Wie Alex zum "Chef der Antifa" wurde
Collage: VICE mit Screenshot von Facebook; Handybild von Pixabay

FYI.

This story is over 5 years old.

Interview

Wie Alex zum "Chef der Antifa" wurde

Und wie Rechte deshalb gegen ihn im Netz hetzen und ihn auf der Straße verprügelten.

Ein eingetragener Verein, eine GmbH oder sogar der "militante Arm des Altparteienkartells" – seit einigen Jahren verbreitet sich vor allem in rechten Kreisen der Mythos, die Antifa sei eine streng hierarchisch aufgebaute, straff durchorganisierte bundesweite Kampftruppe. Befeuert wurde die Debatte auch durch einen satirischen Artikel der taz. Er zeichnete ein Bild, das Rechte so oder so ähnlich tatsächlich verbreiten: Die Bundesregierung, Sozialverbände, Parteien und Medien würden die Antifa unterstützen, lenken und finanzieren.

Anzeige

"Die Antifa" gibt es aber nicht. Weil das einfach für "antifaschistische Aktion" steht, kann sich theoretisch jeder so nennen, der eine Demo gegen rechts veranstaltet. Manche Antifa-Gruppen sind untereinander vernetzt, manche sind verfeindet. Aber so oder so gibt es weder Mitgliedschaft noch formelle Hierarchie. Ein besonders empörter Bürger forderte in einer Petition an den Bundesjustizminister trotzdem das Verbot der "kriminellen Organisation", die zudem natürlich "keine staatlichen und parteilichen Gelder" mehr erhalten dürfe.

Rechte Kreise in Leipzig gehen sogar noch weiter. Sie glauben, den "Chef" der dortigen Antifa identifiziert zu haben. Sie hetzen im Internet gegen ihn, veröffentlichen Bilder von ihm, seine Telefonnummer und Adresse.

Wir haben mit Alex, dessen Namen wir zu seinem Schutz nur gekürzt veröffentlichen, darüber gesprochen, wie das sein Leben kaputtmacht.


Auch bei VICE: Diese Londoner Anarchisten besetzen leerstehende Luxushäuser


VICE: Wie wurdest du der "Chef der Antifa"?
Alex: Vor etwa zwei Jahren ging das los, da war ich 20. Ich habe als Zeitarbeiter bei einem großen deutschen Autohersteller gearbeitet und auf deren Facebook-Seite hat jemand gepostet, dass bei ihnen der "Chef der Antifa" arbeite, und wie es denn sein könne, dass sie so jemanden beschäftigten. Zwei Wochen später hat mir die Zeitarbeitsfirma mit der Begründung gekündigt, dass der Autohersteller nicht zufrieden sei mit meiner Arbeit. Das kam ziemlich überraschend, weil mir meine Vorgesetzten dort vorher etwas ganz anderes gesagt hatten.

Anzeige

Und was ist dann passiert?
Als es ein paar Monate später zu Angriffen auf verschiedene rechte Szenegrößen kam, tauchte im Internet wieder mein Name auf. Unter anderem erwähnten mich lokale NPD-Politiker. Und als ich einmal mit dem Rad unterwegs war, hat mich plötzlich ein Auto ausgebremst. Ein Typ ist ausgestiegen, hat mich mit einem Pfefferspray in der Hand bedroht und angeschrien, dass er mich jetzt endlich habe. Er hat dann die Polizei gerufen und denen erzählt, ich sei der Leipziger Antifa-Chef und bestimmt gerade unterwegs, um alles für den nächsten Anschlag auszukundschaften. Auf rechten Info-Portalen wie "Wir für Leipzig" oder "Die Wahrheit" tauchen seitdem immer wieder mein Name und Fotos von mir auf. Es werden Bilder von mir benutzt, die mich bei Veranstaltungen neben dem Landesvorsitzenden der Grünen zeigen, um mich als gut vernetzten "linken Terroristen" darzustellen. [Anm. d. Red.: Screenshots der Beiträge und Fotos liegen der Redaktion vor. Zum Schutz von Alex veröffentlichen wir sie nicht.]

Wieso bezeichnen sie gerade dich als "Chef der Antifa"?
Keine Ahnung. Der Ursprung der ganzen Geschichte ist vermutlich, dass ich als Teenager einen Bekannten hatte, der später Stadtratskandidat für die NPD wurde. Deshalb gibt es Menschen in der rechten Szene, die meinen Namen kennen. Dazu kommt halt einfach, dass ich schwer zu übersehen bin – ich bin 2,13 Meter groß. Das war schon immer mein Problem: Ich steche heraus und werde dann auch dauernd von der Polizei kontrolliert. So haben mich wohl auch Rechte identifiziert. An sich ist meine Körpergröße auch die einzige Erklärung dafür, dass man mir irgendeine wichtige Position andichtet.

