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Beziehung

Wie unser Geschlecht unser Verhalten in Beziehungen beeinflusst

„Eifersüchtige Zicke“ versus „notorischer Fremdgeher“: Gewisse Verhaltensweisen in Beziehungen werden oft in „typisch männlich/weiblich“ eingeteilt. Wir haben mit einer Psychologin darüber gesprochen, was uns traditionelle Geschlechterrollen wirklich...
Foto: VICE Media via Shutterstock

Die „zickige, hysterische Freundin", die immer eine Szene macht, emotional und chronisch unzufrieden ist, der Typ, der ein „Eroberer" ist, triebgesteuert, aggressiv und mit Verantwortung so gar nicht umgehen kann: Wenn es darum geht, das „typische Verhalten" von Männern und Frauen in heterosexuellen Liebesbeziehungen zu beschreiben, sind viele von uns Weltmeister im Schubladendenken. Sich von fixen Rollenbildern und Vorstellungen vom anderen Geschlecht zu lösen, ist nicht leicht: Schließlich haben diese Stereotype lange Zeit das Zusammenleben zwischen Mann und Frau diktiert und werden deshalb von vielen noch immer als gegeben hingenommen.

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Und das, obwohl sich die Zeiten geändert haben. Wissenschaftlich ist mittlerweile erwiesen, dass die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau weit geringer sind als bisher angenommen. Die Grenzen zwischen den traditionellen Geschlechteridentitäten lösen sich zunehmend auf. Das Verhältnis zwischen Frau und Mann, ihre Stellung in der Gesellschaft und die Frage nach der Definition, was denn überhaupt „männlich" und „weiblich" ist, wird schon lange nicht mehr nur theoretisch diskutiert, sondern mitten in unserer Gesellschaft. Warum also glauben wir immer noch an Geschlechterstereotype, wenn es um heterosexuelle Beziehungsmodelle geht und wie können wir uns von ihnen befreien?

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Eigentlich belasten diese Stereotype Beziehungen enorm: Haushalt und Kindererziehung sind noch immer typisch alltägliche Streitfragen in heterosexuellen Beziehungen, so Karin Busch-Frankl, die in Wien als Psychologin arbeitet. Ihre Patient_innen beklagen diese klassische Rollenverteilung häufig, wenn auch nur indirekt: „In vielen Beziehungen gibt es nach wie vor eine Vorstellung darüber, dass die Frau die Hauptverantwortung zu tragen hätte. Das führt häufig zu Problemen in der Beziehung, weil diese auf anderen Wegen ausgetragen werden und nicht das Thema an sich behandelt wird." Unausgesprochene Rollenerwartungen an den Partner werden häufig zu wenig kommuniziert. Außerdem neigen Frauen dazu, sich im Stillen zu ärgern, während sich der Partner in der Annahme zurücklehnt, die Frau würde die häuslichen Pflichten deshalb übernehmen, weil sie es eben gerne tut.

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Um herauszufinden, inwiefern sich diese Denke auf konkrete Beziehungssituationen auswirken kann, konsultiere ich meinen Freundeskreis. Ich will wissen, ob auch vermeintlich aufgeklärte, selbstbestimmte Twenty-Somethings glauben, sich gemäß vorgegebener Rollen verhalten zu müssen. Meine Freundin Teresa* erzählt mir etwas widerwillig von einem Streit mit ihrem Ex, den sie „eigentlich schon voll verdrängt" hat, wie sie sagt: „Er war voll im Stress und ich habe ihm angeboten, für ihn zu kochen, während er lernt. Ich wollte Nudeln mit Soße kochen. Ich war gerade mit der Soße fertig, da fragte er, warum die Nudeln noch nicht gekocht sind. Er war total sauer und hat gemeint, ‚Wie dumm kann man sein, dass man die Nudeln vergisst, wenn man Nudeln kocht? Das nächste Mal mach' ich das selber!' Danach hatten wir eine unserer schlimmsten Auseinandersetzungen überhaupt. Seine Reaktion hat mich wütend gemacht, gleichzeitig habe ich mich auch unfassbar geschämt. Als Frau sollte man so etwas Einfaches wie Nudeln schon kochen können, oder?" Selbst wenn den Leuten bewusst ist, dass diese Klischees eigentlich ziemlich schwachsinnig sind, herrscht also eine Unsicherheit darüber, ob man ihnen im gewissen Maß nicht doch entsprechen sollte. Und das kommt nicht von Ungefähr.

Frauen werden nach wie vor als gefühlsbetont, schöngeistig und empfindlich dargestellt, während in den öffentlichen Debatten von Männern und ihren „Bedürfnissen" die Rede ist.

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Dass bestimmte Verhaltensweisen als vermeintlich geschlechtsspezifisch angesehen werden, wird nämlich auch durch die Medien befeuert. Headlines wie „Tipps, mit denen man jeden Mann um den Finger wickelt" oder „5 Tipps für mehr Männlichkeit" stützen die Vorstellung, dass es für Männer und Frauen einen bestimmten Verhaltenskodex gibt, dem man entsprechen sollte, um für das andere Geschlecht ansprechend zu sein. Und wie sehen diese Tipps aus?

