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Mike Muir kotzt sich über die Dummheit dieser Welt aus

Mike Muir von Suicidal Tendencies über die Anfänge, Gangs in Venice und seine Abneidung gegen Heuchler.

Fotos: Marianne Harris

Fred Durst wäre so gerne Mike Muir gewesen. Hat nicht geklappt. Limp Bizkit gibt’s zum Glück auch nicht mehr. (Oder doch? Oder wieder? Egal.). Puddle of Mudd gibt’s auch nicht mehr, obwohl die so gut klauen konnten. Sogar Rage Against The Machine, die alten Heuchler, hat Mike Muir überlebt. Suicidal Tendencies sind also zum Glück noch unterwegs. Und ob die jetzt Metal, Hardcore, Crossover-Punk oder sonstwas machen und seit wann und in welcher Form, liest du lieber auf irgendeinem Metal-, Hardcore-, Crossover-Punk-Forum. Denn mir ist das scheißegal. Auch wie viele Line-Up-Changes die schon hatten. Mir völlig Banane.

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Es ist viel spaßiger sich mit Mike über die Dummheit unserer Zeit auszukotzen. Der Mann hat seine Wut überwunden und kann sich jetzt aus seiner inneren Ruhe heraus über alles aufregen, was ihm an grauenhaften Banalitäten auffällt. Also hör endlich auf dein Fake-Leben bei Facebook zu posten, krieg Kinder und geh mit ihnen an den Strand! Aber davor liest du noch dieses Interview, das wir beim Vans Downtown Showdown in Amsterdam mit Mike geführt haben.

Noisey: Suicidal Tendencies gibt es jetzt seit mehr als 30 Jahren. Erzähl uns mal, wie das damals in den frühen 80ern in Venice, L.A., so war.
Mike Muir: Das war damals ein ganz anderes Ding, weißt du. Das hatte einen richtig schlechten Ruf. Venice und vor allem das Gebiet um Abbot Kinney sind heute scheiße teuer und ich habe keine Ahnung, warum. Mein Vater war früher Lehrer an der Venice High School. Der Hausmeister besaß Land in Abbot Kinney und versuchte es sogar zu verschenken. Aber mit wenig Erfolg, weil dort die ganzen Bandenkriege stattfanden. Keiner wollte dort wohnen, das war Ghetto.

Wie war das, als du die Band gegründet hast? Gab es eine Verbindung zu Venice 13?
Wir (die ganze Band, Anm. d. Red.) lebten damals am West Washington Boulevard hinter dem Gebäude des Betriebsbahnhofs. Damals lebten dort sonst nur Japaner. Am Ende jeden Monats haben wir in unserem kleinen Hinterhof „Rent-Partys“ veranstaltet, um unsere Miete zahlen zu können. Irgendwann entschieden wir uns, dort selbst zu spielen, um die Leute, die schon Eintritt bezahlt hatten zu verscheuchen, damit wir direkt den nächsten Schwung an zahlenden Gästen reinlassen könnten. So hat Suicidal Tendencies angefangen. Aber das Ganze wurde richtig groß, weil es den Leuten irgendwie doch gefiel. Mit den Gangs hatten wir allerdings nichts zu tun. Das Gute war, dass die Polizei nicht wirklich zu den Partys kam. Nur die Metro (Metropolitan Police of L.A., Anm. d. Red.) kam alle paar Monate vorbei, um die Leute zu verprügeln und zu zeigen, wer das Sagen hat. Hast du damals gesehen, wie Leute erschossen werden?
Ja, aber darüber reden wir als Band nicht unbedingt. „Oh, mein bester Freund wurde ermordet, als ich zwölf Jahre alt war“ und solche Sachen erzählst du niemandem, den du nicht kennst. Verstehst du, was ich meine? Warum solltest du irgendwem so etwas erzählen? Aber jeder, der unsere Geschichte kennt, weiß auch, dass viele Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, heute nicht mehr da sind, weil sie entweder im Knast sitzen oder gestorben sind. Auch wegen Drogen. Ich fühle mich also ziemlich glücklich noch hier zu sein.

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Ich gehe mal davon aus, dass Suicidal Tendencies damals ein kontroverser Name war.
Naja, als wir angefangen haben, hat uns ja kein Schwein gekannt, also war das völlig egal. Aber später, als unsere erste Platte in den Läden stand, fingen die Probleme an. Einige Geschäfte verkauften unsere Platte wegen des Namens nicht. Nach unserer ersten Platte hatten wir auch eine Menge Angebote von Major Labels. Die wollten allerdings, dass wir unseren Namen ändern. Haben wir natürlich nicht getan. Als dann die zweite Scheibe draußen war, gab es acht Plattenlabels, die bereit waren, für unseren Namen zu kämpfen.

Du kotzt dich ja schon gerne über die amerikanische Gesellschaft aus. Was läuft da eigentlich falsch?
Das Thema kannst du nicht vereinfachen. Wo soll ich anfangen? Mein Vater hat immer gesagt: „Viele Leute benutzen ihre Intelligenz, um ihre Ignoranz zu rechtfertigen.“ Weißt du, es gibt so viele Widersprüche und Heucheleien im Leben und dann gibt’s diese Typen, die sich hinstellen, klugscheißen und glauben, sie hätten die Lösung gefunden. Und der Rest glaubt, dass alles, was sie sagen, wahr ist, weil es so schön und intelligent klingt. Aber ich zweifle so etwas an. Also die Fassade der Dinge. Nur weil irgendwas gut klingt, könnte es immer noch verdammt noch mal keinen Sinn machen. Weißt du, diese Typen denken, sie hätten die Kontrolle, aber so ist es nicht. Ein schönes Beispiel zur Fassade: In Kalifornien gibt es immer wieder Termitenplagen und viele von uns haben Holzhäuser. Wie gehen die Leute damit um? Sie übermalen einfach die Löcher, damit keiner das Problem sieht.