Anzeige

Aber du hast schon gemeinsam mit Leuten von der Antifa demonstriert.
Ich war früher mehrfach auf linken Demos. Erst gegen NPD-Aufmärsche, später dann gegen Legida. Das hat ja nicht zwangsläufig was mit der Antifa zu tun. Dass ich Nazis scheiße finde, habe ich nie verheimlicht. Aber ich war nie Mitglied irgendeiner politischen Gruppe oder Partei – und schon gar kein Chef der Antifa. Den gibt es doch sowieso nicht.

Ist es bei Beschuldigungen im Netz geblieben?
Nein. Letztes Jahr haben mich ein paar Typen zusammengeschlagen. Ich war mit der Straßenbahn unterwegs und an einer Haltestelle standen etwa 150 Typen aus dem Hooligan-Umfeld von Lokomotive Leipzig – an dem Tag war Heimspiel. Die haben an die Scheibe geklopft und mich aus dem Türbereich angepöbelt. Die kannten auch alle meinen Namen. In der Innenstadt war aber jede Menge Polizei und es ist nichts weiter passiert. Ich bin zwei Stationen weiter ausgestiegen. Da hielt ein Auto mit sechs bis acht Personen an, die sofort auf mich zugestürmt kamen. Ich habe noch versucht wegzurennen, aber einer von denen hat mir die Beine weggetreten, sodass ich quer über den Schienen lag, während sie auf mich eingetreten haben. Mindestens einer hatte anscheinend auch einen Schlagstock dabei. Es hat sie nicht mal gestört, dass das jede Menge Leute gesehen haben. Mein Wadenbein war gebrochen, dazu kamen Platzwunden am Kopf und im Gesicht und natürlich diverse Schrammen und Prellungen. Gegen mehrere mögliche Täter läuft jetzt ein Verfahren. Alle von denen sind wohl recht einschlägig bekannt in der rechten Szene hier. Teilweise sind es professionelle Kampfsportler, gegen die noch einige andere Verfahren laufen. [Anm. d. Red.: Der Prozess gegen die mutmaßlichen Angreifer hat noch nicht begonnen.]

Wie hat die ganze Sache dein Leben verändert?
Ich bin vorsichtiger geworden, generell bin ich ungern allein in der Innenstadt unterwegs. Aber ich weiß, dass es auf Dauer keine Lösung ist. Dass ich nicht mehr so viel rausgehe, hat auch dazu beigetragen, dass meine letzte Beziehung in die Brüche gegangen ist. Und ich muss jederzeit damit rechnen, dass wieder Meldungen an zukünftige Arbeitgeber gehen. Zwar wurde mir nie ins Gesicht gesagt, dass eine Absage an so etwas liegt, aber man muss ja nur meinen Namen googeln und landet direkt bei den Falschmeldungen. Deswegen suche ich schon vorrangig im Leipziger Süden und hoffe, einen Betrieb zu finden, dem solche Gerüchte egal sind.

Hast du versucht, etwas gegen diese Berichte zu tun?
Einmal habe ich einen Twitter-Nutzer angezeigt, der meine Adresse veröffentlicht hat. Der Post wurde zwar gelöscht, aber mehr ist nicht passiert. Oft sind es ja rechte Fake-Profile, die das bei Twitter und Facebook posten. Teilweise ist es auch so, dass Polizisten dasselbe über mich denken. Ein hochrangiger Beamter und Stammgast in der Kneipe, in der ich gearbeitet habe, kam mal besoffen auf mich zu und hat mir vorgeschlagen, dass er mich das nächste Mal doch einfach ansprechen könne, wenn es auf Demos Probleme gäbe. Ich als Chef der Antifa könne das doch dann regeln. Da wusste ich gar nicht, was ich sagen soll. Und als ich irgendwann in der Stadt mit Freunden die Straße entlangging, rissen auf einmal Beamte die Tür eines Mannschaftswagens auf und meinten zu mir, dass es heute ruhig bleiben solle.

Wie geht es jetzt weiter?
Ich will auf jeden Fall aus meiner aktuellen Nachbarschaft weg und in ein Viertel, in dem ich mich sicherer fühle. Aber ganz aus Leipzig wegzuziehen, würde das Problem vermutlich auch nicht lösen – die Sachen im Internet sind ja trotzdem für jeden zu finden. Ich mache mir Gedanken darüber, wie es aussieht, wenn ich mal Frau und Kind habe und die dann darunter leiden müssen, dass solche Sachen verbreitet werden. Ich will einfach meine Ruhe haben.

Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.