Politik

Sekte oder Segen: Wie gefährlich sind die Klimarebellen von Extinction Rebellion?

Die Protestbewegung legt mit zivilem Ungehorsam derzeit den Verkehr in Berlin lahm. Doch es gibt Kritik, vor allem von Linken.
Ein Aktivist von Extinction Rebellion
Ein Aktivist von Extinction Rebellion | Foto: imago images / photothek

Es gehe doch letztlich nur um Liebe, sagt ein Aktivist der Bewegung Extinction Rebellion in einem Facebook-Livestream ins Mikrofon. Die ganze Woche lang will XR, wie Extinction Rebellion abgekürzt wird, in Berlin mit Protestaktionen gegen den menschengemachten Klimawandel demonstrieren und wichtige Verkehrsknoten lahmlegen. Zum Auftakt am Montag blockierten Hunderte Teilnehmende den Verkehr an der Siegessäule, später auch den Potsdamer Platz. Am Dienstag und Mittwoch gingen die Blockaden weiter.

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Wer die Bilder der Proteste verfolgt, sieht vor allem junge Menschen, die gut eingepackt in Winterklamotten auf der Straße sitzen, in Kameras lächeln und gelegentlich singen, meditieren und Yoga machen. Manche haben Instrumente und Räucherstäbchen mitgebracht, es gibt viele bunte Schilder und einige Menschen zimmern an der Siegessäule eine riesige, symbolische Arche. Es ist friedlich, auch wenn die Polizei immer wieder Protestierende wegträgt. Von den "Klima-Krawallos", wie eine Boulevardzeitung schrieb, war bislang nicht viel zu sehen.


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Dabei gilt Extinction Rebellion eigentlich als die radikale Schwester von Fridays for Future: Die Initiatoren rufen zu gewaltfreiem zivilen Ungehorsam auf. Festnahmen sind ausdrücklich Teil des Konzepts. Roger Hallam, der XR im Jahr 2018 in Großbritannien gegründet hat, sitzt derzeit selbst in Untersuchungshaft, weil er mit Drohnen den Flugverkehr in Heathrow lahmlegen wollte. Der ehemalige Biobauer, der später in London über zivilen Ungehorsam geforscht hat, findet: Um Aufmerksamkeit zu erreichen, muss man das Gesetz brechen.

Mit markigen Worten wie diesen ist es Hallam gelungen, eine Protestbewegung zu mobilisieren, die immer mehr Unterstützerinnen findet – auch in Deutschland, wo es inzwischen zahlreiche regionale Gruppen gibt. Die Band Radiohead spendete im Juni Einnahmen aus bis dato unveröffentlichter Musik an XR und unlängst haben 90 deutsche Prominente aus Kunst und Kultur ihre Unterstützung bekundet, darunter Christian Ulmen und Rocko Schamoni. Der "Aufstand gegen das Aussterben" schweißt zusammen.

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Doch es gibt auch Kritik an der Vorgehensweise und Ideologie von Extinction Rebellion – und die kommt unter anderem von links: Extinction Rebellion sei eine "religiös-gewaltfreie esoterische Sekte", schrieb die linke Politikerin und Autorin Jutta Ditfurth am vergangenen Wochenende auf Twitter. XR werde "niemals ein kritisches, rationales, linkes Projekt sein". Die Bewegung sei hierarchisch, intransparent, wolle nicht aufklären, sondern vor allem junge Menschen emotional manipulieren.

Ist Extinction Rebellion gefährlich?

"Extinction Rebellion ist eine Bewegung, die Menschen nicht aufklären oder politisch bilden will, sondern mitreißen in eine Bereitschaft zur 'Selbstopferung'. So heißt es beispielsweise, wir seien die letzte Generation der Menschheit vor der Auslöschung. Was für ein Quatsch", sagt Ditfurth im Gespräch mit VICE. Die Klimakatastrophe beträfe die Menschen weltweit sehr unterschiedlich, je nach sozialer Lage und Wohnort. Für Ditfurth stehe bei XR nicht eine intellektuelle und auch emotionale Herangehensweise im Vordergrund, wie etwa bei Greta Thunberg und Fridays for Future, sondern maximale Emotionalisierung. Die werde durch eine Rhetorik, wie man sie von Sekten und Kulten kenne, noch verstärkt.

Der Vorwurf der Esoterik begleitet XR seit der Gründung. Tatsächlich scheinen manche mantra-ähnlichen Gesänge und Performances wie die Red Rebel Brigade, in der Menschen in rote Gewänder gehüllt und mit weiß bemalten Gesichtern langsam die Straße entlang schreiten, für manche Außenstehende befremdlich. Die Bewegung sieht sich selbst als "Regenerationskultur", die wiederum einem "natürlichen Zyklus" folgt, wie es auf der Website bildlich beschrieben wird. Während den Aktionen gebe es "Sanctuarys", wo die Teilnehmer sich ausruhen und vernetzen können, unter anderem bei Gebeten und Meditationen.

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Quelle: Extinction Rebellion

Es sind solche Begriffe und Verfahren aus dem religiös-esoterischen Handbuch, gepaart mit der erwähnten Endzeitstimmung, die Kritikerinnen wie Jutta Ditfurth dazu bringen, von einer "Irrationalisierung" des Thema Klimawandels zu sprechen. "Ich habe Sorge um Kinder, Schüler und Jugendliche, die sich durch die demagogischen Worte, die pathetische Ästhetik und die Bilder mitreißen lassen", sagt sie.

