Stewart Detention Center: Das härteste Abschiebegefängnis der USA
Foto von Kevin D. Liles​

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Stewart Detention Center: Das härteste Abschiebegefängnis der USA

Im Stewart Detention Center warten etwa 1.700 Männer darauf zu erfahren, ob die USA sie abschieben werden. Und die Chancen dafür stehen äußerst hoch.

Dieser Artikel wurde in Zusammenarbeit mit The Marshall Project veröffentlicht.

Um zum Abschiebegefängnis Stewart Detention Center in Lumpkin im US-Bundesstaat Georgis zu gelangen, muss man von Atlanta aus zweieinhalb Stunden nach Südwesten fahren. Entlang des Chattahoochee River stößt man 65 Kilometer vor Lumpkin auf die Stadt Columbus; hier gibt es die letzte Chance auf ein Hotel, WLAN oder zuverlässigen Handyempfang. Danach wartet eine Landschaft aus rotem Staub und rankenüberwachsenen Bäumen. Das Zentrum von Lumpkin zeichnet sich durch eine Reihe geschlossener Läden, eine sonnengebleichten Tankstelle und einen Waffenladen aus.

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Zehn Fahrminuten außerhalb des Ortskerns auf der CCA Road—benannt nach der Privatgefängnisfirma Corrections Corporation of America—liegt Stewart, eines der entlegensten Abschiebegefängnisse der USA. Stewart ist zur essentiellen Geldquelle der Region geworden. 2012 machte die Anstalt 20 Prozent der County-Einnahmen aus. Dieses Geld wird durch ca. 1.700 Betten generiert, in denen Männer darauf warten zu erfahren, ob sie aus den USA abgeschoben werden.

Und das werden sie höchstwahrscheinlich.

Lumpkin, Georgia, wo das Stewart Detention Center steht | Foto: Audra Melton

Stewart und das Einwanderungsgericht, das über das Schicksal der Stewart-Insassen entscheidet, haben die höchste Abschieberate des Landes. Das liegt zum Teil daran, dass die Stewart-Insassen mit der geringsten Wahrscheinlichkeit Einwanderungsanwälte finden. In der Nähe von Lumpkin gibt es einfach keine, und wenige sind gewillt, stundenlang zu fahren, um sich mit den Mandanten zu treffen, die sich größtenteils keinen Rechtsbeistand leisten können.

Letztes Jahr waren weniger als zwei Prozent der Stewart-Insassen erfolgreich in ihrem Abschiebeprozess und mussten das Land nicht verlassen.

Im August 2015 hoffte Omar Arana Romero, er würde zu dieser glücklichen Minderheit gehören. Er saß mit leeren Händen auf einer Holzbank im Gerichtssaal der Richterin Saundra Arrington, neben ihm etwa zehn weitere Männer. Arrington ist eine von vier Richtern, die jährlich in mehr als 6.000 Abschiebefällen aus Stewart urteilen. An jenem Tag fürchtete sich Romero. Es war sein dritter Gerichtstermin seit er im Juni in Stewart eingetroffen war und er wusste nicht wirklich, was vor sich ging. Er spricht kein Englisch und hatte keinen Anwalt.

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Ein Gerichtsdiener überprüfte Romeros eingeschweißtes Ausweisschild und winkte ihn an den Tisch vor Arringtons Richterbank. Romero setzte die Kopfhörer auf, mit denen er die Spanischdolmetscherin hören konnte.

Laut Romero fragte Arrington, ob es ihm gelungen sei, seit dem letzten Gerichtstermin einen Verteidiger zu finden. Er sagte ihr, er könne sich keinen leisten.

Sie sagte, sie habe ihm genug Zeit gelassen, um einen zu finden, und würde dementsprechend mit seinem Abschiebeverfahren fortfahren.

