Vom Studenten zum Serversklaven
Nach einer Zehnstundenschicht verlassen Studenten den Winstron Technology Park. Alle Bilder: DanWatch/Uffe Wenig (verwendet mit freundlicher Genehmigung)

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Vom Studenten zum Serversklaven

In China werden Studenten zu unwürdigen Zwangspraktika in einer IT-Fabrik verdonnert—auch wenn sie eigentlich Pädagogik oder BWL studieren. Die gefertigte Ware landet schließlich an europäischen Hochschulen.

Dass Praktikanten unter dem Vorwand mangelnder Berufserfahrung gern mal gnadenlos ausgebeutet werden, haut gerade in der westlich-kapitalistischen Arbeitswelt der freien Marktwirtschaft kaum jemanden vom Hocker. Doch in China setzen IT- und Elektronikfirmen systematisch Studenten als billige, gehorsame Arbeitskräfte ein, um Kosten zu drücken.

Diese müssen in fünf Monate langen „Zwangspraktika" am Fließband Serverkomponenten für die drei weltgrößten Marken Dell, Lenovo und HP zusammenbauen, die später an den Unis Europas landen; sechs Tage die Woche, zehn bis zwölf Stunden am Tag.

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Dafür erhalten sie zwischen 147 und 215 Euro pro Monat. Einen Teil dieses Lohns behalten die Lehrer bis zum Ende des Praktikums ein. Zusätzlich werden die Studenten erpresst: Absolvieren sie das fünfmonatige Pflichtpraktikum nicht, wird ihnen der Abschluss verweigert—obwohl das eigentlich studierte Fach rein gar nichts mit der Elektronikbrache zu tun hat.

Zusammengefasst wurden die unwürdigen Bedingungen dieser Zwangspraktika in einem neuen Bericht, den die NGO DanWatch in Zusammenarbeit mit WEED veröffentlichte, einer Organisation, die sich mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen in der Elektronikindustrie beschäftigt. Für die Recherche hat DanWatch die Lieferkette von Servern untersucht, die an Universitäten in Europa eingesetzt werden und 25 Praktikanten vor Ort interviewt.

„Bitte veröffentlichen Sie nicht mein Foto. Ich will meinen Abschluss machen."

Ihre Arbeit hat zumeist keinerlei Zusammenhang mit ihren eigentlichen Studieninhalten oder -zielen. Die befragten Zwangsarbeiter beim Zulieferer Winstron Corporation in Zhongshan studierten Rechnungswesen, BWL oder Pädagogik. Ihre Beschäftigung, die von Überstunden und Nachtschichten geprägt ist, ist nicht nur irrelevant, sondern selbst nach chinesischen Gesetzen und Mindestlohnregelungen illegal.

„Ich lerne überhaupt nichts hier. Es ist harte Arbeit, kein Praktikum", so ein Student. „Niemand von uns will hier sein. Wir sind alle deprimiert, aber wir haben keine Wahl, denn die Universität hat uns gesagt, dass wir unser Diplom nicht bekommen werden, wenn wir uns weigern", wird die Studentin Xu Min zitiert.

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Läden vor der Fabrik versorgen die Stundenten mit dem Nötigsten.

Eine Praktikantin bat nach dem Interview mit Danwatch sogar: „Bitte veröffentlichen Sie nicht mein Foto. Ich will meinen Abschluss machen."

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Den Studenten wurde von ihren Lehrern telefonisch untersagt, mit der Organisation zu sprechen. So auch der Studentin Wang Fang, die sich trotz alledem zu folgender Aussage durchringen konnte:

„Ich bin gezwungenermaßen hier, sonst kann ich meine Ausbildung nicht abschließen. Ich hasse das alles hier und heute bin ich zur Nachtschicht eingeteilt. Ich muss bis morgen früh arbeiten. Viele von uns Studenten arbeiten in der Nacht. Aber bitte sagen Sie niemandem, dass ich mit Ihnen gesprochen habe."

Studentinnen auf dem Weg nach Hause nach einer Zwölfstundenschicht. Viele studieren Pädagogik oder Rechnungswesen—Server zusammenbauen müssen sie trotzdem, wenn sie ihren Abschluss schaffen wollen.

