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Menstruation

Augen auf beim Menstruieren: Die schwierige Geschichte des Tampons

Auch wenn es den Tampon seit über 80 Jahren gibt – die meisten Menschen wissen immer noch nicht, was genau sie sich da eigentlich zwischen die Beine schieben.
Foto: imago | Enters

Produkte, die mit Menstruation zu tun haben, müssen immer irgendwie geheim bleiben. Ob in der Schule, in der Uni oder im Büro, der Tampon verschwindet vor dem Toilettengang unauffällig in der Hosentasche oder in der Faust. Sonst könnte ja jemand mitkriegen, dass wir völlig normale weibliche Körperfunktionen haben. Aber so angenehm diese Diskretion auch für viele sein mag, die Heimlichtuerei hat ihre Nachteile. Denn der Tampon gilt zwar als die beste Erfindung, seit es Regelblut gibt, aber er ist selbst im Jahr 2017 noch lange nicht perfekt.

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Den Tampon zu kritisieren, käme vielen kaum in den Sinn, immerhin gab es vor dem Tampon nur große Stoffbinden. Die hingen wiederum an einem dicken Gürtel. Dann gab es noch spezielle Unterwäsche oder Stoffschichten, die alles aufnehmen sollten, was die Binde nicht schaffte. Unter voluminösen Kleidern lässt sich so etwas noch verstecken, aber zur lockeren, leichten Mode der 1920er passte das nicht mehr. Die moderne Frau brauchte eine Menstruationshilfe, die ihr moderne weibliche Beschäftigungen ermöglichte – wie Tennis oder Wählen.

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Menschen stopften zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahrhunderten aus medizinischen Zwecken Stoffbündel in Vaginen. Der Tampon war aber meist mit etwas getränkt: Antiseptische Mittel, Opium oder auch Essig sollten über die dünnen Schleimhäute der Vagina schneller aufgenommen werden. Manchmal setzten Mediziner auch Tampons ein, um andere Arten von Ausfluss aufzusaugen, aber anscheinend kam niemand auf den Gedanken, dass Frauen so etwas jeden Monat eigenständig tun könnten. Bis Anfang der 1920er, als ein Angestellter der US-Firma Kimberly-Clark einen Tampon-Prototypen für die Menstruation vorstellte. Sein Vorgesetzter rief angeblich: "So ein seltsames Produkt würde ich nie in eine Frau stecken!" John Williamsons Prototyp sah aber auch eigenartig aus: Es handelte sich um ein durchlöchertes Kondom mit einem Baumwollfutter.

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Es gibt zwei erste Patente für Tampons: das von Earle Haas aus dem US-Bundesstaat Colorado Anfang der 1930er, und das der deutschen Gynäkologin Judith Esser-Mittag aus den 1940ern. Haas' Erfindung wurde später unter dem Namen Tampax bekannt, Esser-Mittags Produkt kennen wir als O.B. (das steht für "ohne Binde"). Basierend auf Haas' Entwicklung sind in den USA Tampons mit einem ausfahrbaren Applikator der Standard, während wir in Europa meist keine Applikatoren verwenden.

"Basierend auf den vorliegenden medizinischen Beweisen lehnen die Bischöfe den Gebrauch von Tampons entschieden ab, vor allem bei unverheirateten Personen."

Haas' Applikator diente vor allem einem Zweck: Frauen sollten sich nicht "da unten" anfassen müssen. Trotzdem sorgten sich einige Ärzte und Geistliche, dass der Tampon zu einem Masturbationsspielzeug werden könnte – oder schlimmer noch, er könnte das Hymen einreißen und die Trägerin damit entjungfern. 1944 schrieb der Erzbischof von Dublin, John Charles McQuaid, dem Gesundheitsminister einen warnenden Brief: "Basierend auf den vorliegenden medizinischen Beweisen lehnen die Bischöfe den Gebrauch von Tampons entschieden ab, vor allem bei unverheirateten Personen." Der amerikanische Arzt Robert L. Dickinson setzte dem entgegen, dass Binden mit größerer Wahrscheinlichkeit an der Klitoris reiben, daher solle man lieber sie vermeiden. Die Angst vor der Tampon-Entjungferung hielt sich mindestens bis in die 1990er. "Ja, du bist dann immer noch Jungfrau. Nein, über solche Fragen lachen wir nicht", hieß es in einer Tampax-Werbung von 1991.

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Trotz solcher Sorgen stieg die Nachfrage nach Tampons nach dem Zweiten Weltkrieg rasant. Viele menstruierende Frauen arbeiteten außer Haus und konnten das "ohne Binde" besser. Eine junge Frau wurde zu einer unerwarteten Gallionsfigur der Entstigmatisierung: Anne Frank. "Ich kann es kaum erwarten. Es ist so ein großes Ereignis", schrieb sie in ihrem Tagebuch. „Schade, dass ich keine Binden benutzen kann, aber die gibt es nicht mehr. Und Mamas Tampons können nur Frauen verwenden, die schon ein Baby bekommen haben." In ihrer niederländischen Heimat gehörten sich Tampons für ein braves junges Mädchen also damals nicht. In den 1960ern erschien ihr Tagebuch jedoch in Japan und löste eine Anne-Frank-Mania aus. Es gibt zahlreiche Manga und Anime über ihr Leben, und "Annes Tag" wurde zum Euphemismus für Menstruation. Es gab sogar einen Tampon, der nach ihr benannt war. Der Anne-Tampon war von o.b., mitgeliefert wurden Fingerkondome, um die Hände beim Einführen sauber zu halten.