Omar Arana Romero im Stewart Detention Center | Foto: Audra Melton

Im Juni 2015 erschien Romero zu seinem ersten Tag bei einem Zeitarbeitsjob in einer Chemiefabrik 30 Minuten von seinem Zuhause in Bay City, Texas. Körperliche Arbeit war für ihn nichts Neues. Er hatte die letzten Jahre damit verbracht, seine drei Kinder mit diversen Jobs durchzubringen, wie etwa bei einem Teppichverleger, in einer Gärtnerei und in den texanischen Ölfeldern. Als die Arbeitsaufsicht seinen Sozialversicherungsausweis sehen wollte, zeigte er einen gefälschten vor. Doch die Vorgesetzten in der Chemiefabrik kamen dahinter und riefen die Polizei, die wiederum die Einwanderungsbehörde einschaltete.

Es war das erste Mal, dass Romero mit der Einwanderungs- und Zollbehörde Immigration and Customs Enforcement (ICE) zu tun hatte, seit er 1994 von Mexiko in die USA gekommen war. Festnahmen hatte er allerdings schon hinter sich: 2003 und 2004 wurde er wegen Trunkenheit am Steuer in Colorado verhaftet, 2012 noch einmal wegen Kokainbesitzes. Jedes Mal wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, die ICE schaltete sich nie ein.

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Romero erklärt seine vergangenen Gesetzesverstöße zum Teil mit dem Trauma und dem Druck, die auf den gewaltsamen Tod seiner Tochter Rosa 2004 folgten. Während Romero in der Arbeit war, schlug seine damalige Frau die Sechsjährige, die bald darauf an einer Bauchverletzung starb. Seine Ex-Frau wurde zu 60 Jahren Haft verurteilt. Romeros drei jüngere Kinder kamen in die Obhut des Jugendamts, doch einen Monat später durfte ihr Vater sie wieder zu sich nehmen. Seither ist er alleinerziehend.

Als er vor Richterin Arrington stand, blieben Romero die Worte im Halse stecken. Er wollte sie überzeugen, ihm eine Chance zu geben, ihm mehr Optionen zu gewähren, doch er hatte Angst, etwas zu sagen, das ihm am Ende stattdessen nur schaden würde.

In der Hoffnung, die Sympathie der Richterin zu gewinnen, verhielt er sich vorsichtig. Er sagte ihr, als Alleinerziehender sei er Mutter und Vater in einem.

Laut Romero sagte Arrington daraufhin, er solle seine Kinder mit nach Mexiko nehmen.

Er sagte, sie seien doch in den Vereinigten Staaten geboren und würden nichts anderes kennen.

Wenn sie 18 seien, so die Richterin, könnten sie ja in die Staaten zurückkehren.

Und damit war der Gerichtstermin beendet. Romero ging zurück zu seinem Stockbett und weinte.

Der Zaun vor dem Stewart Detention Center | Foto: Audra Melton

Stewart ist eine von mehr als 40 Privateinrichtungen in den USA, die als Abschiebegefängnis fungieren. Wo die Einwanderer enden, hängt stark von der Geografie, aber auch vom Glück ab. Wenn sie im Südosten des Landes festgenommen werden, schicken die Behörden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nach Stewart. Würden dieselben Männer zum Beispiel nach Miami geschickt, könnte ihr Zukunft ganz anders aussehen: Sie würden mit mehr als dreimal so hoher Wahrscheinlichkeit Anwälte finden und hätten eine zehnmal höhere Chance, in den Staaten bleiben zu dürfen.

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In den USA haben zwar Angeklagte in Strafprozessen ein Recht auf einen Verteidiger, selbst wenn sie sich keinen leisten können, doch Einwanderer, die vor der Abschiebung stehen, haben diesen Anspruch nicht. Ärmere Familien müssen entweder die 7.000 Dollar für einen Privatverteidiger zusammenkratzen, oder darauf hoffen, Pro-Bono-Anwälte zu finden, die sich gratis ihres Falls annehmen. Und das ist in Stewart so gut wie unmöglich.

Laut einem Bericht des American Immigration Council vom September hatten zwischen 2007 und 2012 nur sechs Prozent der Stewart-Insassen eine Verteidigung. Der landesweite Durchschnittswert ist mehr als doppelt so hoch.

