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Bei Wiederwahl: David Cameron möchte verschlüsselte Kommunikation verbieten

Ein heißer Kandidat für die „Goldene Abhörwanze“ in der Kategorie: Orwell’sche Wahlversprechen.
​Cameron bei einer völlig umverschlüsselten Rede 2011. Bild: ​Wikimedia Commons | ​CC BY-SA 2.0

Geht es um den übermotivierten Einsatz restriktiver digitaler Gesetzgebung, wird dir als Internet-Journalist der rhetorische Kniff absurder Ländervergleiche allzu oft besonders leicht gemacht. Heute: Na, was haben der Iran und Großbritannien gemeinsam? Beide Länder haben vor, verschlüsselte Dienste wie Snapchat, iMessage, FaceTime oder auch WhatsApp zu illegalisieren.

Kaum 24 Stunden, nachdem er mit anderen europäischen Politikern auf dem Trauermarsch für die Opfer der Pariser Anschläge für die Meinungs- und Pressefreiheit demonstriert hatte, reihte sich der britische Premierminister David Cameron elegant in die Riege derjenigen ein, die den Anschlag auf das Satiremagazin ​Charlie Hebdo in Paris im Handumdrehen zum Abbau von Freiheiten und Bürgerrechten instrumentalisieren möchten:

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„Wollen wir in unserem Land eine Möglichkeit der Kommunikation erlauben, die wir im Extremfall mit einem vom Innenministerium abgesegneten Durchsuchungsbefehl nicht lesen können?", fragte er dezent-demagogisch in einer Rede am Montag. „Meine Antwort lautet: Nein. Die erste Pflicht jeder Regierung ist es, für die Sicherheit ihrer Bürger zu sorgen."

„Genau richtig" für eine moderne liberale Demokratie.

Der Premier kündigte an, bei einer Wiederwahl jede Form der digitalen Kommunikation zu verbieten, die nicht von Nachrichtendiensten und Strafverfolgungsbehörden abgehört werden könne. Dazu gehören nicht nur unter Hackern beliebte Dienste wie GPG-Mail oder ​Jabber, sondern zum Beispiel auch WhatsApp, der seit einiger Zeit Millionen Nutzern die Möglichkeit einer äußerst schwer zu knackenden Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bietet.

Laut Cameron allerdings müsse es den ermittelnden Behörden gestattet sein, auf Metadaten und Inhalte aller digitalen Kommunikationsdienste zugreifen zu können. Für den finalen Zugriff allerdings müsse dann eine Genehmigung des Innenministeriums vorliegen. Dieser Schritt sei „genau richtig" für eine moderne liberale Demokratie.

„Wir können den Terroristen keinen sicheren Raum erlauben, um miteinander zu kommunizieren", erklärte Cameron in einer Rede. In seiner blitzgescheiten Logik bedeutet das im Umkehrschluss auch, dass man die Tools, die es Bürgern ermöglichen, ihre digitale Privatsphäre vor der massenhaften Überwachung von GCHQ, NSA und Co zu schützen, kurzerhand für illegal erklärt.

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Nun ja, Kollateralschäden. Dass eine derartige Radikalisierung möglicherweise auch durch verfehlte Einwanderungspolitik, Frustration, wirtschaftliche Ungleichheit und gescheiterte Integration zustande gekommen sein könnte, sind sicher nachgelagerte Probleme—first things first.

„Ich interessiere mich nicht besonders für dieses ganze Grundrechtszeug."

Dabei könnte eine sicherheitspolitische Lektion des Charlie-Hebdo-Attentates auch sein, dass weitreichende Überwachungsgesetze nicht die Lösung sind. Schließlich gilt in Frankreich schon länger eines der weitreichsten Gesetze zur Vorratsdatenspeicherung, was jedoch keinen der furchtbaren Anschläge aufhalten konnte. Immerhin der deutsche Justizminister Heiko Maas hat sich denn auch eindeutig ​gegen einen erneuten Versuch der Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland ausgesprochen.

Allen Politikern, die sich weiterhin Gedanken um solcherlei VDS-Schnellschuss-Reaktionen auf Charlie Hebdo machen, sei ​diese Chat-Debatte unserer Spiegel-Online Kollegen empfohlen. Meiner Ansicht nach geht Judith Horchert hier ganz klar als Punktsiegerin mit ihren Argumenten gegen die VDS hervor. Allein schon wegen der unschlagbaren Punchline „Apropros Grundgesetz."

„Es muss weiterhin eine Absicherung für unschuldige Personen geben", wandte Yvette Cooper von der oppositionellen Labour-Partei in Großbritannien ein, ohne genau auszuführen, wie diese in diesem Fall aussehen könnte. Keine besonders starke Ablehnung also, denn Labour stimmt den Plänen ansonsten generell ebenfalls zu, was die Chancen für die Verabschiedung des Gesetzes auch unabhängig vom Ausgang der kommenden Wahlen, in naher Zukunft weiter erhöht.

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Die einzige kleine Hürde scheint noch in der technischen Umsetzung dieser Idee zu liegen. Eine Blockade der Dienste stellt sich spätestens dann als problematisch heraus, wenn die Nutzer über vorinstallierte Smartphonedienste wie iMessage kommunizieren:

ISIS guy 1: I know, let's use cryptography to hide our messages! ISIS guy 2: We can't, it's against the law in the UK. ISIS guy 1: Oh, OK.

— Mustafa Al-Bassam (@musalbas) January 12, 2015

Insgesamt stimmt Cameron mit diesem Vorstoß in den Chor der insgesamt elf EU-Staaten mit ein, deren Regierungen sich nach den Morden in der französischen Hauptstadt für ein Online-Zensursystem stark machen. Eine diesbezügliche ​Erklärung unterzeichnete nicht nur Großbritannien, sondern auch Spanien, Polen und der deutsche Innenminister De Maizière.

In der Schatzkiste weiterer schlagkräftiger Maßnahmen finden sich in der Erklärung außerdem ein Veto für ein europaweites Passagier-Registrierungssystem und außerdem eine schwammige Formulierung, mit der die Innenminister angeblich zur Bekämpfung von Propaganda eine Gegenpropaganda entwerfen möchten—beziehungsweise „positive, zielgerichtete und leicht zugängliche Nachrichten, (…), für eine junge Zielgruppe, die besonders anfällig für Indoktrination ist".

Als Reaktion auf das Urteil des europäischen Gerichtshofs, wonach die von Cameron angestrebte Vorratsdatenspeicherung das Recht auf Privatsphäre verletzte, hatte die britische Regierung im Juli des vergangenen Jahres ein Notstandsgesetz erlassen, das es Sicherheitsbehörden und der Polizei erlaubt, auf Mobilfunk- und Internetdaten zuzugreifen. Dieses liefe im Jahr 2016 aus—höchste Zeit also für eine noch umfassendere Novelle, findet anscheinend zumindest Cameron.

Noch deutlichere Worte findet nur noch Londons Bürgermeister und Camerons Parteikollege Boris Johnson: „Ich interessiere mich nicht besonders für dieses ganze Grundrechtszeug, wenn es um die E-Mails und Telefonanrufe dieser Leute geht. Wenn sie eine Gefahr für unsere Gesellschaft sind, möchte ich, dass die ordentlich mitgehört werden."