Warum Videoüberwachung Terror nicht verhindert
Titelfoto: Matthew Henry / Unsplash

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Videoüberwachung

Warum Videoüberwachung Terror nicht verhindert

Nach dem Anschlag in Berlin fordern Politiker mehr Kameras auf Plätzen und Straßen. Wann sie helfen – und wann definitiv nicht.

Hört man vielen Spitzenpolitikern gerade zu, klingt das ungefähr so: Die Gefahr lauert im öffentlichen Raum. Terroristen, Sexualstraftäter, Amokläufer bedrohen unsere Gesellschaft. Gebannt werden könnte die Bedrohung unseres friedlichen Zusammenlebens durch mehr Polizei (klar) und die technische Aufrüstung. Genauer gesagt: durch mehr Videoüberwachung. Und so schwappt die Forderung nach flächendeckender Überwachung in schöner Regelmäßigkeit in den Bundestag. Zur Wahrheit gehört aber auch, und das weiß die Bundesregierung selbst: Bislang haben Kameras in Deutschland keine Terroranschläge verhindern können.

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In der Antwort zu einer kleinen Anfrage der Linken schrieb die Bundesregierung Ende Dezember:

"Die bisher in der Bundesrepublik Deutschland verhinderten Anschläge, die von Tätern des islamistisch-terroristischen Spektrums geplant und vorbereitet wurden, sind nicht maßgeblich aufgrund von Videoüberwachungssystemen vereitelt worden."

Bringt Videoüberwachung also nichts? Oder brauchen wir einfach nur viel mehr und viel bessere Kameras, damit irgendwann ein Anschlag mit ihrer Hilfe verhindert wird? Taugt Videoüberwachung als Mittel zur Terrorismusbekämpfung überhaupt?

Die Bundesregierung scheint die Antworten auf diese Fragen offensichtlich schon gefunden zu haben: Das Innenministerium präsentierte Ende November einen Gesetzesentwurf zur Ausweitung der Videoüberwachung. Es trägt einen Namen, der deutscher nicht klingen könnte: Videoüberwachungsverbesserungsgesetz.

Seit dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz hat die Debatte noch einmal angezogen. Und alle springen auf. Der Städte- und Gemeindebund will mehr Kameras installieren, die CSU berät derzeit auf ihrer Klausurtagung über "Mehr Sicherheit für unsere Freiheit" und auch Innenminister de Maizière hat die Kameraüberwachung in sein "Sicherheitspaket" mitreingepackt.

Damit scheint die Politik auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen: 60 Prozent der Deutschen wünschen sich mehr Überwachung.

Bewiesen hat Überwachung seine Wirkung in Deutschland bisher vor allem dann, wenn es darum geht, Vergehen wie Diebstähle oder Körperverletzungen aufzuklären. So konnte die Polizei beispielsweise Ende Dezember öffentlich nach den Tätern suchen, die einen Obdachlosen in einer Berliner U-Bahnstation anzünden wollten. Ebenso fahndete sie nach dem Mann, der eine Frau in einem U-Bahnhof die Treppe herunter getreten hatte. Aber Terror durch Kameras verhindern oder aufklären? Frank Tempel von den Linken warnt vor "Placebos für ein subjektives Sicherheitsgefühl".

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Zweifel sind angebracht: Der LKW des Attentäters wäre vermutlich auch in den Weihnachtsmarkt gerast, wenn man vorher gefilmt hätte, wie er die Straße entlangfährt. Die Attentäter in Paris hätten vermutlich nicht einmal etwas dagegen gehabt, hätte man sie dabei gefilmt, wie sie ihre Kalaschnikows und Pistolen auf die Restaurant- und Konzertbesucher richteten. Die Vorbereitung von Terrorattentaten findet meist in Wohnungen statt, jenseits jeder Kamera. Die öffentliche Tat wiederum ist Teil des Terrors. Das Schüren von Angst und die Selbstdarstellung der Attentäter als Märtyrer gehört zur terroristischen Agenda. "Diese Bilder werden dann von den Medien aufgegriffen und erzeugen Angst, das ist genau im Interesse der Terroristen", sagt der ehemalige Datenschutzbeauftragte Peter Schaar im rbb. "Man spielt ihnen also in gewisser Weise in die Hände."