Ein professioneller Verteidiger hat riesigen Einfluss auf jeden Aspekt eines Falls. Einwanderung ist ein besonders kompliziertes und im Ermessen der Richter stehendes Rechtsgebiet, in dem es viel weniger verfassungsrechtliche Garantien gibt, als in anderen Bereichen. Ohne Verteidigung wissen Einwanderer oft nicht, welche Unterstützung ihnen zusteht, wie sie eine Asylantrag stellen können oder wie ihre Vorstrafen sich auf ihren Einwandererstatus auswirken könnten. Die Forschung zeigt, dass Einwanderer mit Anwälten insgesamt eine viel höhere Chance auf eine Kautionsverhandlung haben, wahrscheinlicher für die Dauer ihres Prozesses auf freien Fuß dürfen, häufiger Unterstützungsanträge einreichen und mit bis zu 14 mal höherer Wahrscheinlichkeit ihren Prozess gewinnen und in den USA bleiben dürfen.

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Eine Sprecherin des Executive Office for Immigration Review, der Behörde des Justizministeriums, die für die Einwanderungsgerichte zuständig ist, schrieb in einer E-Mail, dem Office sei klar, wie wichtig Rechtsbeistand sei, und es habe "mehrere Initiativen eingerichtet, die eine rechtliche Vertretung fördern". Im Stewart-Gefängnis können Insassen ein Orientierungsprogramm der Wohltätigkeitsorganisation Catholic Charities durchlaufen. Das Programm vermittelt unter anderem Wissen über die Beteiligten im Gerichtssaal sowie das komplizierte Asylrecht der USA.

Insassen erhalten außerdem eine "Liste über Anbieter kostenfreien Rechtsbeistands"—doch drei der vier aufgelisteten Anwälte nehmen nicht länger Pro-Bono-Fälle aus dem Stewart-Gefängnis an.

Ohne Anwalt müssen sich viele Insassen auf Freunde und Angehörige verlassen, um ihnen das Recht auf Aufenthalt in den USA zu ermöglichen.

Ein Schild, das für einen Einwanderungsanwalt wirbt, liegt im ländlichen Stewart County auf der Erde | Foto: Kevin D. Liles

Kimberly Griffiths war die einzige Person, die Carlos Marroquin Lopez, inzwischen ihr Ehemann, noch helfen konnte, als er 2013 in Stewart saß. Marroquin Lopez kam 1998 aus einem gefährlichen Viertel in Guatemala in die Vereinigten Staaten; er hoffte, dort seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Griffiths begegnete ihm, als die beiden in einem Supermarkt in North Carolina arbeiteten. Marroquin Lopez wurde beim Fahren ohne Fahrerlaubnis erwischt (damals konnte er als Einwanderer ohne Papiere keinen Führerschein machen), und eine Woche später verlegte man ihn ins Abschiebegefängnis in Lumpkin. Er hatte keine Vorstrafen, war allerdings bereits einmal abgeschoben worden.

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"Wenn ich reich gewesen wäre, hätte ich kämpfen können. Aber das System ist nicht für normale Leute gemacht." — Kimberly Griffith

Griffith, eine US-Bürgerin, musste sich in einem System zurechtfinden, mit dem sie zuvor noch nie in Berührung gekommen war. "Ich netzwerkte mit Leuten über Facebook und las Artikel um herauszufinden, was ich tun konnte", sagt sie. "Ich rief bei 10 oder 12 Anwälten an. Niemand wollte seinen Fall. Mehrere sagten mir: 'Stewart ist zu weit weg. Das liegt mitten im Nirgendwo.'"

Griffith besuchte Marroquin Lopez achtmal innerhalb der drei Monate seiner Haft. Oft fuhr sie die fünf Stunden nach Lumpkin, hielt sich für eine Stunde dort auf und fuhr dann die fünf Stunden wieder zurück. Manchmal verbrachte sie die Nacht in einem kostenlosen "Gästehaus" für Angehörige, dass die Nonprofit-Organisation für Einwandererrechte El Refugio eingerichtet hat. Es gibt keine Hotels in Lumpkin.

Schließlich gaben die beiden die Suche nach einem Anwalt und den Kampf gegen seine Abschiebung auf. Die US-Regierung schob Marroquin Lopez im Juni 2013 nach Guatemala ab. Griffith folgte ihm einen Monat später.

"Wenn ich reich gewesen wäre, hätte ich kämpfen können", sagt sie. "Aber das System ist nicht für normale Leute gemacht."