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1975 brachte Procter & Gamble eine Neuheit auf den amerikanischen Markt: Rely. Dieser Tampon war unglaublich saugfähig und völlig synthetisch. Das Geheimnis war ein Stoff namens Carboxymethylcellulose (CMC), der so saugfähig ist, dass eine Frau theoretisch ihre gesamte Periode lang nur einen solchen Tampon bräuchte. In Japan wurde das Produkt aufgrund der chemischen Zusammensetzung verboten, doch in den USA ging es an die Verbraucherinnen. Die wussten allerdings nichts darüber, denn in den USA müssen Tampon-Hersteller die Inhaltsstoffe nicht deklarieren – genau wie in Deutschland. Meika Hollender, die mit ihrer Firma Sustain auch Bio-Tampons herstellt, sagt: "Jeder Mensch hat das Recht zu erfahren, was in seinen Körper gelangt. Es ist absolut verrückt, dass es keine Deklarationspflicht gibt."

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Die Arznei- und Lebensmittelbehörde der USA stufte Tampons 1976 als medizinisches Produkt ein – zuvor galten sie als Kosmetika–, und im Jahr darauf wurde die Deklarationspflicht für Kosmetika eingeführt. In Deutschland gelten Tampons nach wie vor als "Bedarfsgegenstände". Gesundheitsschädlich dürfen die zwar auch nicht sein, aber für medizinische Produkte herrschen viel strengere Auflagen.

"Du bist unsauber und deine Vagina riecht, wenn du deine Tage hast! Also stopfen wir deinen Tampon mit Duftstoffen voll, damit du wieder ganz du selbst bist und auch ja niemanden abtörnst."

1980 nutzte bereits jede vierte Tampon-Käuferin in den USA den synthetischen Tampon Rely, und die anderen Firmen hatten mit ultrasaugfähigen Produkten nachgezogen. 1980 war auch das Jahr, in dem die US-Gesundheitsbehörde CDC den Zusammenhang zwischen Tampons und dem toxischen Schocksyndrom erkannte. Die "seltene, aber lebensgefährliche Komplikation, die aus bestimmten bakteriellen Infektionen resultiert", wird oft mit einem zu langen Tragen ein und desselben Tampons in Zusammenhang gebracht. Mit dem Erscheinen von Rely verbreitete sich diese seltene Komplikation rasant: Allein 1980 erhielt die CDC 812 Berichte über TSS-Fälle im Zusammenhang mit Menstruation, 38 endeten tödlich. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Fällen war die große Saugfähigkeit der Tampons. Es stellte sich heraus, dass CMS nicht nur Regelblutung aufsaugt, sondern auch der perfekte Nährboden für Staphylokokken-Bakterien ist. Die Bakterien blieben in der Vagina zurück und vermehrten sich mit jedem Tampon, der eingeführt wurde. Procter & Gamble zog Rely aus dem Verkehr und die Gesundheitsbehörde schrieb vor, dass Tampon-Hersteller auf der Packung angeben müssen, wie saugfähig die Produkte sind.

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Auch heute sorgen sich viele Frauen aufgrund der mangelnden Transparenz bei den Herstellern. Krebserregende Dioxine können nach dem Bleichprozess zurückbleiben, Weichmacher aus Duftstoffen können das Hormonsystem stören. "Bei Perioden gibt es schon immer einen Drang, alles unter den Teppich zu kehren", sagt Hollender. "Ein gutes Beispiel dafür sind parfümierte Tampons: 'Du bist unsauber und deine Vagina riecht, wenn du deine Tage hast! Also stopfen wir deinen Tampon mit Duftstoffen voll, damit du wieder ganz du selbst bist und auch ja niemanden abtörnst.'"

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Als Stiftung Ökotest 2007 16 Tampon-Marken testete, schnitten die allermeisten schlecht ab, ganz unbedenklich wirkte keine: halogen-organische Verbindungen, Dioxin, Formaldehyd. Die Konzentrationen liegen zwar in allen Messungen weit unter den zugelassenen Grenzwerten, aber diese Werte wurden für Produkte wie Taschentücher erstellt, und nicht für solche, die man stundenlang im Körper trägt. Der Mikrobiologe Philip Tierno von der NYU ist ebenfalls skeptisch, gerade was Entwarnungen zu Dioxin angeht: "Tatsächlich ist heute dank moderner Bleichmethoden weniger Dioxin in den Tampons als früher", sagte er 2016 gegenüber Time. "Aber da ist weiterhin Dioxin, und das sammelt sich im Körper an." Tierno war einer der Forscher, die das ultrasaugfähige CMC damals mit dem toxischen Schocksyndrom in Verbindung brachte.

In den USA versuchen Frauen seit einiger Zeit, Veränderungen durchzusetzen – bisher vergebens. Aktuell gibt es zwei Gesetzesvorschläge: Die New Yorker Abgeordnete Grace Meng stellte den "Menstrual Products Right to Know Act" vor, der die Deklarationspflicht einführen würde. Hollender und Sustain unterstützen das Gesetz durch die NGO Women's Voices for the Earth. Hollender macht sich auf für den zweiten Vorschlag stark: Der "Robin Danielson Feminine Hygiene Product Safety Act" solle "Tests an den Inhaltsstoffen handelsüblicher Binden und Tampons ermöglichen, und Forschung über die langfristigen Auswirkungen, die sie auf Frauenkörper haben", erklärt sie. Das Gesetz wurde nach Robin Danielson benannt, die 1998 an TSS starb. Es ist der zehnte Versuch, das Danielson-Gesetz durchzubringen, und angesichts der aktuellen politischen Lage prophezeit die New York Times auch diesmal "kaum Chancen". Die USA mögen mit ihrem Tampon-Patent früher dran gewesen sein, aber vielleicht kann Europa ja die Deklarationspflicht vormachen.

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