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Wir sollten aufhören zu diskutieren, ob Smartphones dumm und depressiv machen

Statt zur besten Sendezeit die Wirklichkeit einer digitalisierten Gesellschaft zu diskutieren, verfiel man bei „Hart aber fair" lieber in rückwärts gewandten Kulturpessimismus.

„Anne, leg dein verdammtes Handy weg. Wenigstens jetzt, wenn du 'Hart aber fair' guckst." Mit einer ungewohnt privaten Anspielung auf seine Ehefrau leitete Frank Plasberg gestern Abend die wohl kulturpessimistischste Ausgabe seiner vor 15 Jahren gestarteten Talkshow in der ARD ein.

Wahrscheinlich wollte der Talkmaster mit dem Ausflug ins Private verdeutlichen, dass Smartphones anno 2016 längst in alle Lebensbereiche und auch Altergruppen vorgedrungen sind. Mehr als die Hälfte aller Deutschen nutzt bereits ein Smartphone, wieso stellt Plasberg also allen Ernstes noch die Frage: „Machen Smartphones dumm und krank?".

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Die digitale Technologie ist nicht erst seit gestern in der Mitte der Gesellschaft angekommen, Smartphones und soziale Medien prägen seit Jahren den öffentlichen Diskurs, fungieren als wichtige Plattform gesellschaftlicher Debatten. Unser Umgang mit Smartphones steckt nicht mehr in den Kinderschuhen, vielmehr ist er in der Pubertät angekommen. Es gilt jetzt die Weichen für die Zukunft zu stellen und sich der Lösung gravierender Probleme anzunehmen: Wie gehen wir mit Hasskommentaren um, wie etablieren wir eine konstruktive Diskussionskultur? Wie kriegen wir den Rassismus und Sexismus, der in sozialen Netzwerken blüht, in den Griff? Wie schaffen wir es, dass Grundgesetz und Strafverfolgung auch auf Facebook umgesetzt werden, wenn dort schon so viele politische Debatten stattfinden? Wie etablieren wir effektive Hilfsangebote für Betroffene von Internetsucht oder sogenannten „Facebook-Depressionen"? Wie schaffen wir es, dass die Rechte von Arbeitnehmern auch im 21. Jahrhundert geschützt werden, wenn immer mehr Menschen per E-Mail und Smartphone dauerhaft erreichbar sind?

Eine Talkshow zu guter Sendezeit könnte tatsächlich ein Ort sein, um die Wirklichkeit einer digitalisierten Gesellschaft zu diskutieren. Nicht so bei Plasberg. Schon die Auswahl der Gäste zeigte, dass man hier lieber mit einer polarisierenden Ja-oder-Nein-Frage eine Technologie in Frage stellen wollte, die nach einem beispiellosen Siegeszug schon längst unwiderruflich ein Teil unseres Lebens geworden ist. Diese Ignoranz bringt der Moderator mit einer der Eingangsfrage auch gleich schön auf den Punkt: „Ab wann verstellt der Blick auf den Bildschirm den Blick auf das richtige Leben?". Nun, das reale Leben spielt sich schon längst auch auf dem Bildschirm ab.

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Der Tonfall der Sendung ist deshalb so ärgerlich, weil die Debatte nicht nur inhaltlich völlig falsch ist, sondern sie vom eigentlichen Redebedarf in Sachen Digitalisierung ablenkt. Die Zeitungsberichte von Spiegel Online bis zu Der Westen am nächsten Morgen konzentrieren sich jedenfalls auch überwiegend auf die Frage, wie gefährlich Smartphones denn nun sind oder auch nicht. Die Herausforderungen der Digitalisierung liegen doch aber gerade darin, dass wir als Gesellschaft bisher nicht gerade gut darin sind, demokratisch auszudiskutieren, wie unsere digitale Welt aussehen soll. Die Regeln werden von Konzernen bestimmt, während Politik und Justiz allzu oft dem technischen Fortschritt hinterherhinken. Die Nutzer gehorchen unterdessen oft dem Gesetz des Stärkeren (in polarisierenden Kommentarspalten), dem Gesetz der Bequemlichkeit statt der Informiertheit (bei der Auswahl ihrer Services) oder—noch schlimmer—dem Gesetz des Schulterzuckens (in Sachen Privatsphäre, Datenschutz und Überwachung).

„Das Google-Autochen hat ja schon einen Unfall mit 'nem Bus gemacht"

Statt einige der Probleme unseres Online-Lebens auf öffentlicher Bühne zu diskutieren, gab es vor allem haarsträubende Thesen. Allen voran: Gehirnforscher Manfred Spitzer („Das muss ich nicht lernen, da ich mich um Menschen kümmere und nicht um Maschinen", „Das Google-Autochen hat ja schon einen Unfall mit 'nem Bus gemacht"), Autor des Buchs „Cyberkrank!: Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit ruiniert", der die Rolle des Smartphone-Verteuflers mit angeblichen Studien in der Hinterhand übernahm, sowie seine Gegenspielerin Duygu Gezen, erste Social-Media-Volontärin in der Geschichte der ARD.

Gezen wollte anscheinend die verlorene Zeit ihres Arbeitgebers bei der Besetzung einer so zentralen Stelle wieder wett machen und wurde nicht müde zu betonen, wie sehr ihr Leben mit den von Spitzer verteufelten Technologien verschmolzen sei: „Auf der rechten Seite [des Betts] liegt mein iPhone, auf der linken mein iPad." Laut eigenen Angaben könne sie die von Spitzer besorgt in die Diskussion geworfenen 5,3 Stunden, die ein Südkoreaner bereits heute täglich am Smartphone-Bildschirm hänge, locker toppen. Dass diese Tatsache womöglich durch ihren Beruf begründet ist, wurde dabei außer Acht gelassen, und so hatte die Talkshow mit Spitzer und Gezen von Anfang an zwei dankbare Feindbilder für eine polarisierte Diskussion, die aber weit entfernt von den wirklichen Problemen einer digitalisierten Gesellschaft verlief.

Dass Frank Thelen, seines Zeichens deutscher Unternehmer und so etwas wie ein „Tech-Enthusiast", erst nach mehr als 13 Minuten das Wort erheben durfte, lag wohl daran, dass er in wenigen zwei Sätzen das formulierte, was die dummdreiste Leitfrage der

Sendung

als Antwort verdient: „Zu wenig Internet tötet die deutsche Wirtschaft und tötet Deutschland! […] Das Smartphone hat einen Aus-Knopf. […] Wenn wir dieses Bedenkenträgertum weiter behalten und sagen, dass es gefährlich ist und wir es nicht weiter pushen wollen, dann haben wir ein Problem. Denn es ist eine ganz wichtige Kerntechnologie, und wir als Deutschland sind ganz weit abgeschlagen. Wir müssen aufholen und den Leuten erklären, wie es funktioniert und das Smartphone richtig einsetzen."