Sadam Hussein Ali im Stewart Detention Center | Foto: Audra Melton

Insassen, die in den USA keine private Unterstützung haben, befinden sich in einer noch schwierigeren Lage.

Sadam Hussein Ali, 21, ist seit über einem Jahr im Stewart-Gefängnis. Al-Shabaab, eine terroristische Islamistengruppe in seiner Heimat Somalia, hatte angefangen, seine Familie zu bedrohen; die Miliz wollte seine kleine Schwester entführen, weil die Familie das verlangte Schutzgeld nicht bezahlt hatte. Al-Shabaab-Mitglieder schlugen Hussein Ali zusammen und sperrten ihn für 15 Tage ins Gefängnis, bevor er Ali entkommen konnte. Er nahm seine Schwester mit in ein Flüchtlingslager in Kenia, wo sie sich vor den Männern unter einer Burka versteckte.

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Hussein Ali flog als Nächstes nach Brasilien und reiste drei Monate lang zu Fuß und per Bus durch Süd- und Zentralamerika. An der US-mexikanischen Grenze stellte er sich den Behörden und verkündete, er suche Asyl. Sie steckten ihn für zehn Tage in ein Abschiebegefängnis in Texas, bevor sie ihn nach Stewart verlegten.

Unter Präsident Barack Obama hat sich die Zahl der Asylsuchenden wie Hussein Ali zwischen 2010 und 2014 fast verdreifacht. Im fiskalischen Jahr 2014 wurden ca. 77 Prozent aller Asylsuchenden, davon viele Frauen und Kinder, in Abschiebehaft gehalten, während man über ihre Fälle urteilte. Früher wurden dagegen noch viel mehr Asylsuchende gegen Kaution oder auf Bewährung freigelassen. 2014 waren mehr als 44.000 Asylsuchende in den USA inhaftiert.

Die Wahrscheinlichkeit, aus Stewart gegen Kaution freizukommen, ist besonders gering. Laut Datenanalysen des Southern Poverty Law Center wurde 2015 kein einziger Stewart-Insasse gegen Kaution freigelassen; landesweit sind es etwa sechs Prozent der Asylhäftlinge. Insgesamt kommen aus Stewart etwa halb so viele Männer gegen Kaution frei wie ansonsten im landesweiten Durchschnitt.

Hussein Ali rief von Stewart aus mehr als zehn Verteidiger an, um Pro-Bono-Hilfe zu erhalten. Viele gingen nicht ran. Die wenigen, die antworteten, wiesen ihn sofort ab oder sagten, ihre Dienste würden ihn 5.000 Dollar kosten. Er hatte eben seine gesamten Ersparnisse von 10.000 Dollar ausgegeben, um in die USA zu gelangen. Als er an der US-mexikanischen Grenze eintraf, hatte er noch 460 Dollar übrig. Heute verdient er gerade genug in der Küche des Stewart-Gefängnisses, um Telefonate mit Kanzleien und seiner Familie zu bezahlen.

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Nur mit der Hilfe eines älteren somalischen Insassen gelang es ihm, seinen Asylantrag auszufüllen. Sein Landsmann war drei Monate länger dort inhaftiert und sprach besser Englisch.

Die Behörden lehnten den Antrag im März ab, und wie viele seiner Freunde beschloss Hussein Ali, das Urteil nicht anzufechten. Nachdem er gesehen hatte, wie ein Mann nach dem anderen seinen Fall verlor, rechnete er sich keine Erfolgschancen aus. "Wenn ich einen Anwalt hätte, wäre alles besser, denke ich", sagt er. "Ich glaube, ich bin am härtesten Ort der USA gelandet."

Inzwischen wartet er auf seiner Abschiebung nach Somalia.

"Wenn ich sterbe, dann sterbe ich", sagt er.

