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Der Physiker, für den das Universum manchmal nur ein Hologramm ist

Ist unser Universum vielleicht gar nicht 3D? Und wie viele Dimensionen braucht man zur Beschreibung der Welt tatsächlich? Der Wiener Daniel Grumiller glaubt, dass es manchmal besser ist, wenn das Universum nur zwei Dimensionen hat.
Daniel Grumiller | Bild: TU Wien

Daniel Grumiller | Bild: TU Wien

Wie viele Raumdimensionen hat unser Universum? Die Frage klingt so banal, dass sich die Physik darüber lange Zeit überhaupt keine Gedanken gemacht hat: Natürlich leben wir in drei Raumdimensionen, würden die allermeisten Leute sagen. Oben-unten, links-rechts, vorne-hinten—das sind die drei Richtungen, die wir kennen, jeder Zweifel daran scheint sinnlos.

Doch so einfach ist die Sache nicht. Neue Forschungsergebnisse lassen das „holographische Prinzip" immer plausibler erscheinen—eine Theorie, die besagt, dass sich unsere Welt auch mit einer Dimension weniger beschreiben lässt. Ist unsere Welt in Wirklichkeit flach?

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Einstein und Quanten

Für Außenstehende klingt das wie eine der verrückten Ideen, die spätnachts in einer Bar als klares Zeichen dafür gedeutet werden können, dass man dringend nach Hause gehen soll. Doch Forscher wie der Physiker Daniel Grumiller von der Technischen Universität Wien sehen das anders: „Die Idee vom holographischen Universum ist einer der fruchtbarsten Gedanken der theoretischen Physik in den letzten Jahrzehnten", ist er überzeugt.

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Daniel Grumiller ist ein Forscher mit Vorliebe für die ganz großen Fragen: Er beschäftigt sich mit Einsteins Relativitätstheorie genauso wie mit Quantentheorien und den bemerkenswerten Verbindungen dazwischen, die bis heute nicht vollständig erforscht sind. Im zehnten Stock eines Bürogebäudes mitten in Wien sitzt er Schreibtisch an Schreibtisch mit seinen Mitarbeitern. In den letzten Jahren hat der junge Professor ein internationales Forschungsteam um sich versammelt, das vielbeachtete Ergebnisse über verschiedene exotisch klingende Themen erarbeitet hat: Über schwarze Löcher, über die Natur der Gravitation und über die Struktur von Raum und Zeit.

„Die Sache mit dem holographischen Universum begann in den Neunzigerjahren, mit einer gewagten Spekulation der Physiker Gerard 't Hooft und Lenny Susskind", erzählt mir Grumiller als ich ihn in seinem Büro besuche. „Sie stellten die Vermutung auf, dass es zwischen ganz unterschiedlichen physikalischen Theorien eine tiefe Verbindung gibt." Bestimmte Gravitationstheorien und bestimmte Quantentheorien lassen sich nach gewissen Regeln ineinander übersetzen: Man kann die Gravitationstheorie benutzen, um Fragen aus der Quantenphysik zu beantworten und umgekehrt. „1997 gelang es dann dem Physiker Juan Maldacena, diesen Zusammenhang zwischen zwei konkreten Theorien tatsächlich mathematisch nachzuweisen – das Ergebnis wurde unter dem Namen AdS/CFT-Korrespondenz rasch weltberühmt", sagt Grumiller. Die eine Theorie beschreibt Phänomene der Gravitationsphysik—zum Beispiel den Kollaps eines Schwarzen Lochs, die andere Theorie beschreibt etwas scheinbar völlig anderes—etwa das Verhalten ultraheißer Teilchen in einem Teilchenbeschleuniger. Und obwohl beides auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun hat, kann man die Beschreibung des einen in das andere übersetzen.

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Ein solcher Zusammenhang zwischen ganz unterschiedlichen Theorien, die für ganz verschiedene Bereiche der Physik entwickelt wurden, ist mehr als überraschend. Es ist ungefähr so, als würde man zufällig entdecken, dass man die Formeln aus einem Astronomie-Lehrbuch auch verwenden kann, um einen CD-Player zu reparieren. „Mittlerweile gibt es aber so viele Berechnungen, die diesen Zusammenhang bestätigen, dass es keine vernünftigen Zweifel mehr an seiner Richtigkeit gibt", sagt Grumiller.

Die Sache wird aber noch merkwürdiger: Die Korrespondenz zwischen Quantentheorien und Gravitationstheorien gilt nämlich nur dann, wenn die Quantentheorie eine Dimension weniger hat als die Gravitationstheorie.

„So lässt sich erstaunlicherweise ein Universum mit drei Raumdimensionen und Gravitationskraft alternativ auch mit einer Quantentheorie beschreiben, die mit einer Dimension weniger auskommt und keine Gravitation benötigt", erklärt Grumiller. Anschaulich vorstellen kann sich das niemand—aber mathematisch kann man eine Situation in die andere übersetzen. Man kann also zwischen zwei möglichen Beschreibungen des Universums auswählen: Eine arbeitet mit drei, die andere nur mit zwei Raumdimensionen. Hängt die Zahl der Dimensionen in unserem Universum also davon ab, welche Theorie man gerade benutzt?

