Leben in der No-Go-Zone: Ein Kriegsfotograf erzählt von seinem Alltag
Aus der Reihe "Caracas: Article 350" | Alle Fotos: bereitgestellt von Luke Cody

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Berufsrisiko

Leben in der No-Go-Zone: Ein Kriegsfotograf erzählt von seinem Alltag

"Im Irak wurde ich angeschossen. In Kairo hielt ein Mob von Anhängern der Muslimbruderschaft mich für einen US-Spion."

Luke Cody reist an die Orte, von denen andere fliehen. Der australische Fotograf arbeitet seit Jahren im Nahen Osten, Nordafrika oder Südamerika, um die dortigen Konflikte und Kriege zu dokumentieren. Auf seinem Instagram-Account sieht man, wie er es schafft, den Terror und das durch die Gewalt verursachte Leid einzufangen. Seine Bilder erzählen die Geschichten hinter den chaotischen Kämpfen und politischen Unruhen, er zeigt das Leben der Arbeiterklasse in Venezuela, obdachlose Opfer im Irak oder verdrängte Familien im Gazastreifen.

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Im Gespräch erklärt Luke, was ihn als Kriegsfotograf motiviert und in welche Gefahren er schon geraten ist.

Aus der Reihe "Caracas: Article 350"

VICE: In welcher Situation hattest du bis jetzt am meisten Angst?
Luke Cody: Am Tag der Volksabstimmung machte ich Fotos in einem Wahllokal im venezolanischen Chacao, einer Hochburg der Opposition. Später entschied ich mich mit meiner Kollegin Kathiana Cardona dazu, nach Altamira weiterzufahren.

Nach ein paar Blocks mussten wir an einer provisorischen Straßensperre halten. Hinter uns fuhr ein Pick-Up-Truck heran, zwei Männer stiegen aus und näherten sich unserem Fahrzeug. Einer von ihnen wies Kathiana an, den Motor abzustellen, während der andere versuchte, meine Tür zu öffnen. Ich schrie Kathiana an, dass sie losfahren müsse. Sie stieg aufs Gas, aber dann blieben wir in einem Stau hängen. Weil ich fest davon ausging, dass die Typen hinter mir her waren, sprang ich aus dem Auto und rannte los. Ich versteckte mich zwischen geparkten Fahrzeugen und schrieb einem Freund, der mich daraufhin in Sicherheit brachte.

Wieder zu Hause erfuhr ich, dass ein anderer Journalist am gleichen Tag entführt und brutal zusammengeschlagen worden war. Außerdem fand ich heraus, dass die beiden Männer, die uns aus dem Auto holen wollten, dem venezolanischen Geheimdienst angehörten.

Aus der Reihe "Mosul: On the periphery of the front line"

Gab es noch andere brenzlige Momente?
Viele meiner Erlebnisse hätten als Horror-Geschichten enden können. Im Irak wurde ich zum Beispiel angeschossen und eine Mörsergranate kam gut drei Meter von mir entfernt runter. In Kairo hielt ein Mob von Anhängern der Muslimbruderschaft mich für einen US-amerikanischen Spion. Ich konnte mich gerade noch so aus der Situation rausreden. Aber auch das ägyptische Militär hat schon versucht, mich festzunehmen.

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Aus der Reihe "Gaza: The aftermath"

Wie gehst du in solchen Momenten mit deiner Angst um?
Die eigene Furcht zu kontrollieren, ist ein Drahtseilakt. Es hat schon Vorteile, dass Angst die Sinne schärft, aber das ausgeschüttete Adrenalin kann auch das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Deswegen versuche ich immer, eine Pause einzulegen, nachdem ich über einen längeren Zeitraum hinweg intensive Schauplätze dokumentiert habe.

Aus der Reihe "Caracas: Article 350"

Wann hast du dich dazu entschieden, in Kriegsgebieten zu fotografieren?
Ich weiß noch, wie ich als Teenager eine Dokumentation über den Israelisch-Palästinensischen Konflikt gesehen haben und dann über die Natur des Menschen nachdachte. 2003 reiste ich nach Israel, mietete mir dort ein Auto und fuhr durch das Land. Ich dokumentierte meine Reise mit einer Videokamera und interviewte die Menschen, die ich kennenlernte. Ich hoffte, so mehr über den ganzen Konflikt zu lernen. Diese Erfahrung weckte in mir den Wunsch, irgendwann als Kriegsfotograf zu arbeiten.

