FYI.

This story is over 5 years old.

Interviews

Primal Scream sind auf der Höhe der Zeit

Primal Scream sind zurück. Mit einer Kampfansage von einem neuen Album.

Foto von Christoph Voy

Primal Scream hatten schon viele Gesichter. Sie waren die Hohepriester des Rave, sie nahmen ein paar Drogen zuviel, sie dachten Britpop weiter als alle anderen, Anfang der Neunziger läuteten sie eine Bluesrock-Renaissance ein, es folgte überaus nachvollziehbares Anwanzen an Kate Moss, danach ihre Agitprop-Phase, in den Nullern nullerten sie Album-wise auch ein bisschen rum, um jetzt endlich wieder zu Hochform aufzulaufen. Heute, am 10. Mai erscheint ihr neues Album More Light und man sollte sich vom Titel nicht täuschen lassen. Weder ist es besonders leichtes Material, das sie darauf zusammenstellen, noch strahlt es besonders viel Helligkeit ab. Dafür aber wirft es so manchen Erkenntnisstrahl ins aktuelle Zeitgeschehen. So bissig und klar hat man Sänger Bobby Gillespie schon lange nicht erlebt. Er hat viel zu sagen in diesen Tagen und das tut er nicht nur auf der neuen Platte, auch in Interviews ist sein Rant zur Lage der Nation im Prinzip nicht kontrollierbar. Das Gespräch uferte in der ohnehin schon kurzen Redezeit schnell in ein linksrhetorisches Gesellschafts- und Regierungs-kritisches Trommelfeuer aus. Wir haben es trotzdem geschafft, auch noch ein paar Dinge über das neue Album zu erfahren. (Sollte dir das nicht genügen, findest du am Ende des Interviews ein EPK über die Entstehung von More Light)

Anzeige

Noisey: Ihr habt bereits etliche unterschiedlich klingende Platten veröffentlicht. Das neue Album wird sicher auch wieder viele Leute überraschen. Wart ihr selber auch vom Ergebnis überrascht?

Bobby Gillespie: Du meinst, ob wir es hätten besser machen können? (lacht)

Keine Ahnung, hättet ihr es besser machen können?

Bobby: Nein, das ist schon ok so. Ist ziemlich gut geworden.

Ich meinte es eher so, dass ihr sicher mit einer Vorstellung an das Album herangegangen seid, die sich nicht unbedingt mit dem Ergebnis decken muss. Was ist da so passiert auf dem Weg zur Veröffentlichung?

Bobby: Da ist ne ganze Menge passiert.

Andrew Innes: Wir wissen am Anfang nie, wie sich das Album entwickeln wird. Das ist immer sehr überraschend für uns. Wir wussten, wir würden mit David Holmes aufnehmen, das war bereits etwas Besonderes. Normalerweise fangen wir an, arbeiten uns bis zur Hälfte vor und fragen uns dann, wer uns helfen könnte, das Ding zu einem Ende zu bringen.

Bobby: Wir schreiben ein paar Songs und überlegen uns dann, wer mixen oder remixen könnte und so weiter. Sei es Andy Weatherall oder wer auch immer. Diesmal haben wir uns entschieden, gleich von Anfang an mit David zu arbeiten. Beim letzten Album war alles schon fertig und unser Produzent Björn Yttling sollte die ganze Sache eigentlich nur etwas überwachen. Das war das erste Mal seit wir mit Tom Dowd Give Out But Don’t Give Upaufnahmen, dass wir wirklich eng mit einem Produzenten gearbeitet haben. Es war gut, hat ein wenig den Druck von uns genommen. Die Aufnahmen waren freier und aufregender als bei den letzten Alben.

Anzeige

Das komplette Album wurde von David Holmes produziert? Bei „Goodbye Johnny“ hatte ich das Gefühl, dass da auch Andrew Weatherall an den Knöpfen gedreht haben könnte.

Bobby: Nee, der hat es bis jetzt noch nicht mal gehört, haha.