Die Unterstützer und Unterstützerinnen weisen die Vorwürfe von sich: "Religiosität kommt bei uns nicht vor", sagte eine deutsche XR-Sprecherin gegenüber der taz. Und auch von einem immer wieder angeführten Zitat von Gründer Roger Hallam – "Auch jemand, der ein bisschen sexistisch oder rassistisch denkt, kann bei uns mitmachen" – distanziert sich die Bewegung: "Menschenfeindliche sowie diskriminierende Aussagen und Handlungen sind bei uns nicht erwünscht", heißt es auf der Website.

Doch wie bei allen Protestbewegungen bleibt eine Kontrolle der Teilnehmenden unmöglich: Dass sich unter die mehreren tausend Teilnehmenden allein in Deutschland auch Esoteriker und Rechte mischen, lässt sich nicht vermeiden. So steht auf der englischsprachigen Website dann auch: "Manche, aber nicht alle von uns, haben eine spirituelle Orientierung". Wie spirituell, kommt wohl letztlich auf die individuellen Bezugsgruppen an: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von XR organisieren sich dezentral in kleinen Gruppen, um dann Aktionen zu planen. Dass sich in den Gruppen eigene Dynamiken entwickeln, ist denkbar.

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"Es war noch nie so einfach, Rebell zu sein"

Neben der Inszenierung stehen auch die Inhalte von Extinction Rebellion in der Kritik. Geht es nach Jutta Ditfurth, gibt es nämlich wenige bis keine. "Ich sage mal spöttisch: Es war noch nie so einfach, Rebell zu sein. Man geht hin, stellt sich dazu und lässt sich als größte Eskalationsstufe von der Polizei irgendwann wegtragen. Das ist wirklich billig zu haben", sagt sie. Extinction Rebellion besäße auch keine wirkliche politische Strategie neben der "Selbstaufopferung" und undefinierten Bürgerversammlungen. Ein paar besetzte Plätze übten keinen Druck auf eine Regierung aus, irgendetwas zu tun.

XR fordert vor allem drei Dinge: Die Regierung soll den Klimanotstand ausrufen, die Emissionen bis 2025 reduzieren und Bürgerversammlungen einberufen. Verglichen mit der Lautstärke der Proteste scheinen diese Forderungen tatsächlich etwas zahnlos. Mehr noch, sie hängen allesamt von der Dialogbereitschaft der Politik ab. Man wolle bewusst keine konkreten Lösungen formulieren, sagen die Initiatoren. Diese müsste die Bürgerinnenversammlungen gemeinsam mit Experten ausarbeiten.

"Das Verrückte bei Extinction Rebellion ist, dass die Bewegung einerseits so irrational ist und eine radikale Attitüde hat, dass aber die Anführerinnen und Ideologinnen ein enges Bündnis mit Polizei, Politik und Wirtschaft pflegen", sagt Ditfurth. Sie verweist dabei auf die Debatte um XR Business, wonach im April Dutzende auch große Firmen ihre enge Zusammenarbeit mit Extinction Rebellion bekundeten. Nach Kritik distanzierte sich die Co-Gründerin Gail Bradbrook von der Aktion. Sie schrieb allerdings auch, dass ein "Dialog mit dem Wirtschaftssektor" weiterhin unausweichlich sei, um die Forderungen der Bewegung durchzusetzen.

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Kritik an den Forderungen gibt es aus der linken Szene: "Dass der Staat vor allem ein Interesse am Aufrechterhalten des Status Quo hat, wird geflissentlich übersehen. Die Schwammigkeit der eigenen Forderungen wird zum Dogma erhoben. Denn durch diese schwammigen Forderungen will man die größtmögliche Anschlussfähigkeit erreichen", heißt es im linken Blog Ramba Zamba. Und dass XR von seinen Unterstützerinnen zwar zivilen Ungehorsam fordert, die Teilnehmenden sich aber auch dann noch höflich und respektvoll gegenüber der Polizei verhalten sollen, wenn sie gewaltsam "entfernt" werden, stellt für Jutta Ditfurth einen "absurden, staatsgläubigen Gewaltbegriff" dar.

Sollen radikalere Stimmen kleingehalten werden?

Dass sich manche harte Linke von XR ausgeschlossen fühlen, liegt vielleicht auch an einem älteren Video, in dem Roger Hallam in einem Workshop beschreibt, wie man die "hinderliche, politische Linke" umgehen müsse, um an die nichtpolitische Mehrheit zu gelangen. Die Kritiker der Bewegung sehen darin einen Beweis, wie die Gründer von XR versuchen, starke und radikalere Stimmen möglichst kleinzuhalten, um sich stattdessen auf eine manipulierbare Masse zu konzentrieren.

Allerdings: Roger Hallam mag zwar ein charismatischer Anführer sein, seine Worte sind kein Gesetz innerhalb von XR. Jede Gruppe organisiert sich letztlich selbst. Und gerade in Deutschland betonen die Aktivisten und Aktivistinnen immer wieder, dass es bei den Protesten weder um linke noch rechte Ideologien gehe, sondern ausschließlich um das akute Problem der Klimakrise.

Was bleibt also als Fazit? Ist Extinction Rebellion eine wirksame Protestbewegung oder nur symbolische Schaumschlägerei? Die Antwort ist, wie bei den meisten Protesten, vielleicht irgendwo in der Mitte: Wie die anhaltenden Blockaden in Berlin zeigen, ist es XR gelungen, mit viel Emotionalität die Menschen zu mobilisieren. Doch ob damit auch Änderungen einhergehen, muss sich zeigen. Und auch ob junge Menschen tatsächlich durch esoterische Strömungen beeinflusst werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch unklar. Vielleicht geht es manchen Teilnehmenden ja tatsächlich nur um Liebe.

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