Selbst Dutzende Kameras, das zeigt die Erfahrung, können Verbrechen an öffentlichen Orten nicht immer verhindern oder die Täter abschrecken. Rund 80 Kameras am Kölner Hauptbahnhof hielten das Geschehen in der Silvesternacht 2016 fest, die Täter beeindruckte das im Vorfeld offensichtlich wenig, und kaum einer der Angreifer konnte mit Hilfe der Kameras identifiziert werden. Trotz 350 Stunden Videomaterial. Hätten statt 80 Kameras 200 geholfen? Hätte es 300 gebraucht? Oder einfach viel bessere? Wie viel Geld ist uns maximale Sicherheit wert? Wie viel Einschränkung unserer Privatsphäre wollen wir akzeptieren?

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Längst gibt es sogenannte "intelligente" Kamerasysteme, die nur auffällige Szenen (und nicht wie "normale" Kameras alle Bilder) an die Zentrale übermitteln. Diese erkennen besitzerlose Koffer, Personen, die sich an verdächtigen Orten aufhalten, oder auch, wenn ein Mensch in sich zusammensinkt. Ereignet sich so etwas vor der Kameralinse, übermittelt das Gerät die Bilder direkt auf einen zentralen Bildschirm. Der Beamte kann die Geschehnisse live verfolgen und bei Bedarf die Einsatzkräfte alarmieren. Dennoch deutet nichts darauf hin, dass intelligente Kameras zur Aufklärung der Vorfälle in Köln beigetragen hätten. Und im alltäglichen Gedränge auf dem Bahnhof, dem Weihnachtsmarkt oder in der Einkaufspassage fällt es kaum auf, wenn eine Person zu Boden geht, bedroht oder begrapscht wird.

Die Technik, die es längst gibt, und die ebenso installiert wurde, um Verbrechen zu verhindern, versagt viel zu oft. Der Mann, der vor vier Jahren am Bonner Hauptbahnhof eine Kofferbombe platzierte, konnte zwar aufgrund einer neun Sekunden langen, unscharfen Videosequenz identifiziert werden. Die Kamera, die ihn festhielt, war allerdings keine von denen, die auf dem Bahnsteig montiert waren. Sie gehörte zu einer McDonald's-Filiale.

Selbst Hunderte Kameras garantieren nicht, dass mit ihrer Hilfe ein Terrorist schnell geschnappt wird. Der Berliner Attentäter Anis Amri wurde sowohl am Bahnhof Zoo, in Amsterdam sowie in Lyon von Überwachungskameras gefilmt. Gefunden wurde er jedoch erst vier Tage später in Mailand von Polizisten auf Streife. Es gibt also das sicherheitspolitische Dilemma: Lag es daran, dass wir zu wenig Kameras haben und Dutzende Kameras zwischen Weihnachtsmarkt und Bahnhof eine lückenlose Verfolgung ermöglicht hätten? Oder liegt es daran, dass Kameras an sich als Mittel zur Terrorbekämpfung nur bedingt taugen?

Wenn die Politik mehr Überwachung fordert, suggeriert das, dies sei die Lösung. Die Frage ist, ob es wirklich die sinnvollste Art und Weise ist, die begrenzten Ressourcen des Staats einzusetzen. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte im Deutschlandfunk, er habe den Eindruck, man wolle mit den neuen Vorschlägen für mehr Überwachung von den Versäumnissen im Falle Amri ablenken. Immerhin wurde er in den Monaten zuvor nicht in Gewahrsam genommen, obwohl die Behörden ihn längst als islamistischen Gefährder eingestuft hatten.

Mehr Kameras klingt nach einer einfachen Lösung. Blöderweise ist Terrorismus eines der komplexesten Probleme unserer Zeit. Amris Tat hätte vielleicht verhindert werden können, hätten Verfassungsschutz, Länder und Polizei Hand in Hand zusammengearbeitet. Anschläge in zehn Jahren könnten eventuell verhindert werden, wenn wir im Hier und Jetzt die Zuwanderer vernünftig integrieren. Eine Außenpolitik der westlichen Welt, die keine unschuldigen Zivilisten tötet, würde helfen, damit sich weniger Menschen radikalisieren. Aber das sind alles langfristige und komplexere Lösungen, die sich nicht so knackig in Kameras sagen lassen wie: "Wir brauchen mehr Überwachungskameras."

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