Aber er muss zumindest den Albumopener „2013“ gehört haben, richtig?

Bobby: Ganz genau, dazu hat er einen Remix gemacht.

Die ersten beiden Songs sind über sieben Minuten lang und der Primal Scream-typischste Song kommt ganz am Ende. Ist das bewusstes Arbeiten gegen die Regeln oder gab es andere Gründe für diese Struktur?

Bobby: Das war David Holmes Idee. Liegt vielleicht daran, weil er so viel Filmmusik macht. Er wollte die Dramaturgie des Albums an die eines Films anlehnen. „2013“ begleitet quasi die Opening Credits, „River of Pain“ wirft dich dann mitten ins Geschehen. Danach kommt „Cuturecide“ – die Action geht los. Bei „Into the Void“ wird es dann ein bisschen verrückt, dann „Tenement Kid“, da geht es einen Gang zurück, da öffnen sich mehr Räume. Es gibt also diese narrative Ebene. Er war auch der Meinung, dass wir da etliche Ideen in den Songs haben, die wir so noch nie ausprobiert haben, und wir sie wie einen Trip erforschen und schließlich auch präsentieren sollen. „It’s Alright, It’s OK“, der sich am meisten nach klassischen Primal Scream anhört, sollte da ein bisschen ausgegrenzt werden. Für ihn ist es außerdem der Song, der dann am besten die Closing Credits begleiten kann. Du gehst also aus dem Film raus und hast dieses Gefühl, alles ist OK. Die ersten Tracks sind sehr turbulent, wütend und düster und wenn du dann aus dem Kino rauskommst, hast du ein gutes Gefühl.

Anzeige

Da du gerade die Wut der Songs ansprichst. Viele Leute werden sagen, ihr seid jetzt wieder politischer. Allerdings habt ihr schon weitaus wütendere Songs mit politischem Anstrich gemacht.

Bobby: Ich weiß gar nicht, ob ich das so sehen würde. „Exterminator“ und „Swastika Eyes“ auf XTRMNTR waren schon recht wütend, aber ich finde, wir sind einfach besser geworden, was das Schreiben solcher Songs angeht. Ich würde einfach behaupten, dass so ein Song wie „Culturecide“ nicht weniger wütend ist. Es ist einfach nur, wie soll ich sagen … definierter.

A propos „Culturecide“, kannst du mir etwas über die Idee zu dem Song erzählen?

Bobby: Andrew kam mit den Akkorden und dem Piano und da war augenblicklich dieses Gefühl von Dunkelheit. Ich hab mir überlegt, was kann ich dazu schreiben … ich hatte einige Bücher gelesen und letztendlich handelt der Text von der gegenwärtigen Kultur und der Gesellschaft in Großbritannien. Von den Standeskriegen, die da gerade abgehen. Über die Regierung als Handlanger der Konzerne, über die Angriffe auf das Bürgertum und die Unterschicht. Es geht um die Konsequenzen eines freien Marktes. Es geht darum, sich wie ein Flüchtling im eigenen Land zu fühlen. Es geht darum, wie sich Dritte Welt-artige Zustände in einem Land der Ersten Welt einschleichen. Wir waren in den letzten Jahren viel unterwegs, in Südamerika, den Staaten, Europa und überall breitet sich Armut aus.

Anzeige

Andrew: Sogar in Japan gibt es mittlerweile Obdachlose, das fand ich bemerkenswert, ein ungewohntes Bild.

