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LGBTQ

Wie es ist, in Ägypten schwul zu sein

„Warum sollte Allah mich hassen? Er hat mich erschaffen. Warum hat mein Vater mich gehasst? Er hat mich erschaffen."
Abdo and his family. Image courtesy of Abdo

„Du bist Journalistin?", flüstert Abdo bei einer Party, als wolle er am liebsten alle bis auf uns aus dem Raum schicken und alle Türen und Fenster verriegeln. „Ich will, dass wir zusammen einen Artikel über Menschenrechte schreiben—über die Rechte von Homosexuellen", sagt er. „Homosexuell ist nämlich menschlich."

Ägypten, Abdos Heimat seit 47 Jahren, bietet seinen LGBTQ-Einwohnern einfeindliches Umfeld. Wie die BBC berichtet, „kriminalisiert das ägyptische Gesetz homosexuelle Akte war nicht explizit, aber sie bleiben tabu. Erwachsene, die verdächtigt werden, einvernehmliche homosexuelle Handlungen durchgeführt zu haben, werden regelmäßig festgenommen und wegen Unzucht, unmoralischem Verhalten und Blasphemie angeklagt." Ende letzten Jahres wurden 26 Männer bei einer im Fernsehen übertragenen Razzia in einem Badehaus in Kairos Innenstadt verhaftet—einem angeblichen „Netzwerk von Homosexuellen" und „Versteck illegaler, homosexueller Sexarbeiter"—und mussten sich im Anschluss einer forensischen Analuntersuchung unterziehen, damit Beweise für eventuelle „Unzucht" gesammelt werden konnten. Die Männer wurden schließlich freigelassen, was Human Rights Watch (HRW) als „einen seltenen Erfolg beim Schutz des Rechts auf Privatsphäre und Gleichbehandlung"bezeichnete. „Seit 2013 haben die Behörde etwa 150 Menschen wegen ‚Unzucht' festgenommen", berichtet HRW.

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Im September dieses Jahres wurden elf Männer an verschiedenen Orten in Kairo verhaftet. Die Aktion wurde von einer lokalen Zeitung „Sittlichkeits-Razzien im Vorfeld des Opferfestes" genannt. Den Männern droht nun eine Verurteilung wegen „Unsittlichkeit" und dem „Untergraben der öffentlichen Moral". Durch solche Fälle wird eine eindeutige Message kommuniziert: Hetero ist normal und normal ist moralisch und legal.

Ich bin wie jedes andere Baby auf die Welt gekommen und habe mir nicht ausgesucht, schwul zu sein.

„Aber ich habe mich immer sehr, nun, normal gefunden", sagt Abdo. „Ich bin wie jedes andere Baby auf die Welt gekommen und habe mir nicht ausgesucht, schwul zu sein. Es ist etwas in mir drinnen … ich fühle es und ich liebe mich, so wie ich bin. Ich finde nicht, dass ich etwas Schlechtes bin oder tue, aber die Menschen in meinem Leben sagen mir, dass ich schlecht bin, weil ich schwul bin. Ich würde sagen, dass die Menschenrechte, zu denen auch die Rechte von Homosexuellen gehören, bedeuten: ‚Ich werde der sein, der ich tief in meinem Innersten bin, ich werde niemanden verletzen und niemand wird mich bestrafen."

Einige Auswirkungen der vom Staat gesponserten und religiös motivierten Homophobie sind in drei besonders herausstechenden Kapiteln in Abdos Leben verkörpert. Seit seiner Zeit als Teenager wird ihm von allen Seiten gesagt, er solle die Vorstellung, dass homosexuelle Menschen Fadiha („eine öffentliche Schande") sind, bis in die tiefsten Ebenen seines Unterbewusstseins verinnerlichen. Obwohl er seinem Leben nie einen heteronormativen Anstrich geben wollte, hat Abdo in der Vergangenheit gezielte Anstrengungen unternommen, um mit dem Koran in der einen und seiner schwangeren Frau an der anderen Hand seine wahre Identität zu verschleiern.

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Der Lehrer

In dem gleichen Jahr, in dem der ägyptische Staatspräsident Anwar Sadat während einer Militärparade in Kairo ermordert wurde, besuchte der damals 15-jährig Abdo eine weiterführende Schule. Einer seiner Lehrer, ein „fröhlicher" Mann im mittleren Alter, der selber nicht aus Kairo stammte, war die erste Person, der Abdo seine sexuelle Orientierung anvertraute. „Du bist wie Dracula", antgegnete ihm der Lehrer. „Du lebst in der Dunkelheit, verführst die Menschen auf der Straße und jagst allen Angst ein!" Abdo erinnert sich noch, wie er versucht hatte, die seltsame Analogie des Mannes zu verstehen. „Schwule Männer sind wie Dracula. Vampire saugen den Menschen das Blut aus und schwule Männer tun das gleiche … aber Vampire schlucken Blut und schwule Männer schlucken Sperma."

