FYI.

This story is over 5 years old.

Tech

Zorn ist viraler als Freude

'Hass-Sharing' scheint eine unaufhaltbare Kraft im Netz zu sein.
Die allgemeinen Wechselwirkungen eines sozialen Netzwerks sind in grau zu sehen, während die Emotionalität des Netzwerk farblich dargestellt ist (Rot = Wut; Grün = Freude; Blau = Trauer; Schwarz = Ekel) | Bild: Rui Fan et.al

Kennst du auch diesen spontan aufsteigenden Ärger, wenn der dümmste, furchtbarste, abscheulichste Blogeintrag eines beliebigen Blogger-Clowns mal wieder der meist geteilte Artikel des Tages bei Twitter und Facebook ist? Wenn alle völlig aus dem Häuschen sind und groß rumschreien „Boah, dieser Typ! (Link)", nervt das als Leser und als Journalist – vor allem als ein Journalist mit einem Minimum von professionellen Interesse, dass Geschichten geteilt werden –, schließlich gibt es doch jeden Tag so viele hochwertigere Geschichten gibt, die es wert sind, gelesen zu werden.

Anzeige

'Hass-Sharing' scheint eine unabdingbare Kraft im Netz zu sein. Gut dass sich nun einmal die Forschung diesem elenden Aspekt des Internet-Alltags angenommen hat: Forscher von der Universität Beihang in Peking haben das Phänomen quantifiziert, und festgestellt, dass Wut viral ist.

Für die Studie wurde Weibo analysiert, Chinas Twitter-ähnliches soziales Netzwerk, das über eine halbe Milliarde Nutzer hat. Weibo ist sehr wichtig, sowohl für Breaking news, Politik und Bürger-Journalismus, vor allem in einem Land, in dem immer noch sehr viel politischen Einfluss auf die Presse genommen wird. Gleichzeitig ist Weibo aber auch ein soziales Netzwerk wie jedes andere, dass heißt, es ist mit viel Witz, Freude und sozialem Blödsinn gefüllt.

Die Forscher um Rui Fan, haben sich vorgenommen zu analysieren, ob Homophilie, also die Ähnlichkeit von Menschen, der maßgebliche Antrieb von sozialen Verbindungen in diesen Netzwerk ist. Sie erklären: "Neben typischen demographische Merkmale wie Alter, Rasse, Heimat, gemeinsamen Freunden und Interessen, schließt Homophilie vor allem auch psychische Zustände wie Einsamkeit und Glück ein." Mit anderen Worten: Funktioniert das Prinzip „Gleich und gleich gesellt sich gern" in Weibo durch verbindende emotionale Zustände?

Die Forscher haben zunächst 70 Millionen Tweets von 200.000 Nutzern gesammelt, die im Erhebungszeitraum alle mindestens 30 Interaktionen aufwiesen, also eine gewisse Einwirkung auf das Netzwerk hatten. Daraufhin beschlossen sie, diese nach ihren Emotionen zu kategorisieren: Wut, Trauer, Freude und Ekel. Aber: Wie misst man emotionale Zustände in so vielen Tweets? Richtig, das Team hat sich natürlich auf Emoticons konzentriert.

Anzeige

Sie kategorisierten 95 Emoticons in vier Gruppen und ordneten die 3,5 Millionen Tweets ihres Datensatzes auf einer Skala an. Dann verwendeten sie die Daten, um zu sehen, welche Wörter welchen Emoticons entsprechen. Dies haben sie hauptsächlich getan um einen bayessches Netz [http://de.wikipedia.org/wiki/Bayessches_Netz] für den Rest der Tweets erstellen zu können. Das Team räumt ein, dass es sich hierbei um ein "einfaches, aber schnelles"-System handelt, aber die "durchschnittliche Genauigkeit dieser Klassifizierung ist überzeugend."

Schließlich ist der große Moment gekommen: Welche Emotionen würden am ehesten eine korrespondierende Online-Reaktion Art hervorrufen und dann die stärkste Kettenreaktion emotionalisierter User auslösen?

Bild: Rui Fan et.al

Der obige Graph zeigt die Korrelation zwischen der Emotionalität eines Tweets und der Art der darauf folgenden Reaktion, im Verhältnis der Enge der sozialen Verbindung der User im sozialen Netzwerk. (Ein h von 1 zeigt eng verbundene User, bei Wert von 6 sind die User sehr weit entfernt.) Wie man an diesen Daten ablesen kann, bewegt sich Wut am schnellsten über ein Netzwerk. Die Autoren erklären:

Dies deutet darauf hin, dass sich Wut schneller und weiterläufiger über soziale Netzwerke verbreiten lässt, da sein Einfluss auf die unmittelbaren Nachbarschaften sehr stark ist. Obwohl die bisherigen Studien zeigen, dass Glück in sozialen Netzwerken assoziativ ist, zeigt Abbildung 3 weiter, dass die Korrelation der Wut viel stärker als die des Glücks ist. Dies bedeutet, dass sich böse Nachrichten vielleicht viel schneller im Netzwerk ausbreiten können und dieses Phänomen scheint unserer Intuition zu widersprechen.

Anzeige

Freude ist noch immer eine virale Emotion. Trauer und Ekel sind es wesentlich weniger. Aber Wut siegt.

Technology Review hat darauf hingewiesen, dass sich eine Menge dieser Wut in Bezug auf internationale und lokale Politik artikuliert. Das ist nicht überraschend, da politische Probleme einerseits sehr populär sind und gleichzeitig ziemlich einfach Wut und Frustration antreiben können.

Brian Fung von der Washington Post zu Recht angemerkt, dass das Phänomen hier nur auf Weibo untersucht wurde, und wir vorsichtig sein sollen, bevor wie unmittelbar Rückschlüsse auf andere sozialen Netzwerke in anderen Ländern ziehen. Aber mindestens anekdotenhaft macht es Sinn. Wut, vor allem in Bezug auf wichtige Themen, eignet sich wunderbar um in Sozialen Netzwerken mitgeteilt und mit anderen ,geshart' zu werden. Für Freude, und damit auch für all die Welpenbilder da draußen, mag dies vielleicht auch noch gelten, aber gleichzeitig inspirieren Glücksgefühl seltener große Aufregung um ein Thema.

Ich wage auch zu vermuten, dass Trauer und Ekel sich einfach nicht so gut in die eigene Kommunikation übersetzen lassen. Die Menschen wollen entweder ihre Leidenschaften teilen oder Dinge, bei denen sie sich schlau fühlen. Trauer und Ekel sind Emotionen die einfach schlechter in diese Kategorien passen. Ich glaube, die ,Retweet' Barriere für "dieser Kerl ist ein Arschloch" ist viel niedriger, als für "Das Leben ist scheiße," vielleicht, weil Trauer und Ekel nicht so richtig mit unseren sorgfältig gepflegten Onlinebildern korrespondieren.

Aber die gute alte moralische und rechtsschaffend vorgetragene Entrüstung, ist die wohl beliebteste Emotion des Internet!

@derektmead