Zu Besuch im härtesten Klo der Wiesn
Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben, von Manuel Nieberle || Links: privat

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oktoberfest

Zu Besuch im härtesten Klo der Wiesn

Amelie K. hat die Kontrolle über 32 Damentoiletten im Epizentrum der Eskalation. Ohne ihre Trillerpfeife würde die Klofrau untergehen.

Es ist Samstagmorgen acht Uhr, an der Theresienwiese warten Tausende Menschen auf die Eröffnung des Festgeländes. Amelie K. spaziert durch ein leeres, friedliches Zelt, dann biegt sie ab Richtung Toilette. Nichts wird sie an diesem Tag davon mitbekommen, wie die Menschen auf Tischen tanzen, grölen, flirten, knutschen und betrunken von den Bierbänken kippen. Auf Glatzen Schnupftabak durch die Nase ziehen, sich schunkelnd in den Armen liegen oder die Krüge oberhalb ihrer Köpfe zerschlagen.

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Was Amelie dagegen sehen wird: Menschen, die ihr Bier auf dem Boden verteilen, sich bis auf die Unterwäsche ausziehen und Halbverdautes in die Schüssel spucken. An Wände kacken oder mit benutzten Binden Klos verstopfen. Die folgenden 16 Stunden wird Amelie an diesem Ort verbringen, unterbrochen nur von kurzen Pausen an der frischen Luft.

Im Epizentrum der Eskalation

Viele Besucher finden nicht einmal das Klo

Amelie ist die Klofrau auf der härtesten Toilette des Oktoberfests, wie sie selbst sagt. Ihr offizieller Job: 32 Damentoiletten sauber halten. Ihre tatsächliche Mission: darauf achten, dass sich die Damen auf und von ihrem Weg zum Klo nicht gegenseitig niedertrampeln. Amelies Klos befinden sich in einem Zelt, das mal als "Epizentrum der Eskalation" bezeichnet wurde, weil es jedes Jahr wieder Magnet für Wiesn-Party-Urlauber aus den USA, Australien und England ist.

Drin ist Platz für knapp 7.000 Feiernde, draußen passen 3.000 auf die Bierbänke – die meiste Zeit sind alle diese Plätze besetzt. Jugendliche verabreden sich dort, um die Tage im Ausnahmezustand voll auszukosten, erst aufzugeben, wenn kein Bier mehr reingeht. Dazwischen muss jeder von ihnen irgendwann aufs Klo. Dort wartet Amelie mit einer Trillerpfeife um den Hals und drei Security-Mitarbeiterinnen an ihrer Seite. Sie kennen keine Gnade, wenn sich eine nicht benimmt.


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Erst acht Stunden zuvor hat Amelie diesen Arbeitsplatz verlassen. War kurz zu Hause, um fünf Stunden zu schlafen und einen Kaffee zu trinken. Ihre Schicht endet jeden Tag um Mitternacht, dann, wenn alles wieder blank und die Ausrüstung zurück an ihrem Platz ist. Klorollen, Wischmopp, Desinfektionszeug. Ein Sisyphos-Job: Hat sie alles sauber, folgt nur wenig später die nächste Welle aus Müll, Fäkalien und Gestank. 16 Mal hintereinander. Heute ist Tag acht.

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Statt Dirndl trägt Amelie einen hellgrauen Anorak. Ihre Haut ist fahl, die Haare zerzaust. Noch ist alles ruhig. "Für mich ist jetzt Zeit zum Atmen", sagt sie und lacht. Sie wirkt wie eine lebensfrohe Frau, doch auf dieser Toilette hilft Freundlichkeit nicht weiter: "Heute wird wieder Weltuntergang." Bis das Zelt aufmacht, hat sie Zeit, ihr Revier auf den Ansturm vorzubereiten. Sie legt Haarspray, Tampons, Seifen, Haarbürsten zurecht und sorgt damit für ein klein wenig Komfort. Genauso gut könnte man versuchen, mit gedimmten Licht und Raumspray einen Kuhstall etwas behaglicher zu machen.