Ein Schild, das für einen Einwanderungsanwalt wirbt, an der Weggabelung zum Stewart Detention Center, einem privaten Abschiebegefängnis | Foto: Kevin D. Liles

Vor dem 4-Way BBQ, einem der zwei Restaurants in Lumpkin, stand mal ein Schild mit der Aufschrift "IMMIGRATION LAWYER" und einer Telefonnummer, doch unter dieser Nummer meldet sich niemand mehr. (Das Schild wurde im November entfernt.) In der Nähe des Eingangs zum Stewart-Gefängnis wirbt ein weiteres Werbeschild auf Spanisch für einen Einwanderungsanwalt. Die Adresse auf dem Schild führt allerdings zu einem Steuerberater und die Telefonnummer ist nicht länger vergeben. Direkt hinter dem Stewart-Gefängnis liegt am Straßenrand im Gras ein weiteres Schild, darauf die Telefonnummer der Einwanderungsanwältin Elaine Morley. Als ich sie frage, ob sie noch Fälle aus Stewart annimmt, seufzt sie.

"Das ist ein schrecklicher Ort", sagt sie und beginnt eine ganze Litanei des Frusts aufzuzählen: die Entfernung, die mangelnden Übernachtungsmöglichkeiten, die hohe Abschieberate, die schwierige Kontaktaufnahme mit Mandanten. Von anderen Anwältinnen und Anwälten hat sie bereits ähnliche Beschwerden gehört. Deswegen habe Morley auch nach nur einem Fall aufgehört. "Ich gehe nie wieder dorthin zurück", sagt sie.

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Leigh Ann Webster, eine Einwanderungsanwältin in der Bundesstaatshauptstadt Atlanta, schaffte sogar zwei Stewart-Fälle, bevor sie abschwor. "Als Privatverteidigerin kann ich unmöglich genug verlangen, damit es sich für mich lohnt", sagt sie.

Elizabeth Matherne, eine weitere Einwanderungsanwältin aus Atlanta, hat mehr als fünf Jahre lang Männer aus dem Stewart-Gefängnis vertreten, bevor sie sich entschied, keine neuen Mandanten mehr anzunehmen. Sie hatte versucht, Kolleginnen und Kollegen zu überzeugen, trotz all der Herausforderungen mehr Fälle anzunehmen. "Man ist einen ganzen Tag weg aus dem Büro und praktisch nicht erreichbar", sagt sie. "Man muss sich darauf vorbereiten wie auf eine Reise in die Vergangenheit." Matherne musste oft um 4 Uhr morgens losfahren, um es zu einem Gerichtstermin um 8 Uhr zu schaffen. Die Mittel der Einrichtung seien außerdem besonders veraltet. "Dort hat man keinen Zugang zum Internet, Fax oder überhaupt etwas. Man musste am Abend davor völlig sichergehen, dass man absolut alles hatte, was man dort brauchen würde."

Doch für die meisten Anwälte enden die Schwierigkeiten nicht, wenn sie auf dem Parkplatz des Stewart Detention Center eintreffen. Mehrere haben sich bereits über die willkürlichen Regeln beschwert, welche die Corrections Corporation of America aufstellt. Die Firma hat sich vor Kurzem in CoreCivic umbenannt. Von Privatfirmen wie CoreCivic betriebene Einrichtungen werden weitaus weniger überwacht als öffentliche. Anders als in anderen Abschiebegefängnissen können Anwälte laut eigener Angaben keine kostenfreien Telefonate zur rechtlichen Beratung ihrer Mandanten ansetzen. Stattdessen müssen die Insassen Geld für eine Telefonkarte zusammensparen und hoffen, ihre Anwälte am Telefon zu erwischen. Eigentlich hatte das Gefängnis 2014 laut Vertrag vor, ein Videokonferenzsystem einzurichten, doch erst diesen August setzte die Firma das Vorhaben um, nachdem es Beschwerden gehagelt hatte.

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Anwälte teilen außerdem mit, man lasse sie stundenlang warten, wenn sie zu persönlichen Treffen mit ihren Mandanten erscheinen, und oft würde man sie ohne Begründung gleich komplett abweisen. Wenn sie doch hineindürfen, trennt dickes Plexiglas sie von ihren Mandanten und sie können nur per Telefon mit ihnen sprechen. Letzten Winter waren die Telefone eine Zeit lang kaputt; die Anwältinnen und Anwälte hatten keine andere Wahl, als den Mandanten durch das Glas zuzurufen.