Bobby: In den Fünfzigern versuchte die Sozialdemokratie einen Wandel durch eine andere Verteilungspolitik, durch moderate Arbeitszeiten, leichteren Zugang zu Bildung, Krankenversicherung. Leute aus der Arbeiterklasse konnten an die Uni gehen, das wäre zwanzig Jahre vorher nicht möglich gewesen. Und momentan kehren wir zu genau diesen Bedingungen vor dieser Zeit zurück. Wir laufen rückwärts. Sie wollen uns ins 19. Jahrhundert zurückwerfen. Sie wollen den Arbeitsmarkt deregulieren, die Arbeiter sollen weniger Rechte haben, es gibt nur noch Geschäftemacherei und Ausbeutung. (es folgt ein mehrminütiger Exkurs über die neoliberale Perversion der britischen Gesellschaft) Und die Texte spiegeln das einfach nur wieder. Sie beschreiben, was wir in dieser Gesellschaft sehen. Es soll aber auch gar nicht zu politisch werden, am Ende sind wir einfach nur eine verdammte Rockband und wir lassen uns auch nicht vor den Karren irgendeiner Partei spannen. Aber wir beide stammen aus sehr politischen Familien, dazu kommt unsere Zeit in der Punkszene – das Bewusstsein ist also da und einfach Teil unserer Arbeit als Musiker.

(Der Presseaufseher kommt rein und mahnt zur Eile)

Dann lasse ich die nächste politische Frage mal weg und komme kurz zur Musik. Ich habe dich sagen hören, dass du die Band als Bewahrer einer Rock’n’Roll-Tradition verstehst, dass du gleichzeitig aber darauf bedacht bist, diese Tradition zeitgemäß weiterzuführen. Erfüllt das neue Album auch genau diesen Anspruch? Was macht es zeitgemäß?

Anzeige

Bobby: Es ist zeitgemäß, weil wir zeitgemäßer Künstler sind und etwas zu sagen haben. Und was wir sagen, ist relevant, angesichts dessen, was da draußen passiert. Und wir vereinen das mit der Tradition von high energy Rock’n’Roll. Die Musik hat aber auch einen experimentellen und erforschenden Ansatz, wir sind daran interessiert, was passiert. Wir sind aus dieser Zeit. Darum klingt dieses Album nach 2013. Es ist der Sound und das Gefühl dessen, was da draußen passiert. Du findest da all die Wut, Energie, Paranoia, Liebe, Hoffnung, all das ist da drin. Das Album bezieht sich nicht auf 1977, es bezieht sich auf heute.

Primal Scream hat nichtsdestotrotz eine Geschichte. In den letzten Monaten kamen einige geschichtsträchtige Bands mit neuen Alben zurück. Nick Cave and the Bad Seeds, My Bloody Valentine und so weiter. Ist das Zufall oder spielt da das Zeitgeschehen, von dem du sprichst, auch eine Rolle?

Bobby: Mit beiden Bands, die du ansprichst, verbindet uns einiges. Mit Kevin Shields von My Bloody Valentine haben wir schon viel gearbeitet. Bei beiden Bands ist es so, sie spielen nicht nur Akkorde und Melodien und schreiben ein paar Texte, sie machen einfach Kunst. Sie greifen Stimmungen auf. Und das machen sie heute noch genau so gut wie vor zehn oder zwanzig Jahren. Und wir auch. Wir sind einfach gut, in dem, was wir machen. (lautes Lachen)

Andrew: Vielleicht liegt es auch an Kevin. Er ist ja auf unserem neuen Album auch drauf und immer, wenn er an unseren Album beteiligt war, haben wir gut abgeliefert.

Anzeige

Kevin ist also der Spiritus Rector bei Primal Scream, dann habe ich ja jetzt meine Insiderinformation.

Bobby: Ja, wir geben es zu, er ist der kosmische Lenker unserer Band, er zieht die Fäden, haha.

Ihr bringt das Album selber raus. Habt ihr die Schnauze voll von Plattenfirmen?

Bobby: Die Musikindustrie hat sich verändert. Wir hatten Angebote von Majorlabels, aber es hat sich nicht richtig angefühlt. Wir wären so ein cooles Maskottchen für sie gewesen, eine Band, die schon lange dabei ist, aber wir hatten nicht das Gefühl, dass sie unser Projekt angemessen hätten unterstützen können. Wir wussten, es würde ein starkes Album werden und wir wollten einfach nicht in der Releaseschwemme eines Majors untergehen.