Wer's plätschern hört, lässt's schneller laufen

Der Bierausschank beginnt um 10. Nur wenige Minuten später steht der Erste auf dem Tisch, setzt den Maßkrug an und ext sein Helles. Die ersten Frauen, die auf das Schild mit "WC" zugehen, sind noch schüchtern, schauen Amelie mit fragendem Blick an: "Is this the toilet?" – die 42-Jährige winkt Richtung Kabinen, "Ja ja, all free". Andere kreischen, als hätten sie sich auf dem Weg vom Hostel bis zum Zelt verloren. Wieder andere stehen am Waschbecken und putzen sich noch schnell die Zähne – im Hostel war wohl keine Zeit mehr. Noch hat Amelie den Überblick. "Ab zwölf müssen dann plötzlich alle pinkeln", sagt sie und schüttelt mit dem Kopf. Dann ist es vorbei mit dem Durchatmen.

Ihren richtigen Namen und den Namen des Zelts darf VICE nicht nennen. Ihr Gesicht will Amelie nicht öffentlich zeigen und auch nicht sagen, wie viel Geld sie für die Arbeit als Klofrau verdient. Weil sie Angst hat, Ärger zu bekommen: "Es ist genug, um sich an 16 Tagen von 8 bis 24 Uhr hier hinzustellen. Aber zu wenig für das, was ich täglich erlebe." Dass ihr Chef ein guter Mann sei, der gute Arbeitsbedingungen geschaffen habe, betont sie immer wieder. "Schreiben Sie das", sagt sie.

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Anstehen, saufen, anstehen, saufen, anstehen …

Seit 25 Jahren lebt sie in München, seit fünf Jahren schrubbt sie die 32 Toiletten auf diesem Frauenklo. Wenn nicht gerade Oktoberfest ist, arbeitet Amelie in der Küche eines Restaurants. An den Wiesn-Job kam sie durch eine Ausschreibung (das schnell verdiente Geld war wohl doch ein Argument).

"Vorher sind wir tagsüber mit den Kindern ab und zu auf dem Oktoberfest gewesen", sagt Amelie. "Aber nie in den Zelten. Ich mag keinen Alkohol. Ich mag nicht, was er aus den Menschen macht".

Hör auf mich! Benimm dich! Und verdammt, beeil dich!

12.00 Uhr. Jetzt beginnt die Stoßzeit. "Go, Go, Go! Mädels, hier lang, da ist doch frei. Danke!", ruft Amelie mit heiserer Stimme. Ihr Lächeln hat sich in Ausdruckslosigkeit verwandelt. Die Mundwinkel hängen nach unten, die Augen sind leer. Wenn Amelie pfeift, ist die Botschaft eindeutig, auf jeder Sprache verständlich: Hör auf mich! Benimm dich! Und verdammt, beeil dich!

Die drei Frauen vom Sicherheitsdienst an ihrer Seite sind noch aggressiver. Eine pfeift die Frauen schon in der Schlange zurecht, eine andere macht Armbewegungen wie eine Flugbegleiterin, die auf die Notausgänge hinweist. "Das verstehen die zumindest", sagt sie. Die dritte animiert dazu, sich zu beeilen, pfeift oder klopft an die Tür, wenn es zu lange dauert. "Manchmal schlafen die ein, das geht nicht."

Foto: privat

Um die, die schon waren, von denen zu trennen, die noch müssen, zieht Amelie die Frauen einzeln an ihren Armen aus dem Gang zwischen den Kabinen. Eine nach der anderen zwängen sich die Frauen wie Mastrinder im viel zu engen Stall aneinander vorbei. Die meisten sind unter 25, tragen knallbunte Tracht und knallroten Lippenstift. Eigentlich gehen sie nicht, sie werden gegangen.

