Krawall & Remmidemmi: 20 Jahre Deichkind
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Throwback Thursday am Mittwoch

Krawall & Remmidemmi: 20 Jahre Deichkind

Wie eine bekiffte Rap-Kombo aus Hamburg zur wichtigsten deutschsprachigen Festival-Band wurde.

1997 zieht HipHop wie eine Sturmflut durch Hamburg. Die Beginner haben ein Jahr vorher ihr Debütalbum Flashnizm veröffentlicht und dank Fettes Brot muss man nur die Worte "Es ist …" hören, um automatisch "… 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich." zu säuseln. Diese Gunst der Stunde lassen sich neben Eins, Zwo und Fünf Sterne Deluxe auch Philipp, Malte und Bartosch nicht nehmen und gründen die Gruppe Deichkind.

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Dass die Drei damit den richtigen Riecher hatten, zeigt sich drei Jahre später. "Bon Voyage" – das erste Video aus ihrem Debütalbum Bitte ziehen sie durch spült die Hamburger in die Dauerrotation bei MTV und Viva. Weniger erfolgreich als die ersten Singles sind allerdings die ersten Interviews von Deichkind, wie dieses Mixery Raw Deluxe-Beispiel aus dem Jahr 2000 zeigt.


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Mit der überforderten Band aus dem Interview hat Deichkind heute nicht mehr viel gemeinsam. Das liegt neben wesentlich mehr Erfahrung auch daran, dass von den Gründungsmitgliedern der Band nur noch Philipp aka Kryptik Joe an Bord ist. Nach einem Streit wurde Malte 2006 aus der Band geschmissen und zwei Jahre später entschied Bartosch sich dazu, die Band zu verlassen. Dass Deichkind weiterhin drei MCs am Mikrofon hat liegt an den Neuankömmlingen Porky und Ferris MC. 2009 wurde Produzent Sebastian tot in seiner Wohnung aufgefunden. Dieser Schock über den Verlust ihres Freundes, der maßgeblich für den Sound der Hamburger verantwortlich war, führte beinahe zur Auflösung von Deichkind. Die Gruppe entschied sich jedoch zum Weitermachen. Heute besteht Deichkind neben Kryptik Joe noch aus Ferris MC und Porky als MCs, dem Produzenten Roland Knauf und DJ Phono.

Mit dem zweiten Album Noch fünf Minuten Mutti und vor allem dem Song "Limit" fangen Deichkind an, sich von den anderen Hamburger Rappern und Crews abzuheben. Die elektronischen Beats auf Limit klingen so neu, dass Deichkind mit ihrer Selbstbezeichnung "Tech-Rap" einen Grundstein für ein ganz anderes Genre gelegt haben: Elektropunk auf deutsch. Und genau diese Entwicklung dürfte der Grund sein, warum Deichkind zur Handvoll Hamburg-Rapper aus dieser Zeit zählt, die heute noch relevant sind. Dass auch Deichkind selbst nicht entgangen ist, dass sie mit "Limit" auf Gold gestoßen sind, zeigt der Noch fünf Minuten Mutti-Nachfolger Aufstand im Schlaraffenland und die Single "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)".

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Mit Aufstand im Schlaraffenland waren Deichkind endgültig auf den Tech-Rap/Elektropunk-Zug aufgesprungen und lieferten so genau den richtigen Sound zur richtigen Zeit. Als 2006 "Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)" als Vorbote des Albums erschien, wurden gefühlt ganze Schulen zu dem Song demoliert. Ich habe selten erlebt, dass sich komplette Schulklassen so sehr auf ein Lied einigen konnten, aber "Remmidemmi" lief wirklich überall – von der Alternative/Indie-Disco bis in die Läden, in denen die Leute mit den aufgestellten Polo-Shirt-Kragen gingen. Und ähnlich wie alle 16-Jährigen eskalierte auch Deichkind selbst. Vor allem auf der Bühne.

Auf Deichkind-Shows herrschte pure Anarchie. Die Band war in Mülltüten gekleidet, hatte eine Hüpfburg auf der Bühne und schmiss auch schonmal ein See-Trampolin ins Publikum, um darauf Säcke voller Federn zu entleeren. Auch die erste Version der "Zitze" kam damals zum Einsatz – ein riesiger Kanister voller Schnaps mit Schläuchen dran, um das Publikum abzufüllen (und ihm zu zeigen, wie sehr Alkohol in den Augen brennt). Kein Wunder also, dass Deichkind schnell zu einer der besten Livebands überhaupt aufstieg.

Über die Jahre wich die Bühnenanarchie einer perfekt durchgeplanten Liveshow, für die Ex-Tour-DJ Phono zum Regisseur befördert wurde. Gemeinsam erfanden sie sogar ein eigenes Bühnen-Element, die sogenannten "Omnipods". Dabei handelt es sich um fahrbare Displays, die gleichzeitig auch Podeste sind und sich in die Choreografie der Band einfügen. Und genau dieser Erfindungsreichtum ist dafür verantwortlich, dass die Band nach 20 Jahren immer noch auf so ziemlich jedes Festival der Republik gebucht wird und das vermutlich auch so schnell kein Ende nehmen wird. Ach ja: Neben dem Aufstieg zu Deutschlands wichtigster Festival-Band hat Deichkind auch noch ein paar Alben veröffentlicht und war dafür verantwortlich, dass 2012 jede Situation mit "Leider geil" (R.I.P.) kommentiert wurde. 2012 war kein schönes Jahr. Ich würde ja spekulieren, was Deichkind sich als nächstes ausdenkt, aber das weiß vermutlich niemand. Wahrscheinlich nicht mal die Band selbst.

Bevor sich Deichkind in die Kreativ-Pause verabschiedete, haben sie aber noch zusammen mit den Beatsteaks den Festival-Hit 2017 veröffentlicht:

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