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The American way out.
Ja, Mann! Oder schau dir die Universal Studios an: all die schönen Fassaden, aber dahinter sind nur Holzplanken, die alles zusammenhalten. Es sieht toll aus, aber ist nur Maske. Und so ist das überall: „Wie geht’s dir?“ „Oh mir geht’s so toll!“

Aber das ist doch typisch amerikanisch.
Ach was, das ist überall das Gleiche. Ich habe in Australien gelebt und da ist es auch so. Im Englischen gibt’s den Ausdruck: „Keeping up with the Joneses“. Das drückt das ganz gut aus. Wir wollen ständig mit unseren Nachbarn mithalten. Schau dir Scheiß-Facebook an. Das funktioniert auf der ganzen Welt gleich. Jeder aktualisiert seinen Status. „Heute war so ein toller Tag, ich war hier und da mit dem und dem“. Ich hasse diese ganze Scheiße. Verdammt noch mal! In Amerika versenden viele diese Weihnachtskarten, in die sie so etwas schreiben wie: „Johnny hat als Bester sein Studium beendet“ oder „Lilly kann schon perfekt lesen und schreiben“. Ich verachte diesen ganzen Dreck. Weißt du, ich würde am liebsten Karten versenden, in denen steht: „Mein Sohn Billy ist cracksüchtig“. Oder eine Frau könnte schreiben: „George hat mich mit einer Hure betrogen. Wir lassen uns scheiden“ oder „Jimmy hatte eine Geschlechtsumwandlung und das Leben ist scheiße und fickt euch alle!“ Verstehst du? Diese Leute mit ihren Status Updates auf Facebook; den ganzen Tag nichts anderes. Ich will denen einfach nur sagen: „Ihr lebt verdammt noch mal nicht!“ Sie machen sich Sorgen, was irgendjemand von ihnen denkt und wirken dabei so, als würden sie von Kameras verfolgt. Ihr Verhalten ist wie einstudiert, als ob sie in einer Reality-Show wären. Sie kümmern sich nur um ihr Erscheinungsbild, aber nicht um das Wichtigste: Wie sie sich fühlen.

Wo steht denn die amerikanische Gesellschaft heute? Ist sie bankrott?
Nein. Die ganze verschissene Welt ist bankrott! Überall das gleiche. Jeder lebt ein Fake-Life, damit sie den ganzen Schrott auf Facebook posten können und damit andere das dann „liken“. Die vergessen, was wirklich wichtig ist. Ich gehe mit meinen Kindern gerne an den Strand und spiele mit ihnen. Das ist das schönste, was es gibt. Und es reicht völlig. Ich sehe dort andere, die ständig alles fotografieren und es sofort posten und instagrammen. Die einfache Schönheit des Lebens bemerken sie nicht. Alles wird erst echt, wenn sie es gepostet haben. Aber du wirst nie etwas Großartiges leisten, wenn du ständig nur darauf achtest, was andere von dir denken. Auf der anderen Seite sind die Leute so verzogen, dass sie glauben, sie müssten nur mit dem Finger schnippen und alles wird ihnen gegeben. Keiner will mehr kämpfen oder arbeiten. Aber die Zeit bleibt nicht stehen. Also steh auf und mach was aus deinem Leben.

Ich habe in einem anderen Interview gelesen, dass du Wikipedia „Lie-apedia” nennst. Glaubst du, dass die Leute eher dümmer werden mit dem ganzen Informationsüberfluss?
Na klar! Da draußen sind so viele Leute, die nichts anderes in sich haben als einen Haufen Scheiße und nur darauf warten, den endlich loszuwerden und ihn schriftlich festzuhalten. Hahaha. Das ist Wikipedia. Irgendein Arschloch, der über irgendwas schreibt, was er kaum versteht oder von dem er eigentlich nichts weiß. Ich habe in Venice mal ein schwarzes Brett vor meinem Hause aufgehängt mit Artikeln über ST. Aber nur die, die uns niedermachen. Die Leute haben mich gefragt, warum ich das mache. Und ich habe ihnen gesagt, dass es mir einfach scheißegal ist, was irgendjemand von mir denkt, weil es nichts in meinem Leben ändert.

Du hast Rage against the Machine vor 20 Jahren vorgeworfen, sie seien Heuchler. Eurer Song „Do What I Tell Ya“ ist quasi als Antwort auf „Killing In The Name“ entstanden. Wer ist denn heute eine heuchlerische Band?
Ja so war das damals. Aber, weißt du, heute ist das anders, weil die Kids einfach mit der Prämisse anfangen, dass sie Rockstars werden wollen. Ich respektiere das. Kürzlich hat mich eine Freundin meiner Frau gefragt, wie es denn so sei, ein Rockstar zu sein. Ich habe ihr gesagt, dass ich verdammt noch mal kein Rockstar bin, denn da, wo ich herkomme ist Rockstar ein Scheißwort und mein Vater würde mir eine scheuern, wenn ich mich selbst so bezeichnen würde.

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