Ihre Sorgen waren berechtigt: Die chinesische Polizei beobachtete die Rechercheure von DanWatch schon seit Tagen und forderte die Organisation schließlich in einem Privatgespräch auf, die Studenten nicht mehr zu ihren Arbeitsbedingungen zu befragen.

Aus gutem Grund ist die Lieferkette in der IT-Industrie eine der unübersichtlichsten der Welt. Die Praktikantenausbeutung und die Zwangsarbeit sind ein strukturelles Problem der IT-Branche, wie das System Foxconn zeigt.

„Niemand von uns will hier sein. Wir sind alle deprimiert, aber wir haben keine Wahl"

Jenny Chan von der Universität Oxford, die den Einsatz von Studenten in der chinesischen IT-Industrie (mit einem besonderen Fokus auf Foxconn) untersucht, spricht von einem Dreieck der Abhängigkeiten: Die Hersteller brauchen regelmäßigen Nachschub an billigen, gehorsamen Arbeitskräften, die lokalen Regierungen brauchen IT-Investitionen und die Unis, die die Studenten schicken, erhalten finanzielle Entschädigungen für den Ausfall der Studenten. „Was die Schüler und Studenten wollen und brauchen, ist in diesem System völlig unwesentlich", fasst Chan zusammen.

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Allein an der Hubei Normal University absolvierten mehr als 800 Studenten das Zwangspraktikum am Server-Fließband; auch wenn sie Buchhaltung studierten. „Wir hoffen, damit das Durchhaltevermögen der Studenten zu fördern und, dass sie lernen, harte Arbeit zu verrichten", umschreibt die Unileitung ihre Motive.

Die Ausbeutung funktioniert unter anderem auch so gut, weil kulturelle Gründe die Zwangsarbeit stützen: „In China werden Menschen dazu erzogen, gemeinschaftliche Anstrengungen wertzuschätzen und zu glorifizieren; individueller Widerspruch wird dagegen als feindselige Haltung gegenüber diesen Werten wahrgenommen", heißt es im Report. Entsprechend wird an den Unis selbst mit einem Denunziantensystem gearbeitet. Studenten, die sich über das Zwangspraktikum und ihre Arbeitsbedingungen beschwert hatten, wurden namentlich zusammen mit Bestrafungen auf einem Anschlag aufgelistet.

Die Identifikationsmarke einer Studentin.

Die IT- und Elektronikhersteller sparen durch den Einsatz kostenloser Praktikanten, die beispielsweise nicht sozialversichert sind, mehrere Millionen Euro pro Monat. Westeuropäische Universitäten wiederum gaben für Serverinfrastruktur allein im Jahr 2015 bereits 461,38 Millionen Euro aus.

Diese Server kommen über öffentliche Beschaffungsstellen und Lieferanten der weltgrößten Marken von Zulieferern einzelner Komponenten aus dem Ausland. Bei der im Bericht untersuchten Winstron Corporation im chinesischen Zhongshan handelt es sich um einen solchen Serverkomponentenhersteller.

„Wir hoffen, damit das Durchhaltevermögen der Studenten zu fördern und dass sie lernen, harte Arbeit zu verrichten."

Sowohl HP als auch Dell haben bereits eingeräumt, dass ihre CSR (die postulierte eigene unternehmerische soziale Verantwortung) und die Wirklichkeit der Produktion auseinanderklaffen. Beide wollen den Zulieferern die Chance geben, diese „Mängel" zu beseitigen. „Nur wenn Lieferanten bei der Einhaltung unseres Verhaltenskodex keine Fortschritte mehr erzielen oder seine Einhaltung verweigern, beenden wir die Geschäftsbeziehungen", ließ Dell ausrichten.

Als öffentliche Auftraggeber tragen aber auch die Universitäten eine besondere Verantwortung für die Wahrung der Menschenrechte im Zuge der Vergabe ihrer Aufträge für die Bestückung ihrer Serverparks. Keine der von DanWatch kontaktierten Universitäten hat sich bislang zu den Vorwürfen geäußert.

Die vollständige Studie kann hier heruntergeladen werden.