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"Wenn eine hinten schubst, denkt die vor dir trotzdem, du bist die Bitch", sagt eine Anfang 20-jährige Frau mit amerikanischem Akzent. Ihre Freundin steht mit Maßkrug daneben, wiederholt abwechselnd: "Oh my god" und "This is insane". Schwesterlich wird eine große Toilettenrolle durchgereicht, jeder reißt sich sein Stückchen ab. Eine Security-Mitarbeiterin schaut sie an und bläst in die Trillerpfeife, "Go, go, go!", schreit sie, die Frau zuckt zusammen: "Das ist Diktatur, was denken die, wer sie sind".

Warum Amelie und die Sicherheitsfrauen im Stile von Mi­li­zi­o­nä­rinnen die Besucher zurechtpfeifen? "Viele vergessen, wie man sich benimmt. Die benehmen sich hier wie die Tiere", sagt Amelie. Die Frauen gehen zu viert in eine Kabine wie sonst nur in Clubs. Doch statt sich eine Line zu ziehen, ziehen sich dort Mädels bis auf den Slip aus und dann wissen sie nicht mehr warum. Die Frauen schmeißen Bierkrüge auf den Boden, verstopfen den Abfluss mit blutigen Tampons, manche würden ihr sogar das Trinkgeld aus der Schale nehmen, sagt sie.

Amelie möchte nicht erkannt werden, damit, dass es bei ihr zugeht wie in einer "Diktatur" hat das aber nichts zu tun

Wenn sie es mal schafft, sich durch die Frauen zu zwängen, wischt sie kurz mit dem Mop durch die Kabinen, hebt Papier auf und kratzt grob Kotze ab. "Manchmal muss ich den Frauen helfen, sich wieder anzuziehen" In solchen Momenten wird sie dann zur Freundin, zur Helferin in Not.

Dass einem an einem solchen Ort der Appetit vergeht, ist kein größeres Problem. Zum Essen kommt Amelie während ihrer Schichten sowieso nicht. Sie hat zwar Getränke- und Essensmarken, nummeriert nach den 16 Einsatztagen. Aber: "Essen kann ich sowieso fast nie", sagt sie und zuckt mit den Schultern. "Von den Sachen, die ich den ganzen Tag sehe, ist mir meistens schlecht". Einen Schichtwechsel gibt es für keine der Frauen, sie arbeiten durch. Eine Sicherheitsfrau greift in ihre Hosentasche und holt vier Fruchtriegel raus. "Mit denen und mit Zigaretten hält man das schon aus", sagt sie.

14 Uhr. Das Zelt ist dicht, jeder Zentimeter zwischen den Reihen besetzt, Menschen graben sich wie orientierungslose Maulwürfe ihren Weg zur Toilette, rempeln dabei andere an, Bier landet in Gesichtern, auf Schürzen und Lederhosen. Und bald auch überall auf dem Boden der Toilette. Ausnahmezustand. Die unscheinbare Pfeife ist für Amelie und die Sicherheitsfrauen ein Machtinstrument, das ihnen Respekt verschafft, an einem Ort, an dem sonst jede Frau tun würde, was sie will. Ertönt die Pfeife, zucken sie wie scheue Herdentiere zusammen und folgen blind dem Befehl. Und so geht das, bis die letzten Frauen neun Stunden später erst aus dem Klo und dann aus dem Zelt geworfen werden.

Der Reporterin passiert das deutlich früher. Eine Sicherheitsfrau packt sie an den Schultern und setzt sie vor die Klotür, verabschiedet mit einem "Ich will dich hier nicht mehr sehen!". Es ist kein Platz für noch mehr Menschen.

"Weißt du, das Oktoberfest ist der einzige Ort, an dem ich sein kann, wie ich bin", sagt viel später am Abend ein Mann Ende 30 zu seinem Kumpel, als sie torkelnd in die U-Bahn steigen. Doch während die beiden sich morgen nur durch Kopfschmerzen vernebelt daran erinnern werden, weiß Amelie K. genau, was dieser Satz bedeutet.

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