"Dort hat man keinen Zugang zum Internet, Fax oder überhaupt etwas. Man muss sich darauf vorbereiten wie auf eine Reise in die Vergangenheit." — Elizabeth Matherne

In Reaktion auf einen Beschwerdebrief im März sagten Vertreter des ICE, die Empfehlungen der Anwälte würden "aktiv recherchiert und besprochen". Sie merkten an, die Regeln für den Anwaltsbesuch würden im Wartebereich aushängen und die Telefone seien seither repariert worden.

CoreCivic hat auf den Brief nicht reagiert. In einer E-Mail schrieb der Firmensprecher Jonathan Burns: "Anwälte können Insassen jederzeit ohne Vorankündigung während der Besuchszeiten besuchen, wenn sie einen amtlichen Lichtbildausweis und eine Bestätigung ihrer Anwaltszulassung vorzeigen. Diese Besuche sind zeitlich nicht beschränkt." Er bestritt, dass Telefone kaputt gewesen seien oder dass es Anwälten unmöglich gewesen sei, Telefonate mit ihren Mandanten anzusetzen.

Schilder für das Stewart Detention Center, einem privat betriebenen Abschiebegefängnis, in der Nähe der Einrichtung im ländlichen Stewart County | Foto: Kevin D. Liles

Im August hieß es aus dem US-Ministerium für Innere Sicherheit, es würde "erwägen", es dem Bureau of Prisons gleichzutun und seine Verträge mit Privatgefängnisfirmen auslaufen zu lassen. Diesen Monat hat das Ministerium nun allerdings mitgeteilt, es werde damit weitermachen, aus "fiskalischen Gründen" und um mit "unmittelbaren Zunahmen der Inhaftierung" umzugehen. Tatsächlich wirkt es eher wahrscheinlich, dass die Einwanderungsbehörde ICE unter dem designierten Präsidenten Donald Trump ihren Einsatz der Abschiebehaft nur noch ausweiten wird. Der Aktienkurs von CoreCivic ist seit der Präsidentschaftswahl in die Höhe geschossen.

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Manche Richter und Richterinnen sind auch der Meinung, dass die abgelegene Einrichtung ihre Arbeit erschwert. Im Oktober schrieb eine Gruppe ehemaliger Einwanderungsrichter einen Brief an den Minister für Innere Sicherheit Jeh Johnson, in dem sie ihn bat, den zunehmenden Einsatz der Abschiebehaft bei der ICE zu überdenken. Dies erschwere die Gewährleistung ordentlicher Verfahren im Einwanderungsrecht. Johnson hat bisher nicht geantwortet.

Einwanderungsanwälte und andere Fürsprecher haben diesen Sommer eine Beschwerde bei der übergeordneten Behörde Executive Office for Immigration Review eingereicht. Darin behaupten sie, Richter in Stewart würden das Recht der Insassen auf ein ordentliches Verfahren verletzen. Insassen berichteten, man habe sie überredet, Urteile nicht anzufechten, man habe sie nicht vollständig über ihre Asylanträge informiert und ihnen den Zugang zu den Informationsprogrammen der Wohltätigkeitsorganisation Catholic Charities verwehrt.

Die Behörde bearbeitet aktuell die Beschwerde und hat bisher noch nicht reagiert.

Omar Arana Romero im Stewart Detention Center | Foto: Audra Melton

Romero sitzt seit fast einem Jahr im Stewart Detention Center.

ICE-Beamte brachten ihn zuerst in das Abschiebegefängnis in Port Isabel, Texas. Seine Lebensgefährtin Cilvia Reyes suchte sofort einen Anwalt. Sie fand einen, der weniger als eine Fahrtstunde von der Einrichtung entfernt wohnte und Romero für ein paar Tausend Dollar bei einem Visumsantrag helfen wollte.

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Doch eine Woche nach Romeros Ankunft in Port Isabel musste er plötzlich packen und wurde die ca. 1.500 Kilometer nach Georgia verlegt. Seither hat Romero Stewart nur kurz verlassen, als man ihn nach New Mexico brachte, weil es so aussah, als würde man ihn abschieben.

