Warum diese Aktivisten fordern, dass du wegen Angela Merkel ein Wochenende lang aufs Feiern verzichtest

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Ausgehen

Warum diese Aktivisten fordern, dass du wegen Angela Merkel ein Wochenende lang aufs Feiern verzichtest

“Und wenn der Plan klappt, können wir danach 24/7 Hedonismus machen!" Wir haben die Gruppe gefragt, was es mit dem Partyboykott auf sich hat.

Symbolfoto oben: Flickr / Alpha/ CC BY-SA 2.0

Partys und Clubbesuche sind für die meisten Menschen eine Flucht aus dem schnöden Alltag der (post-)modernen Gesellschaft. Für viele ist das regelmäßige wochenendliche Ausgehen selbst eine Routine, die das störungsfreie Funktionieren unter der Woche garantiert. Doch bei aller notwendigen und vielleicht auch nicht notwendigen Feierei, gibt es für viele mitunter Wichtigeres, sogar am Wochenende. Zum Beispiel den anstehenden Gipfel der sogenannten Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) vom 7. bis 8. Juli in Hamburg. Angela Merkel wird Recep Tayyip Erdoğan, Donald Trump, Wladimir Putin, Salman ibn Abd al-Aziz und andere Repräsentanten der weltweit mächtigsten Staaten in den Räumen der Hamburger Messe zum Klönschnack über die Weltpolitik laden.

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Hinter den sicherlich stabilen Absperrungen des Gipfels werden zehntausende Gegendemonstranten erwartet. Die "Autonom-anarchistische AntiG20-Vernetzung Berlin" hat dazu aufgerufen, "gegen die Welt der G20" zu protestieren und den Gipfel "zum Desaster zu machen."

Am Wochenende des Gipfels soll daher möglichst auch auf jedwedes Partymachen verzichtet werden. "Bitte was?! Ich lass mir doch meine regelmäßige Partydosis nicht von irgendwelchen links-versifften Chaoten verbieten!!11" Ganz ruhig, niemand verbietet hier irgendwas, das Gewaltmonopol liegt immer noch beim Staat. Aber dennoch haben wir bei der Gruppe mal per e-Mail nachgefragt, was es mit diesem Aufruf zum Partyboykott auf sich hat, was sie an der Welt der G20 zu kritisieren haben und was sie sich von den Protesten erhoffen. Die Antworten fielen maximal überzeugt und radikal aus.

THUMP: Warum habt ihr euch entschlossen, etwas gegen den G20-Gipfel zu tun?
Antig20berlin: Dafür gibt es wirklich genug Gründe. Alle aufzuzählen, zu begründen und einzuordnen, führt hier vielleicht etwas zu weit. Also in aller Kürze: Natürlich geht es uns nicht nur um die zwei Tage in Hamburg. Es geht nicht darum zu sagen, dass Trump doof ist und Erdogan ein faschistischer Psychopath und so weiter … Das stimmt zwar alles, aber für uns sind die Gruppe der Zwanzig und ihre Politik einfach einer der Kristallisationspunkte gegenwärtiger Entwicklungen.

Was heißt das konkret?
Diese Staaten stehen nicht nur für die aktuelle Krisenpolitik, sie stehen auch für einen immer autoritärer werdenden Kapitalismus und viele der kriegerisch ausgetragenen Konflikte unserer Zeit. Auch unter der deutschen Präsidentschaft wird wieder viel Heuchlerisches zu Armutsbekämpfung, Umweltschutz und Wahrung der Menschenrechte gesagt und das Gegenteil davon praktiziert. Das braucht auch kaum zu wundern.

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Warum?
Wer da zusammen kommt, ist sich doch selbst in nahezu nichts einig. Eine Erbmonarchie wie Saudi-Arabien, ein Putschistenregime aus Brasilien, Vertreter*innen des autokratischen China, Merkel und ihre schön klingenden Worte, von denen wir uns wirklich nichts erhoffen und ein nicht unbedeutender Teil der Repräsentant*innen eines geradezu globalen Rechtsrucks. Einig sind sie sich nur darin: "Wir repräsentieren 85% der globalen Wirtschaftsleistung." Das, so meinen sie, legitimiert sie. Aber was heißt denn das? Gut, sie stellen den Kern der erfolgreichsten Ausbeuter*innen-Staaten, die relativ gut darin sind, sich in der globalen Konkurrenz zu behaupten, also gut darin, sich gegen die innere und äußere Armut abzuschotten. Das merken wir an den Außengrenzen und an den sich verschärfenden sozialen Lagen in den Ländern selbst.

Habt ihr dafür Beispiele?
Nehmen wir den Fall Syrien: Auf die eine oder andere Art führen einige der in den G20 vertretenen Mächte dort sogar Krieg gegeneinander – sie nennen es nur nicht so. Sie produzieren absolut desaströse Ausnahmezustände für unglaublich viele Menschen auf dieser Erde und meinen dann, sich als die Manager*innen der weltweiten Zukunft in Hamburg auf die Bühne stellen zu müssen. Diese Bühne wollen wir ihnen streitig machen!

Was erhofft ihr euch im besten Fall davon?
Im besten Fall?! Die anarchistische Weltrevolution und Frieden auf Erden [schmunzel]. Minimal aber wünschen wir uns, den Gipfel zum Desaster werden zu lassen: brennende Hotels, mindestens drei zerschmetterte Scheiben in der Elbphilharmonie – in Bezug auf lokale Kämpfe in der Stadt Hamburg – und mindestens einen versenkten Schiffscontainer im Hafen, um damit die Drehscheibe des globalen Kapitalismus anzugehen.

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Protestaufkleber gegen den G20-Gipfel in Hamburg. Foto: imago / Christian Ohde

"Minimal wünschen wir uns, den Gipfel zum Desaster werden zu lassen: brennende Hotels, mindestens drei zerschmetterte Scheiben in der Elbphilharmonie und mindestens einen versenkten Schiffscontainer im Hafen, um damit die Drehscheibe des globalen Kapitalismus anzugehen."

In eurem Aufruf schreibt ihr, dass man am Wochenende des G20-Treffens auf Partys und ähnliche Veranstaltungen verzichten sollte. Glaubt ihr, dass der Hedonismus in der linken Szene mittlerweile negative Ausmaße angenommen hat?
Hedo …was!? Ach du meinst die ganzen Leute, die ich so ab drei Uhr immer raustragen muss? Ach, nee … feiert mal. Aber feiert das Richtige und seid dabei gefälligst solidarisch und respektvoll zueinander! Immer! Da mögen wir keine Kompromisse! Aber zu dem Kneipenstreikaufruf: An dem Wochenende – oder besser noch die ganze Woche vor dem Gipfel – muss es nun wirklich nicht sein, große Partys zu veranstalten. Kommt doch eh keine*r! Also macht euch nicht lächerlich und mobilisiert lieber mit uns! Und wenn der Plan klappt, können wir danach 24/7 Hedonismus machen. Dafür lohnt es sich, mal auszusetzen! Und was Partys davor angeht: Die Protestcamps in Hamburg brauchen auch noch Geld …

Wir haben eins eurer Plakate zum G20-Gipfel im about:blank gesehen. Wo wurden die Plakate noch aufgehängt?
Na überall, … also so gut wie, denken wir. Genau können wir das gar nicht sagen. Daran sind ja viele Leute beteiligt gewesen. Natürlich wollen wir mit den Aufrufen so viele Menschen wie möglich erreichen. In den Clubs und Kneipen, die wir in Berlin besucht oder bundesweit angeschrieben haben, waren die Reaktionen zumeist sehr positiv und die Leute waren der Idee gegenüber aufgeschlossen. Also wer glaubt, am 7./8. Juli gemütlich in der üblichen Kneipe um die Ecke oder im beliebten Club ein Bier oder ne Limo schlürfen zu können, wird wohl eher enttäuscht werden. Zu recht! Dafür wird der 9. Juli dann umso ausgelassener. Wir haben übrigens auch versucht, den Aufruf an Orten wie dem Adlon in Berlin oder dem Hilton in Hamburg aufzuhängen und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, um ihnen die Idee nahezubringen. Da waren die Reaktionen noch eher verhalten. Aber wir sind weiterhin optimistisch, dass auch die großen Hotels in Hamburg den Delegierten des Gipfels den Zutritt verweigern und dafür ihre Räume und Infrastrukturen dem Gegen-Gipfel zu Verfügung stellen werden.

Plant ihr in Zukunft weitere Aktionen?
Logo planen wir noch weitere Aktionen. Ganz viele Leute tun das! Das Ganze fokussiert sich ja auch nicht nur auf Hamburg und auch nicht nur auf diese zwei Tage. Schließlich wollen wir viel globaler sein als die 20 erfolgreichsten Ausbeuterstaaten, Putschisten (Brasilien) und neoliberalen Regime. Der Monat April ist ja bereits als Aktionsmonat ausgerufen worden und in Berlin gibt es vom 2. Juni an eine Aktionswoche. In dieser Zeit findet auch die G20-Africa-Partnership Konferenz in Berlin statt. Dazu soll es am 10. Juni eine Demo geben. Und so einiges passiert ja auch einfach so. Schon jetzt und auch in Zukunft.

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