Dimensionen: Von drei auf neun – und jetzt nur zwei?

Eine gewisse Flexibilität im Umgang mit Dimensionen ist für Physiker nichts Neues: Albert Einstein erklärte in seiner Relativitätstheorie, dass Raum und Zeit untrennbar zusammengehören—seither spricht man in der Physik von der vierdimensionalen Raumzeit.

Die Stringtheorie, mit der man heute versucht, die Eigenschaften der kleinsten Teilchen zu erklären, geht von zehn Dimensionen aus—von neun Raumdimensionen und einer Zeitdimension. Das klingt verwirrend, aber immer noch einigermaßen plausibel: Dann gibt es eben zusätzlich zu unseren bekannten drei Raumdimensionen noch weitere Dimensionen, die uns nicht zugänglich sind, die nur für winzige Teilchen eine Rolle spielen.

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Die Idee vom holographischen Universum ist in gewissem Sinn aber noch radikaler: Man denkt nicht über zusätzliche, verborgene Dimensionen nach—im Gegenteil: Die Anzahl der Dimensionen des Universums wird reduziert. Das Universum sieht für uns zwar dreidimensional aus, aber es lässt sich auch zweidimensional beschreiben, wie die holographischen Bilder auf Geldscheinen oder Kreditkarten, die zwar auf einer zweidimensionalen Oberfläche wohnen, aber für den Beobachter dreidimensional aussehen.

Verbogener Raum

„Als Juan Maldacena seine erste Arbeit über das holographische Universum veröffentlichte, ging man noch davon aus, dass es sich zwar um einen nützlichen Rechentrick handelt, aber nicht um eine echte Beschreibung unseres Universums", erzählt Daniel Grumiller. „Die Gravitationstheorien, von denen Maldacena ausging, mussten nämlich in einem ziemlich exotischen Raum formuliert werden, in einem sogenannten Anti-de-Sitter-Raum."

Ein solcher Anti-de-Sitter-Raum ist auf eine ganz bestimmte Weise verbogen und hat sehr merkwürdige Eigenschaften: Egal wo man sich in einem solchen Raum befindet—wenn man ein Objekt wegwirft, dann kommt es nach einer bestimmten Zeit ganz von selbst wieder zurück, ganz unabhängig davon, mit welcher Wucht man es fortschleudert.

Fünf Theorien, die für die Existenz von Paralleluniversen sprechen

In einem solchen Anti-de-Sitter-Raum leben wir ganz offensichtlich nicht. Unser Universum ist ziemlich flach. Ist das holographische Prinzip also nur eine mathematische Kuriosität, die mit unserer Welt gar nichts zu tun hat? Jahrelang beschäftigte sich Daniel Grumiller mit dieser Frage, gemeinsam mit Kollegen aus Harvard und vom MIT in den USA, aus Japan, Großbritannien und Indien. Mit Hilfe aufwändiger Berechnungen konnte das internationale Team zeigen, dass der merkwürdige Zusammenhang zwischen Gravitationstheorien mit drei Raumdimensionen und Quantentheorien mit nur zwei Raumdimensionen auch in einem flachen Universum wie dem unseren funktioniert.

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„Das ist ein starker Hinweis darauf, dass es sich hier nicht nur um ein theoretisches Konstrukt handelt, sondern um eine echte Eigenschaft des Universums", glaubt Grumiller. Bedeutet das nun also, dass unser Universum in Wirklichkeit bloß zweidimensional ist, dass wir in einer Art Hologramm leben?

Was ist Wirklichkeit?

„Das kann man so nicht sagen", findet Daniel Grumiller. „Mit dem Wort ‚wirklich' sollte man hier vorsichtig sein, es ist philosophisch schwer vorbelastet." Die drei Raumdimensionen, die wir erleben, sind unbestreitbar real—es handelt sich weder um eine Sinnestäuschung noch um einen bloßen Irrtum. Aber manche Phänomene kann man mathematisch eben mit Hilfe von Theorien beschreiben, die mit einer Dimension weniger auskommen.

Warum Physiker glauben, dass unser Universum ein gigantisches Hologramm ist

„Die Wirklichkeitsdebatte würde ich ganz beiseite schieben", meint Grumiller. „Ich sehe das pragmatisch: Man hat zwei verschiedene Beschreibungen zur Verfügung und verwendet einfach diejenige, die besser für die Fragestellungen geeignet ist, an denen man gerade interessiert ist—so ähnlich wie man sich auch das Licht entweder als Welle oder als Teilchen vorstellen kann, je nachdem, was man gerade ausrechnen möchte."

In unserem Alltag ist die Sichtweise, dass es drei Raumdimensionen und eine Zeitdimension gibt, sicher am effizientesten. Aber wenn man die Physik schwarzer Löcher verstehen möchte oder die ersten Sekundenbruchteile nach dem Urknall erklären will, dann kann die Beschreibung mit bloß zwei Raumdimensionen rechnerisch sinnvoller sein.

Vieles im Leben ist Ansichtssache. Die moderne Physik zeigt uns, dass selbst Dinge, die wir für völlig selbstverständlich halten, auf den zweiten Blick auch anders aussehen können. Es ist eben wirklich alles relativ. Und nicht einmal das ist sicher.