Romeros Anwalt konnte ihn nicht länger vertreten; Georgia war einfach zu weit entfernt. Romeros konnte nur noch hoffen, im 250 Kilometer entfernten Atlanta einen Anwalt zu finden, doch er erhielt jedes Mal dieselbe Antwort. Mit seinen drei Vorstrafen hat Romero bei der Abschiebung hohe Priorität. Er hätte allerding eventuell Chancen im Land zu bleiben, wenn er ein sogenanntes "U visa" bekäme, ein Visum für Opfer eines Verbrechens.

Er hatte gehofft, aus der Abschiebehaft freikommen zu können, während sein Visumsantrag bearbeitet wird, damit er sich um seine Kinder kümmern kann. Sie sind inzwischen 17, 16 und 14 Jahre alt. Seine Verurteilung aufgrund von Drogenbesitz bedeutet allerdings unter den geltenden Einwanderungsgesetzen, dass er inhaftiert bleibt und kein Recht auf eine Kautionsverhandlung hat. Romero hat versucht, eine solche Verhandlung einzuklagen, doch ohne rechtliche Vertretung war er nicht in der Lage, seine Freilassung durchzusetzen.

Während ihr Vater inhaftiert ist, sind die Kinder auf eine Tante und Freunde der Familie in Houston verteilt. Romeros Partnerin Reyes ist vor Kurzem wieder zu ihrer Mutter gezogen, nachdem sie sich die Wohnung alleine nicht mehr leisten konnte.

"Seit die Einwanderungsbehörde mich mitgenommen hat, kann ich weder schlafen noch richtig funktionieren … denn sie haben mich wieder von meinen Kindern getrennt", schrieb Romero im Januar in einer Mitteilung an das Gericht.

"Er ist für mich Vater und Mutter gewesen. Ihr müsst verstehen, dass ich das hier alleine nicht schaffe", schrieb seine älteste Tochter Jennifer in einem Brief, der seinem Visumsantrag beilag. "Mein Vater ist der einzige Mensch, der mir noch bleibt."

Romero wollte in ein Abschiebegefängnis verlegt werden, wo er seinen Kindern näher wäre und sie ihn besuchen könnten. Er hat sie seit über einem Jahr nicht gesehen. "Jeden Tag bitte ich Gott darum, mich an einen Ort zu bringen, der meinen Kindern näher ist. Ich bin verzweifelt", schrieb er im Juni in einem Brief.

Der ICE-Sprecher Bryan Cox sagte, er könne keine Auskünfte zu Romeros spezifischem Fall geben, doch "allgemein versucht das zivile Haftsystem der ICE, Verlegungen zu reduzieren und den Zugang zu Rechtsbeistand und Besuch zu maximieren." Dies schrieb er in einer E-Mail. "Die ICE verteilt Insassen nach vorhandenen Ressourcen und den Bedürfnissen der Behörde."

In der Zwischenzeit versucht Romero, die Jura-Bibliothek in Stewart zu nutzen, auch wenn das Material hauptsächlich auf Englisch ist. Reyes googelt nach rechtlichen Ratschlägen, doch da sie bei den Gerichtsterminen nicht anwesend ist, weiß sie oft nicht, wonach sie suchen soll. Romero bekam ein wenig Hilfe von einem Mitinsassen, der in seinem Heimatland Venezuela Anwalt war. Er half Romero beim Ausfüllen von Gerichtsdokumenten und beim Antrag auf eine Kautionsverhandlung, doch im Juli wurde auch er abgeschoben.

Romeros letzter Gerichtstermin war am 15. November. Er sagt, der Termin habe nur ein paar Minuten gedauert. Er weiß zwar noch immer nicht, ob seinem Visumsantrag stattgegeben wird, doch die Richterin sagte ihm, seine Zeit sei abgelaufen. Sie entschied, dass er abgeschoben werden soll. Ein Freund im Abschiebegefängnis gab Romero die Telefonnummer eines Anwalts in Atlanta, der 150 Dollar für das erste Treffen verlangt. Reyes versucht, ein wenig Geld zusammenzukriegen. Die beiden verkaufen ihr Auto.

Wenn Romero nicht bald gegen das Urteil vorgeht, wird er abgeschoben.

"Ich will hier raus … Ich mache mir Sorgen um meine Kinder", sagt er in einem von Rauschen unterbrochenen Anruf aus dem Abschiebegefängnis. "Sie warten auf mich."

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