Abdo lacht heute über den lächerlichen Vergleich seines Lehrers. „Ich versuche, es mit Humor zu nehmen", sagt er, aber damals war er fassungslos und entmutigt. Während er langsam älter wurde, musste er immer wieder um die Mentalität, die dieser Analogie zu Grunde liegt, herumnavigieren. „Wenn die Nachbarn in deinem Haus herausfinden, dass du schwul bist, grüßen sie dich nicht länger, sondern schmeißen dich stattdessen wie Abfall auf die Straße. Sie machen sich über dich lustig, sie meiden dich, haben Angst vor dir oder melden dich sogar bei der Polizei. Jetzt bist du für sie Müll, eine Krankheit, ein Fremder, ein Verbrecher, ein Monster wie Dracula oder der Teufel."

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Die Familie

Sieben Jahre später erklärte der 22-jährige Abdo seinem Vater seine sexuelle Orientierung. „Warum machst du nichts mit Mädchen? Warum hast du keine Freundin?", lautete die Antwort seines Vaters. Abdo versuchte, sich besser zu erklären: „Ich fühle für Männer das, was du für Frauen fühlst." Das verstörte seinen Vater offensichtlich, der ihm daraufhin mit unglaublicher Ablehnung entgegnete: „Du musst eine Frau heiraten. Es sagen schon alle, dass du schwul bist." Abdo wurde schnell in eine arrangierte Ehe mit einer jungen Ägypterin gesteckt und seine Familie wurde konsequenterweise praktizierende Muslime, um die Fassade eines frommen und moralischen Lebens zu errichten. „Ihre Scham ist mein Schmerz", sagt er.

Die Bruderschaft

Drei Jahre nach seiner Hochzeit und nach der Geburt seines ersten Kindes arbeitete Abdo als Flugblattverteiler in Kairo, als zwei Männer ihn auf der Straße fragten, ob er mit ihnen in die Moschee gehen wolle. „Ich war verirrt und müde, mehr noch als jetzt", sagt Abdo, also ging er mit den Männern mit. In der Moschee begegnete er Mitgliedern der Muslimbruderschaft, der größten und inzwischen verbotenen Oppositionsbewegung in Ägypten. „Ich habe ihnen erzählt, ich sei schwul, mit einer Frau verheiratet und Vater. Sie sagten: ‚Du wirst nicht länger schwul sein, du wirst mit Allah und dem Koran leben. Du wirst mit uns beten und alles, was mit Schwulsein zu tun hat, vergessen.'"

Im Laufe der nächsten fünf Jahre brachte seine Frau zwei weitere Kinder auf die Welt und er besuchte tägliche Koranstunden in der Moschee. Doch in seinem fünften Jahr alsMuslimbruder beendete er die Mitgliedschaft, weil er in ihr himmelschreiende Heuchelei sah. Nach dem Gebet im Hause eines Bruders, der Abdo eingeladen hatte, um „Allah um gute Dinge zu bitten", und der ebenfalls mit einer Frau verheiratet war, hatten die Männer Sex. In der Woche darauf ließ der Mann Abdo einen altbekannten Schauer den Rücken hinunterlaufen, als er sagte: „Wir haben etwas Böses getan, wir müssen zu Allah beten und er wird uns helfen, es zu vergessen. Das machen wir nie wieder, denn es war des Teufels." Bald darauf verließ Abdo seine Frau, seine Kinder und sein Zuhause. „Ich wollte nichts von diesem Leben", sagte er. „Ich hatte das Gefühl, ich müsste sterben."

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Ich weiß, dass mir vergeben werden müsste, dass ich meine Frau betrogen habe, aber warum das Schwulsein?

Heute hat er kein Interesse daran, die gesamte Bruderschaft und ihre Mitglieder über einen Kamm zu scheren—das würde er umgekehrt bei Homosexuellen auch nicht begrüßen. Allerdings lässt ihn die Heuchelei seiner Mitbrüder nicht los. „Wenn jemand Religiöses dir sagt, Homosexualität sei verboten, im Islam oder Christentum oder wo auch immer, sollte die Person dann nicht auf homosexuelle Handlungen verzichten?", fragt er. „‚Ich habe mit dem Teufel gehandelt und jetzt bin ich sofort wieder bei Allah'? Menschen tun Gutes und Böses—ich weiß, dass mir vergeben werden müsste, dass ich meine Frau betrogen habe, aber warum das Schwulsein?

