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Wie das Gerücht aufkam, dass Terroristen über die Playstation kommunizieren

Nur weil Gamer geheime Botschaften in Call of Duty an die Wand schießen können, heißt das nicht, dass Terroristen das auch tun.
Bild: oneinchpunch/Shutterstock

Forbes berichtete in einem inzwischen viel zitierten Artikel, dass am Wochenende bei einer Razzia gegen mutmaßliche Unterstützer der Paris Attentäter in Brüssel mindestens eine Playstation 4 beschlagnahmt wroden sei. Obwohl die Beschlagnahmung jeglicher elektronischer Kommunikationswerkzeuge längst zum Standardprozedere jedes Anti-Terroreinsatzes gehört, leiteten daraus zahlreiche Medien ab, dass die beliebte Konsole zur Anschlagsplanung genutzt worden sein könnte. Update 17.11.: Ob in Brüssel allerdings überhaupt eine Playstation beschlagnahmt wurde, ist von Ermittlern allerdings bis heute noch nicht bestätigt worden.

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Die Bild Zeitung titelte mit Fragezeichen, der Stern „erklärte", „wie Terroristen über die Playstation 4 kommunizieren", Forbes schrieb den kompletten Artikel im Konjuktiv, während andere die Pariser PSN-Terrorplanung gleich als Fakt verkauften. Der einzige Hinweis darauf, dass Terror-Verdächtige tatsächlich über die Playstation kommuniziert haben könnten, stützt sich dabei auf eine durchaus dramatische Aussage des belgischen Innenministers Jan Jambon: „Die Playstation 4 ist sogar schwieriger zu überwachen als WhatsApp."

Geheimdienste und Polizeibehörden betonen immer wieder, dass ihnen die standardmäßige aktivierte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung von WhatsApp ein Dorn im Auge sei. Allerdings ist die Plattform trotzdem alles andere als sicher vor Überwachungsmaßnahmen: Tatsächlich wurde in diesem Jahr in Belgien mehrere Terror-Verdächtige festgenommen nachdem die Polizei ihre WhatsApp-Nachrichten abgefangen hatte. Selbst wenn die Nachrichten verschlüsselt sind, können die Behörden immer noch die Metadaten überwachen und wissen so, wer mit wem zu welcher Zeit kommuniziert.

Laut der Brüsseler Wochenzeitung The Bulletin warnte Jambon außerdem, dass das Terror-Netzwerk IS zunehmend die Konsole zur Kommunikation nutze und dass dies für die Polizei kaum zu kontrollieren sei. Die Erklärung der eigenen Überwachungsfähigkeiten hatte Innenminister Jambon aber wohlgemerkt mehrere Tage vor den Pariser Anschlägen auf einer Podiumsdiskussion abgegeben:

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.@JanJambon on difficulty for law enforcement to intercept PS4 communications. pic.twitter.com/sRoEQ7Ij7J
— The OSINT (@theosint) November 15, 2015

Obwohl es keine Beweise gibt, dass die Paris-Attentäter die Playstation benutzten, spekulierten zahlreiche Medien bereits darüber, wie eine konspirative Kommunikation über die Konsole funktioniert: So könnten sich Zocker über die Münz-Anordnungen im Level-Editier-Tool von „Super Mario Makers" geheime Botschaften mitteilen oder in „Call of Duty" Nachrichten an die Wände schießen. Ach ja, eine einfachere Idee wäre es übrigens auch, die Chat-Funktionen der Konsole zu nutzen.

Warum konnten die Geheimdienste die Anschläge von Paris nicht verhindern?

Mit der komplexen Kommunikationsidee wollen die Wirtschaftsjournalisten von Forbes aber nicht nur ihr kreatives Gaming-Wissen ausbreiten, sondern vor allem betonen, dass sich jenseits bekannter Verschlüsselungstools neue unauffällige Austauschmöglichkeiten ergeben: Bisher gingen Geheimdienste eher davon aus, dass Dschihadisten Verschlüsselungstechniken wie PGP oder Jabber einsetzen und nicht auf unverschlüsselte Kanäle wie Playstation-Chats oder Videospielwelten setzen. Inzwischen hat Forbes-Journalist Paul Tassi sich für seinen Fehler entschuldigt und eingestanden, dass er die Aussagen des Ministers in der Eile falsch eingeordnet hat.

Tatsächlich zitieren verschiedene Artikel über die angebliche Playstation-Verschwörung aber auch geleakte Snowden-Dokumente, in denen die NSA angibt, auch Online-Welten wie „Second Life" oder „World of Warcraft" auf geheime Terror-Kommunikationen zu scannen. Das Problem: Tatsächlich fand sich in den Dokumenten schon damals der Hinweis, dass die von der NSA skizzierte Bedrohung möglicherweise übertrieben war.

Der französische Sicherheitsforscher Matt Suiche erklärte gegenüber Motherboard, dass es durchaus möglich sei, dass der IS-Konsolen und Videospiele zum Rekrutieren und Kommunizieren nutzte, aber dass es in diesem Fall eine „physische Planung bei der keine Spuren hinterlassen werden sehr viel wahrscheinlicher sei."

Der CCC-Sprecher Frank Garbsch zeigte in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung dann auch sein Unverständnis über eine Debatte um die Playstation 4: „Wir werden nicht verhindern können, dass Terroristen kommunizieren. Die einzige Chance, terroristische Anschläge zu verhindern, kann die Bekämpfung der Ursachen sein. Eine Überwachung aller möglichen Kanäle wird niemals möglich sein. Wenn es dann keine Spielekonsole mehr ist, dann vielleicht ein USB-Stick, Postkarten oder „Rauchzeichen".

Die Daily Mail titelte unterdessen: „Experts warn ISIS is using the PlayStation 4 network to recruit and plan attacks." Weitere Belege oder technische Details? Fehlanzeige.

Update 17.11.: Nach wie vor fehlen jegliche Belege für die Forbes-Annahme, dass eine Playstation beschlagnahmt wurde. Wir haben außerdem weitere Hintergründe zur Überwachung belgischer Terroristen über WhatsApp, ein Statement von Matt Suiche und das Fehlereingeständnis des Forbes-Journalisten Paul Tassi mit in diesen Text aufgenommen und die Überschrift entsprechend angepasst.