Andrew: Wir wären da nur eine Band von vielen. Wir wollten das Album selber rausbringen und dann an verschiedene Partner lizenzieren, an Leute, die wirklich daran interessiert sind. Auf diese Weise können wir uns jetzt auch mit euch Jungs treffen. Wären wir auf nem großen Label, hätten wir sicher kaum internationale Pressearbeit machen können. Wenn da die Frage aufkäme, ob man ein paar Interviews in Deutschland organisieren könnte, dann haben sie doch irgendwas besseres zu tun, ein Beyonce-Album oder irgendsowas.

Bobby: Als wir in den Neunzigern zu Sony gingen, da waren wir ein priorisiertes Thema. Das war uns damals nicht klar, aber es war einfach so. Und wenn du dann nicht ein paar Millionen Alben verkaufst, bekommt halt jemand anders die Priorität. Du wanderst also die Rangliste runter und im Fall unserer Arbeit mit einem Major heißt das, dass wir beim letzten Album ein einziges Single-Release hatten und weil diese Single nicht funktionierte, veröffentlichten sie keine zweite Single, kein zweites Video. Bei dem Album davor hatten wir zwei Singles, „Country Girl“ als Leadsingle und bei der zweiten Single haben sie den Geldhahn zugedreht, bevor wir das Video produzieren konnten. Es dreht sich ausschließlich ums Geld. Sie investieren in uns und wenn die Rendite nicht stimmt, dann wird woanders investiert. Es ist also ganz einfach. Wir wussten, es wird ein gutes Album. Warum sollten wir so hart daran arbeiten, dass es dann in diesem Majorwahnsinn verloren geht? Wir trafen Noel Gallagher bei einem Gig und er fragte uns, wie es mit dem Album läuft. Ich so: „Ist fertig, muss noch gemixt werden.“ Er: „Wer bringt es raus?“ Ich sage: „Keine Ahnung. Haben wir noch nicht drüber nachgedacht.“ Und er: „Dann mache ich das. Ich hab ne Plattenfirma.“ Ich frage ihn: „Ein echtes Label?“ – weil ich dachte, er hat einen Deal mit Sony. Er darauf: „Ich hab 1,6 Millionen von meinem Solo-Album verkauft.“ Und ich: „OK, klingt nach nem guten Plattenlabel für mich.“ (lacht) Also machen wir es so ähnlich. Unser Label heißt First International, wir arbeiten mit Ignition als Managementfirma zusammen und die haben die Möglichkeit, Platten herauszubringen. Wir haben das Album dorthin lizenziert und sie kümmern sich um den Vertrieb. Sie haben ein Netzwerk, haben mit Noel und Oasis gearbeitet. Wie Andrew schon sagte, es ist old school und indie. Ist gut so.

Anzeige

Wusstest du, dass bei der Suche nach First International im Internet als einer der ersten Hits eine russische Heiratsvermittlung für wohlhabende Männer aus dem Westen angezeigt wird?

(Gelächter)

Bobby: Nicht dein Ernst. Das ist ja ganz in unserem marxistischen Sinn. Klingt nach einem absolut politisch korrekten Umfeld. Hat aber nichts zu tun mit Pussy Riot, oder, haha.

Andreas verbreitet popkulturellen Agitprop auch auf Twitter. Folgt ihm @reznik

**

Folgt Noisey bei Twitter und Facebook für tägliche Updates über eure Lieblingsmusiker.


MEHR VON NOISEY

Warum DJ Koze nicht für schnellen Sex zu haben ist und andere Privatangelegenheiten in unserem Interview.

Westbam erlebt mal wieder seinen zweiten Lenz

Der Techno-Papst bat zur Audienz, da haben wir uns natürlich nicht lange bitten lassen.

David August hat keinerlei Sonderwünsche

David August erzählt auf seinem Album Geschichten, ohne dafür Worte zu benötigen, denn seine Worte sind Gefühle. Kitschig? Überhaupt nicht.