Nachdem Abdo seine Ehe beendet hatte, verstießen ihn sein Vater, seine Schwester und seine Tanten und Onkel entweder teilweise oder völlig „Sie sagten: ‚Schwule sind der Teufel.'" Seine Mutter, deren Gesundheit nun dabei ist zu versagen, entschied sich dafür, weiterhin ihre Liebe zu Abdo zu bekunden. „‚Die Leute wollen, dass du lebst, wie sie es sich wünschen, und nicht, wie du es dir wünschst", sagt sie uns aus ihrer Wohnung in einem Vorort von Kairo. „Sie beobachten dich ständig, aber sie wissen nicht alles. Sie können nicht sehen, wie es in deinem Inneren aussieht."

Abdo hat seit fast zwei Jahrzehnten keinen Zugang zu seinen Kindern. Seine eigene Schwester, zu der er eine enge Beziehung hatte, bevor er sich zu seiner Sexualität bekannte, bot seiner Frau finanzielle Abhilfe. „Dein Ehemann ist kein guter Mann. Er ist gefährlich, denn er könnte die Kinder auch schwul machen", sagte sie laut Abdo dessen Frau. Und den Kindern? „Sie sagt: ‚Geht nie zu eurem Vater—was, wenn ihr ihn mit einem anderen Mann vorfindet? Wie würdet ihr euch dann fühlen?"

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Abdo erzählt, es sei schon seit geraumer Zeit sein Wunsch, ein Visum für Europa oder Kanada zu bekommen, da in Ägypten Gesellschaft und Gesetz der Homosexualität so feindselig gegenüberstehen. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands seiner Mutter, seiner unsicheren finanziellen Situation und der Hoffnung, eines Tages wieder Kontakt zu seinen Kindern zu haben, wird dieser Artikel wohl als Ersatz für seine Emigration dienen müssen. „Ich liebe Ägypten. Ich will, dass die Leute dort in Frieden leben können. Doch die Regierung, die Religionen und die meisten anderen Leute wollen das nicht." Er hält inne und fügt dann hinzu: „Weißt du, alle Menschen fühlen das, was ich fühle. Lesben empfinden für Frauen, was ich für Männer empfinde. Heterosexuelle Frauen empfinden für Männer, was ich für Männer empfinde. Verstehst du?"

Im Dezember 2014 veröffentlichte die Kairoer Menschenrechtsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR) einen Bericht, in dem die Bürgerrechtsverletzungen gegenüber „Homosexuellen und anderen mit gesellschaftlich inakzeptablen sexuellen Präferenzen" verurteilt werden. Darin heißt es: „EIPR verurteilt das polizeiliche Vorgehen während der Festnahmekampagnen gegen Bürger und Bürgerinnen, die fragwürdiger sexueller Vorlieben verdächtigt werden." In dem Bericht werden dabei folgende Vorgehensweisen aufgezählt: „Ausspionieren von Individuen, Erstellen von falschen Nutzerprofilen in sozialen Netzwerken, um Individuen zu belasten und zu verhaften, Inhaftierung von Personen basierend auf ihrer Kleidung in der Öffentlichkeit, Durchsuchen der Telefonkontakte von Verhafteten, um deren Freunde und Bekannte ausfindig zu machen, sowie der Einsatz von körperlicher und sexueller Gewalt gegen Inhaftierte, von denen die meisten angeben, sie seien brutal verprügelt worden, man habe ihnen gegen ihren Willen das Haar geschnitten und sie mit sexueller Gewaltbedroht, die in einigen Fällen auch erfolgte."

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Warum sollte Allah mich hassen? Er hat mich erschaffen. Warum hat mein Vater mich gehasst? Er hat mich erschaffen.

Abdo ist angespannt, als er sich an ein Erlebnis erinnert, das er im Laufe der Jahre bereits in diversen Kairoer Vierteln hatte. „Ich gehe die Straße entlang und ein oder zwei Männer kommen auf mich zu. Sie nehmen mir mein Handy, oder was auch immer ich sonst dabei habe", sagt er. „Dann sagen sie: ‚Ich weiß, dass du schwul bist. Jemand hat mir von dir erzählt. Wenn du zur Polizei gehst, sage ich ihnen, dass du schwul bist." Wenn er vor die Wahl gestellt werde, ob er ausgeraubt wird oder man ihm „Unzucht" zur Last legt, sei es ihm viel lieber, seinen Besitz zu verlieren, sagt Abdo. „Die Gesetze und Gesetzeshüter der Regierung schaden [der LGBT-Bevölkerung]", sagt Abdo, „und ich denke, die meisten Leute hier akzeptieren und unterstützen das sogar."

Es gibt noch eine andere Wahl, doch es ist eine, vor die Abdo den Rest der Welt stellen möchte: „Als homosexuelle Person ist mein Problem Liebe und nicht Hass. Bei den Leuten, die gegen Homosexuelle sind, ist das Problem der Hass." Er fügt hinzu: „Warum sollte Allah mich hassen? Er hat mich erschaffen. Warum hat mein Vater mich gehasst? Er hat mich erschaffen. Warum muss die Gesellschaft mich für meine Gefühle bestrafen?"


*Name geändert