt Berlins verkanntes Kreativzentrum im Südosten?

Aber auch für die einzelnen Bezirke (wo die Unterscheidung dann nur noch in den Kriterien "Raum" und "Inhalt" stattfand) errechnete man einen "Creative Footprint". Überraschender Sieger hier: Treptow vor Neukölln, der hierfür wieder geteilte Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg mit Berghain, about blank, OHM, Tresor, Renate & Co landete nur auf den Plätzen 4 und 5. Allerdings reichte die Expertise des Gremiums bislang nur aus um insgesamt acht Bezirke von 22 zu bewerten.

Wie die Politik auf die Zahlen von "Creative Footprint" reagieren wird, bleibt aufzuwarten. Für Amsterdam (durchgeführt mit den lokalen Behörden), Los Angeles (L.A. Times und UCLA), New York (Red Bull) und Sao Paulo (Vereinigung lokaler Clubs und Veranstalter) werden aktuell bereits eigene Scores erarbeitet, so Lutz Leichsenring gegenüber THUMP. Danach stehen London und weitere deutsche Städte auf dem Plan.

Dann zeigt sich auch, wie gut Berlin wirklich dasteht.

Hier das Berliner Ergebnis in einer anschaulichen Grafik:

Der erste "Creative Footprint" überhaupt: Berlin als Musikstadt aktuell. Mit freundlicher Genehmigung

*Der Autor war einer dieser insgesamt 27 "music experts"

Thomas twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram.