Queer in Österreich: Ein Rückblick auf die letzten 10 Jahre


Dieser Artikel ist Teil unserer Reihe zum 10-jährigen Jubiläum von VICE Austria. Mehr dazu findet ihr hier.


In den letzten 10 Jahren ist viel passiert – in unseren Köpfen, auf der ganzen Welt, generell im Internet, und nicht zuletzt auch innerhalb der globalen LGBTIQ-Community: Die USA haben die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt, Britney hat bewiesen, dass sie ein weiblicher Jesus ist, Dating-Apps haben sich auf eine sehr, sehr ungesunde Art und Weise in unser Leben geschlichen, und Länder wie Tschetschenien oder Indonesien haben eine Zeitmaschine gebaut, um damit ins Mittelalter zu reisen, wo sie nun schwule Männer foltern und öffentlich auspeitschen.

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Und obwohl Österreich laut dem Spartacus Gay Travel Index derzeit als das LGBT-freundlichste Land im deutschen Sprachraum gilt – und in Klagenfurt und Bregenz im Jahr 2016 erstmals Regenbogenparaden abgehalten wurden – haben auch wir noch einen langen Weg vor uns.

2013 veröffentlichte die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte Ergebnisse einer Studie zum Thema Hassverbrechen und Diskriminierung gegen Schwule, Lesben und Transgender-Personen. Demnach wurden 48 Prozent aller befragten LGBT-Personen aus Österreich in den 12 Monaten zuvor Opfer von Diskriminierung oder Belästigung wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Identität. 89 Prozent erinnern sich an negative Kommentare und Anfeindungen gegen LGBT-Personen während ihrer Schulzeit.

Anlässlich unseres 10. Geburtstags schauen wir zurück auf alles, was sich im vergangenen Jahrzehnt für die queere Community in Österreich verändert hat – und was nicht.

Eingetragene Partnerschaft

Foto: Jeffpw | CC BY 3.0 | Wikimedia Commons

2009 wird im Parlament die Eingetragene Lebenspartnerschaft beschlossen, ab 2010 kann sie eingegangen werden – allerdings ausschließlich von gleichgeschlechtlichen Paaren. Von einer klassischen Ehe, die weiterhin Mann und Frau vorbehalten ist, unterscheidet sich die Eingetragene Partnerschaft in vielerlei Hinsicht.

So gibt es in der Eingetragenen Partnerschaft etwa ausdrücklich keinen “Familiennamen” wie in der heterosexuellen Ehe, sondern lediglich einen gemeinsamen “Nachnamen”. Auch die Standesämter bleiben für gleichgeschlechtliche Paaren weiterhin verschlossen – sie können ihre Verpartnerung nur auf den Bezirksverwaltungsbehörden schließen. Ändern wird sich das erst 2017.

Café Prückel

Foto: Hanna Herbst

Anfang 2015 wird ein lesbisches Pärchen aus dem Wiener Café Prückel verwiesen, weil die beiden Frauen sich geküsst hatten. Als Begründung gibt die Besitzerin des Cafés damals an, die “Zurschaustellung von Andersartigkeit” habe in einem traditionellen Wiener Kaffeehaus nichts verloren. Später rudert sie zurück und behauptet, sich nicht mehr genau erinnern zu können, was sie gesagt habe und entschuldigt sich in weiterer Folge.

Als Reaktion auf den Rauswurf und den von der Wiener FPÖ ausgerufenen “Zungenpritschler” findet kurz darauf eine Kundgebung vor dem Café Prückel statt, bei der sich Tausende Menschen versammeln, um für eine offene, tolerante Gesellschaft zu demonstrieren – und um solidarisch zu schmusen.

Adoptionsrecht

Foto: Kurt Löwenstein Education Center | CC BY 2.0 | Flickr

Ab dem 1. Januar 2016 dürfen homosexuelle Pärchen in Österreich eine Familie gründen und Kinder adoptieren. Zuvor war die Adoption durch gleichgeschlechtliche Eltern gesetzlich verboten, lediglich die Stiefkindadoption – die Adoption eines leiblichen Kindes des/der gleichgeschlechtlichen Partners/Partnerin – war seit 2013 erlaubt gewesen. Die Aufhebung des Adoptionsverbots wurde damit begründet, “dass es keine sachliche Rechtfertigung für eine ausschließlich nach der sexuellen Orientierung ausgerichtete differenzierende Regelung gibt”. Way to go, Österreich!

Conchita Wurst

Foto: Albin Olsson | CC BY-SA 3.0 | Wikimedia Commons

Lassen wir die Kirche im Dorf: Conchita Wurst hat mit ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest 2014 weder Österreichs internalisierte Homophobie geheilt, noch hat “Rise Like a Phoenix” dafür gesorgt, dass gleichgeschlechtliche Paare hier endlich heiraten dürfen. Der schwule Messias, für den man sie gerne hält, war und ist sie wahrscheinlich nicht – realpolitische Auswirkungen für Österreich brachte ihr Triumph in Kopenhagen zumindest keine mit sich. Aber es war ein Signal. Ein lautstarkes obendrauf.

Conchita Wurst hat der österreichischen LGBTIQ-Community so viel Sichtbarkeit wie nie zuvor verschafft – und darüberhinaus für Veränderung in den Köpfen der Menschen gesorgt. Als mein Papa im Vorfeld des ESC eine Doku über Conchita sieht, die sie bei einem Besuch in ihr steirisches Heimatdorf begleitet und Tom Neuwirths Kindheit als schwuler Teenager am Land beleuchtet, schickt er mir eine gerührte Nachricht: “Jetzt verstehe ich erst, wie du dich gefühlt haben musst.”

Ampelpärchen

Foto: Stadt Wien/GSK

Im Frühsommer 2015 wird Wien kurzzeitig zum schwulen Mekka Europas: Life Ball, Eurovision Song Contest, Pride Village, Regenbogenparade – all das innerhalb nur weniger Wochen. Überall in der Stadt hängen Regenbogenfähnchen, irgendwo in der Ferne singt Sophie Ellis Bextor “Murder on the Dancefloor”, Grindr ist total überlastet, und wie aus dem Nichts tauchen sie plötzlich auf: die Ampelpärchen.

Mann-Mann, Mann-Frau, Frau-Frau – Wien positioniert sich mit den Motiven klar als queer-freundliche Stadt und tritt damit ein riesiges, weltweites Medienecho los. Später wird sogar Linz neidisch und legt sich neben eigenen Ampelpärchen auch einen grantigen FPÖ-Verkehrsstadtrat zu.

Ursprünglich nur für einen begrenzten Zeitraum rund um den Song Contest gedacht, war der Zuspruch in Wien so groß, dass man sich letztendlich dazu entschied, die Ampelpärchen zu behalten. Neben dem großen Zuspruch gibt es allerdings auch viel Unverständnis – alle Reaktionen von damals, nach Dummheit sortiert, könnt ihr hier nachlesen.

Intersexualität

Foto: Alex Jürgen

Als intergeschlechtliche Person fordert Alex Jürgen eine Korrektur des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister: Eine dritte Option, weder weiblich noch männlich. Im Juni 2016 lehnt ein Standesamt in Steyr den Antrag ab. Alex legt Beschwerde ein – erstmals kommt es in Österreich zu einer Entscheidung über die Anerkennung eines dritten Geschlechts. Im Oktober wird die Klage vom Landesverwaltungsgericht OÖ als unbegründet abgewiesen. Für VICE hat Alex aufgeschrieben, was es in Österreich bedeutet, nicht Mann und nicht Frau zu sein.

Levelling-up

In Österreich ist die Diskriminierung aus Gründen der Religion, des Alters oder der sexuellen Orientierung verboten – in der Arbeitswelt. Wenn allerdings ein homophober Hausherr etwa einem lesbischen Pärchen eine Wohnung nicht vermieten will, weil sie lesbisch sind, dann darf er das tun. Auch sonstige Zugänge zu Waren oder Dienstleistungen können LGBTIQ-Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität verweigert werden.

Das Levelling-up, eine Ausweitung des Diskriminierungsschutzes, soll genau das verbieten. Die Gleichbehandlungsnovelle wird mittlerweile seit Jahren verhandelt, jedoch immer wieder von der ÖVP geblockt. 2017 ist das Levelling-up immer noch eine der größten Aufgaben für die LGBTIQ-Community in Österreich – neben der Eheöffnung.

Ehe für alle

Foto: Роман Мельник | CC BY-SA 4.0 | Wikimedia Commons

Auf der Abschlusskundgebung der Wiener Regenbogenparade 2016 spricht mit Christian Kern zum ersten Mal in der Geschichte der Parade ein Regierungschef. Ein großer Moment, der vielen der Anwesenden Lulu in die Augen treibt. “Mein Gott, es ist 2016 und die Zeit dafür war überreif” – ja, irgendwie liegt jetzt Aufbruchstimmung in der Luft.

Ein Jahr später hat sich immer noch nichts geändert – erst kürzlich stimmte die SPÖ unter Kern gemeinsam mit der ÖVP im Nationalrat gegen einen Fristsetzungsantrag zum Ehe-Öffnungsantrag. Die Community fühlte sich zurecht im Stich gelassen und betrogen. Kern veröffentlichte daraufhin ein Video, in dem er seine Solidarität beteuerte. Man habe lediglich aus taktischen Gründen dagegen gestimmt, das Anliegen sei ihm immer noch ein wichtiges, die derzeitige Situation für ihn hinterwäldlerisch. Letzte Chance – denn es ist 2017 und die Zeit ist dermaßen überreif, sie mieft schon ein bisschen.

In den letzten zehn Jahren ist viel passiert. In den letzten zehn Jahren ist aber auch viel nicht passiert. Und in den kommenden zehn Jahren muss mehr passieren – die angeführten Punkte sind nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Rückblickend betrachtet ist es fast lächerlich, wie schwul und homophob zugleich dieses schöne Österreich ist: Ein Land, das sich nur allzu gerne mit einer queeren Ikone wie Conchita Wurst als Aushängeschild brüstet. Ein Land, dessen Hauptstadt mit dem Life Ball jährlich eines der größten LGBTIQ-Events Europas ausrichtet. Ein Land, das gleichgeschlechtliche Pärchen zwar im öffentlichen Straßenverkehr aufleuchten, aber nicht heiraten lässt.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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