Aus der Reihe "Gaza: The aftermath"

Und wann hast du den Schritt in die Selbstständigkeit gemacht?
Im Juni 2013 sah ich in den sozialen Medien Aufnahmen von Demonstranten, die auf dem Taksim-Platz in Istanbul von der Polizei brutal zusammengeschlagen wurden. Ich kontaktierte einen dort lebenden Kumpel und buchte meinen Flug. Die Proteste im Gezi-Park festzuhalten, war meine erste freiberufliche Erfahrung.

Einen Monat später flog ich nach Ägypten, um die Demonstrationen nach der Festnahme vom damaligen Präsidenten und Muslimbrüderschaft-Anführer Mohammed Mursi zu dokumentieren. Die Situation war noch geladener als in Istanbul und ich konnte mir keinen Fixer leisten – was das Risiko noch weiter erhöhte. Täglich lief ich durch das Protestlager der Muslimbrüderschaft vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee und war vom schwer bewaffnetem ägyptischen Militär umgeben. Als sich die Spannungen schließlich entluden, schaffte ich es durch meine Arbeit, mich von den chaotischen Szenen zu distanzieren und zu schützen.

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Die drei Wochen in Kairo prägten mich. Ich hatte es heil rausgeschafft und meine Arbeiten erschienen im Guardian und im New Yorker. Dadurch war ich noch mehr davon überzeugt, als Kriegsfotograf zu arbeiten.

Aus der Reihe "Gaza: The aftermath"

Was hat dich dazu gebracht, in den Irak zu gehen?
Ich wollte mir einen Namen machen und da erschien mir Mosul vergangenes Jahr als gute Gelegenheit. Die Gefahren dort bereiteten mir allerdings große Sorgen, vor allem die Scharfschützen und selbstgebauten Bomben. Als ich Kollegen und Freunde nach Tipps für meine Reise fragte, wollten mich einige von ihnen davon überzeugen, nicht in den Irak zu fliegen. Das alles half mir dabei, mich intensiv auf die Reise vorzubereiten.

Aus der Reihe "Caracas: Article 350"

Wie hast du die Situation im Irak erlebt?
Ich konnte kaum glauben, wie viele Stämme dort mit Milizen ihr Gebiet schützen und zusammen mit der irakischen Armee gegen den IS kämpfen. Wir fuhren jeden Tag die 80 Kilometer von Erbil nach Mosul und passierten dabei mindestens 30 Checkpoints von Kurden, verschiedenen christlichen und schiitischen Milizen oder der irakischen Armee. Meine Reise hat mir gezeigt, wie zersplittert das Land ist und wie ein Machtvakuum ganz schnell in einen Krieg mündet.

Eigentlich werden meine Vorstellungen bei jedem Trip in Frage gestellt. Deswegen liebe ich diese Arbeit auch so. Vor meinem Irak-Aufenthalt hatte ich aufgrund der Propaganda-Videos das Bild von IS-Kämpfern als ausgebildete und massiv bewaffnete Killermaschinen. Die ersten IS-Soldaten, mit denen ich zu tun hatte, waren aber verängstigte Teenager in Jogginganzügen und Sandalen.

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Aus der Reihe "Gaza: The aftermath"

Welcher Zwischenfall aus dem Irak ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?
In der ersten Woche begleitete ich ein TV-Nachrichtenteam in Richtung Front. Auf dem Weg kam uns ein einsamer Mann entgegen. Wir befürchteten, es könnte sich um einen Selbstmordattentäter handeln, aber nach einer kurzen Unterhaltung mit Sicherheitsabstand stellte sich heraus, dass er nur auf der Suche nach Medikamenten für seine sterbende Frau war. Er weinte heftig, als er uns seine Situation erklärte.

Eine solche Begegnung ist in einem Kriegsgebiet keine Seltenheit, aber gerade weil es so vielen Menschen dort genauso oder sogar noch schlechter geht, nimmt einen das so mit.

Aus der Reihe "Caracas: Article 350"

Was motiviert dich, solche Geschichten immer wieder mit der Welt zu teilen?
Wenn ich sehe, wie Minderheiten und verdrängte Gruppierungen für ihre Freiheit und ihr Leben kämpfen, dann treibt mich das an. Diese Menschen haben es verdient, dass man ihre Geschichte erzählt.

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