Darf man beim Feiern in Frauenmünder pissen?

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Darf man beim Feiern in Frauenmünder pissen?

Sind die Mund-Pissoirs in Potsdam Kunst oder sexistische Kackscheiße? Ein Pro und Contra.

Auf dem Bild sind "Kisses"-Klos aus einer Bar in Brighton zu sehen | Foto: Les Chatfield | Flikr | CC BY 2.0

Hände hoch: Wer hat noch nie davon geträumt, einmal in einen lustvoll geöffneten, einen halben Meter großen Mund mit knallroten Lippen zu urinieren? Ihr nicht? Wie auch immer, in einer Potsdamer Konzert-Location ist das für die Männer eine Option – dort hat die Betreiberin nämlich Pissoirs des Modells "Kisses" installieren lassen.

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Nicht so begeistert von den Pissoirs ist der Frauenpolitische Rat Brandenburg. "An einem öffentlichen Ort damit zu kokettieren, dass bereitwillig aufgesperrte Frauenmünder jederzeit für die Verrichtung der männlichen Notdurft bereitstehen", schreibt der Rat, "ist bestenfalls gedankenlos, schlimmstenfalls frauenverachtend." Die Betreiberin verteidigt ihre sanitären Einrichtungen energisch: Es handele sich um Kunst, und außerdem können sie gar nicht frauenfeindlich sein, da sie nicht eindeutig als Frauen- oder Männermünder zu erkennen seien. Bis jetzt weigert sie sich, dem Druck der Frauenorganisation nachzugeben.

Aber die Frage bleibt: Sind Mund-Pissoirs harmlose Spinnerei oder sexistische Kackscheiße? Zwei unserer Autoren haben geantwortet.

Contra Mund-Pissoirs

von Wlada Kolosowa

Ja, Frauen in Deutschland haben größere Probleme als Kerle, die in einem Club in rote Münder aus Keramik pinkeln. Zum Beispiel, dass sie immer noch ein Fünftel weniger verdienen als Männer. Dass jede dritte deutsche Frau schon einmal Gewalt erfahren hat – viele von ihnen in der eigenen Partnerschaft. Dass in 76 Prozent der deutschen Dax-Vorstände keine einzige Frau sitzt – aber dafür mit ziemlicher Sicherheit eine Frau deren Klos putzen wird. Und auch jene, über die jetzt viele streiten.

Trotzdem: Dass ein Club in Potsdam rote Lippen aus Keramik als Pissoirs installiert, ist mehr als "Pipifax", wie die frauenpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion am Dienstag behauptete. Das "Kisses"-Klo mag als ein lustiger Augencatcher gemeint sein. Aber das zeigt eben auch, was Menschen lustig finden: "Einer Frau in den Rachen zu urinieren, hihi!"

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Ein Anbieter, der die "Kisses"-Klos online vertreibt, bewirbt sie folgendermaßen: "In unserer arbeitsreichen und anspruchsvollen Welt wird die Toiletten-Experience zu einem Moment für Reflektion, Frieden, Ruhe, oder einfach dafür, sich in eine andere Welt zu träumen. Gehe auf eine Reise durch deine Fantasie!"

Liest man die Werbung, fühlt man fast mit, mit dem überarbeiteten, modernen Mann, der nur dann Ruhe findet, wenn er sich in einen Frauenmund entleert. Knapp 900 Euro – so viel kostet das Pissoir – das ist ein richtiges Schnäppchen für den Seelenfrieden beim Urinieren.

Nichts gegen Menschen, die von Pinkelspielen träumen. Aber das dürfte nur für einen schmalen Prozentsatz der Pinkler zutreffen. Warum die "Toiletten-Experience" für alle anderen davon bereichert wird, dass sie zwischen rote Lippen urinieren, kann ich mir nicht anders erklären, als dass das Ganze eben etwas Verboten-Sexistisches hat. Wie ein Herrenwitz unter der Gürtellinie, den man sich nur unter Jungs erzählt.

Die Erklärung der Designerin, der Mund sei nicht frauenverachtend, sondern einfach ein Cartoon, ist bestenfalls halbseiden. Abertausende sexy Cover von Playboy bis zum neuen Megan-Abbott-Roman über sexy minderjährige Cheerleader wurden mit roten Mündern illustriert, sodass rote Lippen eben für Frauen stehen – und für Sex. Und ganz abgesehen davon: Sollte das Produkt so geschlechtsneutral sein, warum gibt es keine Lippenklos für Frauen? Vielleicht würde es uns ja auch mal helfen, auf "eine Reise durch unsere Fantasie" zu gehen. Die Travestie-Künstlerin Divamayday macht es schonmal vor.

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Pro Mund-Pissoirs

von Henri Tartaglia

Der Frauenpolitische Rat Brandenburg ist eine hehre Institution, die ihren Auftrag schon seit Jahren gewissenhaft erfüllt. Was der Frauenpolitische Rat Brandenburg aber nicht ist: die letzte Instanz, die entscheiden darf, was Kunst ist und was nicht.

Das wollen sie beim Rat jetzt offenbar ändern: "Wir möchten in Frage stellen, ob Kunst alles kann", hat eine Sprecherin dem rbb erklärt. Erste Amtshandlung: von der Betreiberin einer Potsdamer Konzert-Location fordern, ihre "Mund-Pissoirs" wieder abzuhängen, die seien nämlich "frauenverachtend" – obwohl sie von einer Frau entworfen und dann von einer anderen Frau für lustig befunden und für ihr Klo gekauft wurden.

Das Problem: Wenn die Damen vom Rat erst einmal durchgesetzt haben, dass sie entscheiden dürfen, welche Kunst frauenfeindlich ist, dann kommt eine ganze Menge Arbeit auf sie zu. Jean Fouquets Diptychon mit der entblößten Madonna zum Beispiel, das gerade in der Berliner Gemäldegalerie ausgestellt wird, das ganze Werk von Georg Baselitz, der mal gesagt hat, dass Frauen nicht gut malen, alle Bücher von Philip Roth in den Potsdamer Bibliotheken und sämtliche Deutschrap-Texte der letzten 20 Jahre müssten gesichtet und für erlaubt oder tabu befunden werden.

Detail aus Jean Fouquets Diptychon von Melun | Foto: gemeinfrei

Es gibt aber auch eine einfachere Lösung: Die Frauen vom Rat verzichten einfach darauf, sich zu Richterinnen über die Kunst zu erheben. Sie lassen Potsdamer Unternehmerinnen einfach aufhängen, was ihnen gefällt. Wenn es den Männern, die diese Pissoirs benutzen, widerstrebt, dann können sie das auch äußerst galant Ausdruck bringen: indem sie einfach daneben pinkeln.

Und was sagst du?