Lächerlich klischeebehaftet: Die Bunte Online meint beispielsweise, dass die „perfekte Frau" jemand sein sollte, „die lecker für ihn kocht und sich seine Sorgen ohne zu murren anhört". So wird sie zum „Traum vieler Männer". Sie soll ihrem Mann ein „hübsches, ordentliches Heim" bieten und auch noch sexy dabei sein, denn „Auch, wenn in modernen Beziehungen die Haushaltspflichten geteilt werden: Insgeheim steht wohl kein Mann darauf, selbst Staub zu wischen und Geschirr abzuspülen." Der Ratschlag, den das Medium seinen Leser_innen gibt, liest sich wie ein schlechter Scherz: „Wie wäre es mit einer Haushaltshilfe? Dann kann sie sich als sexy Heimchen am Herd versuchen, ohne auch noch ständig putzen zu müssen, und er sich darüber freuen."

Dieser Artikel steht stellvertretend dafür, was sich nach wie vor wie ein roter Faden durch die gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlechteridentitäten zieht. Frauen werden nach wie vor als gefühlsbetont, schöngeistig und empfindlich dargestellt, während in den öffentlichen Debatten von Männern und ihren „Bedürfnissen" die Rede ist. „Gewisse Verhaltensweisen sind auf der einen Seite zwar biologisch determiniert, auf der anderen Seite hat Erziehung aber einen wesentlichen Einfluss auf unser Verhalten", erklärt die Psychologin.

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Es gäbe zwar durchaus Studien, die Zusammenhänge zwischen Testosteron und Aggressivität, sowie dem Streben nach Macht nachweisen, allerdings darf man nicht unterschätzen, dass wir eben auch ein Produkt unserer Kultur sind. „Sprüche wie ‚Jungs dürfen nicht weinen' sind leider noch immer in den Köpfen der Menschen. Wir alle funktionieren nach dem Belohnungssystem: Wird ein Verhalten als sehr männlich wahrgenommen, wird die Person darin bestärkt, es zu festigen." Grund dafür sei unter anderem, dass männliche Attribute als erstrebenswert gelten, weil Männer sich häufig in höheren gesellschaftlichen Positionen, verbunden mit mehr Ansehen, befinden.

Durch Erziehung und die Selbstverständlichkeit, mit der medial das angebliche Wesen von Männern und Frauen erklärt werden, haben wir ein Bild davon entwickelt, wie „echte" Frauen und Männer sein müssen. Auch, wenn das traditionelle Kernfamilienmodell zunehmend von neuen Formen des Zusammenlebens ergänzt und sogar abgelöst wird, scheinen sich die klassischen Rollenbilder von Mann und Frau hartnäckig zu halten. Das kann man sogar auf Plattformen wie Tinder beobachten, die für zwangloses Kennenlernen und Unverbindlichkeit bekannt sind.

Es ist auch für Männer erforderlich, sich zu emanzipieren.

Busch-Frankl meint: „Vom Verhalten her zeigen sich auch hier tendenziell geschlechtsspezifische Verhaltensweisen. Frauen sind nach wie vor größtenteils in der Position, dass sie erobert werden wollen und sich zurückhaltender verhalten." Es sei auch eine Frage des Selbstbewusstseins, ob man sich gemäß dieser Rollenerwartung verhält, meint die Psychologin. Denn Männer würden sich durchaus selbstbewusste Frauen wünschen, können aber nicht immer gut mit ihnen umgehen, weil sie ihre Macht gefährdet sehen: "Je stärker das Selbstbewusstsein einer Person ausgeprägt ist, umso weniger gefährdet erlebt sie sich in Beziehungen."

Menschen neigen dazu, sich an alte Rollenverteilungen zu klammern, weil wir Gewohnheitstiere sind und uns Veränderung Angst macht, meint die Psychologin: „Gewohnheiten geben auch Sicherheit, deswegen ist es auch für Paare häufig schwer, aus diesen Schemata auszubrechen." Dabei führt die Erwartungshaltung, mit der heterosexuelle Beziehungen belastet werden, nicht zwangsläufig in eine glückliche Partnerschaft: Sie macht krank. Denn die Vorstellung, sich gemäß der eigenen Geschlechterrolle verhalten zu müssen, übt viel Druck aus: „Menschen können sich mit der Erwartungshaltung, die an sie gerichtet wird, überfordert fühlen und einen Rückzug in Form einer Depression antreten."

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Gibt es überhaupt einen Ausweg aus diesem Rollenkorsett, in dem wir nicht richtig atmen können? Ja, sagt Busch-Frankl. Dabei spiele die Emanzipation der Geschlechter eine große Rolle—und die betrifft nicht nur Frauen, sondern auch Männer: „Männer haben heute sicherlich mit anderen Themen zu kämpfen als früher. Gab es früher eine klare Rollenverteilung, so ist das heute durch die Berufstätigkeit und die damit schwindende Abhängigkeit der Frau nicht mehr gegeben. Eine Verunsicherung des Mannes findet statt." Emanzipation bedeute eine Freilassung aus Rollenvorstellungen, eine Entwicklung hin zu einem eigenständigen und selbstbestimmten Leben. „Wenn man diesen Zugang verfolgt, ist es auch für den Mann erforderlich, sich zu emanzipieren."

Anstatt Probleme in der Partnerschaft durch vermeintliche biologische Unterschiede erklären zu wollen und den Partner und sich bestimmten Rollenklischees zu unterwerfen, an denen man nur scheitern kann, sollte man seine eigene Rolle also neu definieren und herausfinden, wo die individuellen Bedürfnisse liegen, erklärt die Expertin. So unterschiedlich wie Lebensentwürfe in Bezug auf berufliche und private Selbstverwirklichung sind, so unterschiedlich ist es auch, was man sich in Sachen Liebe wünscht. „Der Selbstwert, den ich mir gebe, ist ein entscheidender Faktor", sagt die Psychologin abschließend—und der lässt sich eben nicht mit einer plakativen Geschlechterschablone bemessen.