Endlich gibt es ein Videospiel, das sich realistisch mit dem Tod auseinandersetzt
Bild: Sony

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Endlich gibt es ein Videospiel, das sich realistisch mit dem Tod auseinandersetzt

Ego-Shooter machen das Sterben in Videospielen zur Banalität. Doch die Emotionen, die der Tod tatsächlich mit sich bringt, werden erst in diesem Spiel auf fantasievolle Weise zum Thema.

Es gibt zahlreiche Games, die vom Töten handeln – doch kaum ein Spiel setzt sich ernsthaft mit dem Tod auseinander. Durch die ständige Reinszenierung von Leben und Sterben, Gameover und Neustart wird der Tod zu einem reinen Feature der Handlung, statt einen realistischeren Blick auf die Auswirkungen des Todes oder der Angst vor dem Unausweichlichen zu eröffnen. What Remains of Edith Finch ändert das und lässt den Spieler anhand einer mitreißenden Familiengeschichte den Tod in all seinen Facetten erforschen und erleben.

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Das story-basierte Spiel aus dem Hause Giant Sparrow gibt Spielern die Möglichkeit, sich durch 13 behutsam erzählte Kurzgeschichten mit Trauer und Tod auseinanderzusetzen. Das Spiel erscheint zwar erst in diesem Frühjahr, aber schon die einstündige Demo-Version sieht vielversprechend aus. Es scheint so, als sei es endlich einem Game gelungen, mit diesem komplexen Thema angemessen umzugehen.

Die fantasievolle Storyline, die von den Erzählungen von Lovecraft, Gaiman und Borges inspiriert wurde, führt den Spielern hautnah das Schicksal vom Untergang einer ganzen Familie vor Augen. Der Ausgangspunkt des Spiels: Als letzte Überlebende der Familie Finch, kehrt Edith zu ihrem Elternhaus im US-Bundesstaat Washington zurück. Hier taucht der Spieler dann in Kurzgeschichten ein, die sich über mehrere Generationen und Kontinente erstrecken, und in denen das Leben und vorzeitige Ableben von Ediths Familienmitgliedern dargestellt wird.

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Vor allem die neueste Demo-Sequenz hat einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen: Sie handelt von Ediths Bruder Lewis, der sich kürzlich das Leben genommen hat. Zum einen lässt What Remains of Edith Finch erahnen, welches ungenutzte Potenzial zur Trauerbewältigung in Videospielen schlummert – und es half mir dabei, den Suizid meiner eigenen Schwester zu verarbeiteten. Dabei leistete das Spiel mehr, als es irgendein anderes Werk oder Medium für mich in den letzten Monaten getan hat.

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„Wir versuchen, den Rahmen für die Spieler abzustecken, lassen sie dann aber ihre eigenen Erfahrungen mit dem Tod machen", erklärt mir der Creative Director Ian Dallas über den Ansatz des Videospiels. „Die Spieler bringen selbst schon so viel Emotionen mit, dass wir diese nicht extra vorgeben müssen. Das wäre redundant. Indem wir den Spielern so wenig wie möglich vorschreiben, wie sie sich fühlen sollen, lassen wir ihnen mehr Raum, ihre eigene Familiengeschichte mit einzubeziehen."

Das Spiel verfolgt beim Umgang mit dem Tod einen realitätsnahen Ansatz: Leute, die einen geliebten Menschen durch Suizid verloren haben, verbringen die anfängliche Trauerphase oft damit, nach Antworten zu suchen, die ihnen niemand geben kann. Sie versuchen akribisch, die letzten Schritte ihrer Angehörigen nachzuvollziehen, befragen Freunde und Bekannte in der Hoffnung, dass eine rationale Analyse diesem schrecklichen Erlebnis irgendeinen Sinn geben kann. Im Spiel findet Edith bei ihrer Suche einen Brief, den Lewis' Psychotherapeutin an die Mutter geschrieben hat. Darin erläutert die Therapeutin ihre Theorie darüber, was in Lewis vorging und warum ihm niemand mehr helfen konnte.

Bild: Giant Sparrow

Daraufhin findet im Spiel ein Perspektivenwechsel statt und der Spieler sieht die Welt durch Lewis' Augen. Während die Psychotherapeutin im Hintergrund ihre Erklärungen ausführt, führt der Spieler Lewis stumpfsinnige Arbeit in einer Konservenfabrik aus; enthauptet Fische und legt ihre leblosen Körper zurück auf das Fließband. Im Hintergrund erläutertet die Therapeutin, wie Lewis sich in seine eigene Fantasiewelt flüchtete, um der harschen Realität zu entkommen. Während sie Lewis' imaginäre Welt beschreibt, erscheint eine kleine Parallelwelt auf dem Bildschirm. Diese teilt nicht nur das Sichtfeld in zwei Teile sondern auch die Spiel-Controller. Mit dem linken Controller kann ich nun das 2D-Labyrinth in Lewis' Kopf erkunden, während ich mit dem rechten Controller weiterhin die repetitiven Bewegung der Fließbandarbeit ausführen muss.

