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Eskalation!—Das Moulin Rouge vor dem Umbau

Das Moulin Rouge war früher der Ort, an dem minderjährige Wiener gefeiert, gekotzt und gepudert haben.

Foto: Libohova Elmas

Bevor das Moulin Rouge 2011 geschlossen hat und zu einem Vapiano umgebaut wurde, war es so etwas wie der Albtraum aller Eltern (von dem sie natürlich keine Ahnung hatten). Es war der Club in Wien, in den du zum ersten Mal ausgegangen bist, weil du sonst nirgends reingekommen wärst. Und es war nicht unbedingt ein langsamer, harmloser Einstieg in das Wiener Nachtleben. Während das Moulin Rouge heute ein Ort ist, an dem gesittet Pasta gegessen wird, wurde damals exzessiv gesoffen, getanzt und gepudert.

Unzählige Male, wenn ich dort war, stand abends um halb elf die Rettung vor der Tür, weil die ersten Betrunkenen (teils in ihrer eigenen Kotze) vorm Lokal gelegen sind oder sich im Suff verletzt haben. Das Publikum war extrem jung, man fühlte sich immer wie auf einem riesigen Kindergeburtstag. Trotzdem gab es immer ein paar ältere Typen, die entweder Freunde von den Veranstaltern waren oder junge, betrunkene Mädels aufreißen wollten. Ich habe etliche Geschichten von Leuten gehört, die Sex oder gar ihr erstes Mal am Moulin Rouge-Klo hatten. Die Securitys haben mich am Eingang zwar nach meinem Ausweis gefragt, hatte ich den allerdings „vergessen" oder einen hergegeben, in dem stand, dass ich 13 war, war ihnen das recht egal.

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Foto: Michael Balla

Die DJs haben vorwiegend EDM und harten Elektro aufgelegt—über so etwas wie Paul Kalkbrenner konntest du schon froh sein. Der Eintritt und die Getränke waren extrem teuer und der VIP-Bereich hat den gesamten zweiten Stock umfasst. Die Jungs haben sich an der Größe ihrer Belvedere-Vodka-Flaschen gemessen und die Mädels an der Kürze ihrer Kleider. Da das Moulin Rouge auch einmal als Puff, Theater und Casino fungierte, war die Optik des Clubs zugegebenermaßen recht cool—abgefucked edel, in rot gehalten und mit Strip-Stangen ausgestattet, die allerdings so viel Verwendung gefunden haben, dass sie teils schon aus der Decke gerissen waren.

Foto: Libohova Elmas

Die Lüftung des Lokals hat wohl nicht perfekt funktioniert—ich kann mich an Abende erinnern, die so heiß waren, dass man den Eindruck bekam, man sei in einem übelst riechenden Dampfbad. Die Barkeeper wollten mir nie Leitungswasser ausgeben, vermutlich um noch mehr Umsatz zu machen. Ich hab ihnen immer damit gedroht, dass ich augenblicklich kollabiere und es ihre Schuld ist, wenn sie mir kein Wasser geben. Das hat geklappt.

Ich und das Moulin Rouge wurden nie so wirklich Freunde—anfangs habe ich mich geweigert hinzugehen. Schon damals habe ich alles, wofür es gestanden ist, verachtet und war auch musikalisch anders orientiert. Aber das seltsame ist, dass ich wenn ich dort war, immer extrem viel Spaß hatte. Und das habe ich in keinem anderen Aufrissschuppen jemals geschafft. Auch nicht als ich sehr jung war. Ich glaube, was das Moulin Rouge so besonders gemacht hat, waren die fehlenden Alternativen. Es gab nicht so viele Lokale, in die du so einfach reingekommen bist und die bereits um zehn Uhr Abends voll waren. Ein wichtiger Punkt, wenn du noch in dem Alter bist, in dem dir deine Eltern vorschreiben können, wann du zuhause zu sein hast. Dadurch haben sich die verschiedensten Leute dort zusammengefunden. Allesamt sehr jung, vom Teenie-Dasein gelangweilt, manche ein bisschen abgestürzt. Es gab die normalsten und die verrücktesten Leute, aus verschiedenen Verhältnissen. Aber alle waren jugendlich übermotiviert. Diese Mischung hat das Lokal auf eine komische Art und Weise legendär gemacht. Wow, hättet ihr mir damals gesagt, dass ich legendär und Moulin Rouge jemals in einem Satz verwenden werde, hätte ich euch vermutlich meinen Vodka-Orange über den Kopf geschüttet.

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Foto: Libohova Elmas

Da ich zur Moulin Rouge-Zeit eben auch nur eine minderjährige, jugendlich übermotivierte Besucherin war, habe ich einen Veranstalter auffindig gemacht, um mir seine Sicht auf das damalige Moulin Rouge anzuhören. Er war ein Teil von der wohl beliebtesten Partyreihe im Moulin Rouge, im Jahr vor dem Umbau. Da er jetzt seriös und berufstätig ist, wollte er nicht, dass sein Name im Interview erscheint. Das erste Indiz dafür, dass das Moulin Rouge wirklich so wild war, wie ich es in Erinnerung habe.

Mit welchen drei Stichwörtern lässt sich das Moulin Rouge von damals beschreiben?
Exzessiv, irre, Eskalation.

