Am 25. September entscheidet das Schweizer Stimmvolk über das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). Bundesrat und Parlament haben es bereits letztes Jahr verabschiedet. Nur dank eines Referendums hat das Volk jetzt doch noch ein Wörtchen mitzureden. Die Gesetzesvorlage sieht einen massiven Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten des Schweizer Geheimdienstes vor. Neu soll der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) unter anderem folgende Kompetenzen erhalten:
Anzeige
- Kabelaufklärung: Die Durchforstung des Internetverkehrs nach bestimmten Suchbegriffen (Art. 39)
- Verwanzung von privaten Wohnungen und Häusern (Art 26.1)
- Automatischer Informationsaustausch mit Geheimdiensten verbündeter Staaten, nicht mehr nur in Einzelfällen (Art. 12.1)
- Verdeckte Durchsuchung von Privathaushalten, Autos, Koffern, et cetera ohne dies im Nachhinein bekannt machen zu müssen (Art. 26.1, Art. 26.2)
- Überwachung von Verdächtigen mit Satelliten und Drohnen (Art. 14)
- Auskunftszwang für Behörden und Institutionen wie Spitäler, Schulen, die Post, die SBB, die Finma. Diesen wird zudem ein Maulkorb verpasst. Das heisst, sie werden "verpflichtet über das Ersuchen und die allfällige Auskunft Stillschweigen zu bewahren" (Art. 19, Art. 20, Art. 25)
Anzeige
Dass nachträglich noch die Departementsvorsteher die Massnahme zulassen müssen, ändere daran auch nicht viel. Gemäss Mohler sei es kaum vorstellbar, dass ein Departementsvorsteher nach richterlicher Genehmigung anders entscheiden und damit das Risiko eines grossen Schadens tragen würde. Er schlägt deshalb vor, dass insgesamt drei Richter die Genehmigungen erteilen sollen.Um Hinweise auf verdächtige Personen zu erhalten, die dann mit den neuen Instrumenten überwacht werden können, soll der NDB ebenfalls die Möglichkeit der Kabelaufklärung bekommen. In der Kabelaufklärung kann der gesamte Internetverkehr vom Geheimdienst mit einer Suchmaschine durchsucht und überwacht werden. Die Kabelaufklärung ist umstritten, weil sie, je nachdem wie spezifisch ein Suchbegriff gestaltet wird, eine Vielzahl an Falschmeldungen generiert. Das heisst, dass auch die Kommunikation von unbescholtenen Bürgern überwacht würde.
Umstrittene Kabelaufklärung
In Bezug zur Kabelaufklärung relativierte Parmelin in einem Interview mit dem Blick, dass der NDB den Internetverkehr von Schweizern "nur gezielt" und "nur in rund zehn Fällen pro Jahr" überwachen würde. Zudem versicherte der Verteidigungsminister: "Alle Kommunikation innerhalb der Schweiz ist davon ausgeschlossen."Diese Informationen seien nicht nur ungenau, sondern "systematisch irreführend", kritisiert Hernani Marques, Pressesprecher des Chaos Computer Clubs Schweiz, die Kommunikation des Bundes auf Anfrage von VICE. Wenn zwei Personen in der Schweiz miteinander per Email korrespondieren, laufen die elektronischen Signale in praktisch allen Fällen über ausländische Provider.Der Datenaustausch sei dadurch grenzüberschreitend und fände de facto nicht "innerhalb der Schweiz" statt, dürfe also vom Zentrum für elektronische Operationen (ZEO)—das für den NDB die operative Auswertung der Signale vornimmt—mitgeschnitten werden. Selbst an die Mails, welche die Schweizer Grenze effektiv nicht verlassen, könne der NDB auf Grund des automatischen Informationsaustauschs mit ausländischen Geheimdiensten trotzdem gelangen, so Marques. Denn diese seien von der Einschränkung, die Parmelin im Interview erwähnt, nicht betroffen.
"Irreführende" Informationen
Anzeige
Wir haben mit Edward Snowden über den Überwachungsstaat gesprochen:
Ebenfalls ungenau ist die Äusserung des Bundesrats, ein Kabelauftrag werde "nur gezielt" und "nur in rund zehn Fällen pro Jahr" durchgeführt. Die Formulierung suggeriert, dass nur der Internetverkehr von zehn verdächtigten Personen überwacht würde. Diese Annahme ist jedoch falsch. Wie die Pressestelle des NDB auf Anfrage von VICE bestätigt, habe sich Parmelin mit der Fallzahl lediglich auf "genehmigungspflichtige Beschaffungsmassnahmen" bezogen, die auch aus einem Kabelaufklärungsauftrag resultieren können. Zu der Anzahl Suchergebnisse, die durch die Kabelaufklärung effektiv geliefert werden, wollte sich die Pressestelle des NDB trotz wiederholter Nachfrage lieber nicht äussern.
Die Nadel im Heuhaufen
Ein NDG-kritisches Beispiel einer Suche mit weichen Selektoren | Foto von digitalegesellschaft.ch
Anzeige
Das Problematische an der Suche mit weichen Selektoren ist, dass sie eine Vielzahl an Falschmeldungen generiert, dass also auch unbescholtene Bürger ins Visier der Fahnder geraten können. So könnte die Kategorie "Mafia" etwa Suchbegriffe wie Gomorrha, Sizilien, Schutzgeld, Prostitution und Erpressung beinhalten. Wenn du jetzt mit deinem Freund via WhatsApp über eine Filmszene aus Der Pate oder Gomorrha diskutierst und dabei die entsprechenden Begriffe verwendest, geratet ihr bereits in den Fokus des Geheimdienstes. Dieses Beispiel bringt das Grundproblem der flächendeckenden Bevölkerungsüberwachung auf den Punkt."Die Trefferquoten von den Suchmaschinen, die Geheimdienste in der Kabelaufklärung verwenden, liegen oft sehr tief", bestätigt Marques vom Chaos Computer Club, der in seiner Master-Arbeit die Effektivität von auf Computerlinguistik basierter Massenüberwachung untersuchte. So ging aus dem Jahresbericht des Parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Trefferquote des Deutschen Geheimdienstes (BND) untersuchte, hervor, dass 2014 von den 25.000 abgehorchten Kommunikationsverkehren bloss 65—also weniger als 0.26 Prozent—als nachrichtendienstlich relevant galten.
Überwachungskameras in New York City | Foto von Jonathan McIntosh | Flickr | CC BY-SA 2.0Die elektronische Fahndung nach Terroristen kommt also der Suche einer Nadel im Heuhaufen gleich. Der ehemalige NSA-Direktor General Keith Alexander rechtfertigte die Massenüberwachung: "Du brauchst den ganzen Heuhaufen, um die Nadel zu finden."
Anzeige
Unklare Grenze
VICE Schweiz auf Facebook und Twitter.Dieser Artikel erschien zuerst auf VICE Alps.