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Giant Sparrow ist dafür bekannt, den Spieler einfach spielen zu lassen, ohne in der Storyline zu viele Vorgaben zu machen. Sein letztes Spiel Unfinished Swan war zwar wie ein Ego-Shooter aufgebaut, der Spieler war statt mit scharfer Munition allerdings mit Farbe ausgestattet, mit der er Stück für Stück die Geschichte einer ansonsten weißen Welt freilegte. What Remains of Edith Finch funktioniert nach demselben Prinzip und überlässt es ganz dem Spieler, jede Geschichte emotional zu verarbeiten, während sich das Leben und Sterben der einzelnen Familienmitglieder vor ihnen ausbreitet. „Wir versetzen die Spieler in die Situation dieser Menschen, indem wir sie in die Entwicklungen mit einbeziehen", erklärt Dallas.

Bild: Giant Sparrow

Was bedeutet das konkret? In der Szene in der Fischfabrik nimmt nimmt Lewis' Traumwelt langsam aber sicher mein ganzes Sichtfeld ein und verwandelt sich von einem einfachen 2D-Labyrinth in ein vollwertiges 3D-Fantasy-Reich namens Lewistopia. Nach und nach wird die kalte, unpersönliche, gewalttätige Fabrik durch eine warme, farbenfrohe Welt ersetzt, in der mich freundliche Gesichter zum König krönen. Aus weiter Ferne kann ich gerade noch die Stimme der Psychotherapeutin hören, die erklärt, dass sie an dieser Stelle noch glaubte, Lewis retten zu können. Doch noch erkenne ich nicht die düsteren Konsequenzen von Lewistopia und bin ganz vom Freudentaumel eingenommen, den die Krönungsfeierlichkeiten mit sich bringen. Wie ernst die Lage ist, erkenne ich erst, als es bereits zu spät ist: Lewis legt seinen Kopf auf die Guillotine, um für immer in der Traumwelt zu bleiben und das deprimierende Leben in der Fischfabrik hinter sich zu lassen.

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„In dem Moment, in dem man einer Figur im Spiel nahe kommt, entschwindet sie", erklärt Dallas. Später erzählt er mir, dass seine Mutter starb, kurz nachdem er die Arbeit am Spiel begonnen hatte. „Du begegnest den Figuren im Spiel nicht wieder, aber dafür erfährst du durch ihre Eltern und Geschwister mehr über sie. Wir fanden, dass die Familiengeschichte ein angemessener Ansatz war, um Zugang zu den Geschichten zu bekommen und einen Einblick in den Tod zu gewinnen – über die Spuren, die der Tod eines Menschens in seiner direkten Umgebung hinterlässt."

Schließlich wirft mich das Spiel wieder zurück in Ediths Körper und somit auch wieder in die harte Realität. Sie steht im Zimmer ihres verstorbenen Bruders und umklammert noch immer den Brief der Therapeutin. Unweigerlich muss ich an meine eigene Schwester denken. Wieder einmal wird mir bewusst, dass keine lebende Person mir jemals die Antworten geben kann, nach denen ich suche. Ich spüre den Kloß in meinem Hals. Worte werden niemals ausreichen, um das ganze Ausmaß unseres Verlustes zu beschreiben. „Mein Bruder war wirklich toll", erklärt Ediths Stimme einer unbestimmten dritten Person im Raum. „Ich wünschte, du hättest ihn kennen lernen können."

Bild: Giant Sparrow

Man habe sich bei der Entwicklung des Spiels sehr viele Gedanken darüber gemacht hat, wie sie beim Umgang mit dem Tod die Balance zwischen persönlicher Erfahrung und dem Spielkonzept halten konnten, erklärt Dallas im Gespräch mit Motherboard. „Wir haben versucht, etwas, das sich nicht beschreiben lässt, in ganz alltäglichen Situationen darzustellen. Der Tod ist beides: Er ist dieses transzendente, undurchschaubare Konzept, mit dem wir trotzdem alle unweigerlich in Berührung kommen. Wir wollten ein Spiel erschaffen, dass die gewöhnlichen, alltäglichen, offensichtlichen Aspekte des Todes mit seiner unbekannten, mysteriösen, surrealen Seite verbindet."

Trotzallem sieht Dallas den Tod nicht als das zentrale Thema von What Remains of Edith Finch. „Es geht vielmehr um die bizarre Erfahrung, überhaupt am Leben zu sein", erklärt er mir. „Der Tod ist nur eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie vergänglich und zerbrechlich dieser Zustand ist."