Eskalation—was bedeutet das im Zusammenhang mit dem Moulin Rouge? Wie ist es dazu gekommen, dass alle, damit meine ich euch und eurer großes Stammpublikum, den Begriff andauernd verwendet haben?
Ich weiß es selbst nicht mehr genau. Aber wir haben sogar Plakate mit „Eskalation" gedruckt. Neben dem DJ-Pult sind Fahnen mit der Aufschrift „wir eskalieren" gehangen. Ich denke, das hat einfach unser Publikum beschrieben. Die Leute sind damals ja so arg abgegangen und ausgezuckt … Das war echt Wahnsinn.

Ea gab ja einige Razzien im Moulin Rouge. Auch bei euren Partys? Wie sind die abgelaufen? Ging es da nur um die viel zu jungen Leute?
Ja, da gab's natürlich welche. Der Club wurde dabei zugesperrt und die Polizei hat drinnen die Leute kontrolliert. Die Polizei war sowieso immer gerne da, weil unser Publikum sehr jung war. Viele wurden von ihren Eltern vorm Club oder von der Polizeistation abgeholt.

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Weiß du, wieso das Moulin Rouge geschlossen hat? Ist es nicht verwunderlich, dass es überhaupt so lange offen geblieben ist, obwohl es oft Ärger mit der Polizei gab?
Ich denke, weil es nicht mehr so gut gelaufen ist. Die Miete war sau teuer. Außerdem ist ja dann ein Vapiano reingekommen. Der bereitet sicher weniger Ärger als wir damals.

Gab es Schwierigkeiten mit Anrainern?
Ja, die haben Wasserbomben runtergehaut oder mit dem Schlauch runtergespritzt. Wir haben mal angeläutet und gefragt ob sie eigentlich noch ganz dicht sind. Es waren immer sehr viele Leute vorm Club, oft gab es auch Schlägereien.

Was waren schöne Momente im Moulin Rouge?
Also DJ Antoine war gestört. Es war so voll. Und so heiß. Vorm Club war eine riesige Schlange die ums Eck gegangen ist. Alle Leute waren so gut drauf. Wir hatten ernsthaft Angst, dass die Decke einbricht, weil alle so abgegangen sind.

Was waren schlimme Momente im Moulin Rouge, was hat dich genervt?
Am Anfang, wenn du auf die Leute wartest. Oder Abende, an denen wenige Leute da waren. Das war mühsam. Wir haben ja auch oft sehr teure DJs gebucht.

Foto: Libohova Elmas

Damit man sich so einen Moulin Rouge-Abend besser vorstellen kann, habe ich ein paar Bekannte gebeten, ihre lustigsten Storys anonym aufzuschreiben. Ach, die heutige Jugend—die meisten von ihnen sind jetzt übrigens ganz normale Studenten oder Angestellte, die viel weniger trinken und ausgehen als damals. Hier sind ihre Erzählungen:

Ein Freund und ich hatten dort mal eine Aufriss-Wette. Wir haben versucht, alle Mädels in unsere super coole Lounge zu lotsen und mit Belvedere zu füttern. Und dann ist eine davon die Stufen runtergefallen, hat sich den Fuß aufgeschnitten und musste mit der Rettung abgeholt werden. Ich war noch relativ nüchtern, deshalb hab ich sie aus dem Club begleitet. Die Wette ist drei zu drei ausgegangen. Ach, wir hätten unser Junggesellenleben nie aufgeben dürfen. Ich wünschte ich könnte bis zum heutigen Tag junge Mädels aufreißen, während im Hintergrund DJ Antoine aus den Lautsprechern dröhnt.

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An einem All you can drink-Abend hatte eine Freundin von mir was mit mehr als 14 Typen. Dann wurde sie mit der Ambulanz zum Ausnüchtern ins Spital gebracht.

Als ich zum ersten Mal dort war, war ich sehr aufgeregt. Ich zog meine 14cm hohen Buffalos und das kürzeste kleine Schwarze an. Schließlich habe ich 300 Euro am Klo gefunden. Ein andermal kamen wir nach dem Vortrinken in der Playbar erst um 23 Uhr in den Club. Es war ein All you can drink-Abend. Die Barkeeper meinten, dass die Bar leer getrunken wurde. Mein Bruder schlich hinter die Bar und nahm ein paar Flaschen Stoli, die er dann verteilte.

Einmal bin ich draußen vorm Club gestanden und habe auf eine Freundin gewartet. Plötzlich kommt ein Typ raus, die Freundin sitzt auf seinen Schultern. Sie springt runter, bedankt sich und kommt zu mir. Ich schaue sie fragend an und sie sagt „Was schaust du so? Meine Schuhe tun weh, deshalb lasse ich mich jetzt von Typen tragen anstatt zu gehen."

Bei einer Party habe ich davor und dort so viel gesoffen, dass ich um circa zehn Uhr Abends mit der Rettung vorm Moulin Rouge abgeholt wurde. Ich hatte eine Alkoholvergiftung und musste 1500 Euro für den Einsatz zahlen, weil das die Krankenkasse nicht übernimmt.

Ein Bekannter von mir hat sich mal ein Mädchen aufgerissen und sie hat ihm am Klo einen geblasen. Dabei hat sich ihr Zungenpiercing unangenehm bemerkbar gemacht.

Einmal ist ein Freund zu mir gekommen und meinte, dass er sich heute schon das 18. Mädchen aufgerissen hat.

Eines Abends im Dezember war die ur fette Schlange draußen. Es war sau kalt. Irgendwann hat auf einmal jemand einen Timbaland-Schuh in die Höhe gehalten und gefragt wem der gehört. Das war sehr absurd. Außerdem haben wir konstant Eiswürfel von der Galerie auf die Leute unten geworfen.

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