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Geleakter Bericht bringt neue Details der Pariser IS-Anschläge ans Licht

Ein geleakter Ermittlungsbericht zeigt die zentrale Rolle von Einweg-Telefonen in der Anschlagsplanung der Pariser Attentäter vom November 2015 und beleuchtet perfide Details, mit denen die Terroristen die Geräte ihrer Geiseln missbrauchten.
Bild: imago

Es regnete Telefone an diesem frühen Morgen in Saint-Denis. Nach dem Explosions-Showdown mit der Polizei am 17.11.2015 waren sie überall: Im Treppenhaus, in der Wohnung, im Schutt der gesprengten Wände und auf der Straße vor dem Haus, das die Attentäterin Hasna Aitboulahcen angemietet hatte, weil der Vermieter keine Fragen stellte.

Seit dem ersten Chaos der Terrornacht bis zur Festnahme des meistgesuchten, letzten noch lebenden Paris-Attentäters Saleh Abdeslam am vergangenen Freitag konnten französische Ermittler viele Erkenntnisse über die Kommunikation und die Planung der Anschlagsserie gewinnen. Trotzdem stehen die Beamten heute vor noch mehr offenen Fragen als zuvor. Was sie wissen, ist in einem 55-seitigen Bericht zusammengefasst, der wichtige Details über das Kommunikationsverhalten des Terrornetzwerks zutage fördert.

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Keine Metadaten

Der Bericht zeigt, dass die Attentäter enorm versiert darin waren, Metadaten bei ihrer Kommunikation zu vermeiden, die zwar nicht den Inhalt selbst, aber wichtige Details über den Kontext der Kommunikation verraten. Damit gelangen Ermittler an wichtige Informationen darüber, wer wann mit wem kommuniziert. Bei früheren Anschlagsplanungen des IS fielen immer mal wieder Spuren an, beispielsweise durch unverschlüsselte SMS-Nachrichten, die abgefangen werden konnten oder durch mitgeschnittene Telefongespräche.

Keine SMS, keine Spur ihrer E-Mails oder anderer elektronischer Kommunikation wurde jedoch in diesem Fall bislang gefunden—woraus die Behörden offenbar etwas gewagt ableiteten, dass die Beteiligten Verschlüsselung verwendet hatten. Dafür gibt es bislang jedoch keinerlei handfeste Belege. Denn auch, wenn eine Nachricht PGP-verschlüsselt wurde, fallen Metadaten an, die man abfangen, aber eben nicht entschlüsseln kann.

Deutlich wird jedoch, dass sich das Terrornetzwerk der Paris-Attentäter auf Unmengen an Burner-Phones verlassen hat. Ausschließlich neue Prepaid-Handys wurden verwendet, die die Terroristen direkt nach kurzer Benutzung wegwarfen. In manchen Fällen verwendeten sie auch gleich die Telefone ihrer Opfer.

Telefone der Geiseln im Bataclan benutzt

Die Wegwerftelefone hinterließen die Attentäter wie eine Spur überall in Paris. In den Ruinen des Pariser Vorstadtapartments, in dem sich die Selbstmordattentäterin Hasna Aitboulahcen selbst in die Luft gesprengt hatte, fanden die Ermittler mehrere Dutzend Kisten mit unbenutzten Handys, die noch eingepackt waren. Während der Attacken bekam Aitboulahcen—die Cousine des Attentäters Abaaout—immer wieder Anrufe auf ihrer Pariser Nummer aus Belgien.

Statt sich wie gehabt auf einen einzelnen Modus Operandi zu verlassen, wollten die IS-Attentäter mit konzertierten Mehrfach-Aktionen die Notfallmaßnahmen der Sicherheitsbehörden überfordern, indem verschiendene Tötungsszenarien gleichzeitig zum Einsatz kamen. Im Bataclan ging dieser Plan auf: Es brauchte zur Stürmung vier Elitebrigaden, um drei bewaffnete Männer aufzuhalten.

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Der Ermittlungsbericht zeigt eine neue, perfide Taktik der Terroristen auf, die zur Vermeidung von verräterischen Metadaten perfekt geeignet schien: Um Aufmerksamkeit auf ihren Aufenthaltsort zu erregen, die Sicherheitkräfte zum Bataclan zu locken und die Kräfte anderweitig in der Stadt auszudünnen, beschlagnahmten und nutzten die Attentäter mehrere Handys ihrer Geiseln im Bataclan.

Zunächst wollten die Terroristen damit ins Internet, doch der mobile Datenempfang funktionierte in der Halle nicht. Anschließend wollten sie die Polizei selbst verständigen, gaben jedoch nach mehreren Versuchen entnervt auf: Die tastengesteurte Menüführung der Polizeihotline („…dann drücken sie bitte die 1"), kostete sie zu viel Zeit, berichten überlebende Zeugen. Letztlich schaffte es einer der Attentäter jedoch, vom Telefon einer Geisel eine Nachricht an einen Kontakt herauszuschicken.

Auf einem der Wegwerf-Handys der Attentäter wurde ein Saalplan der Bataclan-Konzerthalle gefunden, was erklärt, wieso viele der fliehenden Konzertgänger, die den Notausgang aufstießen, in eine tödliche Falle gerieten—denn dort wartete bereits ein dritter bewaffneter Attentäter.

Im Müll vor dem Bataclan fanden die Ermittler ein weißes Samsung-Handy mit belgischer SIM-Karte, die erst einen Tag vor dem Anschlag aktiviert wurde und von der aus eine einzige Nummer gewählt wurde. Sie gehört zu einem bislang unbekannten Belgier. Im Internet hatte der Besitzer des weißen Samsung die bataclan-Website angesuft sowie nach einer Ticket-Website und Informationen über die Show der Eagles of Death Metal an diesem Abend gesucht. Im Fotoalbum des Telefons waren ebenfalls Bilder des Saalplans gespeichert.

Immer wieder Anrufe nach Belgien

Die Spuren führen nun weiter nach Belgien, wo eine weitere Basis der Terrornetzes vermutet wird: Von anderen Telefonen, die nun ebenfalls den Attentätern zugeordet werden konnten, gingen nur Minuten vor den Anschlägen im Stade de France sowie im Restaurant Anrufe nach Belgien ab. Vor dem Fußballstadion telefonierte der jüngste Attentäter Bilal Hadfi für über 45 Minuten immer wieder mit einem Gesprächspartner, der sich in dem von Abdeslam angemieteten Auto befand, bevor er seine explosive Weste zündete.

Trotz des Mangels an anfallenden Kommunikationsdaten boten die überall verstreuten Einweg-Telefone doch wertvolle Hinweise, die letztlich auf die erste Spur des vorgestern verhafteten Terroristen führten: Durch die GPS-Daten eines Burner-Handys wurden die Ermittler zu der Adresse eines billigen Apartmenthotels im Pariser Vorort Alfortville geführt. Bei ihrer Razzia stießen die Ermittler auf zwei unbenutzte Telefone, die noch in ihren Kisten lagen; ebenso wie in einer Villa in Bobigny. Die Villa und zwei Studios im Apartmenthotel hatte derselbe Mann angemietet: Saleh Abdelslam.